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Zusammenstöße mit Robotern - ohne Verletzungsrisiko

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Teamwork von Mensch und Roboter lautet die Devise der Zukunft. Ein Knackpunkt: Der Roboter darf den Menschen dabei auf keinen Fall verletzen. Doch wo fängt eine Verletzung an? Dies untersuchen Forscher vom Fraunhofer IFF in einer weltweit einmaligen Studie - und legen damit die Basis dafür, dass Mensch und Roboter künftig Hand in Hand arbeiten können.

roboter
Proband bei der Stoßuntersuchung der Studie. Wieviel Kraft darf auf den menschlichen Körper wirken, bis ein blauer Fleck entsteht? Foto: Fraunhofer IFF

Wer kennt das nicht: Da passt man einmal kurz nicht auf und schon ist man gegen die Tischkante gestoßen. Zunächst tut es weh und ein wenig später breitet sich an der getroffenen Stelle ein blauer Fleck aus. Was beim Tisch oder anderen feststehenden Hindernissen in die Kategorie »Nicht schlimm, aber ärgerlich« fällt, bekommt eine gänzlich neue Dimension, wenn es sich bei dem Kollisionspartner um einen Roboter handelt. Denn während der Tisch unbeweglich an einer Stelle steht und der Zusammenprall somit gänzlich auf die Unaufmerksamkeit der Menschen zurückzuführen ist, so ist der Roboter ebenfalls in Bewegung. Kollidiert der Roboter jedoch mit einem Menschen, könnte dieser unter Umständen ernsthafte Verletzungen davontragen.

Ein untragbares Risiko, das auf jeden Fall vermieden werden muss. Andererseits gerät die Mensch-Roboter-Interaktion immer mehr in den Fokus der industriellen Produktion, vor allem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Denn künftig werden Fachkräfte Mangelware, die Belegschaft wird immer älter. Die Roboter sollen alternde Mitarbeiter körperlich entlasten und es ihnen so ermöglichen, ihre Arbeit bis ins hohe Alter hinein ausführen zu können. Der Mensch wird entlastet, kann sich stärker auf seine Arbeit konzentrieren und Wissen und Erfahrung besser mit einbringen. So können die Roboter etwa beim Schweißen schwere Teile festhalten und exakt positionieren. Das Ziel: Der Roboter übernimmt die schwere körperliche Arbeit, der Mensch liefert das Know-how, sein Fingerspitzengefühl und seine Erfahrung.

Erwünschtes Hand-in-Hand-Arbeiten oder drohende Gefahr?

Das Problem an der Sache: Der Roboter darf den Menschen nicht gefährden. Daher arbeiten die technischen Gehilfen momentan meist noch hinter Schutzzäunen und Absperrgittern. Zudem gibt es bereits Ansätze, mit Sicherheitssensoren den Arbeitsraum des Roboters zu überwachen. Kommt der Mensch in diesen Bereich - fasst er etwa mit der Hand hinein - stoppt der Roboter seine Bewegung sofort.

Allerdings gibt es auch Anwendungen, bei denen der Mensch bewusst physisch mit dem Roboter in Kontakt kommen soll. Also Anwendungen, bei denen Mensch und Roboter im wahrsten Sinne des Wortes Hand in Hand arbeiten. Doch wie soll der Roboter unterscheiden, ob der Kontakt des Menschen willentlich oder versehentlich ist und ob eine Verletzungsgefahr besteht? Der Roboter muss so programmiert sein, dass dem Menschen bei einem Zusammenstoß nichts passiert.

Doch wo genau liegt die Grenze zwischen einem harmlosen Zusammenstoß und einer Verletzung? Bis wann lassen sich Kollisionen als unbedenklich einstufen? Hier diskutieren die Experten momentan zwei Grenzen, sie sprechen dabei auch von Belastungsgrenzen. Ein Beispiel: Legt ein Arbeiter ein Bauteil in eine Übergabestation und nähert sich in diesem Moment der Roboter, darf der Mensch im Kollisionsfall nicht einmal einen leichten Schmerz verspüren.

Anders sieht es hingegen aus, wenn es sich um einen unvorhersehbaren Zusammenstoß handelt - der Mensch also fahrlässig handelt. Wie weit darf die Beanspruchung gehen, den ein Mensch bei einer solchen Kollision erfährt? Arbeitsschutzexperten, Roboterhersteller und die Anwenderindustrie sind sich einig: Es dürfen maximal Bagatellverletzungen auftreten. Keinesfalls darf der Mensch Schürfwunden oder gar blutende Wunden oder Knochenbrüche davontragen.

Kleine Stöße sorgen für große Erkenntnisse

Wie viel Kraft es bei einem Stoß braucht, um einen blauen Fleck zu erzeugen, und ab wann der Mensch eine größere Verletzung davon tragen würde, konnte bislang niemand genau sagen - es gibt keine umfangreichen Studien zu diesem Thema. Die Forscher am Fraunhofer IFF füllen diese Lücke nun und betreten gänzlich unerforschtes Terrain: In ihrer Studie untersuchen sie systematisch, ab welchen Belastungen blaue Flecken entstehen oder Schmerzen auftreten, die Menschen als unangenehm empfinden. Sollen Mensch und Roboter künftig Hand in Hand arbeiten, ist dieses Wissen unabdingbar.

Die Vorgehensweise in der Studie: Die For­scher beschweren ein Pendel mit verschiedenen Gewichten, lenken es aus und lassen es gegen verschiedene Körperstellen der Studienteilnehmer stoßen. Künftig wollen sie den ganzen Körper abdecken. Mit welchem Druck das Pendel gegen die Haut prallt, misst eine spezielle Folie an der Stoßseite des Pen­dels. Ein Kraftsensor, der sich ebenfalls an der Stoßseite befindet, ermittelt den Kontaktkraftverlauf. Die Forscher können somit alle relevanten Messgrößen wie Kraft, Druckverteilung, Aufprallgeschwindigkeit sowie Impuls und Energie ermitteln.

Die zuständige Ethik-Kommission der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hat ihr zustimmendes Votum für die Untersuchung erteilt. Darüber hinaus werden die Versuche von Ärzten begleitet.

Wie schmerzhaft war der Zusammenstoß mit dem Pendel auf einer fünfstufigen Skala? Sechs Stunden nach jeder Versuchsreihe - also nachdem jeder der untersuchten Körperteile einmal mit dem Pendel beaufschlagt wurde - werden die entsprechenden Hautstellen hinsichtlich Schwellung oder Hämatom untersucht. Nun folgt eine einwöchige Pause, bevor die Forscher den Teilnehmer erneut mit dem Pendel beaufschlagen. Das Pendel hat dieses Mal jedoch ein größeres Gewicht oder eine höhere Geschwindigkeit. Dabei können die Forscher verschiedene Massen und Geschwindigkeiten für das Pendel einstellen. Die Massen hängen sie jeweils unten an das Pendel, die Geschwindigkeiten können sie über die Auslenkung des Pendels variieren. Die Untersuchungen sind beendet, sobald eine Schwellung beziehungsweise ein blauer Fleck auftritt oder der Patient die Schmerzstufe fünf erreicht hat.

»Doch wo genau liegt die Grenze zwischen einem harmlosen Zusammenstoß und einer Verletzung? Bis wann lassen sich Kollisionen als unbedenklich einstufen?«


Sechs Probanden bereits in der Vor-Phase

In einer Pilotphase haben die Wissenschaftler zunächst die Messtechnik entwickelt und die Methodik verfeinert - gemeinsam mit Medizinern. Mittlerweile produzieren sie in der Vor-Phase bereits die ersten Ergebnisse. Im Alltag heißt das: Sie untersuchen momentan sechs Teilnehmer, weitere sollen folgen. Anschließend schätzen die Forscher ab, wie viele Studienteilnehmer nötig sind, um ein repräsentatives Ergebnis zu erhalten. Finanziell unterstützt wird die Studie von dem Roboterhersteller KUKA und dem Automobilbauer Daimler.

Schon jetzt hat die Studie weltweit höchste Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sei es
in Normenkreisen, bei den Roboterherstellern, der Anwenderindustrie oder in der Forschung. Denn in dieser Studie untersuchen und beschreiben die Forscher erstmalig systematisch mit Probanden, wo die Belastungsgrenzen bei Kollisionen von Robotern mit Menschen liegen. Die Ergebnisse sollen in die weltweit gültige Norm einfließen und endlich »Licht« in bisher offene Fragen bringen: Wo liegt die maximal zulässige Belastung, wenn ein Roboter mit einem Menschen zusammenstößt? Bei dem weltweit führenden Roboterkongress ICRA in Hongkong werden die Wissenschaftler des Fraunhofer IFF im Juni 2014 erste Ergebnisse vorstellen.

Auch die Justiz profitiert von der Studie

Die Ergebnisse der Studie haben einen großen gesellschaftlichen Nutzen, und das nicht nur, was die Robotik angeht. So beispielsweise bei der Kriminalpolizei und der Rechtsmedizin: Kommen Gewaltopfer zu den Beamten und sind die Unterblutungen schlecht zu sehen, lässt sich meist kaum feststellen, wie intensiv die Gewalteinwirkung war. Opfern wie Beamten wäre sehr geholfen, wenn die Rechtsmediziner hier auf entsprechende Untersuchungen zurückgreifen könnten. Und so ist das Institut für Rechtsmedizin der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg einer der Partner bei der Studie, neben der Klinik für Dermatologie und der Klinik für Unfallchirurgie und dem Institut für Neuroradiologie des Uniklinikums in Magdeburg.

Auch im Consumerbereich könnte die Studie von erheblichem Wert sein. Denn in vielen Haushalten gehören Roboter zum Alltag: Sie saugen, wischen die Böden oder mähen den Rasen. In Zukunft dürften die Roboter noch weit mehr Aufgaben im Haushalt übernehmen. Und auch dies ist natürlich nur dann möglich, wenn die Menschen vor Verletzungen bei Zusammenstößen mit den Robotern sicher geschützt sind. Es gibt noch viel zu tun.

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