Kleists „Prinz von Homburg" im Ehrenhof des Papstpalastes
AVIGNON. Der Ehrenhof des Papstpalastes ist der prestigeträchtigste Spielort des Festivals d'Avignon. Es ist wunderbar, unter dem Firmament zu sitzen und erstklassige Inszenierung zu genießen - aber der Ehrenhof hat auch seine Tücken: Zwischen den hohen Wänden entstehen halte Böen und bei Regen wird der Ehrenhof zur Falle: zweitausend Zuschauer passen hinein, aber es gibt nur wenige, enge Ausgänge...
Deutsch ...
In diesem Jahr wurde Kleists „Prince de Homburg" gespielt, „Der Prinz von Homburg" auf Französisch. Das ist eine Erinnerung - kurz nachdem die Festspiele ins Leben gerufen wurden, setzte Gründervater Jean Vilar 1951 Kleists Meisterwerk auf den Spielplan und erntete Widerspruch. Das war ein Werk des Feindes, Deutschland, das war Nazi, SS und nicht Kultur, Theater. Jean Vilar, Sozialist, Internationalist wollte gerade gegen dieses Denken ankämpfen, der weltberühmte Volkstheatermann inszenierte für den Frieden und die Verständigung. Er spielte den Kurfürsten, seinen Prinzen verkörperte der junge Gérard Philipe - heute ist das eine legendäre Inszenierung.
Giorgio Barberio Corsetti inszenierte, ein erfahrener Regisseur aus Italien. Aber bevor Kleist das Wort bekam, nahmen es sich die Schauspieler.
Französisch
Das Ensemble stellte sich in einer Reihe an der Rampe auf und protestierte. Jeder nahm das Wort und griff die Arbeits- und Sozialpolitik der französischen Regierung an: Es geht um die Intermittants, die Theaterleute, die sich mit einem Zeitvertrag zufrieden geben müssen. Ihre soziale Absicherung soll verschlechtert werden - dagegen wenden sich die Künstler - und sie bekommen viel zustimmenden Applaus. Vor allem das Misstrauen schient groß, es ist davon die Rede, dass die Bürger die Nase voll hätten von falschen Versprechungen und von Lügen. Neben der Zustimmung gibt es auch Opposition - sie ist aber hörbar in der Minderheit. Der Geist von Avignon wird beschworen: Solidarität mit den Kollegen, Bereitschaft, für eine anständige soziale Absicherung das Wort zu ergreifen. Alle, auch die Gutbezahlten, die im Lichte stehen.
Der Himmel ist düster wie die Stimmung, es hatte schon kurz vor der Vorstellung geregnet, trotzdem waren alle Plätze belegt, als das die Aufführung begann. Kleist hatte sein Stück einer preußischen Prinzessin gewidmet - wir sehen eine Dame, die das Heftchen in Händen hält, die Widmung liest und dann achtlos wegwirft - soviel zum Kunstsinn der Hohenzollern.
Jetzt liegt das Büchlein auf der Bühne und die Schauspieler beschwören Kleists Geist, das Stück erwacht zum Leben. Nackte junge Männer steigen aus Gruben - der Prinz von Homburg träumt. Die Kameraden kleiden ihn an und der träumende Prinz erblickt einen Lorbeerkranz - das Zeichen des Sieges, des Siegers. Er streckt die Hand verlangend aus ...
Italienisch
Giorgio Barberio Corsetti erzählt die Geschichte übersichtlich und er hat eine Fülle von Ideen, die wichtigsten Aspekte herauszuarbeiten: Den Gegensatz vom Traum und von der Realität, den Gegensatz von oben und unten. Eine riesige Treppe, die der Große Kurfürst und seine Gemahlin emporsteigen, zeigt die Höhe des Machtunterschieds - ins Riesige vergrößerte Projektionen von Zeichnungen zeigen Totenköpfe mit leeren Augenhöhlen, sprechende Hinweise für die Angst vor dem Tod.
Die Schauspieler tragen Kostüme vom Ersten Weltkrieg - warum, wird nicht erkennbar, die Schlacht von Fehrbellin wurde im 17. Jahrhundert geschlagen. Das Französische klingt edel, ein gutes Medium für Kleists Sprache, der Dichter, der stotterte, soll flüssiger Französisch als Deutsch parliert haben - aber die Übersetzung funktioniert in anderer Hinsicht nicht: Xavier Gallais spielt den Prinzen von Homburg ganz in der lateinischen Tradition. Er übernimmt nicht nur das hohe und hohle Pathos des Staatstheaters, das wir in Deutschland ja Dank der Brechtschen Reformen weitgehend überwunden haben, er hat auch die ausladende Gestik eines Sizilianers. Das lädt Betrachter aus den Germanischen Urwäldern jenseits des Rheins doch zum Schmunzeln ein.
Europäisch
Während der Prinz mit einer Todesangst ringt, pfeifen die Böen, die in den Ehrenhof fallen, lauter, kühler. Die Damen frösteln. Je dramatischer es wird, desto häufiger donnert es - das Publikum lacht, weil es so wirkt, als solle/wolle der Donner das Schauspiel unterstützen, aber er ist echt - und echt sind auch die Blitze, die immer häufiger ein schweres Unwetter ankündigen.
Alte Avignon Veteranen bleiben sitzen, die Schauspieler müssen auch schon grinsen, wenn der Donner ihre Worte schluckt oder unterstreicht - und dann bricht der Regen los. Er kann heftig sein in Avignon - und alle wollen raus, es dauert ewig, bis man durch das Nadelöhr des Ausgangs ins Freie gelangt - und draußen schüttet es.
Dieser Prinz von Homburg hat Stärken und Schwächen, aber er ist nicht ins Wasser gefallen. Trotz alledem.
Ulrich Fischer
Internet: www.festival-avignon.com
AVIGNON. Der Ehrenhof des Papstpalastes ist der prestigeträchtigste Spielort des Festivals d'Avignon. Es ist wunderbar, unter dem Firmament zu sitzen und erstklassige Inszenierung zu genießen - aber der Ehrenhof hat auch seine Tücken: Zwischen den hohen Wänden entstehen halte Böen und bei Regen wird der Ehrenhof zur Falle: zweitausend Zuschauer passen hinein, aber es gibt nur wenige, enge Ausgänge...
Deutsch ...
In diesem Jahr wurde Kleists „Prince de Homburg" gespielt, „Der Prinz von Homburg" auf Französisch. Das ist eine Erinnerung - kurz nachdem die Festspiele ins Leben gerufen wurden, setzte Gründervater Jean Vilar 1951 Kleists Meisterwerk auf den Spielplan und erntete Widerspruch. Das war ein Werk des Feindes, Deutschland, das war Nazi, SS und nicht Kultur, Theater. Jean Vilar, Sozialist, Internationalist wollte gerade gegen dieses Denken ankämpfen, der weltberühmte Volkstheatermann inszenierte für den Frieden und die Verständigung. Er spielte den Kurfürsten, seinen Prinzen verkörperte der junge Gérard Philipe - heute ist das eine legendäre Inszenierung.
Giorgio Barberio Corsetti inszenierte, ein erfahrener Regisseur aus Italien. Aber bevor Kleist das Wort bekam, nahmen es sich die Schauspieler.
Französisch
Das Ensemble stellte sich in einer Reihe an der Rampe auf und protestierte. Jeder nahm das Wort und griff die Arbeits- und Sozialpolitik der französischen Regierung an: Es geht um die Intermittants, die Theaterleute, die sich mit einem Zeitvertrag zufrieden geben müssen. Ihre soziale Absicherung soll verschlechtert werden - dagegen wenden sich die Künstler - und sie bekommen viel zustimmenden Applaus. Vor allem das Misstrauen schient groß, es ist davon die Rede, dass die Bürger die Nase voll hätten von falschen Versprechungen und von Lügen. Neben der Zustimmung gibt es auch Opposition - sie ist aber hörbar in der Minderheit. Der Geist von Avignon wird beschworen: Solidarität mit den Kollegen, Bereitschaft, für eine anständige soziale Absicherung das Wort zu ergreifen. Alle, auch die Gutbezahlten, die im Lichte stehen.
Der Himmel ist düster wie die Stimmung, es hatte schon kurz vor der Vorstellung geregnet, trotzdem waren alle Plätze belegt, als das die Aufführung begann. Kleist hatte sein Stück einer preußischen Prinzessin gewidmet - wir sehen eine Dame, die das Heftchen in Händen hält, die Widmung liest und dann achtlos wegwirft - soviel zum Kunstsinn der Hohenzollern.
Jetzt liegt das Büchlein auf der Bühne und die Schauspieler beschwören Kleists Geist, das Stück erwacht zum Leben. Nackte junge Männer steigen aus Gruben - der Prinz von Homburg träumt. Die Kameraden kleiden ihn an und der träumende Prinz erblickt einen Lorbeerkranz - das Zeichen des Sieges, des Siegers. Er streckt die Hand verlangend aus ...
Italienisch
Giorgio Barberio Corsetti erzählt die Geschichte übersichtlich und er hat eine Fülle von Ideen, die wichtigsten Aspekte herauszuarbeiten: Den Gegensatz vom Traum und von der Realität, den Gegensatz von oben und unten. Eine riesige Treppe, die der Große Kurfürst und seine Gemahlin emporsteigen, zeigt die Höhe des Machtunterschieds - ins Riesige vergrößerte Projektionen von Zeichnungen zeigen Totenköpfe mit leeren Augenhöhlen, sprechende Hinweise für die Angst vor dem Tod.
Die Schauspieler tragen Kostüme vom Ersten Weltkrieg - warum, wird nicht erkennbar, die Schlacht von Fehrbellin wurde im 17. Jahrhundert geschlagen. Das Französische klingt edel, ein gutes Medium für Kleists Sprache, der Dichter, der stotterte, soll flüssiger Französisch als Deutsch parliert haben - aber die Übersetzung funktioniert in anderer Hinsicht nicht: Xavier Gallais spielt den Prinzen von Homburg ganz in der lateinischen Tradition. Er übernimmt nicht nur das hohe und hohle Pathos des Staatstheaters, das wir in Deutschland ja Dank der Brechtschen Reformen weitgehend überwunden haben, er hat auch die ausladende Gestik eines Sizilianers. Das lädt Betrachter aus den Germanischen Urwäldern jenseits des Rheins doch zum Schmunzeln ein.
Europäisch
Während der Prinz mit einer Todesangst ringt, pfeifen die Böen, die in den Ehrenhof fallen, lauter, kühler. Die Damen frösteln. Je dramatischer es wird, desto häufiger donnert es - das Publikum lacht, weil es so wirkt, als solle/wolle der Donner das Schauspiel unterstützen, aber er ist echt - und echt sind auch die Blitze, die immer häufiger ein schweres Unwetter ankündigen.
Alte Avignon Veteranen bleiben sitzen, die Schauspieler müssen auch schon grinsen, wenn der Donner ihre Worte schluckt oder unterstreicht - und dann bricht der Regen los. Er kann heftig sein in Avignon - und alle wollen raus, es dauert ewig, bis man durch das Nadelöhr des Ausgangs ins Freie gelangt - und draußen schüttet es.
Dieser Prinz von Homburg hat Stärken und Schwächen, aber er ist nicht ins Wasser gefallen. Trotz alledem.
Ulrich Fischer
Internet: www.festival-avignon.com