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Dynaxity bis zum Kollaps - Warum die Welt im Stress untergeht

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»Dynaxity« wird die Wechselwirkung von Komplexität und Dynamik genannt. Beides scheint exponentiell zuzunehmen. Aber diese Kurve kann nicht unendlich ansteigen. Wir sind bereits am Anschlag unserer Belastungsfähigkeit. Es sieht ganz so aus, als könnten wir es uns aussuchen: Kapitulieren wir oder kollabieren wir? ... Oder gibt es vielleicht doch noch eine dritte Lösung?

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Viele Menschen wollen aus ihrem Hamsterrad aussteigen. Aber sie tun es nicht. Sie reden nur davon und strampeln weiter. Das ist der Ich-bin-dann-mal-weg-Effekt: Wenn die Angst vor den Folgen zu groß ist und der zu entrichtende Preis zu abschreckend erscheint, dann ziehen die Menschen nicht aus der stressigen Stadt fort, sondern lesen lieber die Zeitschrift Landlust (Auflage: über 800.000 Exemplare). Und dann wandern sie nicht selbst nach Santiago de Compostela, um den Kopf freizubekommen, sondern lesen Hape Kerkeling (Auflage: über 4 Millionen Exemplare). Wenn ich mich fürchte, selbst konsequent, sinnvoll und selbstbestimmt zu leben, na, dann schneide ich mir eine Scheibe vom konsequenten, sinnvollen und selbstbestimmten Leben einiger Vorbilder ab - damit schöpfe ich genug Kraft, um morgen wieder weiterzustrampeln ...

Irgendwann begann die Wirtschaft das Leben zu takten. Natürlich, viel gearbeitet wurde schon immer. Aber es änderte sich plötzlich der Charakter der Arbeit: Die tägliche »freie« Zeit, die für einen Menschen noch unverplant zu gestalten war, reduzierte sich plötzlich und wurde abgelöst von immer mehr Terminen.

Termine? Immer mehr Verabredungen mit anderen Menschen, um Informationen auszutauschen. Und zwar wirtschaftlich relevante Informationen, die mittelbar oder unmittelbar den Austausch von Waren betreffen: Wann wird gehandelt? Wie viel wird gehandelt? Zu welchem Preis kann gehandelt werden? Wer kauft was und welche Mengen und welche Qualität? Kunden werden getroffen. Mit Lieferanten wird verhandelt. Mit Geschäftspartnern wird konferiert.

Termine bedeuten, dass der Mensch zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu sein hat. Seine Anwesenheit ist festgelegt, er muss sich dem fügen - oder den fälligen Preis bezahlen: Wichtige Informationen fehlen, die Beziehung zum Geschäftspartner leidet, ein Geschäft geht möglicherweise verloren. Mittels Terminen bekommt die Uhr Macht über die Menschen. Ja, natürlich, die Termine werden vom Menschen selbst gemacht. Aber sobald die Zeit verplant ist, und andere Menschen per Verabredungen darin involviert sind, ist die Freiheit für diesen bestimmten, festgelegten Zeitraum dahin. Die Entscheidung über die Verwendung dieses Stück Lebens ist getroffen. Termine verändern das Leben!

Wann ist diese Veränderung der Welt im großen Stil passiert?
Die Rede ist nicht von der Ökonomisierung des Lebens durch die Vorherrschaft des internationalen Finanzwesens, gemeint ist nicht Wall Street und die Herrschaft des Geldes. Ich meine auch nicht die Industrialisierung und die Umwälzungen des damals neuen Konzepts der Fabrik. Nein, ich meine etwas viel Älteres: Die Zeit, in der die Wirtschaft begann das Leben zu takten, ist zehntausend Jahre her.

Als in den von der Natur begünstigten, durch neue Bewässerungstechniken beförderten und darum landwirtschaftlich für damalige Verhältnisse extrem erfolgreichen Gegenden in Kleinasien die Überschüsse der bäuerlichen Gesellschaft immer größer wurden, bekamen die Menschen die Gelegenheit, sich Gedanken über die Verwendung von zwei Dingen zu machen: Erstens die erzeugten Waren - wie könnte man jetzt, da man deutlich mehr produzieren konnte, als man zum Überleben brauchte, diese Waren möglichst gewinnbringend eintauschen? Zweitens die Zeit - wie könnte man jetzt, da man nicht mehr rund um die Uhr für das unmittelbare eigene Überleben arbeiten musste, diese neue »freie« Zeit möglichst gewinnbringend einsetzen (zum Beispiel, indem man Waren möglichst gewinnbringend eintauscht)?

Um beides zu optimieren, begannen die Menschen, sich in größeren Ansiedlungen zusammenzufinden, die über die gesellschaftliche Organisation von Dörfern weit hinausging. Hier konnte man sich schneller treffen und sich besser zu geschäftlichen Terminen verabreden. Hier konnte man sich arbeitsteilig vernetzen, sich spezialisieren, sich koordinieren. Die ersten Städte entstanden. Der Marktplatz war das wahre Zentrum der Stadt, der Handel von Waren der Anlass und die Voraussetzung, dass überhaupt auf so engem Raum eine Zahl von tausenden von Einwohnern zusammenleben konnte. Das war ein Wendepunkt für die Menschheit.

Das Leben bestimmten fortan nicht mehr die naturgegebenen Zeitpunkte, die den Zeitpunkt des Aufstehens am Morgen oder des Zubettgehens am Abend, den Beginn der Aussaat, den Start der Ernte, die Zeiten der Fütterung des Viehs oder des Melkens oder des Schlachtens markierten. Stattdessen machten die Menschen miteinander Termine. Und wirtschaftlich erfolgreich waren diejenigen, die in der Lage waren, mehr Informationen in kürzerer Zeit aufzunehmen und darauf adäquat zu reagieren. Wer also mehr Termine schaffte und deren Einhaltung besser im Griff hatte, war klar im Vorteil. Zeitmanagement, frisch geschlüpft!

Wir können wohl mit einiger Logik davon ausgehen, dass das neue Denken in Terminen und Geschäftsabschlüssen und der zunehmende Informationsaustausch unter den Menschen damals zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit eine sprunghafte Zunahme der Komplexität und der Geschwindigkeit des Lebens verursachte. Um einen sehr aktuellen Terminus aufzugreifen: Die Dynaxity, also die Kombination aus Dynamik und Komplexität des Lebens, nahm stark zu.

Seit die Größe der Städte zunimmt, nimmt auch die Dynaxity in den Städten immer weiter zu. Seit Tausenden Jahren befinden wir uns auf einem Beschleunigungstrip. Denn an der ständigen Zunahme von Informationsmengen, Vernetzungsgraden und Verarbeitungsgeschwindigkeiten hat sich bis heute nichts geändert. So wie damals gilt auch heute noch, dass die Geschwindigkeit und die Komplexität des Lebens zunimmt, je größer die Anzahl der Menschen ist, die auf engem Raum zusammenlebt. Und in letzter Zeit dreht sich das Rad offenbar immer schneller!


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Seiwert, Lothar: Ausgetickt. Lieber selbstbestimmt als fremdgesteuert (Trainerbuch des Jahres in Gold). 2. Aufl. München: Ariston 2011, 349 Seiten, ISBN 978-3-424-20058-4, 19,99 Euro 



Über den Autor
Prof. Dr. Lothar Seiwert, CSP (Certified Speaking Professional) und CSPGlobal, ist seit über 30 Jahren Europas führender Experte für Zeit- und Lebensmanagement. Millionen Menschen weltweit haben ihn in seinen Vorträgen erlebt und sind durch seine Bestseller dazu inspiriert worden, sich auf das Wesentliche zu „fokus"-sieren. Weitere Informationen unter www.Lothar-Seiwert.de

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