- Nachdem die Liberalen die Jamaika-Sondierungen haben platzen lassen, sind sie für viele der Sündenbock
- Insbesondere die Grünen attackieren die FDP und Parteichef Lindner heftig und werfen der Partei einen Rechtsruck vor
- Doch was ist eigentlich dran an den zahlreichen Vorwürfen?
Viel kann FDP-Vize Wolfgang Kubicki nicht aus der Ruhe bringen.
Bei der Frage nach einem angeblichen Rechtsruck bei den Liberalen ist das anders. “Was in den letzten Tagen, Wochen und Monaten auch über die sozialen Netzwerke der Grünen gegen uns polemisiert wurde, geht auf keine Kuhhaut”, sagte Kubicki in einem Interview mit der “Zeit”.
“Dabei waren es vor allem wir,
die der AfD die Stirn geboten haben”, beteuerte Kubicki. “Sie werden nie erleben, dass Freie Demokraten mit antidemokratischen und rassistischen Ressentiments spielen. Nie!”
Aber in der Öffentlichkeit ist ein ganz anderes Bild entstanden. Einige Medien und
Spitzenpolitiker zeichnen das Bild von einer nationalen FDP, die mit rechtspopulistischen Ideen flirtet, um möglichst viele AfD-Wähler für sich zu gewinnen.
Doch was ist dran? Die HuffPost hat vier zentrale Vorwürfe überprüft:
1. Die FDP versuchte in den Sondierungen, die CSU rechts zu überholen
Es ist die immer gleiche Erzählung - unter anderem aus dem Lager der Grünen: Die Liberalen hätten während der Jamaika-Verhandlungen versucht, sich rechts der Union zu positionieren - etwa in der Flüchtlingspolitik.
Die
„Bild am Sonntag“ hatte - ohne Angaben von Quellen - berichtet, dass die Grünen beim Thema Familiennachzug für eingeschränkt Schutzberechtigte Druck gemacht hätten und CSU-Chef Horst Seehofer zu Gesprächen bereit gewesen sei.
Die soll Lindner aber abgelehnt haben.
So sagte die Brandenburger Bundestagsabgeordnete der Grünen, Annalena Baerbock, am Montag nach dem Jamaika-Scheitern: “In den Sondierungen versuchte die FDP, die CSU rechts zu überholen.”
Die
“Süddeutsche Zeitung” beschreibt die Verhandlungsnacht deswegen mit den Worten:
“Offenbar mehrfach habe Lindner in Momenten, in denen die CDU mit Kompromissvorschlägen CSU und Grüne einer Einigung nahe gebracht habe, plötzlich eine harte Linie eingeschlagen und bisherige Positionen der CSU übernommen.”
Die FDP zeichnet freilich ein anderes Bild der langen Verhandlungen.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte bei “Lanz” im ZDF, er hätte kein Kompromissangebot von Union und Grünen in der Frage des Familiennachzugs auf dem Tisch gehabt.
Dass die Liberalen versucht hätten, die CSU rechts zu überholen, sei “Quatsch”,
erklärte auch die stellvertretende Vorsitzende Marie-Agnes Strack Zimmermann im HuffPost-Interview.
Ähnlich äußert sich auch Juli-Chef Konstantin Kuhle in der HuffPost. “Die FDP ist keine nationalliberale Partei”, betont er. “Dieser Vorwurf ist einfach Unsinn.”
Die FDP sei immer bei der Forderung geblieben, den Familiennachzug bei einer Einzelfallprüfung zuzulassen. “Das war auch unser Kompromissangebot an die Konfliktparteien CSU und Grüne.”
2. Lindner soll sich in der Europapolitik einem Kompromiss verweigert haben
Nicht nur in der Flüchtlings- sondern auch in der Europapolitik hätten die Liberalen versucht, AfD-nahe Positionen durchzudrücken.
Der frühere Grünen-Chef Jürgen Trittin etwa nannte die Liberalen auf dem Parteitag am Samstag eine "rechte bürgerliche Protestpartei", die „europa- und flüchtlingsfeindlich“ sei (
zu sehen im Video):
Parteitag: Ex-Grünen-Chef Trittin nennt FDP Partei für rechte Elite - Deutschland
Auch der Grüne Jamaika-Unterhändler Reinhard Bütikofer glaubt, unter Lindner sei die Partei die
“rechteste FDP seit 1968”.
Vor der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt verfolgte die Partei einen europakritischen Kurs. So stimmte sie etwa gegen die Römischen Verträge, weil der Partei die europäische Integration zu weit ging.
In den Jamaika-Verhandlungen soll FDP-Chef Lindner bis zuletzt darauf bestanden haben, einen Stabilitäsmechanismus für die Euro-Zone abzulehnen.
Davor aber warnten Grüne und Kanzlerin Merkel, weil es dann auf europäischer Ebene nichts mehr zu verhandeln gegeben hätte. Kurz darauf ließ Lindner die Verhandlungen platzen.
Die FDP bestreitet auch nicht, dass sie gegen eine “Vergemeinschaftung von Schulden” ist, wie das FDP-Vorstandsmitglied Johannes Vogel bei “Friedman” auf N24 sagte.
“Dadurch schwächen wir aber nicht Europa, wir stärken es”.
Tatsächlich sind diese Positionen allerdings nicht AfD-nah, sie würden auch in Teilen der Union keine Mehrheit finden. So warnte unter anderem der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble unermütlich vor einem europäischen Schuldentopf.
3. Der FDP-Chef nimmt sich ein Beispiel an Sebastian Kurz
Gar einen Vergleich als
“deutscher Mini-Kurz” muss sich FDP-Chef Christian Lindner mit Blick auf den designierten österreichischen Kanzler gefallen lassen.
Der ÖVP-Politiker schmiedet derzeit eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ, um an die Macht zu kommen.
Grünen-Chef Cem Özdemir sagte deswegen: "Ich habe das Gefühl, dass die FDP ein bisschen zu viel nach Österreich schaut in letzter Zeit."
Dazu schreibt der “Spiegel” in seiner aktuellen Ausgabe, Lindner wolle die Liberalen nach dem Vorbild des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Sebastian Kurz die Liberalen in eine “bürgerliche Protestbewegung” verwandeln.
Längst pflege Lindner einen ähnlichen Personenkult wie seine Vorbilder aus Österreich und Frankreich.
“Er bedient sich der Rhetorik der Eliten, die Medien und das angebliche herrschende Meinungsmonopol. Und er will die politische Landschaft neu ordnen, indem er die FDP auch inhaltlich teilweise dort platziert, wo sie seit Neustem wieder im Bundestag sitzt: rechts von der Union.”
Der Politologe Werner Weidenfeld sieht durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Lindner und dem Österreicher Kurz.
“Beide stechen durch ihren politischen Stil hervor”, sagt er. “Beide schrecken nicht davor zurück, zu provozieren und so die Wähler zu erreichen.”
Es gebe allerdings auch einen gewaltigen Unterschied.
Während Kurz daran gearbeitet hat, die GroKo zu überwinden, habe Lindner sie mit seiner Entscheidung wahrscheinlich gemacht.
Zumindest daran ist etwas dran.
4. Die FDP will die neue Partei rechts der Union werden
Tatsächlich mussten sich die Liberalen schon im Wahlkampf gegen den Eindruck wehren, sie würde im rechten Lager fischen.
So ließ sich Lindner Anfang September mit dem Rechtsintellektuellen Joachim Steinhöfel fotografieren.
Das Selfie brachte ihn in Erklärungsnot.
So schreibt die “Zeit” in ihrer aktuellen Ausgabe.
“Solange es schien, als würde sich die AfD in Eigenregie zerlegen, reichte es Lindner, sympathisch, klug, manchmal brillant die Notwendigkeit eines seriösen Liberalismus im deutschen Parteiengefüge anzumahnen. Doch als die Flüchtlingskrise ganz andere Emotionen und politische Energien freisetzte und die außerparlamentarische FDP im schalltoten Raum zu verschwinden drohte, da verschärfte er die Tonlage.”
Merkel habe mit ihrer Politik “Europa ins Chaos gestürzt”, eine Vergemeinschaftung der Schulden würde deutsche Spareinlagen gefährden,
“Instinktiv greift Lindner heute die populistisch verwertbaren Themen auf, ohne die Linie zum Rechtspopulismus zu überschreiten”, bemerkt die “Zeit”.
Lindner sei ein Meister darin, die emotionale Energie, die in den einschlägigen Themen steckt, für die Mobilisierung der Verunsicherten bürgerlichen Mitte zu nutzen.
Wer den Liberalen das vorwürft, erntet Verwunderung.
“Es werden verleumderische Unverschämtheiten geäußert, was die politische Positionierung angeht”, sagte FDP-Vorstandsmitglied Vogel. Der Vorwurf sei nahezu absurd - gesellschafts- und bürgerrechtspolitisch stehe man sicher nicht rechts der CSU.
Tatsächlich vertritt die FDP Positionen, die für die Union undenkbar wären. So befürwortet sie etwa die Cannabis-Legalisierung,
woran sie in den Jamaika-Gesprächen an der Union scheiterte.
Der Politologe Weidenfeld kann deswegen keinen Rechtsruck bei der FDP erkennen.
“Die FDP lässt sich nicht in das klassische rechts-links-Schema einordnen”, sagt er im Gespräch mit der HuffPost. Bei allen Themen vertrete die Partei Positionen, die entweder links oder rechts der Union stehen. “Das ist Teil einer Profilierung, die noch nicht abgeschlossen ist.”
(mf)