Das mittlerweile gestürzte Regime des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch hat versucht, dessen Erzrivalin Julia Timoschenko zu demütigen, zu vernichten. Man hat die Politikerin der Vaterlandspartei nach einem international kritisierten Prozess ins Gefängnis gesteckt - in der Hoffnung, sie aus dem Weg zu schaffen.
Das ist nicht gelungen. Nur Stunden nach ihrer Freilassung war am Samstag auf dem Maidan eine Frau zu sehen, deren Charisma und Kampfeswillen ungebrochen scheint. Es ist ein Sieg für die Gerechtigkeit.
Trotzdem würden sich für die Ukraine neue Probleme ergeben, wenn Julia Timoschenko am 25. Mai bei den Präsidentenwahlen gewönne.
1. Timoschenko ist kein Neuanfang
Viele Menschen, die auf dem Maidan gegen die Regierung protestierten, wünschten sich nicht nur eine Ende des Systems Janukowitsch, sondern einen politischen Neuanfang. Die heute 53-jährige Timoschenko allerdings war bereits Regierungschefin, einige Monate lang im Jahr 2005 und dann von Ende 2007 bis Anfang 2010. Natürlich kann sie davon profitieren, sie hat Erfahrung und Kontakte – allerdings nimmt sie auch all die Altlasten aus jener Zeit mit.
Im Establishment hat Timoschenko alte Feinde aus dem Janukowitsch-Lager, darunter jene, die sie hinter Gittern brachten. 2011 wurde Timoschenko wegen Amtsmissbrauchs verurteilt, weil sie angeblich einen Gas-Deal mit Russland zum Nachteil der Ukraine abgeschlossen hatte. Außerdem liefen noch andere Verfahren gegen sie, wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung und angeblichen Auftragsmordes 1996.
Unabhängig davon, ob an diesen Vorwürfen irgendetwas dran ist: Es ist unwahrscheinlich, dass all die alten Strippenzieher aus Politik und Justiz sofort ausgetauscht werden können. Natürlich ist es auch unwahrscheinlich, dass jene alten Seilschaften einem anderen neuen Präsidenten wohlgesonnen sein werden. Aber bei Timoschenko dürfte der Hass noch größer sein, weil sie zum Symbol geworden war, zur Rivalin im Janukowitsch-Lager und zu einer Art Märtyrerin im Westen. Und das würde einen Neuanfang umso schwerer machen mit Timoschenko.
2. Timoschenko polarisiert die Bevölkerung
Die Ukraine stand zeitweise am Rand einer Spaltung. Der Osten war skeptisch gegenüber den Alternativen zu Janukowitsch. Umso wichtiger wird es sein, dass der neue Präsident oder die neue Präsidentin versöhnend, vereinend wirkt.
Julia Timoschenko allerdings polarisiert. Einerseits wegen ihrer bisherigen politischen Karriere. Sie war Anführerin der Orangen Revolution von 2004 und zerstritt sich sogar mit ihrem Mitstreiter Viktor Juschtschenko, bis die Oppositionsregierung letztlich zerbrach. Außerdem, so erklärt Evgeniya Bakalova von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), sei die Bevölkerung weitgehend von Timoschenko enttäuscht, weil sie in den sechs Jahren, die sie insgesamt an der Macht war, in der Ukraine wenig verändert habe.
Und beim jetzigen Umsturz schickte Timoschenko erst aus der Haft heraus Botschaften, die keinerlei Kompromissbereitschaft erkennen ließen, dann rief sie auf dem Maidan dazu auf, Janukowitsch bis zuletzt zu bekämpfen. Angesichts der Grausamkeit gegen die Demonstranten sieht sie auch keinen Weg zur Versöhnung: "Scharfschützen haben in unser Herz geschossen. Die Kugeln werden wir dort behalten, für immer“, sagte sie.
Andererseits spaltet Timoschenkos wirtschaftliche Vergangenheit die Menschen. Nach dem Ende der Sowjetunion 1991 avancierte sie zur „Gasprinzessin“, steht im Ruf, mit Oligarchen zusammengearbeitet zu haben. Kritiker werfen ihr in diesem Zusammenhang vor, es sei beim Aufbau ihres Vermögens nicht alles mit rechten Dingen zugegangen.
3. Timoschenko ist gesundheitlich angeschlagen
Die Ukraine jetzt zu führen, ist eine Herkules-Aufgabe, die nicht nur politisches und diplomatisches Geschick erfordert, sondern auch körperlich extrem anstrengend sein dürfte. Julia Timoschenko leidet unter den Folgen eines Bandscheibenvorfalls, der trotz internationalen Drucks während der Haft nicht so behandelt werden durfte, wie er sollte. In der Ukraine kursiert bereits ein nicht ganz freundlicher offener Brief, in dem Timoschenko gebeten wird, doch eine lange Kur in Anspruch zu nehmen. Zudem kursierten am Mittwoch Berichte, wonach die Kandidatur wegen der geplanten Behandlung in Deutschland doch nicht sicher sei.
Die Krankheit macht es Timoschenko, der Frau mit dem eisernen Willen, sicher nicht unmöglich, zu regieren. Aber leichter macht es die Sache eben auch nicht.
4. Timoschenko könnte ihr Lager Stimmen kosten
Bislang haben nur Timoschenko und der ehemalige Box-Weltmeister Vitali Klitschko von der Udar-Partei ("Schlag") ihre Kandidatur bekannt gegeben.
Für die Beziehungen zu Russland könnte Timoschenko die bessere Wahl sein. Expertin Bakalova vermutet, dass Timoschenko für Russland „das kleinste Übel“ wäre – auch wenn es derzeit keine offiziellen Stellungnahmen gibt und Russland die nun gestürzte Regierung favorisierte. „Als Timoschenko Regierungschefin war, hat sie mit Russland gut zusammengearbeitet“, sagt Bakalova. Im Fall eines Wahlsiegs Timoschenkos „lässt sich von der russischen Seite eine pragmatische Politik gegenüber Ukraine erwarten".
Allerdings könnten sich Klitschko, dessen Chancen derzeit sehr unterschiedlich eingeschätzt werden, und Timoschenko sich gegenseitig schaden: „Derzeit erscheint zumindest denkbar, dass Julia Timoschenko und Vitali Klitschko die gleiche Klientel ansprechen werden und sich so gegenseitig Stimmen kosten könnten“, sagt Bakalova.
Noch ist also alles offen in Sachen Präsidentenwahl. Möglicherweise wird aber schon am morgigen Donnerstag eine Entscheidung fallen, die die Ukrainer in ihrer Entscheidung beeinflusst: Da soll nämlich der Regierungschef gewählt werden.
"Sollten der Regierungschef und der Präsident der gleichen Partei angehören, könnte das weitere Unruhe schüren – weil dies das fragile, aber notwendige politische Gleichgewicht stören könnte“, sagt Bakalova.
Das ist nicht gelungen. Nur Stunden nach ihrer Freilassung war am Samstag auf dem Maidan eine Frau zu sehen, deren Charisma und Kampfeswillen ungebrochen scheint. Es ist ein Sieg für die Gerechtigkeit.
Trotzdem würden sich für die Ukraine neue Probleme ergeben, wenn Julia Timoschenko am 25. Mai bei den Präsidentenwahlen gewönne.
1. Timoschenko ist kein Neuanfang
Viele Menschen, die auf dem Maidan gegen die Regierung protestierten, wünschten sich nicht nur eine Ende des Systems Janukowitsch, sondern einen politischen Neuanfang. Die heute 53-jährige Timoschenko allerdings war bereits Regierungschefin, einige Monate lang im Jahr 2005 und dann von Ende 2007 bis Anfang 2010. Natürlich kann sie davon profitieren, sie hat Erfahrung und Kontakte – allerdings nimmt sie auch all die Altlasten aus jener Zeit mit.
Im Establishment hat Timoschenko alte Feinde aus dem Janukowitsch-Lager, darunter jene, die sie hinter Gittern brachten. 2011 wurde Timoschenko wegen Amtsmissbrauchs verurteilt, weil sie angeblich einen Gas-Deal mit Russland zum Nachteil der Ukraine abgeschlossen hatte. Außerdem liefen noch andere Verfahren gegen sie, wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung und angeblichen Auftragsmordes 1996.
Unabhängig davon, ob an diesen Vorwürfen irgendetwas dran ist: Es ist unwahrscheinlich, dass all die alten Strippenzieher aus Politik und Justiz sofort ausgetauscht werden können. Natürlich ist es auch unwahrscheinlich, dass jene alten Seilschaften einem anderen neuen Präsidenten wohlgesonnen sein werden. Aber bei Timoschenko dürfte der Hass noch größer sein, weil sie zum Symbol geworden war, zur Rivalin im Janukowitsch-Lager und zu einer Art Märtyrerin im Westen. Und das würde einen Neuanfang umso schwerer machen mit Timoschenko.
2. Timoschenko polarisiert die Bevölkerung
Die Ukraine stand zeitweise am Rand einer Spaltung. Der Osten war skeptisch gegenüber den Alternativen zu Janukowitsch. Umso wichtiger wird es sein, dass der neue Präsident oder die neue Präsidentin versöhnend, vereinend wirkt.
Julia Timoschenko allerdings polarisiert. Einerseits wegen ihrer bisherigen politischen Karriere. Sie war Anführerin der Orangen Revolution von 2004 und zerstritt sich sogar mit ihrem Mitstreiter Viktor Juschtschenko, bis die Oppositionsregierung letztlich zerbrach. Außerdem, so erklärt Evgeniya Bakalova von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), sei die Bevölkerung weitgehend von Timoschenko enttäuscht, weil sie in den sechs Jahren, die sie insgesamt an der Macht war, in der Ukraine wenig verändert habe.
Und beim jetzigen Umsturz schickte Timoschenko erst aus der Haft heraus Botschaften, die keinerlei Kompromissbereitschaft erkennen ließen, dann rief sie auf dem Maidan dazu auf, Janukowitsch bis zuletzt zu bekämpfen. Angesichts der Grausamkeit gegen die Demonstranten sieht sie auch keinen Weg zur Versöhnung: "Scharfschützen haben in unser Herz geschossen. Die Kugeln werden wir dort behalten, für immer“, sagte sie.
Andererseits spaltet Timoschenkos wirtschaftliche Vergangenheit die Menschen. Nach dem Ende der Sowjetunion 1991 avancierte sie zur „Gasprinzessin“, steht im Ruf, mit Oligarchen zusammengearbeitet zu haben. Kritiker werfen ihr in diesem Zusammenhang vor, es sei beim Aufbau ihres Vermögens nicht alles mit rechten Dingen zugegangen.
3. Timoschenko ist gesundheitlich angeschlagen
Die Ukraine jetzt zu führen, ist eine Herkules-Aufgabe, die nicht nur politisches und diplomatisches Geschick erfordert, sondern auch körperlich extrem anstrengend sein dürfte. Julia Timoschenko leidet unter den Folgen eines Bandscheibenvorfalls, der trotz internationalen Drucks während der Haft nicht so behandelt werden durfte, wie er sollte. In der Ukraine kursiert bereits ein nicht ganz freundlicher offener Brief, in dem Timoschenko gebeten wird, doch eine lange Kur in Anspruch zu nehmen. Zudem kursierten am Mittwoch Berichte, wonach die Kandidatur wegen der geplanten Behandlung in Deutschland doch nicht sicher sei.
Die Krankheit macht es Timoschenko, der Frau mit dem eisernen Willen, sicher nicht unmöglich, zu regieren. Aber leichter macht es die Sache eben auch nicht.
4. Timoschenko könnte ihr Lager Stimmen kosten
Bislang haben nur Timoschenko und der ehemalige Box-Weltmeister Vitali Klitschko von der Udar-Partei ("Schlag") ihre Kandidatur bekannt gegeben.
Für die Beziehungen zu Russland könnte Timoschenko die bessere Wahl sein. Expertin Bakalova vermutet, dass Timoschenko für Russland „das kleinste Übel“ wäre – auch wenn es derzeit keine offiziellen Stellungnahmen gibt und Russland die nun gestürzte Regierung favorisierte. „Als Timoschenko Regierungschefin war, hat sie mit Russland gut zusammengearbeitet“, sagt Bakalova. Im Fall eines Wahlsiegs Timoschenkos „lässt sich von der russischen Seite eine pragmatische Politik gegenüber Ukraine erwarten".
Allerdings könnten sich Klitschko, dessen Chancen derzeit sehr unterschiedlich eingeschätzt werden, und Timoschenko sich gegenseitig schaden: „Derzeit erscheint zumindest denkbar, dass Julia Timoschenko und Vitali Klitschko die gleiche Klientel ansprechen werden und sich so gegenseitig Stimmen kosten könnten“, sagt Bakalova.
Noch ist also alles offen in Sachen Präsidentenwahl. Möglicherweise wird aber schon am morgigen Donnerstag eine Entscheidung fallen, die die Ukrainer in ihrer Entscheidung beeinflusst: Da soll nämlich der Regierungschef gewählt werden.
"Sollten der Regierungschef und der Präsident der gleichen Partei angehören, könnte das weitere Unruhe schüren – weil dies das fragile, aber notwendige politische Gleichgewicht stören könnte“, sagt Bakalova.