Boris Charmatz' "manger" bei der Ruhrtriennale uraufgeführt
BOCHUM. "Manger" (dt.: "essen") heißt die neueste Kreation von Boris Charmatz und seinem Tanztheater "La musée de la Danse" aus der Bretagne. Bei der Uraufführung am Dienstag in Bochums Jahrhunderthalle beschäftigte sich der französische Choreograph skrupulös mit menschlicher Nahrungsaufnahme: realistisch, ästhetisch ebenso reiz- wie anspruchsvoll und mit einigem Humor.
Boris Charmatz (*1973) ist der internationale Durchbruch mit realistischem Tanztheater gelungen. Schon in "enfant" (Kind", 2011) erwies sich Charmatz als gesellschaftskritischer Choreograph, der, wie Pina Bausch, mit den Mitteln des Tanztheaters Geschichten erzählt, die einerseits die Aufmerksamkeit des Zuschauers fordern, andererseits aber gerade in der Fabelführung leicht zu verstehen sind. Charmatz provoziert und klagt an.
Tua res agitur - Es geht um unsere Sache
Auf der riesigen Bühne in Bochums Jahrhunderthalle, der guten Stube der Ruhrtriennale, treten 14 TänzerInnen auf, sechs Damen und acht Herren. Sie kommen aus dem Publikum und das Saallicht bleibt (zunächst) an - Hinweise, dass der Choreograph mit seinem Ensemble uns meint, uns Zeitgenossen, die Zuschauer. Das Ensemble trägt legere Freizeitkleidung, Jeans, Sporthosen, Turnschuhe - einige kommen auch einfach barfuß auf die Bühne. Sie beginnen zu essen - keine Kartoffeln, kein Baguette, sondern Papier. Es ist aus jenem Teig gemacht, aus dem für die Messe Oblaten für die Kommunion gebacken werden. Die Metapher ist vieldeutig. Die Einzelnen essen ziemlich gleichgültig, keinem schmeckt es, aber dennoch wird gemampft. Gedankenlose Gewohnheit. Einigen wird schlecht. Bald liegen alle auf dem Boden, einige krümmen sich, andere stöhnen. Die Bewegungen sind weitab vom Tanz - mitunter deuten Zuckungen Albträume an. Einige Male wird gesungen - „Merde" ist zu verstehen („Scheiße"); beschimpft einer einen anderen, „Du tanzt scheiße?" Schwer zu sagen - die Worte werden unklar ausgesprochen, wichtiger ist das Unartikulierte, Unverständliche, das sich mitunter zum Gebrüll steigert. Der Abend beklagt die Abwesenheit von intellektueller Anstrengung, von Sinn
Gleichgültig
Je länger die Uraufführung am Dienstabend dauerte, desto stärker wurde das Gefühl, dass der Abend anprangert, wie viel wertvolle Lebenszeit, wie viel Kraft und Talent ungenutzt bleibt. Unabweisbar wird der Eindruck, dass keiner auf den anderen achtet, alle sind offenbar narzisstische Sozialisationstypen. Wenn nach einer Stunde der Abend zu Ende geht, hat sich nichts Wichtiges ereignet. Man hat gegessen, (in einer wenig dezenten Szene) verdaut, die Zeit vertan.
Boris Charmatz und seine „Musée de la Danse" haben einen Theaterabend kreiert, in dem sie das Nichtstun attackieren. Aber der Abend greift nicht nur die Langeweile an und die Bereitschaft, kritiklos zu essen, was einem vorgesetzt wird, er ist auch selbst nicht frei von Langeweile. „manger" gehört nicht zu den starken Choreographien von Charmatz. Sein „enfant" („Kind") war bei der Uraufführung 2011 beim Festival d'Avignon ungleich zupackender, konkreter, überzeugender.
Charmatz' „manger" war die letzte Uraufführung der (an Höhepunkten wie Flops reichen) Ruhrtriennale 2014 - sie geht am kommenden Sonntag, den 28. September zu Ende.
Ulrich Fischer
Internet: www.ruhrtriennale.de
Aufführungen am 26. und 27. Sept. Dauer: 60 Min.
BOCHUM. "Manger" (dt.: "essen") heißt die neueste Kreation von Boris Charmatz und seinem Tanztheater "La musée de la Danse" aus der Bretagne. Bei der Uraufführung am Dienstag in Bochums Jahrhunderthalle beschäftigte sich der französische Choreograph skrupulös mit menschlicher Nahrungsaufnahme: realistisch, ästhetisch ebenso reiz- wie anspruchsvoll und mit einigem Humor.
Boris Charmatz (*1973) ist der internationale Durchbruch mit realistischem Tanztheater gelungen. Schon in "enfant" (Kind", 2011) erwies sich Charmatz als gesellschaftskritischer Choreograph, der, wie Pina Bausch, mit den Mitteln des Tanztheaters Geschichten erzählt, die einerseits die Aufmerksamkeit des Zuschauers fordern, andererseits aber gerade in der Fabelführung leicht zu verstehen sind. Charmatz provoziert und klagt an.
Tua res agitur - Es geht um unsere Sache
Auf der riesigen Bühne in Bochums Jahrhunderthalle, der guten Stube der Ruhrtriennale, treten 14 TänzerInnen auf, sechs Damen und acht Herren. Sie kommen aus dem Publikum und das Saallicht bleibt (zunächst) an - Hinweise, dass der Choreograph mit seinem Ensemble uns meint, uns Zeitgenossen, die Zuschauer. Das Ensemble trägt legere Freizeitkleidung, Jeans, Sporthosen, Turnschuhe - einige kommen auch einfach barfuß auf die Bühne. Sie beginnen zu essen - keine Kartoffeln, kein Baguette, sondern Papier. Es ist aus jenem Teig gemacht, aus dem für die Messe Oblaten für die Kommunion gebacken werden. Die Metapher ist vieldeutig. Die Einzelnen essen ziemlich gleichgültig, keinem schmeckt es, aber dennoch wird gemampft. Gedankenlose Gewohnheit. Einigen wird schlecht. Bald liegen alle auf dem Boden, einige krümmen sich, andere stöhnen. Die Bewegungen sind weitab vom Tanz - mitunter deuten Zuckungen Albträume an. Einige Male wird gesungen - „Merde" ist zu verstehen („Scheiße"); beschimpft einer einen anderen, „Du tanzt scheiße?" Schwer zu sagen - die Worte werden unklar ausgesprochen, wichtiger ist das Unartikulierte, Unverständliche, das sich mitunter zum Gebrüll steigert. Der Abend beklagt die Abwesenheit von intellektueller Anstrengung, von Sinn
Gleichgültig
Je länger die Uraufführung am Dienstabend dauerte, desto stärker wurde das Gefühl, dass der Abend anprangert, wie viel wertvolle Lebenszeit, wie viel Kraft und Talent ungenutzt bleibt. Unabweisbar wird der Eindruck, dass keiner auf den anderen achtet, alle sind offenbar narzisstische Sozialisationstypen. Wenn nach einer Stunde der Abend zu Ende geht, hat sich nichts Wichtiges ereignet. Man hat gegessen, (in einer wenig dezenten Szene) verdaut, die Zeit vertan.
Boris Charmatz und seine „Musée de la Danse" haben einen Theaterabend kreiert, in dem sie das Nichtstun attackieren. Aber der Abend greift nicht nur die Langeweile an und die Bereitschaft, kritiklos zu essen, was einem vorgesetzt wird, er ist auch selbst nicht frei von Langeweile. „manger" gehört nicht zu den starken Choreographien von Charmatz. Sein „enfant" („Kind") war bei der Uraufführung 2011 beim Festival d'Avignon ungleich zupackender, konkreter, überzeugender.
Charmatz' „manger" war die letzte Uraufführung der (an Höhepunkten wie Flops reichen) Ruhrtriennale 2014 - sie geht am kommenden Sonntag, den 28. September zu Ende.
Ulrich Fischer
Internet: www.ruhrtriennale.de
Aufführungen am 26. und 27. Sept. Dauer: 60 Min.