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Brasilien nach der Präsidentschaftswahl: Verhandlungen mit der ISIS statt Freihandelsabkommen mit dem Westen

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Am Sonntag wurde Dilma Rousseff als Präsidentin Brasiliens wiedergewählt. In Ihrer Eröffnungsrede vor der UN-Vollversammlung im September hatte sich die einstige marxistische Guerillakämpferin für einen Dialog mit ISIS ausgesprochen und die US-geführten Militärschläge gegen die wohl brutalste Terrormiliz der Neuzeit kritisiert. Als im Juli ein malaysisches Passagierflugzeug über der Ostukraine von pro-russischen Rebellen abgeschossen wurde, blieb die Präsidentin stumm. Nach ihrer Wiederwahl werden keine pragmatischeren und pro-westlicheren Töne in der brasilianischen Außenpolitik zu erwarten sein.

Schon der Chefideologe des ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, Marco Aurélio Garcia, hatte die Legitimität von Rebellengruppen wie der kolumbianischen Guerillabewegung FARC unterstützt. Der sich lieber nach Havanna als nach Washington orientierende außenpolitische Berater prägte Brasílias Partnerschaften in der Region durch das Forum São Paulo mit marxistischen Parteien und Organisationen, u.a. aus Venezuela und Argentinien. Wirtschaftlich bilden die linksgerichteten Staaten den Mercosur-Block, deren Mitglieder seit Jahren ein Freihandelsabkommen mit der EU blockieren. Außerhalb Südamerikas orientiert sich Brasiliens an der Süd-Süd-Kooperation mit Afrika und den (wieder)aufsteigenden Mächten wie Russland und China. Das vollendet die anti-westliche Haltung der brasilianischen Außenpolitik.

Gesteuert in einer kleinen Zelle im Brasilianischen Präsidialamt benutzt Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) diese Außenpolitik als Wahlkampfinstrument und versucht, durch Kritik an Washington sowie die Überbewertung von Brasiliens Rolle in der Welt von fehlenden signifikanten innenpolitischen Erfolgen abzulenken. Dabei lässt sie ihre erfahrenen Diplomaten links liegen. Ausländische Diplomaten allerdings auch: über zwanzig Botschafter in Brasília - u.a. der neue deutsche Botschafter - warten Monate nach Amtsantritt noch auf ihr Beglaubigungsschreiben.

Nur knapp entging die Präsidentin in der Stichwahl am Sonntag einer Niederlage. Weniger als 52% der Wähler bestätigten den momentanen Kurs der brasilianischen Politik, der sich auf Ideologien statt Pragmatismus stützt. Der politische Diskurs über „Dilma", wie sie von den Brasilianern genannt wird, zeichnete sich zwar mehr durch persönliche Attacken, Korruptionsverwürfe und fehlende Lösungen für wirtschaftliche Probleme aus, doch auch das Fehlen eines außenpolitisches Profils im Wahlkampf deutet an, dass keine signifikanten Veränderungen in Brasiliens Außenpolitik zu erwarten sind.

Die Präsidentin wird ihren Kurs fortsetzen und brasilianische Bekenntnis zu den regionalen Strukturen mit den sozialistischen Nachbarn zementiert. Eine Verlagerung zu den marktwirtschaftlich orientierten Staaten der Pazifik-Allianz, u.a. Chile, Peru und Kolumbien, bleibt damit aus. Des Weiteren wird nicht erwartet, dass Brasília die Wirtschaftsbeziehungen mit den USA und der EU vorantreibt, was den Stillstand möglicher Freihandelsabkommen zur Folge hat. Das deutete schon die Annährung Brasílias an Moskau an, denn deren Handelsbeziehungen sind durch wachsende Fleisch-, Mais- und Sojaexporte nach dem Importverbot für Nahrungsmittel aus dem Westen deutlich ausgeweitet worden.

Neben dem verpassten Wechsel in der Wirtschaftspolitik wird sich Dilma auch weiterhin weniger für Demokratie, und mehr für die enge Zusammenarbeit mit autoritären Regimen wie Kuba und dem Iran einsetzen. Diese Einstellung ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Spaltung mit dem Westen nicht nur auf Wirtschaftspolitik basiert, sondern auch durch eine politische Dimension getrieben wird.

So bleibt zu erwarten, dass Brasílias Außenpolitik weiterhin auf einem Führungsanspruch in einer multipolaren Welt basieren wird. Mit unter einem Prozent Wirtschaftswachstum, einem unzureichenden Budget für die Reform der veralteten Streitkräfte, sowie mangelnden Investitionen in Bildung und Forschung wird die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Dilmas zweiter Amtsperiode nicht kleiner. China wird weiterhin eine wichtige Rolle in der brasilianischen Wirtschaft spielen und engere Kooperation mit den USA oder gar mit der NATO in der Lösung internationaler Konflikte bleibt unwahrscheinlich.

Für Deutschland bedeutet Dilmas Wiederwahl Kontinuität und verpasste Chancen zugleich. Neben kulturellen Verbindungen zum Süden Brasiliens wird in den Sektoren der erneuerbare Energien, Cyberpolitik, VN-Reform, G20 und Friedensmissionen weiterhin kooperiert werden. Es gibt keine Indizien dafür, dass Dilma Handelsschranken lockern wird, was bedeutet, dass die sehr hoch besteuerten deutschen Produkte ihre Wege nicht leichter in die Einkaufswagen der aufsteigenden Mittelschicht finden werden. Bürokratieabbau und eine reformierte Steuerpolitik, die zu einer Erneuerung des Doppelbesteuerungsabkommens führen könnte, würden deutsche Investitionen in Brasilien vorantreiben und den brasilianischen Markt für mittelständische Unternehmen profitabler machen. Auch das bleibt unter Dilma nur Wunschvorstellung.

Aber es hätte auch anders kommen können. Der aus einer Politikerdynastie stammende Herausforderer Aécio Neves zeichnete sich während seiner Karriere als Gouverneur des Vorzeigestaats Minas Gerais und als Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (PSDB) im Brasilianischen Senat durch Pragmatismus statt opportunistischer Schlachten aus. Er distanzierte sich von Dilmas sozialistischem Diskurs und kritisierte die Absage ihres Obama-Besuchs nach der Abhöraffäre durch die NSA, weil sie damit brasilianische Wirtschaftsinteressen verletze.

Auch seine Hintermänner wären westlich geprägt gewesen. Der in London ausgebildete außenpolitischer Berater von Aécio Neves, Rubens Barbosa, diente unter Fernando Henrique Cardoso als brasilianischer Botschafter in Washington. Er ist seit Jahren als Präsident der Außenhandelskammer São Paulos und als Berater für die Lobbyfirma der ehemaligen amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright aktiv.

Mit über 48% der Stimmen hatte sich knapp die Hälfte der Wähler für einen anderen Präsidententypus - und damit auch für eine Reform der brasilianischen Außenpolitik - ausgesprochen. Das zeigt, dass Dilmas Außenpolitik weder unumstritten, noch alternativlos ist.

Es liegt an Berlin, Brüssel und Washington, Dilma von den Vorteilen der Kooperation mit dem Westen zu überzeugen. Zwar wird es keine strategische Neuausrichtung der aufstrebenden Macht geben, aber man sollte den alten Verbündeten nicht aufgeben. In vier Jahren gibt es wieder eine Wahl, und die knappe Niederlage des Mitte-Rechts Kandidaten hat gezeigt, dass auch heute noch eine pro-westliche Politik in Brasilien möglich ist. Es bleibt die Frage, ob sich die brasilianische Politik trotz ihrer starken sozialistischen Verankerung umbesinnen kann. Aber seien wir mal ehrlich, Brasilianer waren den Europäern und Amerikanern schon immer viel Näher als den Russen und Chinesen.

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