mit einer bejubelten Inszenierung von Shakespeares Der Kaufmann von Venedig
und seinem großartigen Ensemble, einem starken Kreativteam und einem herausragenden Bruno Cathomas als Shylock über die letzten Zweifler und die bisweilen sogar hämische Kritik des Spielzeitbeginns und herbeigeredete Schwächen und Tücken des wunderbaren Carlswerkdepots
und eines wunderbaren Ensembles
Ja, am Ende war dieser Theaterabend eine lange und lautstark bejubelte Premiere, ein Triumph und ein Sieg des ambivalenten Shakespeare über eine oft einseitige und auch verlogene und heuchlerische Interpretation und ein Sieg des Regisseurs Stefan Bachmann über eine zu einfache und oftmals einseitige und auch antisemitische Aufführungstradition eines Stücks, das wohl nicht nur wegen der Übersetzung von Klaus Reichert so unglaublich nah an uns wirkt, als würde in einem über vierhundert Jahre alten Text unsere Menschenwirklichkeit von heute erzählt und verhandelt.
Lanzelot Gobo, der über das elisabethanische Theater erzählt und die Schattenseite und Doppelmedaille des Inszenierungsansatz erklärt und ironisiert.
Stefan Bachmann muss nicht die Bühne verwüsten um seine Geschichten zu erzählen, er muss die Schauspieler nicht Torturen von Dreck, Scheiß und Wasser aussetzen...er eröffnet ihnen Spielräume, er treibt sie zu lustvollen Höchstleistungen, wenn er Nacktheit einsetzt, dann zum Beispiel eine Nacktheit der Füsse der herrlichen Sabine Orleans als Nerissa oder die in Bleifarbe, Silber- oder Goldfarbe gehüllte Nacktheit der drei beinahe bloßen Kästchenträgerin mit gleichfarbenen Karnevalsmasken. Um so brutaler wirkt die Nacktheit von Antonios Oberkörper, wenn der von Shylock mit sadistischer Rachelust und Kabelbindern auf den weißen Richtertisch zur Pfandherausgabe wie auf einen Foltertisch gefesselt wird, Shylock auf ihm hockt und das große Fleischermesser zum Todesstoß erhoben.
Aber bevor er vor all den entsetzen, doch so selbsternannt gnädiggutherzigen Christen, diesen gutkatholisch caritativen Menschen zustechen kann, beginnt die Tragödie des Shylock, der doch beinahe trotz seines Judentums in den Genuss von Recht und Gerechtigkeit gekommen wäre, bevor die große Geschichte der bislang doch eher läppisch-zickigen Portia beginnt, die ihrem Ehemann seine Windhundhaftigkeit um die Ohren haut, dass es nur so scheppert, und zwar vor den Augen der ganzen Spaßgesellschaft, die zu Beginn auftritt und mit einem vertonten Sonett sich und ihr Leben und Lieben genauso feiert wie zum Ende...selbst der Jude ist wieder dabei...auch Antonio, der traurige Antonio, der einsame Antonio, der seine fast arrogante Überheblichkeit verloren hat...weil er beinahe an den Realitäten gescheitert ist, den ambivalenten und doppelbödigen Realitäten auch einer Liebe zu Bassanio, die dieser nicht erwidert, erwidern kann, denn Bassanio lässt lieben, er kann ja nicht einmal den Schwur einhalten, den er seiner Portia gegeben hat, die genauso mitansehen muss, dass der totgeweihte Antonio Bassanio zum Abschied eindeutig küsst, sehr zur Irritation der Anderen, die pikiert beiseite schauen, immer noch, mag man denken, obwohl das doch nichts Besonderes mehr ist, dass sich Antonio, der auch an der Undenkbarkeit der Liebe zu Bassanio zerbricht, der ihn drei Monate alleine gelassen hat, während der Bassanio mit Portia herumschäkerte.
Als sich der traurigeinsame Antonio zu seiner Spaßgesellschaft rund um die Musikinstrumente zurückbegibt, da scheint sich alles im Sinn der romantischen Komödie im Sonettgesang des Anfangs, im ironischen Sonnenuntergang, zu klären, die Kälte der Gerichtsverhandlung vor den Schranken der Unterbühne und die keineswegs erotisch-erwartungshafte Klärung des fünften Aktes, die Zurechtweisung und Maßregelung der Männer Antonio, Granziano und Bassanio, sie werden durch dieses gesellschaftlich Konventionelle des Schlussbildes genauso gebrochen, wie durch den im zweiten Teil des Abends einzigen Farblichtschein des Sonnenuntergangs. Nein, das ist kein durchschaut-verteidgtes Happy-End. Obwohl der Jude, den sie vorher gedemütigt und beinahe zertreten haben, die guten Menschen, die ja nur Angst um ihre Handelsnotierungen kennen, obwohl er unter ihnen weilt, vielleicht schon christianisiert und damit bis ins Mark, bis in Innerste gedemütigt, gerade als er glaubte, den Triumph der Rache in vollen Zügen genießen zu können, als ein falscher Richter ihn jäh aus seinen Träumen riss.
Nicht ist mehr wie es war, die Liebe ist durch die Fleischwölfe der Realität gejagt worden, alle haben ihre dunklen Seiten gezeigt und das, was Liebe sein soll, ist beinahe auf allen Ebenen gescheitert, bevor man sich scheinbar wieder zusammenfindet und die neu gefundenen Paare glücklich werden könnten, aber sicher nicht wie im bonbonfarbenen Licht des vielleicht karnevalistischen Schneegestöbers zum Ende des dritten Aktes, als uns der Regisseur nicht mehr ganz so gut gelaunt in die Pause schickt, denn das Unheil kündigt sich bereits in einer nur mühsam von den beiden heimlichen Stars des Abends, Solanio und Salerio, dem ewigplappernden Duo, das beinahe ein Paar siamesischer Zwillinge sein könnte, die den ,Was gibts Neues?-Strang des Stücks verkörpern, zur immerwährenden Ambivalenz und Ambiguität beitragen, indem sie den Datenstream produzieren, der die Handelsdaten vorgibt, Ivan Nagel nennt sie in seinem Kaufmann-Buch Shakespeares Ratingagentur, und Bachmann treibt sie zu einem Clownsduo der Spitzenklasse, das natürlich berechtigterweise bejubelt wird, ja man möchte den meisten Zuschauern folgen, aber noch steckt einem die Demütigung Shylocks in den Knochen, um dessen Leben man fürchtet, als ihm die fünf weiberolliten Herrn von der Gerichtsbühne ins Dunkel und der nun wirklich keineswegs gute Herr Antonio, eigentlich auch ein Arschloch vor dem Herrn, rührt einen in seiner einsamliebenden Traurigkeit so sehr, obwohl man ihn doch gerade gleichzeitig bedauert und gleichzeitig einen Augenblick später in der Gerichtsszene verpflicht hat.
Wir Zuschauer verfolgen fast ein möbelloses Spiel.... große Schauspieler auf einer Shakespearebühne, auf der Bachmann geschickt zwischen großen und starken Breitwandtableaus und agil-dynamischen Szenen wechseln lässt, die dieser unglaublich langen Bühne nebst Unterbau und Vorbühne wirklich bis in den letzten Winkel Leben und damit eine Wirklichkeit verleihen, die einerseits nichts als Theater ist, aber dann auch wieder so doppelbödig und packend zugleich, ohne den Zuschauer in die reine Empathie zu zwingen, mit steten Tempiwechseln und Akzenten ohne Mätzchen, trotz des riesigen Zuschauerraums über eine Breite von dreißig Metern, im geschickten Wechsel von unten und oben nie und wirklich in keinem einzigen Moment langweilt, sondern auch in einem steten Wechsel von Bildern, Emotionen, Witz und Traurigkeiten unterhalten und betroffen machen, stets die zwei Stücke ansprechend, die Shakespeare im Kaufmann geschrieben hat, die Komödie, diese aber stets genauso brechend wie die Tragödie, wobei in meinen Augen die Protagonisten und letzendlich einsam-unflankierten Menschen, Shylock und Antonio, die sich bei Fristablauf der drei Monate beinahe schon gegenseitig umbringen und wie die Tiere bespucken, auch die wirklichen Verlierer des Abends und der Geschichten in Venedig und Belmont sind.
Die Bühne von Thomas Dreissigacker ist präzise und angemessen, im wechselvoll stimmungsschaffenden und dann kalten Licht von Jürger Kapitein, dunkel bis poppig gelungenen Kostümen von Esther Geremus, die Akkustik ist bis in die hintersten Reihen ausreichend, die Musik unpretentiös und ebenfalls sehr stimmungsvoll (Philipp Plessmann und Sven Kaiser). Thomas Laues Rolle als Dramaturg, wie immer bei Dramaturgen, schwer einschätzbar. Ihm dürfte neben dem Text im Programmheft, der das Kunststück fertig bringt, den Ansatz zu beschreiben, der unspektakulär ist, aber Vieles aus dem wunderbaren Kaufmann-Buch vom verstorbenen Intelektuellen und Dramaturgen Ivan Nagel in diesen Abend einbindet.
Die Stützen der erhöhten Bühne sind angelegt wie Käfige, denkbar, dass sie als Gerichtszellen unter der Oberfläche gedient haben oder dienen werden, der glattschönen Holzbühne wird so eine zweite Bühne entgegengesetzt, die nicht nur das Unten birgt, sondern auch dem Netten von Musikecke und Sofas vor den Kostümen eine Hölle der juristischen Realitäten entgegensetzt und die Judenfeindlichkeit einer Gesellschaft zeigt, die quasi solange urteilt bis sich aus Unrecht Recht ergeben hat, einer Gesetzesmaschinerie die nur das schützt, was den Besitzenden gehört. Selbst ein eindeutiges Recht wird in Unrecht verkehrt.
Alle Schauspieler bestechend, jeder mit eigenen Akzenten, allen voran, auch wenn deutlich wird, dass Bachmann ein Schauspielerregisseur ist, der den Schauspielern wie gesagt Räume eröffnet, allen voran Bruno Cathomas, der einen stets selbstbewussten Judenkaufmann zeigt - ganz stark abgesetzt vom Viehjud Levi, der eigentlich nichts als dazugehören möchte und vollkommen zusammenbricht, als er begreift, dass er gegen Portia/Jungrichter und die Clique der Herrschenden keine Chance hat. Es rührt einen bis in die Därme, wenn er die Gerichtshölle kriechend verlässt, nachdem er fassungslos begreifen muss, wie sich christliche Gnade verhält.
Antonios (stark: Gerrit Jansen) Zusammenbruch, hin- und hergerissen zwischen Verzweiflung, die ihn von den Beinen holt, und Wut, nackter Wut, wohl auch, weil er die Unmöglichkeit seiner homoerotischen Liebe zu Bassanio begreift. Portia und Nerissa (Yvon Jansen und die konterkarierende Sabine Orleans), die souveränen Liebenden, die den Ton in den Beziehungen und Liebes- und sonstigen Dingen angeben, die am Schluss zwar die Dominatorinnen der Männer und Verhältnisse geworden sind. Als Absahnclowns Solanio und Salerion Johannes Benecke und Thomas Müller, gegen die sich der Narr Lancelot erst freispielen muss, obwohl Jörg Ratjen die schwere Rolle virtuos meistert. Man erinnert sich in Köln immer noch an den virtuosen Michael Rastl in Zadek-Assistent Zingers Kaufmann-Inszenierung von vor über dreißig Jahren, die mehr auf den schönen Schein als auf die Doppelbödigkeit aller Figuren und des gesamten Stücks setzte.
Philipp Plessmann, hauptsächlich wie viele andere als Livemusiker tätig - es besticht auf wieviele Doppel- und Dreifachbegabungen man in Bachmanns Ensemble sieht - und auch Martin Reincke neben der Violine in Kästchenrollen und als Doge, sie mit seiner markant beieindruckenden Stimme ausfüllend, Plessmann mit der Regieassistentin als Rollstuhlduo, die Clique der Jungmänner, angeführt von Simon Kirsch als Bassanio, Yuri Englert als Graziano und Jakob Leo Starks Lorenzo, der seine Highlights hat, als er einen Song soweit eskalieren lassen darf, dass die Okulele dran glauben muss und schließlich seine dunkle Seite zeigt, als er seine geliebte Jessica nach Shylocks Testament ebenfalls wie dieser an den Haaren von der Mittelbühne schleift. Eigentlich ist diese Horde Jungmänner gar nicht liebesfähig, um so bemerkenswerter, wie Portia und Nerissa die beiden Jammerlappen Bassanio und Graziano zur Räson bringen, obwohl diese doch gerne so gedankenlos den Windhund geben. Julia Riedler ist eine resolute Jessica, die sich in einer der kleinen ,Entgleisungen' der Inszenierung in der SS-Uniform von den als orthodoxe Juden verkleideten Solanio und Salerio und Graziano rauben lässt. Das Kostümspektrum reicht von dezent zeitlos bis knallig fünfziger bis siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts und bedient, aber gekonnt die Regieansätze bis hin zum bedrückenden Schwarz-weiß der Gerichtsszene. Der Vollständigkeit halber die Rollstuhlschieberin Charlotte Sprenger, die drei sehr sinnlichen Grazien mit den Kästchen: Christina Woike, Anika Wessner, Elena Schneider, Catharina Schmitt und Charlotte Hohlstein.
Vielleicht muss der Rezensent die gewollten Anspielungen von Rollstuhl, Dudelkästchen bei Jesssica, Naziunform bei einer Wiederholung noch einmal ansehen, um sie nachzuvollziehen, den neuen Einblicken in den doch eigentlich bekannten Text wird er wieder spannungsvoll folgen, dem dichten Fadengewirr aus Problemstück und romantischer Komödie sicher gerne, zumal die handwerkliche Qualität des Abends herausragend ist, Antonio wirklich die Rolle bekommt, die ihm gebührt, faszinierend, was Bachmann und die Schauspieler der auf den ersten Blick fast enttäuschenden Bühne abgewinnen, nach all den Bühnebildkunstwerken der vergangenen Inszenierungen im Carlswerk, das Bühnenkunstwerk von Thomas Dreissigacker sich erst im Kunstlicht tatsächlich entfalten kann.
Viel erzählen ließe sich noch von der Schauspielkunst des Ensembles, den wunderbaren Bildern und den intensiven Dialog- und Spielszenen auf dieser mächtigen Bühne, die wohl auch selbst wenn Bachmann kunstvoll arrangiert immer das Stückchen mächtiger bleiben soll, das Menetekel der Käfige auf der Unterbühne. Genauso erzählt werden könnte von den Kabinettstückchen der Einzelszenen, die Shakespeares große dramaturgische Menschenkunst und Shakespeares Komik kongenial aufnehmen und dem sehr dankbaren Kölner Publikum vielleicht einen der größten Shakespeareabende seit langem (Ausnahme: Karin Baiers King Lear), dem es aber nicht gelang, eine große Bühne so mit Leben und wirklicher Lebendigkeit zu füllen.
Ein großer Theaterabend für Köln, ein großer Shakespeareabend, und es bleibt zu hoffen, dass Intendant Stefan Bachmann weiter mit seinen anderen Kreativen auf der Klaviatur dieser sicher nicht ganz einfach zu bespielenden Halle agiert, das Kölner Publikum folgt ihm ganz augenscheinlich, auch das anspruchsvolle Premierenpublikum. Das könnte der Beginn einer Liebesgeschichte gewesen sein, der sich wohl auch die Kritiker dieses Mal kaum entziehen können.
Wie immer bei Shakespeare mag man kaum aufhören zu erzählen, auch angesichts dieser von Länge, Qualität und Timing nahezu perfekten Inszenierung, die vielleicht Legende werden wird, wenn sie die theaterübliche Patina angesetzt hat....