Seit fast einem Vierteljahrhundert ist Deutschland wiedervereint. Der 3. Oktober 1990 war der Tag, an dem die Bundesrepublik wieder ein vollkommen souveräner Staat wurde. Und fast genauso lange dauert die Debatte, wann die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik endlich erwachsen wird. Zwei Entwicklungen der vergangenen Tage zeigen, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist: Weil Deutschland sich immer wieder weigert, Farbe zu bekennen.
Beispiel Mali: Am Sonntag sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, dass die Bundesrepublik sich künftig verstärkt an militärischen Auslandsmissionen beteiligen sollte. Und schob hinterher, dass sie sich eine Anhebung der zur Zeit bestehenden Mandatsobergrenze für Mali von derzeit 180 auf 250 Soldaten vorstellen könnte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass bei den europäischen Partnern nun die Sektkorken geknallt haben, ist äußerst gering. Frankreich trägt derzeit fast allein die Verantwortung für den UN-mandatierten Einsatz in der Unruheregion, dessen Gefahrenpotenzial mittlerweile oft mit dem Afghanistans verglichen wird.
Insgesamt sind 3600 französische Soldaten in Mali stationiert, und nimmt man die Logistiker und Unterstützungstruppen in den umliegenden Staaten hinzu, kommt man auf ein Kontingent, das beinahe so groß ist wie der deutsche Beitrag zum Einsatz in Afghanistan.
Die französische Verantwortung in Westafrika entspringt aus der Geschichte, die deutsche aus der Gegenwart: Weil Deutschland und Europa es sich nicht leisten können, dass ein Millionen Quadratkilometer großer rechtsfreier Raum vor den Toren der EU entsteht. Anders ausgedrückt: Wer 70 zusätzliche Soldaten (so qualifiziert sie auch sein mögen) als angemessenen Beitrag zu einer europäischen Sicherheitspolitik verkauft, produziert vor allem eines: heiße Luft.
"Absolut sichere Bedingungen"
Doch die Posse geht noch weiter: Außenminister Frank-Walter Steinmeier war selbst dieser Vorstoß zu scharf. „Die Anmeldefrist für die Truppen läuft gerade erst. Wir werden sehen, wer in Europa noch Transportkapazitäten oder medizinische Versorgung anbietet“, bremste der Sozialdemokrat in einem Interview mit den „Ruhr Nachrichten“.
Und Ursula von der Leyen hatte zuvor schon auf der Klausurtagung des Bundeskabinetts in Meseberg gesagt, dass sie sich einen Einsatz deutscher Sanitätssoldaten mit einem so genannten „Lazarett-Airbus“ in Mali nur dann vorstellen könnte, wenn die Lage auf den Flugplätzen „absolut sichere Bedingungen“ für einen Verwundetentransport gewährleiste. Die gibt es in einer Krisenregion aber per Definition nicht. Und schon ist Deutschland wieder raus aus der Verantwortung.
Augen verschlossen
Man kann mit Recht einwenden, dass es in der Bundesrepublik eine Tradition der militärischen Zurückhaltung gibt – gerade wegen der militaristischen Vergangenheit. Das Argument gilt jedoch nur dann, wenn Deutschland nicht-militärische Gegenentwürfe zu einer Interventionspolitik entwickelt.
Im Falle Afrikas regiert jedoch vor allem Ahnungslosigkeit – obwohl der erste bundesdeutsche Militäreinsatz auf dem Kontinent (in Somalia) schon mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegt. Es ist nicht so, dass niemand die neue Verantwortung hätte kommen sehen können. Wir haben nur heftig genug die Augen verschlossen.
Beispiel Ukraine: Dort protestiert seit fast zwei Monaten die Opposition gegen einen autokratisch herrschenden Präsidenten, der eines der größten Länder des Kontinents vom europäischen Integrationsprozess abklemmen will.
Nur 600 Kilometer von der deutschen Ostgrenze entfernt droht ein Staat ins Chaos abzudriften. Doch erst war die Bundesrepublik während der Koalitionsverhandlungen zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und seitdem die neue Bundesregierung vereidigt ist, hält sie still. Das Auswärtige Amt „mahnt“ und „warnt“ zwar regelmäßig. Und auf Twitter kabbeln sich SPD-Abgeordnete (die den Protest der Opposition unterstützen) mit Abgeordneten der Linkspartei (die für Präsident Wiktor Janukowytsch sind).
Doch ein Plan oder gar eine Initiative in Bezug auf die Proteste in der Ukraine ist immer noch nicht zu erkennen. In der Ukraine muss der Eindruck entstehen, dass Europa die pro-westlichen Demonstranten im Stich lässt.
Nun ist es so, dass Außen- und Sicherheitspolitik in Deutschland generell an Stellenwert verloren hat. Guido Westerwelle war phasenweise ein Totalausfall als Chef des Auswärtigen Amtes. Und eigentlich ist Kanzlerin Angela Merkel seit der Klimadebatte von 2007 die heimliche Außenministerin Deutschlands. Sie wird im Ausland am stärksten wahrgenommen, verfügt außerdem im Kabinett über die viel zitierte „Richtlinienkompetenz“. Sprich: Sie hat das letzte Wort.
Zurückhaltung wegen Angst vor negativen Schlagzeilen?
Dass ihr Regierungsstil nicht gerade von großer Entscheidungsfreudigkeit geprägt ist, hat sie in den vergangenen acht Jahren des Öfteren schon gezeigt. Leider merkt man das auch ihren außenpolitischen Positionen an: Wo sie Stellung beziehen müsste, tut sie das viel zu spät oder gar nicht: Pakistan, Syrien, Libyen.
Wahrscheinlich hat Angela Merkel das Beispiel Afghanistan gezeigt, dass militärische Auslandseinsätze in einer außenpolitisch eher desinteressierten Öffentlichkeit vor allem negative Schlagzeilen produzieren.
Nur so ist ihre Zurückhaltung angesichts der wachsenden Forderungen auch von Seiten der europäischen Partner erklärbar. In den Wahlkämpfen von 2009 und 2013 jedenfalls spielte der Afghanistan-Einsatz bei Merkel keine Rolle. Sie sprach eigentlich fast nur dann darüber, wenn sie danach gefragt wurde.
Auf Dauer ist ständiges Wegducken feige
Dabei bräuchten wir gerade jetzt, wo sich in Westafrika ein riesiger neuer Krisenherd auftut, eine Diskussion über die Rolle Deutschlands in der internationalen Politik. Bisher profitiert Deutschland auch wirtschaftlich von der Sicherheit, die andere Nationen herstellen.
Auf die Dauer gesehen ist ständiges Wegducken nicht nur unpartnerschaftlich, sondern auch ziemlich feige. Und natürlich müssen wir auch darüber diskutieren, ob man Frieden nur mit militärischen Mitteln herstellen kann, oder ob Deutschland als selbsternannte „Supermacht der Werte“ vielleicht andere Lösungen entwickeln könnte.
Geht es jedenfalls so weiter wie bisher, wirkt Deutschland wie ein Nachbar, den man nur dann sieht und hört, wenn es im Garten nebenan Freibier gibt.
Beispiel Mali: Am Sonntag sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, dass die Bundesrepublik sich künftig verstärkt an militärischen Auslandsmissionen beteiligen sollte. Und schob hinterher, dass sie sich eine Anhebung der zur Zeit bestehenden Mandatsobergrenze für Mali von derzeit 180 auf 250 Soldaten vorstellen könnte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass bei den europäischen Partnern nun die Sektkorken geknallt haben, ist äußerst gering. Frankreich trägt derzeit fast allein die Verantwortung für den UN-mandatierten Einsatz in der Unruheregion, dessen Gefahrenpotenzial mittlerweile oft mit dem Afghanistans verglichen wird.
Insgesamt sind 3600 französische Soldaten in Mali stationiert, und nimmt man die Logistiker und Unterstützungstruppen in den umliegenden Staaten hinzu, kommt man auf ein Kontingent, das beinahe so groß ist wie der deutsche Beitrag zum Einsatz in Afghanistan.
Die französische Verantwortung in Westafrika entspringt aus der Geschichte, die deutsche aus der Gegenwart: Weil Deutschland und Europa es sich nicht leisten können, dass ein Millionen Quadratkilometer großer rechtsfreier Raum vor den Toren der EU entsteht. Anders ausgedrückt: Wer 70 zusätzliche Soldaten (so qualifiziert sie auch sein mögen) als angemessenen Beitrag zu einer europäischen Sicherheitspolitik verkauft, produziert vor allem eines: heiße Luft.
"Absolut sichere Bedingungen"
Doch die Posse geht noch weiter: Außenminister Frank-Walter Steinmeier war selbst dieser Vorstoß zu scharf. „Die Anmeldefrist für die Truppen läuft gerade erst. Wir werden sehen, wer in Europa noch Transportkapazitäten oder medizinische Versorgung anbietet“, bremste der Sozialdemokrat in einem Interview mit den „Ruhr Nachrichten“.
Und Ursula von der Leyen hatte zuvor schon auf der Klausurtagung des Bundeskabinetts in Meseberg gesagt, dass sie sich einen Einsatz deutscher Sanitätssoldaten mit einem so genannten „Lazarett-Airbus“ in Mali nur dann vorstellen könnte, wenn die Lage auf den Flugplätzen „absolut sichere Bedingungen“ für einen Verwundetentransport gewährleiste. Die gibt es in einer Krisenregion aber per Definition nicht. Und schon ist Deutschland wieder raus aus der Verantwortung.
Augen verschlossen
Man kann mit Recht einwenden, dass es in der Bundesrepublik eine Tradition der militärischen Zurückhaltung gibt – gerade wegen der militaristischen Vergangenheit. Das Argument gilt jedoch nur dann, wenn Deutschland nicht-militärische Gegenentwürfe zu einer Interventionspolitik entwickelt.
Im Falle Afrikas regiert jedoch vor allem Ahnungslosigkeit – obwohl der erste bundesdeutsche Militäreinsatz auf dem Kontinent (in Somalia) schon mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegt. Es ist nicht so, dass niemand die neue Verantwortung hätte kommen sehen können. Wir haben nur heftig genug die Augen verschlossen.
Beispiel Ukraine: Dort protestiert seit fast zwei Monaten die Opposition gegen einen autokratisch herrschenden Präsidenten, der eines der größten Länder des Kontinents vom europäischen Integrationsprozess abklemmen will.
Nur 600 Kilometer von der deutschen Ostgrenze entfernt droht ein Staat ins Chaos abzudriften. Doch erst war die Bundesrepublik während der Koalitionsverhandlungen zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und seitdem die neue Bundesregierung vereidigt ist, hält sie still. Das Auswärtige Amt „mahnt“ und „warnt“ zwar regelmäßig. Und auf Twitter kabbeln sich SPD-Abgeordnete (die den Protest der Opposition unterstützen) mit Abgeordneten der Linkspartei (die für Präsident Wiktor Janukowytsch sind).
Doch ein Plan oder gar eine Initiative in Bezug auf die Proteste in der Ukraine ist immer noch nicht zu erkennen. In der Ukraine muss der Eindruck entstehen, dass Europa die pro-westlichen Demonstranten im Stich lässt.
Nun ist es so, dass Außen- und Sicherheitspolitik in Deutschland generell an Stellenwert verloren hat. Guido Westerwelle war phasenweise ein Totalausfall als Chef des Auswärtigen Amtes. Und eigentlich ist Kanzlerin Angela Merkel seit der Klimadebatte von 2007 die heimliche Außenministerin Deutschlands. Sie wird im Ausland am stärksten wahrgenommen, verfügt außerdem im Kabinett über die viel zitierte „Richtlinienkompetenz“. Sprich: Sie hat das letzte Wort.
Zurückhaltung wegen Angst vor negativen Schlagzeilen?
Dass ihr Regierungsstil nicht gerade von großer Entscheidungsfreudigkeit geprägt ist, hat sie in den vergangenen acht Jahren des Öfteren schon gezeigt. Leider merkt man das auch ihren außenpolitischen Positionen an: Wo sie Stellung beziehen müsste, tut sie das viel zu spät oder gar nicht: Pakistan, Syrien, Libyen.
Wahrscheinlich hat Angela Merkel das Beispiel Afghanistan gezeigt, dass militärische Auslandseinsätze in einer außenpolitisch eher desinteressierten Öffentlichkeit vor allem negative Schlagzeilen produzieren.
Nur so ist ihre Zurückhaltung angesichts der wachsenden Forderungen auch von Seiten der europäischen Partner erklärbar. In den Wahlkämpfen von 2009 und 2013 jedenfalls spielte der Afghanistan-Einsatz bei Merkel keine Rolle. Sie sprach eigentlich fast nur dann darüber, wenn sie danach gefragt wurde.
Auf Dauer ist ständiges Wegducken feige
Dabei bräuchten wir gerade jetzt, wo sich in Westafrika ein riesiger neuer Krisenherd auftut, eine Diskussion über die Rolle Deutschlands in der internationalen Politik. Bisher profitiert Deutschland auch wirtschaftlich von der Sicherheit, die andere Nationen herstellen.
Auf die Dauer gesehen ist ständiges Wegducken nicht nur unpartnerschaftlich, sondern auch ziemlich feige. Und natürlich müssen wir auch darüber diskutieren, ob man Frieden nur mit militärischen Mitteln herstellen kann, oder ob Deutschland als selbsternannte „Supermacht der Werte“ vielleicht andere Lösungen entwickeln könnte.
Geht es jedenfalls so weiter wie bisher, wirkt Deutschland wie ein Nachbar, den man nur dann sieht und hört, wenn es im Garten nebenan Freibier gibt.