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Berliner Kunstprojekt zerrt Schwule in die Öffentlichkeit

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Ist das Kunst oder kann das weg? Das Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) startet mit dem niederländischen Künstler Dries Verhoeven die Performance „Wanna Play?", bei der intimste Informationen von Usern der schwulen Dating-App „Grindr" in aller Öffentlichkeit dargestellt werden. Und erregt damit weltweiten Zorn. Von MÄNNER-Redakteur Christian Mentz

Stell dir mal vor, du verabredest dich auf einem Online-Flirtportal mit jemanden, und wenn du am ausgemachten Treffpunkt ankommst, stellst du fest, dass der Chatverlauf, dein Profil und dein Profilbild auf großen Bildschirmen an einem belebten Platz in aller Öffentlichkeit abgebildet werden. Unmöglich?

Das Opfer fühlt sich medial vergewaltigt

Genau das ist Parker T. passiert, einem in Berlin lebenden Amerikaner. Er wurde unfreiwilliger Teilnehmer einer Kunstperformance, die der Niederländer Dries Verhoeven zusammen mit dem Berliner HAU-Theater durchführt. Der Künstler Verhoeven lebt seit Mittwoch in einem teilweise transparenten Container am stark frequentierten Heinrichplatz in Berlin-Kreuzberg. Für zwei Wochen will er rund um die Uhr öffentlich leben - und dabei über die schwule Dating-App „Grindr" Männer zu sich in den Container einladen. Die Chatverläufe und Bilder der Chatpartner werden dabei für alle Passanten sichtbar und sind nur leicht verfremdet. Eine Kamera streamt die Szenerie rund um die Uhr ins Internet.

Parker T. fand das gar nicht lustig. Als er sah, wie er ungefragt zur öffentlichen Person gemacht wurde, stürmte er den Container, schlug Verhoeven und schrie ihn an. Auf seiner Facebookseite schrieb Parker T. anschließend, er fühle sich medial vergewaltigt und werde die Initiatoren des Projektes anzeigen.

Wohl als Konsequenz werden die Chatdaten jetzt stärker verfremdet - und da Parker T. nicht der einzige ist, der gerade ziemlich wütend auf Verhoeven ist, stehen seit Freitag bullige Wachschutzmänner vor dem Container.

„Dummheit, Unehrlichkeit und Sucht nach Aufmerksamkeit. Ich hoffe sie zerren dich vor Gericht."

In den Glasscheiben des Containers sind bereits notdürftig abgeklebte Risse zu sehen, jemand soll mit einer Flasche geworfen haben. Auch im Netz kocht die Wut über. Hier eine kleine Auswahl aus bereits tausenden Kommentaren aus aller Welt:

„Das einzige, was dein Kunstprojekt klarmacht, ist deine Dummheit, Unehrlichkeit und Sucht nach Aufmerksamkeit. Ich hoffe sie zerren dich vor Gericht."

„Auf Kosten eines nicht sehr durchdachten Projektes terrorisierst du Menschen in ihrem Privatleben."

„Menschen auf diese brutale Weise zu vergewaltigen ist ein Verbrechen. Geh lieber dahin zurück, von wo du gekommen bist, dies wird kein guter Platz mehr für dich sein."

Der Künstler hat unterdessen mit einem Facebook-Statement reagiert: „Ich betrachte Grindr, Scruff und andere Sex-Dating-Apps als ein Symptom einer Zeit, in der nur Attraktivität verehrt wird und Verletzlichkeit als verdächtig gilt." Er beklagt, dass es leichter sei, jemanden für Sex zu finden, als jemanden, mit dem er nur einen Kaffee trinken könnte, das sei für die meisten User intimer als Sex.

Dahinter steckt der oft geäußerte, aber nie bewiesene und moralinsaure Verdacht, dass schwule Datingplattformen uns alle zu Opfern einer Ex-und-Hop-Sexualität bei völliger Beziehungsunfähigkeit machen. Die Heteros haben übrigens ihre eigenen Apps, die genauso funktionieren, etwa "Joyclub" oder auch "Poppen".

Wäre es dem Künstler wirklich um den Umgang mit Sex gegangen, hätte er seine Chatpartner zum Sex einladen können

Auch wenn man Liebe und Sex in Zeiten des Internets sicher diskutieren und künstlerisch in Szene setzen kann - hat der Künstler das Recht, das informative Selbstbestimmungsrecht seiner unfreiwilligen Teilnehmer völlig zu übergehen? Woher will er wissen, ob seine Chatpartner eventuell gar nicht geoutet sind, vor ihrer Familie, vor dem Arbeitgeber? Diese Risiken nehmen Künstler und Theater billigend in Kauf, auch die emotionale Belastung der Opfer: Parker T. schreibt, er sei ein friedlicher Mensch, aber er habe noch nie so eine Wut erlebt wie in dem Moment, als er sich selbst auf den Bildschirmen sah. Er habe völlig die Kontrolle verloren.

Diese Performance ist ganz einfach schlechte oder zumindest nicht durchdachte Kunst. Denn sie prangert ein soziales Verhalten an, geht dabei selbst aber völlig asozial vor, indem sie tief in das Privatleben ihrer Opfer eingreift und es in die Öffentlichkeit zerrt. „Kunst darf alles", heißt es, aber viele Performance-Künstler vertreten den Standpunkt, dass Kunst selbst eben nicht „böse" sein darf, auch wenn sie auf „Böses" hinweisen will. Sie verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie bedenkenlos ethische und moralische Standards überrennt, die sie von anderen einfordert.

Und wenn es dem Künstler wirklich um den Umgang mit Sex in Zeiten des Internets gehen würde, dann hätte er seine Chatpartner zum Sex einladen können. Er hätte sicher einige gefunden, die bereit dazu gewesen wären. Stattdessen gibt er an, seine Chatpartner nur zum Reden, Kaffeetrinken oder wie im Fall von Parker T. Zum „Bartrasieren" einzuladen. Auch das wäre ok gewesen, wenn er seine Chatpartner informiert hätte. Da er das nicht hat, wirkt die Performance hinterhältig und berechnend. Denn Aufsehen erregt sie nur durch die völlige Negierung des Rechtes auf Intimsphäre auch im Internet.

Die eigentlich Debatte betrifft unser Unbehagen über die fehlende Sicherheit im Netz

Es ist schade, dass weder Künstler noch das begleitende Theater „Hebbel am Ufer" entweder zu wenig nachgedacht oder den Skandal gewollt hervorgerufen haben. Die angebliche Intention die Künstlers ist zwar ein alter Hut - nämlich das Nachdenken über die Frage, ob die Liebe auf der Strecke bleibt aufgrund der unendlichen Möglichkeiten des Netzes.

Die eigentlich interessante Debatte, die nun jedoch entstehen könnte und die auch die rasende Wut im Internet erklären könnte, betrifft unser Unbehagen darüber, wie schutzlos wir im Netz sind. Denn mit der kinderleichten Anmeldung in den entsprechenden Apps kann heute jeder mit wenigen Klicks die Schwulen in der Nachbarschaft bis auf wenige Meter genau lokalisieren. Nachbarn oder staatliche Überwachungsstellen - wer immer es möchte, kann unsere Intimität so leicht ausspionieren, wie die Stasi es nur träumen konnte. In diesem Sinne ist Verhoeven Performance vielleicht der verunglückte Anstoß zu einer wichtigen Debatte.

(c) Foto: HAU-Theater

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