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Betretbare Zukunft. Warum neue Storekonzepte Chancen für eine bessere Welt sind

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Viele der medial geprägten und informierten Kunden von heute fordern nachhaltige und innovative Konzepte im Handel, denn Sortimente und Stores ähneln sich, Marken sind austauschbar, Läden und Ketten gleichen einander wie Tourismusmotive, die Besucher als einzigartig festhalten möchten, aber doch alle das gleiche Motiv fotografieren. Mit dem Wissen um die Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse der Kunden ist es möglich, dass der Handel sein Angebot bedürfnis- und bedarfsgerecht ausrichtet.

Nachhaltigkeit im Ladenbau beinhaltete in der Vergangenheit vor allem energiesparende Beleuchtungskonzepte sowie im Lebensmittelhandel Neuentwicklungen im Bereich der Kühlung. Das Thema bedeutet allerdings auch, sich verstärkt mit naturbelassenen Materialien (recyclingfähig, biologisch abbaubar, regional verfügbar, positive Energiebilanz) und nachwachsenden Rohstoffen aus möglichst zertifizierten Quellen auseinanderzusetzen - Natur wird ins Haus geholt. In der Studie „Ladenbau zwischen Green Design und Fairem Handel", herausgegeben vom EHI Retail Institute, wurden 2009 Handel und Industrie erstmals zu Aspekten der Nachhaltigkeit bei der Ladenplanung und -einrichtung befragt: 70 Prozent der Händler gaben an, schon bei der Entwurfs- bzw. Vorplanung auf materialsparende Store-Konzepte zu achten. Darüber hinaus erwarten die befragten Handelsunternehmen von ihren Lieferanten konkrete Nachweise über Herkunft und Herstellung der Materialien (Einhaltung der Sozialstandards, nachhaltige Produktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette).

Nachhaltigkeit drückt sich beispielsweise im Angebot des DOB-Filialisten Orsay und im Ladenbau gleichermaßen aus. So setzten Schwitzke & Partner nur Werkstoffe ein, die aus zertifizierten natürlichen Rohstoffen bestehen. In einer teiloffenen Holzlamellendecke wurde ein neues Lichtsystem integriert, das die Wärmelast um 40 Prozent senken soll. Die Verbindung von Nachhaltigkeit und Futurismus zeigt sich im 80 Quadratmeter großen Maygreen-Store in Hamburg-Ottensen, wo es ökologisch und fair hergestellte Textilwaren zu kaufen gibt.

Zuweilen präsentieren sich Läden statisch, unemotional und unspektakulär. Zwar beschäftigt sich seit etwa 90 Jahren die Umweltpsychologie mit der Wirkung von Umwelten auf Menschen und seit dem Aufkommen ökologischer Probleme auch mit den Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umgebung. Allerdings genügen diese Ansätze nicht, weil sie keine direkten Auswirkungen auf menschliche Emotionen haben. Erfolg im Einzelhandel bedeutet heute, einem stimmigen Konzept zu folgen, die Denkmuster der Konsumenten genau zu kennen und ihre Bedürfnisse vor Ort zu befriedigen: „Wie ‚tickt' die modehungrige Klientel, was fühlt sie, wenn sie den Laden betritt, welche Stilelemente müssen stark kontrastierend eingesetzt werden, um Emotionen und Phantasiereisen auszulösen? Der Händler schlüpft damit in die Rolle des Psychologen und Regisseurs eines Geschehens, das zunehmend unübersichtlicher wird", schreibt Roswitha Wesp in ihrem Vorwort zum Fotoband „Läden 2010", herausgegeben von der TextilWirtschaft.

Denn nur wo sich Kunden wohlfühlen, können Erträge gesteigert und die Grundlage für Loyalität und Wiederkauf geschaffen werden. Um zu begreifen, weshalb Menschen kaufen, und was sie kaufen, ist ein Blick auf ihr Verhalten und das Einbeziehen von Emotionen, die eine besondere Form von Intelligenz haben, notwendig. Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau stellte als einer der Ersten die Bedeutung der Emotionen in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Sie machen uns aus, steuern uns, auch wenn wir uns noch so sehr am Lenkrad der Vernunft festhalten. Auch der junge Johann Gottfried Herder beschäftigt sich mit einer „Philosophie des Gefühls", worin sich der berühmte Ausruf und Einspruch gegen Descartes „Cogito ergo sum" findet: „Ich fühle mich! Ich bin!" Das gilt auch beim Einkaufen.

Täglich werden mehrere hundert emotionale Kaufentscheidungen getroffen, denn Menschen sind viel weniger rational als sie vorgeben. Bereits nach wenigen Sekunden wird unbewusst über den Kauf entschieden. 70 bis 80 Prozent der Kaufentscheidungen finden am Point of Sale (PoS) statt - jenem Ort, an dem Marketing auf den Punkt kommt. Sagt Bert Martin Ohnemüller, Geschäftsführer der Neuromerchandisiong Group in Frankfurt, für den der PoS der ultimative Ort der Wahrheit ist: „Seine Bedeutung ist elementar, denn ohne den PoS keine Kaufentscheidung und ohne Kaufentscheidung kein Absatz, kein Umsatz und kein Ertrag." Allerdings ist isolierte Verkaufsförderung für ihn wenig erfolgversprechend: „Nur die systematische Verzahnung von Marketingmaßnahmen und allen handelnden Akteuren macht den PoS zum nachhaltigen Ort des Erfolgs." Ohnemüller geht es künftig um Leadership am PoS, darum, an diesem Ort der Kommunikation die richtigen Dinge zu tun. Dazu gehört zum Beispiel, Verkaufsräume besser zu erschließen und den Kunden eine klare Orientierung geben.

Handel ohne Erlebniswert hat keine nachhaltige Wirkung. Aber auch umgekehrt gilt: Erlebnisse ohne Sinn und Geschichte sind nicht nachhaltig. Bewusste Konsumenten kaufen nicht mehr in dem Maße wie früher, meiden bestimmte Geschäfte, Marken oder Produkte, kaufen anderes, das mit zentralen psychischen Ressourcen wie Achtsamkeit, Genussfähigkeit und Selbstwirksamkeit verbunden ist und nachhaltigen Lebensstilen entspricht. Sie verlangen nicht nach mehr Konsum, sondern nach mehr Authentizität. Sie wollen verstehen, vertrauen und - wie die Digital Natives - mitgestalten. Diese (Einkaufs-)Macht wird künftig die Wirtschaft weiter verändern.

Ein aktuelles Beispiel ist der erste nachhaltige hessnatur Concept-Store der neuen Generation in der Frankfurter Innenstadt. Das Naturmodelabel zeigt hier erstmals sein neues Konzept: Nach Angaben des Unternehmens setzt hessnatur neue Maßstäbe im ökologischen Ladenbau. Die hessnatur-Werte („authentisch, ökologisch, sozial und wegweisend") sollen sich gleichermaßen im Sortiment und in der Ladengestaltung widerspiegeln - eine enorme Herausforderung für die Innenarchitekten Blocher Blocher: „Info-Fliesen" informieren über die nachhaltig produzierten Ladenelemente. Der Boden ist aus Mikrobeton. Das sehr belastbare und zu 90 Prozent mineralische Material ist ebenfalls nachhaltig produziert und sehr haltbar. Das Eschenholz für Möbel und Beschilderung wird in deutschen Wäldern geschlagen und „Made in Germany" gefertigt. Der Kassentresen ist außen mit Stampflehm verkleidet. Das Naturmaterial lässt sich zu 100 Prozent wiederverwenden.

Hier zeigt sich eine Entwicklung, die der Managementexperte und Autor Ronald Hanisch in seinem Buch „Veränderung: Erfolg(t). Wie Sie von neuen Blickwinkeln profitieren" (Linde Corporate, 2013, Linde Verlag) beschreibt: Um sich auf das neue Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung besser anpassen zu können und erfolgreich zu sein, bedarf es in (Handels-)Unternehmen neuer Prozesse, Denkmuster sowie Management- und Verkaufsmodelle, die zugleich die gesamte Wertschöpfungskette sichtbar machen. In seinem aktuellen Buch „Das Ende des Projektmanagements. Wie die Digital Natives die Führung übernehmen und Unternehmen verändern" (Linde Verlag, Wien 2013) wird zudem die Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaft berücksichtigt, durch die mehr „Chancen zur Selbstverwirklichung, ja sogar zur Selbsterfindung" entstehen.

Diese Entwicklung findet sich auch symbolisch in den neuen und nachhaltigen Storekonzepten, in denen Transparenz eine zentrale Bedeutung hat. „Etwas geheim zu machen kostet mehr Energie, als volle Transparenz zu leben", zitiert er den österreichischen Unternehmer Robert Rogner sen., dessen Name für nachhaltige Pionierleistungen in der Architektur und im Tourismus steht und der seine Visionen permanent reflektiert: „Wer bin ich? Was will ich? Wo will ich hin? Ich schaffe Zeit und Raum, um Fragen zu stellen. Weiterentwicklung beginnt mit Reflexion."

Ohne diesen inneren Bezug und die persönliche Bewusstseinsebene sind auch neue Storekonzepte wie die des Butzbacher Modelabels nicht in ihrem Gesamtansatz zu verstehen: Der neue „Chancenraum" muss auch das eigene Leben der Kunden „aufnehmen" und zurückspiegeln. Damit verbunden ist die Welt „dahinter" und ihre Kommunikation: So werden Geschichten, die mit Produkten verbunden sind, mit moderner Technik in den Laden geholt. Auf einer Weltkarte und auf vier Monitoren können Kunden die Herkunft ihrer Kleidung verfolgen, sich über die Anbauprojekte, das soziale Engagement und die textile Kette informieren. Der Ladendialog gruppiert sich rund um die Weltkarte, die gleichzeitig auch zum Wiedererkennungsmerkmal und zum zentralen Symbol für Humanity in Fashion wird. In einer Sitzecke finden Kunden im Frankfurter Geschäft iPads zum „Browsen" durch das gesamte Sortiment oder zur Unternehmensrecherche.

Am Beispiel des neuen Storekonzepts und dem Begriff Browsing zeigt sich eine interessante Entwicklung im Handel - hin zu mehr Sinnsuche, die mit der Entstehung neuer Märkte verbunden ist, die nicht nur auf statistische Gruppen setzen, sondern den Dialog zwischen sozialen Gruppen fördern - außerhalb und innerhalb des Internets. Als es das World Wide Web noch nicht gab, war „Browsing" oft ein freundlicher Hinweis der Kunden an die Verkäufer, dass sie sich möglichst zurückziehen sollten. Auf deren Frage „Kann ich Ihnen helfen?", antwortete der Kunde meistens: „Ich sehe mich nur ein wenig um." („I'm just browsing" ). Diese Aussage bedeutete, sich nicht festlegen zu wollen. „Browsing" hat heute mit Relevanz zu tun, denn es geht den bewussten Konsumenten nicht mehr nur darum, sich Schaufenster oder virtuelle Welten anzusehen und dabei davon zu träumen, bestimmte Produkte nur zu besitzen.

Das neue „Browsen" im Kontext einer nachhaltigen Bewegung unterscheidet sich vom klassischen darin, dass sich niemand im Meer der Möglichkeiten verliert, sondern sich von der gemeinsamem Welle der Verantwortung mittragen lässt. Das Schöne daran ist: das Gute braucht keine Suche - es findet sich immer in einer inspirierenden, kommunikativen und offenen Atmosphäre.

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