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Das Befinden der deutschen Bevölkerung unter dem Nationalsozialismus

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In den zahlreichen Dokumentationen zum Dritten Reich, die seit einigen Jahren fast täglich über die Bildschirme verschiedener Fernsehsender flimmern, ist kaum jemals vom ganz normalen Alltag dieser Epoche die Rede, so wenig wie in den renommierten Wochenblättern und Magazinen, die dem Thema immer wieder Neues abzugewinnen vermeinen.

Der Alltag scheint eben, obwohl er ganz überwiegend die meiste Zeit der Erdenmenschen in Anspruch nimmt, im Kontext mit den geschichtsträchtigen Ereignissen ziemlich uninteressant, wenn nicht gar langweilig.

Auffallend ist, dass in solchen Dokumentationen diesem Dritten Reich, nach der Devise, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, niemals auch nur ein gutes Haar gelassen, mitunter sogar Schlechtes noch hinzugedichtet wird, als ob der wahre Fundus an Bösartigkeiten nicht erschöpfend genug wäre.

Das Leid, das Hitler mit seinem Rassenwahn heraufbeschworen hat, ist ja dermaßen unsäglich, dass die Buchstaben des Alphabets nicht ausreichen, um es fühlbar zu beschreiben.

Inwiefern und inwieweit aber ist die damalige deutsche Bevölkerung dafür verantwortlich, bzw. wie berechtigt ist die so oft behauptete Kollektivschuld? Um dies zu ergründen muss man sich zuallererst den Zustand Deutschlands nach dem Ende des 1. Weltkriegs, bis zur sog. Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, vergegenwärtigen.

Die militärische Niederlage gebar bekanntlich jenen berüchtigten, von den Siegermächten diktierten, Vertrag von Versailles, der die Verlierer, nach den Entbehrungen der Kriegsjahre, recht eigentlich zum allmählichen Dahinsiechen verurteilte. Das ‚Diktat von Versailles' unterwarf das Deutsche Reich in allen politischen Fragen von Bedeutung dem Willen vor allem der sog. ‚Entente' Frankreich und England, die nicht zögerten die maßlosen Auflagen durchzusetzen, wenn nötig mit Waffengewalt.

Die Politiker der ‚Weimarer Republik', dem ersten demokratischen Staatsgebilde Deutschlands, waren den Anforderungen, schon aus mangelnder Erfahrung, nicht gewachsen. In den 14 Jahren seit dem Ende des Krieges wechselten nicht weniger als 15 Regierungen einander ab, unablässig im Bemühen, die Auflagen der Sieger nach Möglichkeit zu erfüllen und gleichzeitig im Innern Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten.

Die Folgen sind bekannt. Niedergang der industriellen Produktion, Arbeitslosigkeit und Elend der Arbeitermassen, Verarmung der Mittelstands durch die Inflation, und als Resultat der immer größere Zulauf verzweifelter Bürger in politische Landschaften, die dem demokratischen System den Kampf angesagt hatten, allen voran die Kommunisten, die, unterstützt von den nunmehr sattelfesten Bolschewisten Russlands, vom weltweiten Sieg des Proletariats träumten, aber bald von den Nationalsozialisten ernsthafte Konkurrenz bekamen.

Das Deutsche Reich lag ‚in tiefster Ohnmacht und Erniedrigung', umso mehr als ihm auch noch die alleinige Kriegsschuld angelastet wurde.

Wie also sah der Alltag aus, in dieser vormals so machtvollen und nun weitgehend entmündigten Nation? Hans Fallada hat ihn in seinen frühen Romanen trefflich beschrieben. Die Masse der unpolitischen ‚kleinen Leute' versuchte schlecht und recht zu überleben, während sich die genannten antidemokratischen Parteien fast täglich in Straßenschlachten bis aufs Messer bekämpften.

Beide versprachen das Paradies auf Erden, die Roten eines für alle Menschen, die Braunen eines nur für die Deutschen. Frohgemut waren bloß die noch einigermaßen Begüterten, besonders in den etwas lichteren, sog. ‚Goldenen Zwanzigerjahren' 1924 - 29, unter der Aegide Stresemanns. Die Weltwirtschaftskrise nach dem ‚Schwarzen Freitag', Ende 1929, versetzte die Weimarer Republik in einen zeitweise nahezu anarchistischen Zustand, mit letztlich an die 6 Millionen Arbeitslosen.

Wem in der Verworrenheit dieser Zeit der Humor noch nicht ganz abhanden gekommen war, lachte gewiss mit einiger Bitternis im Herzen und schließlich war man sich in allen Kreisen der Bevölkerung einig: „Das muss anders werden!"

Adolf Hitlers jahrelanges Predigen gegen alles was in den 14 Jahren Demokratie geduldet oder versäumt worden war, machte seine Partei endlich zur stärksten im Reichstag, und als ihn am 30. Januar 1933 der greise Reichspräsident mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragte, wurde in der Tat alles anders im Deutschen Reich.

Der rüde Nationalsozialismus war mittlerweile salonfähig geworden, nicht ganz zu Unrecht, denn was Hitler predigte entbehrte ja keineswegs der Wahrheit. Versailles war zweifellos eine Zumutung, der Kommunismus, wenn man auf die Exzesse in der Sowjetunion blickte, tatsächlich eine Gefahr, und die Kriegsschuld Deutschlands denn doch nicht so offensichtlich einleuchtend.

Es ist allerdings erwähnenswert, dass die Nationalsozialisten am 6. November 1932, anlässlich der letzten Wahlen vor der ‚Machtergreifung' unversehens 2 Millionen Wählerstimmen verloren und nur noch mit knapp 33% im Reichstag vertreten waren, mit anderen Worten, dass zwei Drittel der Deutschen Hitler gar nicht haben wollten.

Aber nun hatten sie ihn -und wie! Die Rasanz mit der dieser furchtbare und in seiner Art groteske Mensch die Landschaft Deutschlands veränderte, ist in der Geschichte ohne Beispiel, allenfalls noch vergleichbar mit jener in Frankreich am Ende der Revolution. Man kann es drehen und wenden wie man will, das Land blühte förmlich auf und verwandelte sich innert eines halben Dutzends Jahren aus einem in ‚Ohnmacht und Erniedrigung' vegetierenden Gebilde in eine viel bewunderte, respektierte und wiederum gefürchtete Großmacht.

Mein Vater weilte 1936 als schweizerischer Physiker ein halbes Jahr in Berlin und verhehlte mir später nicht, wie sehr er von diesem neuen Reich (es war das Jahr der Olympiade) beeindruckt gewesen war - allerdings nur bis zum Pogrom 1938 gegen die Juden, der im Volksmund so genannten ‚Reichskristallnacht' als ihm, wie der übrigen Welt, die Augen aufgingen und seine anfängliche Bewunderung tiefer Abneigung gegen das NS-Regime wich.

Lediglich der allgegenwärtige und immer krasser praktizierte Antisemitismus, im Verein mit der Proklamation des deutschen Herrenmenschentums, hätte auf die grundsätzlich menschenverachtende Bösartigkeit der Naziideologie hinweisen müssen. Eine nicht zu vernachläßigende Zahl denkender Geister wandte sich denn auch innerlich davon ab, notgedrungen ohne Aufsehen, nicht aus Feigheit, denn Kritik, geschweige den Widerstand, führte auf direktem Weg ins Konzentrationslager.

Wer nur schwieg und nicht zufällig Jude, Kommunist, Zigeuner oder Homosexueller war, konnte in den verbliebenen Jahren vor dem nächsten Krieg gefahrlos und unbehelligt seinen Neigungen nachgehen, ganz im Gegensatz etwa zum Leben im finsteren Sowjetreich, wo, mit Ausnahme des väterlich lächelnden Ungeheuers im Kreml zu Moskau jeder Mensch, bis in die höchsten Regierungsämter, jederzeit mit Verhaftung und Tod rechnen musste.

Der Jubel im Fahnengewimmel, den die Massen in Deutschland ihrem Führer entgegenbrachten, erfolgte aus tief empfundener Dankbarkeit für seine Leistungen zum Wohle der neuen ‚Volksgemeinschaft' - nicht zu vergessen die stolze Freude, nach all den Jahren der Demütigung nunmehr zum besten Volk der Welt zu gehören.

Die vielen ins Leben gerufenen Organisationen, Arbeitsdienst, Winterhilfswerk, Kraft durch Freude, Mutter und Kind, Schönheit der Arbeit u.s.w., sind nicht gar so lächerlich, wie sie in der Nachkriegshistorie und bis heute oft dargestellt werden und die 1938 erreichte Vollbeschäftigung ist nicht nur der militärischen Aufrüstung zu verdanken, wie dies im Nachhinein für nahezu alle Arbeitsbereiche wohlfeil weis gemacht wird.

Auf einen Nenner gebracht ist es keineswegs abwegig zu behaupten, dass es den allermeisten Menschen wieder gut ging im Dritten Reich und weiterhin gut zu gehen versprach. Die allerdings gewaltige Aufrüstung erfolgte ja vorgeblich zum Schutz gegen den Riesen im Osten, von den Westmächten, allen Vorbehalten zum Trotz, recht gern gesehen, denn die Furcht vor einem europaweiten Übergreifen des Bolschewismus war stets gegenwärtig und das Bollwerk des immer wieder den Frieden beteuernden deutschen Führers dagegen, höchst willkommen.

Dass im Herzen Hitlers keineswegs der Frieden wohnte, wusste außer ihm nur ein winziger Kreis seiner nächsten Umgebung, ahnten vielleicht noch die paar Wenigen, die sein Buch aufmerksam gelesen hatten, denn darin stand schon 1927 (Mein Kampf II. Band) dass das deutsche Volk zu seinem Gedeihen in absehbarer Zeit ‚Lebensraum' im Osten bedürfen würde. Immer noch im Jubel erlebte man den Eintritt seiner Heimat in das Deutsche Reich, ganz angemessen empfand man in der Folge die Einverleibung des Sudetenlands, schon weniger den Handel zur Besetzung der Resttschechei, der denn doch den Geruch eines ziemlich faulen Zaubers hinterließ.

Kaum dass man sich davon erholte, war Polen an der Reihe, von wegen Danzig, das deutsch gewesen war und es wieder werden sollte - ein doch einigermaßen plausibles Argument - aber im Gegensatz zum Rest der Welt dachte Hitler nur im Vorübergehen an diese Stadt. Ihn interessierte ganz Polen, nämlich als künftiges Aufmarschgebiet gegen Russland, mit dem er, plötzlich Freundschaft heuchelnd, einen Nichtangriffspakt schloss.

Während die deutsche Bevölkerung noch glaubte, das Genie ihres Führers werde seine doch berechtigten Forderungen in gewohnter Manier auf ‚friedliche' Weise durchsetzen, war die Geduld der Westmächte allmählich am Ende und als er am 1. September 1939 losschlug, vollkommen erschöpft. England und Frankreich, als Polens Schutzmächte, erklärten dem Deutschen Reich postwendend den Krieg. Damit hatte Hitler nicht gerechnet, und noch weniger seine ‚Volksgenossen und Volksgenossinnen', die erstmals mit bösen Ahnungen erwachten.

Der Krieg veränderte das Leben nicht nur grundlegend in Deutschland, sondern in ganz Europa. Als Beispiel sei hier nur meine eigene neutrale Heimat erwähnt: Schon am 30. August wählte die Eidgenössische Bundesversammlung, in düsterer Voraussicht des Kommenden, den künftigen Oberbefehlshaber der Armee und verfügte noch vor der Kriegserklärung Englands und Frankreichs an Deutschland, nämlich am 2. September, die Generalmobilmachung.

Nun aber hatte das deutsche Volk seinem Retter aus der Not den Tribut zu zahlen. Zwar saß man in diesem schönen Spätsommer immer noch vor den Cafés am Kurfürstendamm oder anderswo, badete im Wann- und anderen Seen, plauderte über die letzten Revuen, delektierte sich an Sportveranstaltungen, aber über allem lag jetzt immer gegenwärtig der dunkle Schatten des Krieges.

Ein großer Teil der Wehrpflichtigen stand schon unter den Waffen und bald mischten sich in die Erfolgsmeldungen von der Front die Todesanzeigen ‚für Führer, Volk und Vaterland gefallen'. Nach dem schnellen Sieg über Polen brandete noch einmal Jubel hoch, hoffte man noch einmal auf den Frieden, denn im Westen schwiegen auf Monate die Waffen - Sitzkrieg, drôle de guerre, phony war.

In der Tat war Hitler, abgesehen von abenteuerlustigen jungen Männern, die in Elitetruppen von kommendem Ruhm träumten und ein paar untergeordneten Generälen, die im ‚Ernstfall' die Krönung ihres Lebenszwecks sahen, der einzige Mensch in Deutschland, der den Krieg fortzusetzen wünschte, obwohl er dem Westen gegenüber wieder seine Friedensliebe bekundete, allerdings zu seinen Bedingungen, wonach von den neuen Eroberungen selbstverständlich nichts wieder hergegeben werde.

Geflüsterte Berichte über deutsche Mordkommandos im besiegten Polen trugen zur moralischen Verunsicherung bei, die das Regime, mit seiner Diskriminierung und bald immer offensichtlicher werdenden Verfolgung der jüdischen Bürger, gewiss in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung bereits unterschwellig hervorgerufen hatte.

Recht und Unrecht, unter demokratischen Verhältnissen ziemlich leicht zu erkennen, waren aber im Reich Hitlers schon derart miteinander verwoben, dass ein klarer Durchblick den ‚kleinen Leuten' auf der Straße längst unmöglich geworden war. Und sollte denn das Unrechte, zur Durchsetzung des doch so offensichtlich Gelungenen, nicht vielleicht gar notwendig gewesen sein?

Wer mit Hitlers Machenschaften nicht einverstanden war, tat indessen gut daran zu schweigen, denn im Kriegsjahr 1940 und fortan, war jede Art Opposition nachgerade lebensgefährlich. Der Feldzug gegen Frankreich und dessen militärischer Zusammenbruch, nur wenige Wochen nach der Überrumpelung Dänemarks und Norwegens, schien den Deutschen einmal mehr die Genialität ihres Führers, nun auch als Feldherr, zu beweisen.

Der Jubel war grenzenlos, wenngleich der allerletzte und er äußerte sich schon eher aus Erleichterung als triumphierend, denn nun war im Verständnis der Massen in der Tat alles erreicht, was als Maximum erstrebenswert gewesen war. Alles Deutsche heim ins Reich geholt, Versailles nur noch ein Fetzen Papier, der Erzfeind Frankreich zu Recht am Boden, hatte doch er, nicht Deutschland, den Krieg erklärt. Wer konnte dem Reich jetzt noch gefährlich werden?

England, das jenseits des Kanals nun ganz allein war? Die deutsche Bevölkerung glaubte wahrhaftig an eine bevorstehende ‚Pax Germania'; tausend Jahre würde sie wohl dauern, England werde gewiss klein beigeben müssen, trotz der solennen Antwort Churchills „we shall never surrender" auf des Führers neuerlichem Friedensangebot. Die Euphorie verflog, als die ersten Bomben auf deutsches Gebiet fielen, harmlose noch, aber immerhin, und nachdem Britannien aus der Luft nicht niederzuringen war, die Luftwaffe über dem Kanal eine empfindliche Schlappe hatte einstecken müssen, begriff man allmählich, dass der Krieg vermutlich noch nicht zu Ende war.

40'000 deutsche Soldaten waren bereits im ersten Kriegsjahr gefallen, mehr als 20'000 vermisst und 140'000 verwundet worden, deren Angehörige die Siegesfeiern im Fahnenmeer wenig zum Trost gereichten, wenngleich Hitlers Propaganda, nie müde den Krieg als Existenzkampf der deutschen Rasse und Nation darzustellen, statt der Trauer Opferstolz von ihnen forderte.

Die Luftschlacht um England bot den Auftakt zur massiven gegenseitigen Bombardierung, anfangs auf Häfen und Industriegebiete und man kann wohl vermuten, dass die spätere systematische Vernichtung aller deutschen Städte, die Vergeltung war, um nicht zu sagen Rache, für das was Hitler im Verlauf jener Tage und Nächte über London, Birmingham, Coventry u.s.w. begonnen hatte.

Es würde zu viele Seiten füllen, wenn ich hier noch näher auf die kriegerischen Verwicklungen der nächsten Monate einginge. Das verbündete Italien scheiterte in Abessinien, Nordafrika und Griechenland und benötigte deutsche Hilfe, Rumänien, Bulgarien und Ungarn waren schwierige und wankelmütige Partner, Jugoslawien wechselte die Seiten und ging zu den Alliierten über, weshalb überall deutsche Politik und vor allem deutsches Militär vonnöten war.

Die sog. Achse bereitete mehr Sorgen als Freuden und Japan, als Bundesgenosse im fernen Osten, konnte in der Folge nur verhindern, dass das bald zum Feind erklärte Amerika jenseits des Ozeans, nicht von Anbeginn seine ganze Kriegsmacht auf Europa konzentrierte. Die in halb Europa verzettelten deutschen Armeen konnten Hitler nicht daran hindern, trotz der Befürchtungen und Warnungen seiner gesamten Generalität, endlich auch noch die Sowjetunion anzugreifen - sein erstes Ziel von Anfang an.

Eigentlich wäre schon zu diesem Zeitpunkt absehbar gewesen, dass Deutschland den Krieg kaum gewinnen konnte, und nach der Kriegserklärung an Amerika, in der Folge des Überfalls der Japaner auf Pearl Harbour Anfang Dezember 1941, musste jedem halbwegs denkfähigen Menschen in Deutschland einleuchten, dass der führerische Wahn in einer Katastrophe enden musste.

Gleichzeitig mit dem britischen Weltreich, Russland und den USA im Kampf einen Krieg gewinnen zu wollen, konnte in der Tat nur einem wahnwitzigen Hirn eingefallen sein. Berufene Kapazitäten sind allerdings der Meinung, dass Hitler spätestens nach der Niederlage in Stalingrad den Krieg verloren gab.

Die Annahme ist wohl nicht abwegig, dass im Dritten Reich, abgesehen von der Führerschicht aus Partei und Militär, bald niemand mehr seines Lebens ganz froh wurde. Wie grandios die militärischen Erfolge im ersten Halbjahr des Russlandfeldzugs auch waren, so groß war auch das Leid der daheim gebliebenen, denn nun stiegen die Zahlen der fern der Heimat gefallenen Soldaten in die Hunderttausende, und wer noch glaubte, in der ‚Festung Europa' wenigstens an Leib und Leben sicher zu sein, musste beim Blick in den Himmel gewahr werden, dass die Festung kein Dach hatte.

Während sich die Alliierten bis ca. Ende 1942 noch weitgehend auf die Zerstörung der Industrie- und Rüstungsanlagen konzentrierten, begannen sie 1943 auch die Städte zu bombardieren, die Amerikaner am helllichten Tag, die Engländer in der Dunkelheit der Nacht, vorgeblich im Bestreben, die Zivilbevölkerung zu zermürben und möglicherweise zum Aufstand zu bewegen.

Mit dem Beginn des Jahres 1944 ging man auf das sog. ‚Round the Clock Bombing' über, was bedeutete, dass die Städte im Reich nun Tag für Tag rund um die Uhr in Schutt und Asche gelegt wurden. Nicht Goebbels Proklamierung des totalen Kriegs nach dem Desaster von Stalingrad hielt die Bevölkerung noch in der Gefolgschaft zur Führung und auch nicht die ständig versicherte Gewissheit des Endsiegs, sondern zum Einen die anfangs 1943 erfolgte Erklärung der Alliierten, keine andere als die bedingungslose Kapitulation zu akzeptieren und andrerseits die immer verheerenderen Flächenbombardierungen, was anstatt Resignation Zorn, Trotz und den Wunsch nach Vergeltung aufkeimen ließ.

Die nie erlahmende Propaganda versäumte nicht, im Falle einer Niederlage die Vernichtung und Versklavung Deutschlands heraufzubeschwören, nicht zu reden vom unsäglichen Elend, falls es den ‚asiatischen Horden' gelänge ins Reich einzudringen. Im Bemühen, wenigstens etwas Licht in die Finsternis zu bringen, produzierte sie noch bis weit in das Jahr 1944 aufmunternde Filme, teils heiterer, teils patriotischer Art, förderte Sportveranstaltungen und Theatervorstellungen, während denen die Zuschauer des öfteren, vom Alarm überrascht, in die Luftschutzkeller flüchten mussten, aber im Spätsommer wurden sämtliche Vergnügungsstätten geschlossen, in den Betrieben die 60-Stundenwoche eingeführt und im Oktober schließlich alle Wehrfähigen im Alter ab 16 Jahren zum Dienst im sog. Volkssturm aufgeboten.

Es ist oft behauptet worden, die deutsche Bevölkerung habe vom Terror im Hinterland der eroberten Gebiete ebenso wenig gewusst, wie von der industriell betriebenen Tötung der Juden in den Vernichtungslagern. Hier muss zwischen Wissen und Ahnen unterschieden werden.

Berichte von Urlaubern aus dem Osten kamen gewiss weiten Kreisen zu Ohren und die Deportation der Juden konnte nicht unbemerkt bleiben, wenn auch über ihr weiteres Schicksal kaum Konkretes bekannt wurde, nachdem die Täter in den Mordbetrieben wohlweislich zu striktem Stillschweigen verpflichtet worden waren.

Man kann indessen mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass von den 80 Millionen Deutscher vermutlich nicht mehr als ungefähr Hunderttausend unmittelbar an den ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit' beteiligt waren und der ganze Rest von der Schuld dafür weitestgehend frei gesprochen werden muss, obwohl eigentlich jeder Angriffskrieg, nicht zuletzt im Hinblick auf die dazu missbrauchten Soldaten, grundsätzlich verbrecherisch genannt werden darf.

Im Elend unter den Bombenteppichen der Alliierten und den Hiobsmeldungen von den Fronten war indessen kein Platz mehr, sich mit dem Unrecht zu beschäftigen, nun war sich jeder selbst der Nächste, lebte man nur noch von einem Tag zum andern. Die Gefolgschaft Hitlers bröckelte merklich ab in diesem letzten Kriegsjahr und an den Endsieg glaubten nur noch die unbelehrbar Fanatischen oder die ganz und gar Einfältigen.

Die magnetisierende Maxime ‚Führer befiel, wir folgen', die in guten und in schlechten Zeiten schicksalshaft über jedem Gesetz gestanden hatte, zerstob wie eine Seifenblase, als sich Hitler am 30. April 1945 inmitten seines Trümmerhaufens eine Kugel in den Kopf schoss. Eine Woche später war der Krieg zu Ende.



Der als e-book erschienene Roman SPATHA Heil und Unheil führt den Leser durch die gesamte oben geschilderte Epoche und bietet historisch Interessierten - nebst der ‚Unterhaltung', dem Salz jedes Romans - vielleicht einen neuen Einblick in den ruhelosen Alltag jener Zeit.
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