(foto: gady)
Mit brachialer Gewalt haben die militanten IS-Islamisten militärische Erfolge eingefahren. Doch damit könnte es nun vorbei sein.
„They're coming at us in the same old style", meinte der Herzog von Wellington, als sich die französischen Truppen während der Schlacht bei Waterloo näherten. „Well then we shall meet them in the same old style!" erwiderte General Sir Thomas Picton, Kommandant einer britisch-hannoverischen Division. Wellington, der behauptete, dass der schwarze Hut des französischen Kaisers 40.000 Soldaten wert sei, ließ sich trotz der Anwesenheit Napoleons nicht aus der Ruhe bringen. Gekonnt parierte er den ersten französischen Angriff am 18. Juni 1815.
Wie einst Napoleons Hut scheint heutzutage in Syrien und im Irak das schwarze Banner des islamischen Staates (IS) einen ähnlichen Effekt auf Truppenstärken und Moral zu erzeugen: 800 IS-Krieger schlugen im Juni dieses Jahres 30.000 irakische Soldaten bei Mosul in die Flucht, Tausende kurdische Peschmergas verließen in den ersten Augusttagen panikartig ihre Stellungen und gaben einige Städte im Nordosten des Iraks kampflos auf. Selbst Erbil, die Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan, lief Gefahr, erobert zu werden.
Der Hauptkampf steht noch bevor
Wie einst bei Waterloo setzte sich letztendlich im Nordirak besonnenes defensives Taktieren im Stil Wellingtons, gepaart mit externer Hilfe (der Blücher der Kurden war die US Air Force), gegen die vermeintlich überlegene Angriffskraft des Gegners durch. Doch es war „the nearest run thing" (Wellington beschrieb so seine Schlacht gegen Napoleon) und im Gegensatz zu den Soldaten Wellingtons nach Waterloo steht der irakischen Armee und den kurdischen Milizen der Hauptkampf noch bevor.
In den letzten drei Wochen besuchte ich mehrere Frontabschnitte im Nordirak, wo ich mit Soldaten und Kommandeuren der regulären irakischen Armee, kurdischen Peschmerga-Milizen, sowie Mitgliedern der militanten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sprach. Diese Interviews, sowie das von mir observierte Geschehen, zeichneten ein klares militärisches Bild über die Vorgehensweise des IS im Irak.
Ein durchschnittlicher IS-Angriff wird von Selbstmordattentätern, die sich - um den Gegner „aufzuweichen" - frontal auf Stellungen, Checkpoints oder Konvois werfen, eingeleitet. Danach folgt das Artilleriebombardement mit Haubitzen, Raketenwerfern, und Mörsern mit dem Ziel, den Feind bewegungsunfähig zu machen. Danach folgt der eigentliche Angriff, angeführt von Dutzenden Pickup-Trucks, bestückt mit schweren Maschinengewehren, die sich todesverachtend auf breiter Front dem Feind nähern und ihn umzingeln. Abschließend stürmt die Infanterie, unterstützt von dem Maschinengewehrfeuer der Pickup-Trucks, die isolierte Position und kämpft den Feind mit Sturmgewehren, RPGs, und Handgranaten nieder. Öffentliche Hinrichtungen von gefangenen Offizieren und einfachen Soldaten folgen. Das Hauptaugenmerk in dieser Kampfweise liegt auf der Verbreitung von Terror, der den Gegner komplett lähmt und den Rückzug unmöglich macht.
IS kopiert in dieser Hinsicht die klassische Blitzkriegstaktik der deutschen Wehrmacht aus den Jahren 1939-1941, die primär auf psychologischen Terror (man denke an die Sirenen der Stukas) setzte, mit jedoch zwei wichtigen Unterschieden: Erstens verfügt IS über keine Luftwaffe. Zweitens sind die IS-Angriffsformationen keine Panzerverbände, sondern bestehen aus nur leicht gepanzerten und ungepanzerten Fahrzeugen, die von einfachen Waffen aufgehalten werden können. Sollte der Gegner sich von den schwarzen Bannern des selbsternannten Kalifen nicht einschüchtern lassen, machen diese Unterschiede die Blitzkrieg-Taktik sehr verlustreich für die IS und zuweilen auch erfolglos.
1.000 Kilometer Frontlinie
Dass ein solcher Angriff abgewehrt werden kann, illustrierten die kampferprobten PKK-Guerillas und die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten im letzten Monat. Während andere Einheiten (der Hype um die Kampfkraft der Peshmergas wurde brutal enttarnt) in Panik flüchteten, deckten sie in der ersten Augustwoche in Rückzugsgefechten gekonnt die Flucht vieler Christen, Schiiten und Kurden aus Mosul und Umgebung und verhinderten laut Aussagen hoher kurdischer Militärs den Zusammenbruch der gesamten kurdischen Front.
Wie ich selbst observieren konnte, haben sich nun die kurdischen Milizen entlang der über 1.000 Kilometer langen Frontlinie eingegraben. Gestaffelte Grabensysteme, wie man sie aus dem Ersten Weltkrieg kennt, und Panzerhindernisse durchziehen die Ebenen des Nordiraks. Die Grabensysteme machen ein Durchbrechen leicht gepanzerter Einheiten ohne Raupen und ohne Sturmpioniere nahezu unmöglich. Unterstützt wird die Verteidigung von der amerikanischen Air Force, die mit gezielten Luftangriffen verhindert, dass sich IS Truppen für einen Angriff großräumig formieren können.
Unter den Soldaten im Nordirak herrscht Einigkeit, dass die Zeit der IS-Blitzkriege vorbei ist. Angriffe konnten bis dato an der gesamten kurdischen Front abgewehrt werden. Aber ob die Peshmerga das zu großen Offensiven notwendige militärische Knowhow besitzen, wird sich erst zeigen. Die Verluste auf Seiten der kurdischen Milizen sind außergewöhnlich hoch, da so gut wie keine schweren Waffen und keine Ausrüstung zur Kampfmittelräumung zur Verfügung stehen. Für die Gegenoffensive wird neues Gerät sowie auch besseres militärisches Training unabkömmlich sein.
Die schwarzen IS-Banner sind bereits an vielen Teilen der Front verschwunden, um der US-Luftwaffe die Zielidentifizierung nicht allzu leicht zu machen. Wie einst bei Napoleon und der Wehrmacht signalisiert der Übergang des IS auf eine defensive Strategie nur den Beginn einer neuen Phase des Konflikts und schließt in keiner Weise aus, dass die IS-Gotteskrieger noch den einen oder anderen taktischen und territorialen Erfolg erzielen können. Ein blutiger Rückeroberungsfeldzug steht der irakischen Armee und den kurdischen Milizen bevor.
Abgesehen von der amerikanischen Unterstützung aus der Luft werden die Kurden und die irakische Armee im Kampf nur siegreich sein, wenn sie die irakischen Sunniten auf ihre Seite ziehen können. Ohne Luftwaffe und gepanzerten Verbänden wird IS in Zukunft auf versteckte Guerillakriegsführung und Terrorattacken anstelle von konventionellen Angriffen setzen - „the same old style", den IS schon während der amerikanischen Besatzung des Iraks anwandte.
Der Artikel erschien am 12.09. 2014 in der Zeitschrift The European.
Mit brachialer Gewalt haben die militanten IS-Islamisten militärische Erfolge eingefahren. Doch damit könnte es nun vorbei sein.
„They're coming at us in the same old style", meinte der Herzog von Wellington, als sich die französischen Truppen während der Schlacht bei Waterloo näherten. „Well then we shall meet them in the same old style!" erwiderte General Sir Thomas Picton, Kommandant einer britisch-hannoverischen Division. Wellington, der behauptete, dass der schwarze Hut des französischen Kaisers 40.000 Soldaten wert sei, ließ sich trotz der Anwesenheit Napoleons nicht aus der Ruhe bringen. Gekonnt parierte er den ersten französischen Angriff am 18. Juni 1815.
Wie einst Napoleons Hut scheint heutzutage in Syrien und im Irak das schwarze Banner des islamischen Staates (IS) einen ähnlichen Effekt auf Truppenstärken und Moral zu erzeugen: 800 IS-Krieger schlugen im Juni dieses Jahres 30.000 irakische Soldaten bei Mosul in die Flucht, Tausende kurdische Peschmergas verließen in den ersten Augusttagen panikartig ihre Stellungen und gaben einige Städte im Nordosten des Iraks kampflos auf. Selbst Erbil, die Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan, lief Gefahr, erobert zu werden.
Der Hauptkampf steht noch bevor
Wie einst bei Waterloo setzte sich letztendlich im Nordirak besonnenes defensives Taktieren im Stil Wellingtons, gepaart mit externer Hilfe (der Blücher der Kurden war die US Air Force), gegen die vermeintlich überlegene Angriffskraft des Gegners durch. Doch es war „the nearest run thing" (Wellington beschrieb so seine Schlacht gegen Napoleon) und im Gegensatz zu den Soldaten Wellingtons nach Waterloo steht der irakischen Armee und den kurdischen Milizen der Hauptkampf noch bevor.
In den letzten drei Wochen besuchte ich mehrere Frontabschnitte im Nordirak, wo ich mit Soldaten und Kommandeuren der regulären irakischen Armee, kurdischen Peschmerga-Milizen, sowie Mitgliedern der militanten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sprach. Diese Interviews, sowie das von mir observierte Geschehen, zeichneten ein klares militärisches Bild über die Vorgehensweise des IS im Irak.
Ein durchschnittlicher IS-Angriff wird von Selbstmordattentätern, die sich - um den Gegner „aufzuweichen" - frontal auf Stellungen, Checkpoints oder Konvois werfen, eingeleitet. Danach folgt das Artilleriebombardement mit Haubitzen, Raketenwerfern, und Mörsern mit dem Ziel, den Feind bewegungsunfähig zu machen. Danach folgt der eigentliche Angriff, angeführt von Dutzenden Pickup-Trucks, bestückt mit schweren Maschinengewehren, die sich todesverachtend auf breiter Front dem Feind nähern und ihn umzingeln. Abschließend stürmt die Infanterie, unterstützt von dem Maschinengewehrfeuer der Pickup-Trucks, die isolierte Position und kämpft den Feind mit Sturmgewehren, RPGs, und Handgranaten nieder. Öffentliche Hinrichtungen von gefangenen Offizieren und einfachen Soldaten folgen. Das Hauptaugenmerk in dieser Kampfweise liegt auf der Verbreitung von Terror, der den Gegner komplett lähmt und den Rückzug unmöglich macht.
IS kopiert in dieser Hinsicht die klassische Blitzkriegstaktik der deutschen Wehrmacht aus den Jahren 1939-1941, die primär auf psychologischen Terror (man denke an die Sirenen der Stukas) setzte, mit jedoch zwei wichtigen Unterschieden: Erstens verfügt IS über keine Luftwaffe. Zweitens sind die IS-Angriffsformationen keine Panzerverbände, sondern bestehen aus nur leicht gepanzerten und ungepanzerten Fahrzeugen, die von einfachen Waffen aufgehalten werden können. Sollte der Gegner sich von den schwarzen Bannern des selbsternannten Kalifen nicht einschüchtern lassen, machen diese Unterschiede die Blitzkrieg-Taktik sehr verlustreich für die IS und zuweilen auch erfolglos.
1.000 Kilometer Frontlinie
Dass ein solcher Angriff abgewehrt werden kann, illustrierten die kampferprobten PKK-Guerillas und die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten im letzten Monat. Während andere Einheiten (der Hype um die Kampfkraft der Peshmergas wurde brutal enttarnt) in Panik flüchteten, deckten sie in der ersten Augustwoche in Rückzugsgefechten gekonnt die Flucht vieler Christen, Schiiten und Kurden aus Mosul und Umgebung und verhinderten laut Aussagen hoher kurdischer Militärs den Zusammenbruch der gesamten kurdischen Front.
Wie ich selbst observieren konnte, haben sich nun die kurdischen Milizen entlang der über 1.000 Kilometer langen Frontlinie eingegraben. Gestaffelte Grabensysteme, wie man sie aus dem Ersten Weltkrieg kennt, und Panzerhindernisse durchziehen die Ebenen des Nordiraks. Die Grabensysteme machen ein Durchbrechen leicht gepanzerter Einheiten ohne Raupen und ohne Sturmpioniere nahezu unmöglich. Unterstützt wird die Verteidigung von der amerikanischen Air Force, die mit gezielten Luftangriffen verhindert, dass sich IS Truppen für einen Angriff großräumig formieren können.
Unter den Soldaten im Nordirak herrscht Einigkeit, dass die Zeit der IS-Blitzkriege vorbei ist. Angriffe konnten bis dato an der gesamten kurdischen Front abgewehrt werden. Aber ob die Peshmerga das zu großen Offensiven notwendige militärische Knowhow besitzen, wird sich erst zeigen. Die Verluste auf Seiten der kurdischen Milizen sind außergewöhnlich hoch, da so gut wie keine schweren Waffen und keine Ausrüstung zur Kampfmittelräumung zur Verfügung stehen. Für die Gegenoffensive wird neues Gerät sowie auch besseres militärisches Training unabkömmlich sein.
Die schwarzen IS-Banner sind bereits an vielen Teilen der Front verschwunden, um der US-Luftwaffe die Zielidentifizierung nicht allzu leicht zu machen. Wie einst bei Napoleon und der Wehrmacht signalisiert der Übergang des IS auf eine defensive Strategie nur den Beginn einer neuen Phase des Konflikts und schließt in keiner Weise aus, dass die IS-Gotteskrieger noch den einen oder anderen taktischen und territorialen Erfolg erzielen können. Ein blutiger Rückeroberungsfeldzug steht der irakischen Armee und den kurdischen Milizen bevor.
Abgesehen von der amerikanischen Unterstützung aus der Luft werden die Kurden und die irakische Armee im Kampf nur siegreich sein, wenn sie die irakischen Sunniten auf ihre Seite ziehen können. Ohne Luftwaffe und gepanzerten Verbänden wird IS in Zukunft auf versteckte Guerillakriegsführung und Terrorattacken anstelle von konventionellen Angriffen setzen - „the same old style", den IS schon während der amerikanischen Besatzung des Iraks anwandte.
Der Artikel erschien am 12.09. 2014 in der Zeitschrift The European.