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Verzweifelter Kampf gegen die Deflation - oder die Kreditklemme?

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Die Europäische Zentralbank (EZB) hat eine weitere Senkung des Leitzinses im Euro-Raum beschlossen. Zuletzt hatte die Notenbank den Zins für die Liquiditätsbereitstellung an die Geschäftsbanken im November 2013 von 0,5 auf 0,25 % gesenkt. Jetzt folgte ein weiterer, wenn auch kleinerer Schnitt auf 0,15 %. Die Zentralbank verfolgt dabei grundsätzlich immer das Ziel, durch niedrigere Zinsen die Kreditvergabe der Geschäftsbanken zu verbilligen und auszuweiten sowie dadurch die gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit zu stimulieren. Insofern ist der Schritt eher dem Kampf gegen die Kreditklemme in den südlichen EU-Staaten zuzurechnen als dem Kampf gegen die Deflation.

Insgesamt gilt es, die gesamtwirtschaftliche Aktivität zu steigern und dadurch die Inflationsrate, die bei der derzeit nur geringen konjunkturellen Dynamik sehr schwach ist, zurück in Richtung ihres Zielwerts zu bringen. Diese Inflationssteuerung ist für die Zentralbank das wichtigste Instrument, um die Inflationserwartungen und damit die mittel- bis langfristige Preisniveauentwicklung zu steuern und so zu gesamtwirtschaftlicher Stabilität und Wachstum beizutragen.

Allerdings hat der Präsident der EZB Mario Draghi bereits im letzten Jahr mehr oder weniger offen eingeräumt, dass er das konjunkturelle Belebungspotenzial weiterer allgemeiner Leitzinssenkungen im Euro-Raum eher als begrenzt ansieht. Zu unterschiedlich seien die Herausforderungen in Gesamtwirtschaft, Wirtschaftspolitik und Bankensektor in den einzelnen Mitgliedsländern der Währungsunion, als dass ein einziger Zinssatz flächendeckend Abhilfe schaffen könne. Daher wurde bereits im Vorfeld der heutigen Sitzung des EZB-Rats viel darüber diskutiert, ob der „gewöhnliche" Zinsschritt nicht auch durch unkonventionelle Maßnahmen seitens der Zentralbank flankiert werden muss, damit sich die gewünschte gesamtwirtschaftliche Wirkung einstellt. Die EZB hat sich heute - mit Blick auf die Tragweite der zu bewältigenden Probleme - wie von der Mehrzahl der Beobachter erwartet auch tatsächlich hierfür entschieden.

Die erste dieser heute beschlossenen „speziellen" Maßnahmen ist ein negativer Einlagenzins für Geschäftsbanken bei der EZB in Höhe von -0,1 %. Diesen Zinssatz gewährt die EZB den Geschäftsbanken üblicherweise für kurzfristige Einlagen, die die Banken bei der EZB (meist über Nacht) parken. Ein negativer Zins auf diese Einlagen bedeutet nun, dass die Banken bis auf Weiteres keinen Zins mehr für Einlagen bei der EZB erhalten (das war beim bisherigen Satz von 0 % auch schon so), sondern im Gegenteil Zinszahlungen an die EZB leisten müssen (das ist das Neue und Unkonventionelle).

Damit möchte die EZB ihr kurzfristiges Parkkonto für Geschäftsbanken noch unattraktiver machen und die Geschäftsbanken so dazu bewegen, die von der EZB bereitgestellte Liquidität zur Kreditvergabe zu nutzen und den Wirtschaftskreislauf in der Euro-Zone damit anzukurbeln. Die Chancen für einen Erfolg dieses Unterfangens dürften nicht allzu gut stehen. Schon jetzt verzichten die Banken - vor allem in der südlichen Euro-Peripherie - ja nicht auf die Kreditvergabe, weil die Einlagekonditionen der EZB so attraktiv wären. Vielmehr erscheint den Banken die Kreditvergabe unter Risikoaspekten sehr unattraktiv - daran ändert auch ein negativer Einlagenzins der EZB nichts.

Das sieht der EZB-Rat selbst offenbar ähnlich und hat sich darüber hinaus dazu entschlossen, weitere, nicht mit dem Leitzins verbundene unkonventionelle Maßnahmen der Geldpolitik in die Wege zu leiten. Die europäische Notenbank wird daher in Zukunft eine zusätzliche Liquiditätsversorgung für Banken in den Peripheriestaaten der Währungsunion bereitstellen, die sogenannten „Targeted Longer-Term Financial Operations". Die Bedingung hierfür ist, dass diese Liquidität durch die Geschäftsbanken an Unternehmen als Kredit ausgereicht wird. Damit soll die Wirtschaftsleistung in den südlichen Peripheriestaaten der Euro-Zone unmittelbarer als zuvor angekurbelt werden. Die EZB will so das Phänomen aushebeln, dass vor allem Peripheriebanken die über die bisherigen Liquiditätsgeschäfte bereitgestellten Mittel zumeist unmittelbar wieder bei der Zentralbank angelegt haben. Sowohl die Liquiditätsausweitung als auch die Zinssenkungen sind daher in der Vergangenheit im Wesentlichen verpufft. Dies soll sich durch die heute beschlossenen Maßnahmen (endlich) ändern.

Was bringt die EZB aber überhaupt dazu, nach 2012 nun erneut derart schwere Geschütze aufzufahren? Der Grund sind die niedrigen Inflationsraten, die sich in der Euro-Zone (hier ebenfalls wieder besonders in der südlichen Peripherie) schon seit einigen Monaten beobachten lassen. Die große Befürchtung hierbei ist nicht unbedingt das aktuelle Niveau der Inflationsraten, sondern vielmehr die Möglichkeit eines weiteren Absackens und vor allem eines sich verfestigenden Umfelds sehr niedriger Inflationsraten.

Dies hätte zum einen zusätzlich dämpfende Effekte auf die ohnehin schon schwache gesamtwirtschaftliche Dynamik. Zum anderen könnte die EZB hiergegen angesichts des fast schon ausgereizten Instrumentariums kaum noch Maßnahmen ergreifen. Die EZB hebt mit den heutigen Maßnahmen also ihren Kampf gegen die Deflation bereits jetzt auf eine neue Ebene. Wenn man allerdings genau hinschaut und sich die Art der beschlossenen Maßnahmen noch einmal vergegenwärtigt, fällt der Fokus der EZB nicht so sehr auf die Deflation als vielmehr auf die massive Kreditklemme in den südlichen Peripherieländern der Euro-Zone. Die niedrigen Inflationsraten dort sind in erster Linie der Anpassungsrezession im Zusammenhang mit der Krise der Euro-Zone geschuldet und insofern vorübergehender Natur. Werden sie aber durch die vorherrschende Kreditklemme immer weiter verstärkt, würde in der Tat ein Deflationsproblem drohen. Dem möchte der EZB-Rat vorbeugen.

So sehr das vorausschauende Handeln der EZB auch berechtigt sein mag, es ist wie schon vergangene geldpolitische Maßnahmen mit erheblichen Risiken verbunden. Da wäre zum einen die inzwischen wenig hochwertige Zusammenstellung der Sicherheiten, die die EZB für ihre Liquiditätsprogramme von den Geschäftsbanken akzeptiert. Zum anderen ist mit dem Negativzins nun ein Instrument gewählt, dessen mögliche Auswirkungen noch nicht einmal theoretisch erschöpfend diskutiert sind. Hinzu kommt: Eine strukturelle Lösung der Probleme der Euro-Zone ist über die EZB und ihre Politikinstrumente nicht möglich. Hierfür sind Strukturreformen in den betreffenden Ländern des gemeinsamen Währungsraums nötig. Das Unangenehme ist nur: Diese Strukturreformen werden weniger dringlich, je mehr die EZB mit ihrer Politik eingreift. Die Euro-Krise bleibt eine fundamentale - und die EZB hat zwar kräftige, aber eben nur symptombekämpfende Instrumente. Eine wirkliche Lösung der wirtschaftlichen Probleme wird also auch der heutige, geldpolitisch durchaus historische, Tag nicht bringen.

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