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Die Distel im Hals ist die Hoffnung der Zukunft

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Herausragende Saisonabschlussinszenierung des Intendanten Stefan Bachmann im Schauspiel Köln mit einem bis in die letzte Rolle großartig besetzten und agierenden Schauspielensemble in ,Habe die Ehre' des Exilsyrers Ibrahim Amir, einer irrwitzigen Kommödie über das ernste Thema Ehrenmord, das in feinsinnigen Rhythmuswechseln eine eigentlich furchtbare Höllengeschichte in einer Parallellgesellschaft erzählt.


Wobei vor allem ganz ganz große Schauspielkunst zu bewundern ist, die klug das Ergebnis des Kölner Hausregie- und Ensembleübergreifungskonzept vorführt, nicht nur Neugier auf die nächste Spielzeit macht, sondern mit den namenlosen Familienfunktionsträgern das ,furchtbare' Kommödienkonzept zum Welttheater in einem Wohncontainer ausweitet, wobei das in den großen depothallen beinahe winzig wirkende Bühnenbild im Container auf Stelzen nicht nur in seiner kleinen Großartigkeit den Regisseur Stefan Bachmann im selbstironischen Gegenentwurf zu seinen gewaltigen Bilderfluten aus STREIK, GENESIS und KAUFMANN sondern auch im Kontrast zum geistesverwandten Theaterabend von Karin Baier ,Die Schmutzigen, Hässlichen und Gemeinen' eine ebenfalls permanent präsente Gewalt in ironischer Weißhygiene aufzeigt, die ebenfalls permanent zu entgleisen droht, bei der man sich eigentlich nur wundert, dass die Gewalt nicht Ströme von Blut und Berge von Dreck produziert, und eben nicht diese Überwältigungswucht im Theater der alten Intendantin nötig hat, um etwas zu leisten, was nicht das Ding von Karin Baier war, mit kleinen feinen Mitteln kleine feine und gleichzeitig so menschelnd großartige Geschichten, endlich wieder Theatergeschichten zu erzählen, nach all den bemühten Kunstanstrengungen der letzten Jahre, leider zum Teil auch im OFF-Bereich.

Hier besitzt das Stück des noch relativ jungen und ebenso wie Regisseur und Kreativteam vom Premierenpublikum begeistert gefeierten Autors Ibrahim Amir auch seine Stärken, macht sinnlich erfahrbar das babylonische Sprachproblem von Multikulti, das Parallellgesellschaften ausbildet, so wie ich es in keiner Kunstsprache der letzten Jahrzehnte außer vielleicht bei Werner Schwaab ausgebildet gefunden habe. Wo anderweitig in der Gegenwartsdramatik die Kunst und die Metapher zu überbordend betont werden, erscheint der Abend fast spielerisch leicht in diesem Text und ungeheuer theatertauglich in beinahe klassisch wirkender Aristoteles-Dramaturgie in einem raffinierten Bühnenbild von Thomas Garvie, grellweiß ausgeleuchtet von Michael Frank und sehr pointiert schlicht pragmatischen Kostümen von Birgit Bungum, die eine überaus pragmatische Figurentypisierung vorgeben. (Prima Programmheft und Dramaturgie: Sybille Dudek, wie eigentlich immer in dieser Spielzeit im und vom kompletten Dramturgieteam).

Und so geht man als lachender Zuschauer über diese stilisierten Figuren, die scheinbar auch aus einer Nachmittagsrealitysoap entsprungen sein könnten, eigentlich Regisseur und Autor auf den Leim und in die Voyeurfalle in diesem Containerkasperletheater der irrwitzigen Dialoge und Gesten. Nein so sind wir doch nicht. Doch so sind wir auch und sei es nur darin, dass wir uns nicht gemein mit diesen Goldkettchenträgern finden, denen der Autor und die Geschichte wenn auch nicht unbedingt die große Erkenntnis, zumindest die Hoffnung auf veränderbare Zukunft lassen oder sagen wir besser einem Teil von ihnen.

In einem herausragend agierenden Ensemble voller Spielfreude wie schon die ganze Spielzeit nicht nur in den Inszenierungen von Stefan Bachmann möchte ich besonders die unglaubliche Sabine Orleans hervorheben, die an diesem Abend zeigt, dass eine eher bei erster Stücklektüre nebensächlich wirkende Rolle wie die Mutter zum tragenden roten Faden des Abends wird. Das ist ganz ganz große Schauspielkunst an einem vielleicht im Lauf der Spielzeit am lautesten von einem ja sonst durchaus kritischen Premierenpublikum gefeierten Abend. Preiswürdig die Inszenierung, preiswürdig das Stück und preiswürdig eigentlich jeder Darsteller, aber stellvertretend von mir vorgeschlagen, Sabine Orleans. Und da zumindest in einigen lokalen Kulturmedien gerne übersehen wird, wie politisch auch jede erzählte Geschichte sein kann, schlage ich jenseits des Hypes um angeblich so politische junge Theatermacher der Stadt Stück und Inszenierung für den Kurt Hackenberg Preis vor, bei dem sich der ansonsten die eigene Herrlichkeit feiernde Kölner Theaterpreis der primär den Interessen einer lokalen Sparkasse dient, in dieser Kategorie scheinbar großzügig dem Stadttheater öffnet um es meistens erfolgreich zu ignorieren....

In einer weiteren Analyse von Abend und Inszenierung soll ein kleiner Rückblick auf April und Mai im Kölner Schauspielhaus im Carlswerk und ein Ausblick auf die kommende Spielzeit geleistet werden. Fest steht, dass das Kölner Publikum sein Ensemble in Mühlheim nicht nur angenommen hat, sondern auch liebt, viele junge Zuschauer gewonnen werden konnten und diese neuen Spielstätten, die sich auch Künstler und Schauspieler erst erobern mußten, eine ganz große Bereicherung für Stadt und Publikum darstellen, bleibt alleine zu wünschen, dass die Highlights des Juni (darüber später) das positive Bild dieser ersten Spielzeit abrunden und in der nächsten Spielzeit die Lust der Medien und Jornalisten wächst, nicht mehr zu vergleichen, sondern sich zu konzentrieren und einzulassen und weniger schön zu formulieren, dafür aber ihre Leser und Zuschauer vielleicht besser zu informieren, so dass das zu Unrecht noch ein wenig angekratzte überregionale Renomee weiter wächst und gewagte Abende, die vielleicht nicht nur Sitzfleisch sondern auch Zuschauarbeit bedeuten, weiter bleiben und die große und inhaltlich hochspannende Themenvielfalt in dem bislang beschrittenen Rahmen mit einem nach der ersten Spielzeit erfreulicherweise bis auf Julischka Eichel (und den weiter kranken Peter Kern) fast komplett zusammen weiteragierendem Ensemble und ebenso weiterarbeitenden Hausregisseuren fortbestehen und sich in der Zukunft entsprechend vielversprechend weiterentwickeln kann. Wie sagte ein junger Schauspieler aus der Off-Szene diese Woche zu mir: das Tolle im Theater ist, dass es nie aufhört, sich fortzuentwickeln, jenseits des Selbstoptimierungsterrors der Gegenwart, aber immer weiter in einem Prozess des Probierens und Ausprobierens der Welt und des Theaters.....

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