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Der Übergrößenmantel in 38

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In Berlin lief in der vergangenen Woche die Fashion Week und drei Tage war auch ich vor Ort. Arbeit. Lächeln, sich halbwegs geschminkt und vernünftig angezogen auf den verschiedenen Veranstaltungen zeigen, Kollektionen ansehen, die man sich nie im Leben leisten können wird und vermutlich auch nicht möchte. Manches macht dort Spaß, manches weniger.

Auch der Besuch einer Messe gehörte dazu, die sich den Kleidungsstücken für Übergrößen widmet. Übergrößen, lernte ich dort, Übergrößen fangen bei 38 an. Ich kenne genügend Menschen mit 38 und keiner davon ist "übergroß".

Ich trage 42/44, meist eher 44. Ich bin 1,74 Meter groß. Sicherlich bin ich nicht schlank, ich bin mopsig, vor allem am Bauch an der Hüfte. Dafür habe ich eine schmale Taille, ich habe recht große Brüste. In den 1950er Jahren hätte ich vielleicht Pin-Up-Girl werden können. Heute bin ich für alles zu dick.

In der Schule, vor allem so in der 7. bis 9. Klasse, war ich immer mit eine von den Größten. Ich überragte die meisten meiner Mitschüler, was sich dann zum Glück irgendwann gab, weil ich nicht mehr wuchs, die anderen aber. "Fett" nannten mich meine Mitschüler, obwohl die Bilder von damals keinen dicken Menschen zeigen; sondern einfach mich, größer als alle anderen.
Ich habe darunter ziemlich gelitten. Bis in das Studium hinein hat es mich verfolgt, das "fett", das Gelächter hinter meinem Rücken. Weil mit "fett" auch immer gleich "hässlich" verbunden wird und ich mich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr nur "viel zu dick" sondern auch "hässlich" fand.

Meine Freunde widersprachen mir, schwärmten von meinen Augen, meiner Intelligenz: Ich hörte es nicht, weil das Wort "hässlich" über mir schwebte, das "hässlich" in jeder Umkleidekabine bestätigt wurde. Ich traute mich nicht, Männer anzusprechen und wurde für alle nur der "gute Kumpel" - eine Rolle, die ich mir selber gab, weil ein Kumpel nicht schön sein muss; man muss gut mit ihm Fifa spielen können, Bier trinken.

Irgendwann fand ich mich mit mir ab. Ich sah meine Stärken, auch die optischen. Ich habe ziemlich blaue Augen mit natürlich lang-schwarzen Wimpern, mein Hintern ist ganz hübsch und vor einem Jahr merkte ich, dass mein Mund eine hübsche Form hat.

Mit meinen Lippen haderte ich lange. Eine Kosmetikerin riet mir vor einigen Jahren, meine Lippen nicht zu betonen, besonders meine Oberlippe sei wulstig. In der Folge benutzte ich jahrelang keinen Lippenstift, nicht einmal Gloss und stellte mich mir in der Außendarstellung als ein Mensch vor, der einen wahnsinnig kleinen Körper hätte, der nur aus Bauch und Mund bestand. Ich habe mich selber so sehr für mich geschämt, dass ich immer wieder weinend vor dem Spiegel stand und manchmal nicht aus dem Haus mochte.

Ich ernähre mich gesund, bewege mich regelmäßig, von meiner Kleidungsgröße komme ich nicht runter. Es ist mittlerweile in Ordnung so. Weil ich gelernt habe, dass es darauf ankommt, wie man seinen Körper trägt. Wir sagen immer, dass es bei Kleidung darauf ankommt, wie man sie trägt. Aber es geht tiefer. Sicherlich hadere ich gern und viel zu sehr mit mir. Aber ich versuche dann, an meine Stärken zu denken, an das, was mich ausmacht. Es ist in meinem Kopf nicht mehr mein zu dicker Bauch, der "Ulrike" ausmacht. Ich habe mich selber reduziert, obwohl ich es ablehne, wenn andere Menschen es tun.

Aber wenn ich auf diesen Messen stehe, dann fühle ich in mir wieder mein Ich aus der 7. Klasse hochkommen. Als ich erfuhr, dass die Partyfotografen eigentlich keine Menschen fotografieren, die nicht in eine bestimmte Kleidergröße passen, traf mich das. Offenbar sind diese Menschen nicht gut für die Außenwirkung einer Party. Wenn Übergrößen bei 38 anfangen, was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

38, das ist ein Hüftumfang von 90 bis 94 Zentimetern. 90 Zentimeter Hüfte gilt nach 90 - 60 - 90 als ideal und dennoch ist es offenbar nicht "normal" genug. Denn "Übergröße" impliziert, dass es nicht normal ist; das darunter es aber sehr wohl ist.

"Curvy ist sexy" heißt die Messe, auf der die "großen Größen" vorgestellt werden und es wirkt, als müsste betont werden, dass Kurven sexy sind. Dinge, die man betont, die sind gefährlich. Wenn sich ein Betrieb als "ehrlich" bewirbt, muss man sich fragen, warum dieses Unternehmen das hervorhebt: die Ehrlichkeit sollte doch eine Selbstverständlichkeit sein. Und so ist es auch mit "sexy". "Sexy" ist eine Einstellung. Und - VERDAMMTE AXT - von allen Seiten soll uns diese Einstellung kaputtgemacht werden.

Nach drei Tagen zwischen extrem dünnen Menschen und Kleidung in 38, die auf Übergrößen-Messen gezeigt wird, schwanke ich zwischen Wut und Selbstzweifeln. Und die möchte ich nicht zulassen und ich möchte vor allem nicht, dass Mädchen, die jetzt gerade in der siebten, achten oder neunten Klasse sind, noch zehn Jahre warten müssen, bis sie erkennen, dass sie mehr sind als die Bezeichnungen "fett", "hässlich" und "über". Dass man eine Bikini-Bridge haben kann, aber nicht muss. Und dass Anziehungskraft nichts mit Körpermaßen zu tun hat. Sondern damit, wie man sich fühlt, wie man sich - seinen Körper und seinen Charakter mit allen Eigenarten, Stärken und Schwächen - trägt.

"Wir sind uns des Problems bewusst", sagte der Vertreter eines Labels auf der Messe zu mir. Eine Lösung wusste auch er nicht. Und zeigte dann der nächsten Einkäuferin einen Übergrößen-Wintermantel in 38.

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