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„Sie machen mit den Menschen Gehirnwäsche": Abercrombie & Fitch-Mitarbeiterin packt aus

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Vor einiger Zeit traf ich einen Bekannten, der auf dem Weg zu einer Art Vorstellungsgespräch bei Abercrombie & Fitch war. Glücklicherweise fragte er mich nichts Näheres zu dem Unternehmen, er lud mich aber ein, mitzukommen. Ich könnte ja vielleicht auch dort arbeiten. „Cooler Laden wie du weißt", fügte er noch hinzu.

Zu meiner eigenen Schande kannte ich die amerikanische Klamottenfirma bis dato nicht. Sonst super-interessiert an Mode, hatte ich das Label nie wahrgenommen und hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, was der Elch auf dem T-Shirt von so vielen BWL-Studenten bedeutete. Ich erinnerte mich daran, dass ich einen dieser Läden das erste Mal während eines Aufenthalts in Mailand bemerkt hatte. Vor dem Eingang standen zwei riesige, muskulöse Jungs, ich hielt sie für Zwillinge. Da der Laden so dunkel war und ich Musik darin hämmern hörte, hielt ich ihn für eine Art Club, der tagsüber geöffnet hatte.

Dabei konnten sich diese Jungs als „Shirtless Greeter" bezeichnen. Ihre Aufgabe lag darin, jeden Kunden mit „"Hey, what's going on?" zu begrüßen und mit "Thanks for coming in" zu verabschieden.

Auf Wunsch des Kunden mussten sie für ein gemeinsames Foto posieren. Das alles würde ich aber erst viel später erfahren. Der A&F-Hype war völlig an mir vorübergegangen. Abercrombie & Fitch war unerreichbar - Bis jetzt.

Ich begleitete ihn. Die ganze Fahrt bis ins Zentrum der Stadt erzählte er mir mit glasigen Augen von den Abercrombie-Hosen und Pullovern, die ihm seine Tante aus Amerika all die Jahre mitgebracht hatte. „Der Duft, weißt du. So schade, wenn man die Klamotten wäscht, ist er weg" Traurig schüttelte er mit dem Kopf. Ich verstand kein Wort.

Kurze Zeit später steuerten wir auf einen riesigen Laden zu, der von außen aussah, wie eine dieser High-End Fashion-Boutiquen. Die schweren Türen signalisierten, dass nur der reinkam, der sie auch aufbekam und für immer darin bleiben musste. Ich dachte, er wäre zu einem normalen Vorstellungsgespräch eingeladen. Weit gefehlt - vor uns stand eine Schar nervös dreinblickender, strahlender junger Leute. Alle sehr jung, sehr schön, und sehr schlank.

Alle trugen ihre besten A&F- Klamotten. Zu diesem Zeitpunkt trug ich ein Nasen-Piercing und war bereits sehr schlecht an offensichtlichen Hautstellen tätowiert. Mein roter Fell-Mantel machte meine Erscheinung auch nicht besser. Im Gegensatz zu meinem fiebrigen Bekannten, der ungeduldig auf den dunklen Eingang mit den schweren Türen starrte, kam ich mir völlig fehl am Platz vor. Gleichzeitig war ich aber irgendwie selbst aufgeregt. Das passiert, wenn einen der Hype schnappt, von dem man fünf Minuten vorher noch nichts gewusst hat. Marketing lebt bekanntlich davon.

Nach mehr als einer halben Stunde kamen zwei ganz casual gekleidete Frauen heraus. Eine war blond und schien gerade erst aus dem Bett gekommen zu sein. Ihre Haare fielen ihr natürlich auf die Schultern, sie war ungeschminkt und sie trug Flip Flops. Sie war Store-Managerin in L.A. gewesen und sprach kein Deutsch.

Die andere Frau war brünett und auch völlig ungestylt, ihre Füße steckten in halbhohen Converse-Chucks. Streng sah sie der Menge entgegen und wedelte mit scheinbar wichtigen Unterlagen herum. Sie sagte etwas in der Art „Schön, dass ihr hier seid..." und „Ihr wisst, nicht jeder kann hier arbeiten" Ein Mädchen brach in Tränen aus.

Sie teilte uns in zwei Gruppen und lavierte uns in den dunklen, glamourösen Bau. Der stechende Duft eines Parfums strömte mir entgegen (mein Bekannter schloss die Augen und atmete tief durch die Nase ein) Wir stolperten über Kisten und handwerkende Mitarbeiter und schlängelten uns die Gänge entlang. Es war dunkel, die Kleidungsstücke waren edel beleuchtet. Ich beeilte mich, um den Anschluss nicht zu verpassen. Ich wusste, allein würde ich nie wieder herausfinden.

Wir fanden uns in einem kleinen, eiskalten Raum wider. Jeder Einzelne musste sich auf Englisch vorstellen und erzählen, was er mit A&F verband. Es stellte sich heraus, dass ich in einem Raum voller konsequenter A&F-Jünger war. Ich hörte genau zu, um dann etwas Ähnliches zu sagen, als ich an der Reihe war. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wofür Abercrombie eigentlich stand.

Ein blondes Mädchen erklärte in Kaugummi-Englisch, dass diese Läden die erste Adresse waren, wenn sie in Amerika war, ihre Eltern besäßen nämlich ein Haus in den Hamptons. Die brünette Managerin verzog keine Miene. Ich schätzte, das hieß nichts Gutes für das Mädchen. Ein anderes Mädchen erklärte, dass sie ein Vorbild für andere sei, weil sie so gut aussähe.

Nach der Vorstellung folgte ein anderthalbstündiger Vortrag über das Unternehmen und über seine Anfänge. Die Farbe Schwarz gab es im Sortiment zum Beispiel deshalb nicht, weil einer der Gründer schlichtweg kein Schwarz mochte. Der arme Fitch- ständig fiel als Abkürzung nur Abercrombie's Name.

Uns wurde erklärt, dass der spezielle A&F-Duft sozusagen minütlich aus der Wand gesprüht kam. Warum wurde nicht erklärt, das schien auch niemanden zu interessieren. Die Hauptaufgabe bestände darin, dauerhaft gutgelaunt im Laden herumzutanzen (Party zu machen) und dabei cool und hip die Ware zu verkaufen.

Die Lautstärke der Musik wurde als unbedenklich erklärt, da sie unterhalb irgendeines Wertes lag. Ich glaubte ihr kein Wort.

Das größte Glück hatten die Jungs, die besonders gut gebaut waren. Die konnten „Shirtless Greeter" werden. Die anderen, vor allem die Frauen, wurden angewiesen, als „ Models" so natürlich wie möglich auszusehen. Jeder bekäme pro Saison ein paar Outfits, die hatte er auf bestimmte Weise zu tragen. Eine weitere Powerpoint-Präsentation folgte.

Die Haare durften nur offen getragen werden. Strähnchen oder komplizierte Frisuren verboten. Grelle Haarfarben - verboten. Piercings - verboten. Tattoos - verboten, etc. Anschließend wurden Fotos gemacht, die nach Los Angeles geschickt wurden. Dort wurde dann beurteilt, ob derjenige auch wirklich zu A&F passt, bzw auch gut genug aussieht. Und den Job bekommt.

Das Outfit komplettierten entweder Flip Flops (schwarz) oder Chucks (schwarz), aber nur halbhoch. Sauber und gepflegt mussten sie sein, versteht sich.

Ich hatte den Job nicht bekommen (ich wollte ihn ja auch nie!), mein Bekannter übrigens auch nicht. Der halbe Tag in der geheimnisvollen, dunklen, lauten Höhle war wie ein Ausflug in eine eigene, völlig absurde Welt, auf deren Willkommensschild „Hip" stand. Zu dieser Zeit wusste noch niemand von den skandalösen Aussagendes augenscheinlich geistig verwirrten Firmenchefs Jeffries und auch noch nichts von der Jeans- Größe 000.

Einige Zeit später traf ich eines der Mädchen des Castings wieder, die einen der begehrten Jobs ergattert hatte. Ihre Erlebnisse machten mich sprachlos:

„Ich habe von Anfang an mitgemacht, habe den Laden eingeräumt, die Eröffnung miterlebt. Ich sollte auf der Verkaufsfläche, also sogenanntes Model arbeiten und wurde dann aber in den Keller verwiesen weil meine Wimpern ihnen zu lang und zu unnatürlich waren. Obwohl ich kein Make Up trug, verlangten sie von mir, mich abzuschminken.

Ansonsten sollte ich nur im Lager bleiben. Grundsätzlich durfte man zwar dezentes Make Up tragen, aber taten wir Mädchen das, war es immer zu viel. Nur offene Haare waren okay, Haargummis waren verboten. Kein Nagellack war auf den Fingernägeln erlaubt, auf den Fußnägeln nur Rot- und Rosa- Töne. Außerdem durften wir keinen Schmuck tragen, nicht mal einen Ring oder eine Uhr.

Ich trug vom ersten Tag an längere, gepflegte Nägel. Nach ein paar Monaten wurde ich von einer Managerin gezwungen, meine Nägel abzuschneiden, bevor ich weiterarbeiten konnte. Die Zeit, in der ich meine Nägel kürzte, wurde mir von der Arbeitszeit abgezogen und ich sollte die dann zu einem anderen Zeitpunkt nacharbeiten.

Man dürfte nicht reden, wenn wir doch redeten wurden wir mehrmals ermahnt. Alles musste haargenau gemacht werden, taten wir das nicht, mussten wir von vorn anfangen. Immer wieder.

Es gab Leute die sich keine kompletten Outfits leisten konnten. Man arbeitete ja auch eigentlich dort, um Geld zu verdienen. Wenn sie dann ein normales weißes Basic-T-Shirt getragen haben, dass nicht von Abercrombie & Fitch war, sollten die nach Hause gehen oder sich auf der Stelle ein Shirt kaufen. Das Arbeitsklima unter den Mitarbeitern war super, da es alle junge Studenten waren, die eine gute Zeit haben wollten. Nach und nach haben aber alle gekündigt.

Heute finde ich es total lächerlich und kann über das Unternehmen nur noch lachen. Es war irgendwo eine gute Zeit, ich hatte viel Spaß mit den Leuten und habe viele Menschen kennengelernt. Trotzdem würde ich es nie wieder machen.

Sie machen mit den Menschen Gehirnwäsche. Und das können Sie verdammt gut."

Video: 5 legendär dumme Verkleidungen bei Raubüberfällen







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