- In Deutschland geht der Anteil an Frauen in der Politik zurück - anders ist es in Erlangen
- Die HuffPost hat der Stadt einen Besuch abgestattet, um herauszufinden, wieso dort so viele Frauen in politischen Schlüsselpositionen sind
- Das liegt nicht nur daran, dass Alt-OB Hahlweg Frauen früh gefördert hat
Kirchen, barocke Gebäude, Schlösser, viel Grün: Wer in Erlangen aus dem Zug steigt, findet eine typisch bayrische Postkartenidylle vor.
Was vielleicht nicht ganz so typisch ist: Auffällig viele Studenten strömen aus dem gleichen Zug. Sie sind unterwegs in die Gebäude der Friedrich-Alexander-Universität, die über die ganze Stadt verteilt sind.
Immerhin beherbergt Bayerns kleinste Großstadt mit ihren knapp 113.000 Einwohnern die drittgrößte Universität des Bundeslandes. 40.000 Menschen studieren hier.
Doch
Erlangen ist noch in anderer Hinsicht besonders: Hier leben überdurchschnittlich viele Menschen mit Uni-Abschluss - 47 Prozent; die Arbeitslosigkeit ist mit 3,9 Prozent im Bundesschnitt extrem niedrig - und vor allem: Nirgends arbeiten so viele Frauen in Politik und Verwaltung wie hier, wie eine
Studie der Heinrich-Böll-Stiftung gerade erst wieder gezeigt hat.
Im Bundestag sind so viele Frauen wie zuletzt 1998
Die HuffPost hat sich auf eine Spurensuche begeben. Wir wollten herausfinden, wie das gelingen konnte, in einer Zeit, in der sich Frauen anderswo aus dem politischen Leben zurückziehen.
Im Bundestag etwa sind mit 31 Prozent
so wenig Frauen wie zuletzt vor 19 Jahren vertreten, der Frauenanteil unter den Oberbürgermeistern ist von 17,7 Prozent im Jahr 2008 auf 8,2 Prozent in diesem Jahr stark eingebrochen.
Anders in Erlangen. Hier sind 44 Prozent der Stadträte Frauen, den Oberbürgermeister unterstützen zwei Bürgermeisterinnen - ebenso sind viele weitere politische Spitzenpositionen mit Frauen besetzt.
Gute Kinderbetreuung - und mehr arbeitende Frauen als im Bundesdurchschnitt
Besuchern des Oberbürgermeisters fallen sofort die ungewöhnlichen Bilder auf: Bilder von Blumen, ein Porträt des Bürgermeisters - gezeichnet von einem Schulkind.
Familien spielen hier schon immer eine wichtige Rolle. Vor einigen Jahren gab Bayern vor, für 35 Prozent der Kinder Kitaplätze zu schaffen. Doch den Verantwortlichen war sofort klar, dass das nicht ausreichen würde. Sie bauten Kitaplätze für 55 Prozent der Kinder.
Die Erlanger Spitze: Oberbürgermeister Florian Janik, die zweite Bürgermeisterin Sabine Lender Cassens und die dritte Bürgermeisterin Elisabeth Preuss (von links, Bild: Katharina Schneider)
Auch das, glaubt Oberbürgermeistern Florian Janik (SPD) sei der Grund, dass der Anteil von Frauen mit festen Jobs in Erlangen mit 77,5 Prozent deutlich höher ist als im Rest des Landes mit 70,8 Prozent.
Erlebt man Janik und die Bürgermeisterinnen Susanne Lender Cassens (Grüne Liste) und Elisabeth Preuss (FDP) gemeinsam, hat man den Eindruck: Hier sitzen drei alte Freunde beisammen. Sie alle haben Kinder. Wie auch viele der Erlanger Bürger: Gerade die Zahl junger Familien steigt hier gerade massiv.
Es scheint, als würde sich der hohe Anteil von Frauen in Schlüsselpositionen also durchaus auf Politik und Stadt auswirken.
Der Stadtrat setzt sich außerdem auch sehr bewusst und öffentlichkeitswirksam für Frauenthemen ein - in Sachen sexuller Belästigung zum Beispiel.
Während des Volksfestes Bergkirchweih hat die Stadt nicht nur an Infoständen auf sexuelle Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht. Sie hat auch dunkle Ecken der Stadt heller beleuchtet und die Polizei strategisch anders platziert. Mit tollem Effekt: Die Frauen, so erzählen die Bürgermeister, fühlen sich seitdem sicherer.
In diesem Umfeld muss sich keiner schämen, Zeit mit der Familie haben zu wollen
Überhaupt: Für Janik ist es wichtig, Frauen zu fördern.
Wie wichtig das ist, merkt er auch in der Stadtverwaltung. Seit einiger Zeit stellt er dort fast nur Frauen ein. Nicht wegen einer Agenda - sondern weil die Frauen, die sich auf die Stellen beworben haben, die besseren Bewerber waren. Und wenn er diese Mitarbeiter halten wolle, müsse er neue Modelle etablieren, sagt Janik - Führung in Teilzeit, Job-Sharing oder Arbeit im Home Office zum Beispiel. Gerade arbeitet die Stadt an einer Umsetzung.
Janik ist kein Macho-Typ, weder in seiner äußeren Erscheinung noch in seinem Verhalten. Er lässt Frauen ausreden, legt Wert auf die Meinung der beiden Bürgermeisterinnen. Er zitiert den bekannten Satz aus dem Hamburger Programm der SPD: "Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden". Auch wenn der etwas pathetisch sei, wie er betont. Er stimme.
Janik lebt diesen Grundsatz auch in seiner Familie. Seine Frau ist berufstätig. Wenn beide abends unterwegs sind, dann springe eben jemand aus dem großen Babysitter-Netzwerk ein, sagt er.
Oder seine Bürgermeisterkolleginnen entlasten ihn beruflich: "Der Oberbürgermeister bittet uns auch manchmal, eine Aufgabe zu übernehmen - weil er sich um seine Kinder kümmern muss", sagt Lender Cassens.
Das Erlanger Rathaus sieht von außen nicht gerade aus, als sei es ein kinderfreundlicher Ort - doch der Schein täuscht (Bild: Katharina Schneider)
In so einem Umfeld wird sich niemand schämen, wenn mal ein Termin aus familiären Gründen nicht klappt. Und deshalb ist es hier auch ganz normal, dass Kinder in Sitzungen dabei sind. Sowohl Männer wie auch Frauen nehmen ihre Kinder hin und wieder mit - und das stört niemanden.
Und das ist nicht nur für sie der einzig richtige Weg. "Es ist ja auch für die Männer nicht toll, wenn strukturell von ihnen erwartet wird, ihre Kinder nicht aufwachsen zu sehen", erklärt Janik.
Ohne so einen Mann geht es nicht.
Denn: So lange Frauen noch unterrepräsentiert sind, müssten die Männer an der Spitze unbedingt mitziehen, sagt Birgit Marenbach, Gleichstellungssprecherin der Stadt. "Wenn die Männer nicht bereit sind, dann funktioniert das nicht", sagt sie. Ein mächtiger Mann muss überzeugt sein von der Frauenförderung und voll dahinterstehen.
Es braucht einen mächtigen Mann - und weibliche Vorbilder
Janik ist nicht der erste mächtige Mann in Erlangen, der Frauen fördert.
Wenn es um Personen geht, die für die Förderung von Frauen stehen, fallen in Erlangen vor allem zwei Namen: Dietmar Hahlweg und Ursula Rechtenbacher.
Der SPD-Politiker Hahlweg war von 1972 bis 1996 Oberbürgermeister der Stadt. "Das waren entscheidende Jahre für die Frauenpolitik", sagt die zweite Bürgermeisterin Lender Cassens.
Hahlweg war schon in den 80er Jahren über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Damals setzte sich der Oberbürgermeister dafür ein, dass Fahrradfahrer gegen Einbahnstraßen fahren dürfen.
Hahlweg sei sehr wichtig gewesen für die frühe Förderung von Frauen in Erlangen, sagt Barbara Pfister. Sie kann mitreden, wenn es um die Erlanger Politik geht. Seit 21 Jahren sitzt Pfister hier im Stadtrat, seit drei Jahren ist sie Fraktionsvorsitzende der SPD.
Für Barbara Pfister ist Gleichstellung ein Herzensthema (Bild: Katharina Schneider)
"Es steht und fällt mit dem OB, wie das Thema Gleichstellung umgesetzt wird", sagt sie.
So hatte während Hahlwegs Amtszeit auch schon 1988 eine Frau, die spätere Bundestagsabgeordnete Heide Mattischeck, den SPD-Fraktionsvorsitz inne.
Und schließlich suchte sich Hahlweg auch eine Frau als zweite Bürgermeisterin. Eine Frau, die zum Vorbild für Erlangerinnen - egal ob von CSU oder Grünen - werden sollte.
Ursula Rechtenbacher wiederum war von 1980 bis 1990 Bürgermeisterin in Erlangen.
"Rechtenbacher war Vorbild und Ansprechpartnerin für viele Frauen", sagt OB Janik. "Sie hatte auch kleine Kinder - und hat das trotzdem alles auf die Reihe gekriegt."
Vorbilder sind wichtig. Wer sieht, dass andere Frauen in hohe politische Ämter kommen können, der wird sich selbst mehr zutrauen.
Frauen in Politik und Verwaltung, besonders in hohen Positionen, haben in Erlangen eine lange Tradition. 1986 schuf man die Stelle für eine Gleichstellungsbeauftragte - nach München die zweite in Bayern.
Seit 1984 ist die Grüne Liste im Erlanger Stadtrat vertreten - immer mit mindestens zur Hälfte Frauen. Seit 1990 macht das auch die SPD hier.
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Auch in der Partei gab es damals Gegenstimmen - trotzdem ziehen die Erlanger Sozialdemokraten das Konzept von Platz 1 bis Platz 50 durch. Seit 27 Jahren.
Die SPD ist hier traditionell dem linken Flügel der Partei zuzurechnen - und das merkt man bei Pfister aber auch bei OB Janik deutlich. Gleichberechtigung - das wird schnell klar - ist für beide ein Herzensthema.
"Bei uns in der Fraktion nehmen wir Gleichstellung sehr ernst und sind da auch sehr unnachgiebig. Wir würden es zum Beispiel nie so handhaben wie die Nürnberger SPD, die einen männlichen Oberbürgermeister und einen Mann als zweiten Bürgermeister stellt", sagt Pfister.
"Das bayerische Wahlrecht frauenfreundlich"
Doch nicht nur die lange Tradition und die verbindlichen Quoten von Grünen und SPD bringen Frauen in die Erlanger Politik. Denn zumindest der hohe Anteil von Frauen an Abgeordneten im Stadtrat ist gar nicht einmal so etwas besonderes.
In bayerischen Großstädten ist der Frauenanteil in den Stadträten mit gut 40 Prozent generell sehr hoch.
Das liegt an mehreren Faktoren.
Zum einen sei der Wettbewerb zwischen SPD und CSU sehr ausgeprägt, sagt Lars Holtkamp, Politologie-Professor aus Hagen und Mitautor der eingangs erwähnten Heinrich-Böll-Studie.
Die SPD habe außerdem bayernweit eine Quote von 50 Prozent. Das führe dazu, dass auch die CSU ihr Quorum von 33 Prozent bei Kommunalwahlen häufig erfülle.
"Zum anderen begünstigt das bayerische Kommunalwahlrecht mit Kumulieren und Panaschieren Frauen und auch Quotenregelungen. Denn Quoten können so auf die gesamte Liste angewandt werden."
Auch in Erlangen gibt es immer noch viel zu tun, sagt Gleichstellungssprecherin Birgit Marenbacher (Bild: Katharina Schneider)
In Bayern können Wähler entweder ihre Stimme einer ganzen Liste geben oder sich die Kandidaten zusammenstellen - haben also in Erlangen 50 Stimmen. Dabei können Wähler einzelnen Kandidaten bis zu drei Stimmen geben. Das nennt man kumulieren. Diese Stimmen können auf verschiedene Listen verteilt werden - das heißt dann panaschieren.
"In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel ist das nicht möglich, denn dort kandidieren nur drei oder vier Kandidaten", sagt Holtkamp. "Das hat zur Konsequenz, dass Frauen hier stärker unterrepräsentiert sind. In den Großstädten kann man das bayerische Wahlrecht schon als frauenfreundlich bezeichnen."
Was Erlangen noch zusätzlich begünstige, seien eine gezielte Frauenförderung und sehr gute Frauennetzwerke.
”Ohne Quote geht es nicht”
Natürlich sei es dringend nötig, dass sich der Bevölkerungsquerschnitt auch in den Parlamenten widerspiegle, sagt Bürgermeisterin Preuss. Das hieße, dass zumindest die Hälfte der Abgeordneten Frauen sein müssten. Und das nicht nur in Erlangen.
Ein Zustand, von dem der größte Teil Deutschlands weit entfernt ist. Doch können andere Regionen etwas lernen von Erlangen, der Stadt, in der Frauen in der Politik die größte Rolle im ganzen Land spielen?
Die lange Tradition kann kein Ort aufholen, so viel ist sicher. Laut Holtkamp wäre es schon ein Fortschritt, das Kumulieren und Panaschieren auch auf Länderebene anzuwenden - wenn möglich auch in anderen Bundesländern.
"Am besten wäre aber eine gesetzliche Quote, ein Paritätsgesetz", sagt er. "Das würde auf jeden Fall zu 50 Prozent führen."
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Und auch SPD-Politikerin Pfister sagt: "Ohne verbindliche Instrumente kommt man nicht weiter. Wir brauchen die Quote noch eine sehr lange Zeit." Auch wenn es durchaus Arbeit sei, wirklich für die Hälfte aller Listenplätze Frauen zu finden, muss OB Janik zugeben. Trotzdem: Irgendwie funktioniere es immer.
Dennoch gibt es auch hier noch einiges zu tun. Besonders in der Verwaltung auf der mittleren Führungsebene seien auch in Erlangen noch nicht sonderlich viele Frauen zu finden, beklagt Pfister.
Dennoch: Das Beispiel Erlangen beweist für sie, dass es zu schaffen ist, mehr Frauen in die Politik zu bringen: "Wenn sich die verantwortlichen Männer und Frauen konsequent für Gleichstellung einsetzen, dann zeigt das Erfolge."
(lk/sma)