Bildunterschrift: l.n.r. Max Strauß, Tochter Marianne, Johannes Singhammer, Deutscher Botschafter Hellmut Hoffmann
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Was die albanische Zeitung Zeri i Popullit am 22.8.1984 veröffentlichte schien so unwahrscheinlich, dass selbst die um Floskeln selten verlegene Bonner Diplomatie ratlos in die TV-Kameras blickte.
Helmut Kohls bayrischer Alptraum - Franz Josef Strauß - kurvte als erster westeuropäischer Spitzenpolitiker seit Ende des 2.Weltkriegs und ohne Wissen des Bundeskabinetts mit seiner Familie durch Europas brutalstes Tyrannenregime Albanien.
Die engsten Vertrauten des dort seit 1944 herrschenden Diktators Enver Hoxha (+1985) chauffierten den bayrischen Ministerpräsidenten mit Staatslimousinen vom 17. - 20. August quer durchs Land - und der bedankte sich nicht nur mit dem Versprechen, sich in Bonn für Kredite stark zu machen.
Er profilierte sich auch als außenpolitischer Berater der herrschenden Genossen. Er hat uns die Augen über unsere Nachbarn geöffnet, gestand vor einigen Jahren Hoxhas Witwe Nexhmije nahezu ehrfürchtig, ..."Dinge, die uns andere Länder und deren Politiker verschwiegen."
Den Mut des damaligen CSU-Vorsitzenden, sich weder von der hermetischen Isolation des 3,5 Millionen EW-Landes noch dessen Mörderregime von einem Besuch abschrecken zu lassen (insgesamt besuchte Strauß bis zu seinem Tod 1988 viermal Albanien), hat Tirana ebenso wenig vergessen wie sein immer wieder zitiertes Geständnis, ..."er habe sich in das Land verliebt."
Vergangene Woche feierte Albanien das 30-jährige Jubiläum des legendären Strauß-Besuchs. Ehrengast war Sohn Max Strauß, begleitet u.a. von Tochter Marianne und Bundestags-Vize Johannes Singhammer.
Ob der politische Poltergeist aus Bayern allerdings auch das heutige Albanien noch so liebenswert fände, darüber sind Zweifel angebracht. Immerhin stufte der BND die Entwicklung in dem Land so gefährlich ein, dass es laut SPIEGEL - neben der Türkei - vom Auslandsgeheimdienst seit Jahren überwacht wird.
Vom Monsterregime zum EU-Beitrittskandidat
Für mich begann das „Strauß-Festival" schon am Vortag.
Nein, diesmal stand keine Kuh auf der Landesbahn des Flughafens Tirana wie noch vor wenigen Jahren als der Lufthansa-Pilot nur mit einer Vollbremsung eine Katastrophe verhindern konnte und lakonisch kommentierte „meine Damen und Herren, das ist Albanien wie es leibt und lebt."
Die Bunker, die sich auch nach Hoxhas Tod noch lange wie Schildkrötenpanzer ins Gelände rund um den Flughafen bohrten, sind ebenso verschwunden wie die veralteten Kampfjets, mit welchen der von Paranoia geplagte albansche Staatschef zur Belustigung der Großmächte Abschreckung ad absurdum führte.
Dafür rollt eine 7-köpfige Garde in roten Uniformjacken den roten Teppich vor der Gangway der Austrian Airways aus und wartet. Vergeblich. Der VIP-Gast hat es sich wohl anders überlegt, vielleicht hat sich das Empfangskommittee ja auch in Tag und Uhrzeit geirrt.
Tirana ist eine pulsierende Stadt, zu Stoßzeiten ein motorisierter Hexenkessel mit nervösen Möchtegern-Rennfahrern, die sich auch von den eifrig gestikulierenden Polizisten in gelben Signaljacken und Trillerpfeifen kaum beeindrucken lassen.
Luxus-Boutiquen führender Modelabels und kleine Ramsch-Shops reihen sich eng aneinander, ein städtebauliches Konzept erschließt sich nur schwer. Schließlich links das Nationalmuseum, dem während der kommunistischen Diktatur alle Besucher des Landes einen Zwangsbesuch mit mehrstündiger Führung abstatten mussten.
Ich erinnere mich insbesondere an die meterhohen Tafeln an den Wänden, auf welchen selbst die Zahl der Kühe, Schweine, Schafe und Hühner aufgelistet waren, die die deutsche Wehrmacht während der Besatzung Albaniens (September 1943- November 1944) getötet hatte.
Vorbei geht die Fahrt am Hotel Dajti, heute eine verfallene Ruine, das bis Ende der 80er Jahre mit seinen roten, modrigen Plüsch-Sesseln und verwanzten Zimmern eine Pflichtherberge für ausländische Besucher war.
Um die Illusion eines im Wohlstand schwelgenden Volkes zu suggerieren, wurde der Speisesaal zur sozialistischen Fata Morgana umgestaltet: mit Froschschenkeln auf der Speisekarte, erlesenen Weinen und italienischem Espresso.
Sehen Sie, mit welchen Wohltaten Genosse Hoxha sein Land segnet, schien das beschwörende Fazit jeder Geste zu sein - während nur wenige Meter vom Gourment-Tempel entfernt jedes kritische Wort gegen die kommunistische Nomenklatura den Tod oder zumindest jahrelange Lagerhaft bedeuteten konnten.
Im Hotel Rogner, während der Natobombardierung 1999 Tummelplatz der UCK-Kommandanten aus dem Kosovo, trifft die Strauß-Delegation in später Nachtstunde ein.
In den Fußstapfen des Vaters
Die im Protokoll fixierten Uhrzeiten ändern sich ständig. Die Delegation der Deutschen Botschaft in Tirana, erste Anlaufstation der Strauß-Delegation, hat sich auf der Rückreise aus dem Kosovo verspätet und der neue Premier Edi Rama ist ebenfalls noch „auf Reisen." Man nimmt es stoisch-gelassen.
Wer auf den Balkan kommt, sollte Tugenden wie Pünktlichkeit und Logistik ohnehin keine Priorität einräumen. Dafür kann er ziemlich sicher sein, daß am Ende irgendwie dann doch alles klappt.
Während Strauß-Tocher Marianne die Zeit zum „shoppen" nutzt, wird in der Lobby politisiert.
Brüssel hat offenbar immer noch nicht aus dem Desaster mit der EU-Aufnahme Rumäniens und Bulgariens gelernt, ärgert sich einer der Strauß-Begleiter und macht keinen Hehl daraus, daß er
den im Juni 2014 Albanien zugestandenen EU-Kandidatenstatus nur schwer nachvollziehen kann.
Fast alle ausländischen Organisationen, die Albanien besuchen, kommen zum Fazit: Nie waren Korruption und Kriminalität schlimmer und deren Bekämpfung hoffnungsloser als heute. Von der Drogenmafia ganz zu schweigen.
Max Strauß, nicht nur in seiner bulligen Erscheinung, seiner Mimik und Gestik das geklonte Abbild seines Vaters, lässt keinen Zweifel, dass er als Politiker - erneut ganz der Vater - allem Übel schnell ein Ende bereiten würde: Anständige Löhne für die Beamten, drastische Strafen für Vergehen.
Ja - wenn er an der Macht wäre. Nichts, wofür Max Strauß keine Lösung hätte und worüber er nicht gerne diskutiert, von der Terrorgruppe der ISIS bis zur Bundeskanzlerin Merkel. Wobei bei Erwähnung letzterer seine Stimmbänder gewaltig anschwellen.
Ob er sein Freizeithemd für den Besuch beim deutschen Botschafter gegen Sakko und Krawatte umtauschen müsse, fragt er? Nein, lautet die Antwort und er wirkt erleichtert.
Der deutsche Botschafter Hellmut Hoffmann gibt ein kurzes Resümee über das Land, diplomatisch und nur in leisen Zwischentönen die Probleme streifend.
Beim anschließenden Besuch des „Franz-Josef-Strauß-Platzes" (Sheshi Jozef Shtraus) in Tirana gesteht Herr Botschafter dann freimütig, dass er bislang von diesem Ehrenplatz keine Ahnung hatte.
Bei der Bevölkerung von Tirana ist der rund fünf Fahrminuten vom Zentrum entfernte „Sheshi Jozef Shtraus" indes unter dem Synonym „Platz der vergebenen Chance" bekannt.
Auch Parlamentspräsident Ilir Meta wird dies später in seiner Rede erwähnen.
Albanien wäre seiner Meinung nach heute bereits EU-Mitglied, hätte man die von Strauß aufgestoßene Türe damals offengehalten und Albaniens Wirtschaft mit deutscher Hilfe saniert.
Im Hotel trifft eine Delegation der Demokratischen Partei ein, welche die letzten Wahlen verlor und seither in der Opposition sitzt.
Eine C-Delegation, wie Strauß leicht verärgert konstatiert und das Feld Bundestags-Vize Singhammer überläßt. Zumindest die Präsenz des ehemaligen Premiers Sali Berisha, nach dessen Rücktritt als Parteichef immer noch kampflustiger Parlamentarier, hatte man erhofft.
Glaubt man allerdings der albanischen Zeitung Gazeta Shqiptare, dann könnte das Fernbleiben des langjährigen Premier auch andere Gründe haben: 2006 hatte Max Strauß nämlich Albanien im Auftrag der englischen Consulting-Firma Berberi & Strauß besucht, um eine Beteiligung in albanische Wasserkraftwerke auszuhandeln.
Laut Gazeta Shqiptare soll es Berisha gewesen sein, der die 200 Millionen Pfund schwere Investition verhinderte.
Angeblich habe sich Strauß geweigert, als Gegenleistung einen Besuch von Angela Merkel in Albanien zu vermitteln - von Berisha als willkommene Propaganda angesichts der bevorstehenden Wahlen erhofft.
Ein Strauß-Vertrauter vermutet hinter dem Scheitern dagegen korrupte albanische Minister, die die Hände „zu weit offen gehalten hätten".
Strauß selbst gibt sich hinsichtlich seiner damaligen Geschäftsinteressen bedeckt: „Die Albaner hätten kein realisierbares Konzept für die Wasserversorgung vorgelegt."
Der gelernte Jurist leidet vermutlich immer noch unter den zahlreichen Korruptionsskandalen, die ihn in Deutschland seit 1995 verfolgen und dazu führten, dass er sich 2003 wegen schwerer Depressionen stationär behandeln lassen musste und seine Zulassung als Rechtsanwalt freiwillig zurückgab. 2004 wurde er wegen Beihilfe zum Betrug zu einer Geldstrafe von 300 000 Euro verurteilt.
Er hatte als Anwalt für eine Münchner Anlageberatungsfirma gearbeitet, die Tausende von Anlegern um ihr Geld gebracht hatte.
Eine weitere Verurteilung wegen Steuerhinterziehung wurde allerdings vom Bundesgerichtshof aufgehoben und Strauß in einer Neuauflage des Prozesses freigesprochen.
Vom Touristen zum Staatsgast
Um 19 Uhr ist der Empfangssaal des Parlaments ganz dem Motto „Franz Josef Strauß" geweiht. Eingerahmt von Dutzenden auf Leinwand aufgezogenen Strauß-Bildern aus dem Jahr 1984 und einer riesigen Kinoleinwand, über welche non-stop Filme vom Besuch des bayrischen Ministerpräsidenten flimmern beginnt der Abend der Höflichkeiten und Dankesreden.
Erstmals wirkt Max Strauß - im schwarzen Anzug mit weinroter Krawatte - nervös, krampft die Hände ineinander und scheint zu überlegen, ob angesichts der sterilen Vorredner, einem gelangweilt wirkenden Premier Edi Rama und neun albanischen Kamera-Teams seine eher locker-humorvoll geplante Rede auf Zustimmung stoßen werde.
Doch bald hat er die Lacher auf seiner Seite, als er den damaligen Besuch nochmal aus seiner Sicht abrollen läßt: Vater Franz Josef habe tatsächlich nur im Rahmen einer Ferienreise einen Transit durch Albanien geplant.
Doch als man - nach mehrtägiger Fahrt über Alpenpässe und durch Jugoslawien - mit dem verdreckten Mercedes-Geländewagen, verstaubter Freizeitkleidung und kurzen Hosen am Grenzübergang Han i Hotit stand, hätte die Strauß-Familie auf der anderen Seite der stellvertretende Außenminister im Nadelstreifen-Anzug erwartet.
Was folgte, sei angeblich niemals geplant gewesen: Mit Staatslimousinen wurden die Bayern durch das Land chauffiert - 4 Tage lang, begleitet von engsten Vertrauten Enver Hoxhas. Das unendliche Leid, das der Vater dabei zu sehen bekam, habe diesen schwer beeindruckt.
Als man schließlich die Grenze zu Griechenland passieren wollte, konnte der Schlagbaum nicht geöffnet werden. Das Schloss, das vermutlich seit Jahren keinen Grenzgänger sah, war verrostet.
Erst ein griechischer Schlosser konnte es aufschweißen. Und dann sei auf griechischer Seite auch noch ein Priester herbeigeeilt, um die Delegation zu segnen. (Vermutlich weil sie das Land lebend verlassen konnten).
Reparationszahlungen, als Kredite getarnt
Es mag ja sein, dass den damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß tatsächlich nur ein Transit durch den „verbotenen Staates" reizte. Das albanische Regime hatte es längst anders geplant.
Diese Reise könne zum Vorteil des Landes genutzt werden, schrieb der für das von Strauß angeforderte „Touristenvisum" zuständige albanische Botschafter in Wien in einer Message an Hoxha, ..."man sollte ihn zu einer Verlängerung überreden."
Der Diktator selbst begleitete die Strauß-Kolonne zwar nur aus der Ferne, genauer gesagt aus der Stadt Pogradec, wurde jedoch rund um die Uhr von seinen Vertrauten über jede Äußerung des Transit-Touristen informiert.
Wie wichtig der Besuch für Hoxha war beweist dessen Tagebuch, das nur in 150 Kopien veröffentlicht und nur einem engen Kreis der Politbüro-Mitglieder zugänglich war.
Die Bevölkerung - und vermutlich auch Strauß - kennen es bis heute nicht. Zahlreiche Details über den Strauß-Besuch sind auch in einem Buch von Witwe Nexhmije Hoxha nachzulesen.
Enver Hoxha notierte: Während der Gespräche mit unseren Genossen war Strauß auf Themen fokussiert, die er intern und vertraulich nannte und sie damit begründete, dass er „den Albanern vertraue, obwohl er uns erst eine Stunde kenne."
Er bezeichnete die Sowjetunion als eine verkrüppelte Supermacht und berief sich auf Informationen, wonach einige Mitglieder des Warschauer Pakts nicht mit diesem kämpfen würden, wenn es zu einem aggressiven Angriff der Sowjetarmee auf andere Länder käme. (Nexhmije Hoxha erwähnt in ihrem Buch die Länder DDR, Polen, Rumänien und Ungarn).
Außerdem habe er, Strauß, 1983 via Honeckers Berater einen vertraulichen 12 Seiten langen Brief erhalten, fokussiert auf die schlechte wirtschaftliche Situation der DDR und die nötige finanzielle Hilfe von Bonn.
Strauß bemühe sich, vermerkt Hoxha am 20.8.1984 in seinem Tagebuch, die Rolle eines einfachen Touristen zu spielen der nicht an Politik interessiert sei, spreche aber ständig über Politik. Dabei beeindruckte den albanische Führer vor allem die Einschätzung seines Gastes über Bulgarien.
Dort bestünden Tendenzen, sich von den Sowjets abzusetzen, obwohl das Land bislang als deren engster Verbündeter galt.
In seinem Eintrag am 21. August 1984 widmet sich Hoxha den Gesprächen über mögliche Kriegsreparations-Zahlungen Deutschlands an Albanien: Strauß versuchte uns zu überzeugen, dass er über das Problem der Kriegsreparationen keine Details kenne.
Tatsächlich habe man jedoch aus den Gesprächen mühelos erkennen können, dass er das Problem sogar vorantreiben wolle.
Er fragte nach der Summe, die wir von der BRD fordern und sagte: Wir sind im Prinzip nicht dagegen, euch Reparationen zu zahlen, aber die Londoner Vereinbarung über Deutschlands Auslandsschulden zwingt uns, keine Reparationen an Länder zu zahlen, bevor wir nicht unsere Zahlungen an die Unterzeichnerländer des Abkommens geleistet haben. Und Albanien habe das Abkommen nicht unterschrieben.
Strauß habe allerdings einen Weg erwähnt, den man 1983 mit Jugoslawien eingeschlagen habe: es erhielt Kredite für dessen wirtschaftliche Stabilisierung ohne Auflage, dieses Geld zur Rückzahlung alter Schulden zu verwenden.
Witwe Nexhmije nennt in ihrem Buch die Summe von 1 Milliarde DM. Jugoslawien, so wird Strauß zitiert, .... habe jedoch schon 1968 hohe Kredite für Waffenkäufe erhalten, um sich gegen die sowjetische Gefahr abzusichern. Denn für die Nato sei vor allem wichtig, dass sich Jugoslawien und auch Albanien keinem Block anschließen.
Am 1. September, also 10 Tage nach Strauß' Abreise aus Albanien, schreibt Hoxha in seinem Tagebuch: ein Bonner Botschafter informierte einen unserer Botschafter, dass künftige Fortschritte in den gegenseitigen Beziehungen denkbar sind - dass diese allerdings nicht nur von Strauß abhingen, sondern von Gesprächen zwischen mir und dem deutschen Außenminister Genscher.
Dass es dennoch zu keiner Einigung kam, lag laut Aussage von Hoxha-Witwe Nexhmije daran, dass alle Hilfen Bonns - egal ob es sich wie im Fall Jugoslawien um verdeckte Reparationen handelte - offiziell als Kredite deklariert würden. Etwas, das die Verfassung Albaniens verbot und Enver Hoxha zu diesem Zeitpunkt nicht riskieren konnte und wollte - und heute als die „verpaßte Chance" landesweit bedauert wird.