Piiiiiiiiiiiieeeepppp - eigentlich ja fast unmöglich über ein Stück zu berichten, in dem die Sprache so dermaßen über die Strenge schlägt und man zu Beginn sogar noch gewarnt wird: "Der folgende Theaterabend enthält viele schlimme Worte" und sollte ergo besser nicht angesehen werden. Da hat "Süd Park" aber Hirn und Zwerchfell bereits fest im Griff.
Integration deutscher Abgründe
Regisseur Malte C. Lachmann, gerade mal 24 und an der Münchner Everding-Akademie ausgebildet, hat zusammen mit Dramaturgin Kerstin Behrens für das Junge Schauspiel des Staatstheaters Hannover erstmalig eine deutsche Adaption der US-amerikanischen Kult-Zeichentrickserie "South Park" gewagt. Und die hat es in sich. Nicht nur, weil die Comic-Trash-Revue zum Thema "Political Correctness" es sprachlich und darstellerisch schafft, den satirischen Irrwitz und die Ästhetik der Vorlage verblüffend souverän auf die Bühne zu übertragen. Sondern, weil deutsche Diskriminierungs-Abgründe problemlos integriert werden und dem Abend ein eigenständiges Profil verleihen. Ob Berliner Porno-Rap, katholische Homophobie oder Debatten-Talk bei Stern TV - die Auswahl ist nicht allzu schlecht, bleibt aber gewollt frei von Intention und Meinungsdiktat.
Ob das teilweise dennoch etwas angestrengt und holprig wirkt, wie die Nachtkritik meint, kann man sicher diskutieren. Im lokalen Feuilleton attestiert man dem Abend immerhin, dass er gekonnt auf der Schmerzgrenze tanze. Im Rundfunk Mut, Pointensicherheit und ein "erfrischendes Gefühl". Das vierköpfige Ensemble (Henning Hartmann, Dominik Maringer, Peter Sikorski, Tina Haas) ertippelt sich die achtjährigen Buben Stän, Kartmän, Kein und Kenni jedenfalls mit einer Selbstverständlichkeit, die entwaffnend ist. Dass letzteren immer irgendjemand getötet hat - auch dieser Running Gag darf im hannoverschen Südpark nicht fehlen - "Ihr Schweine!". Außerdem schlüpfen die vier jungen Schauspieler ohne Probleme in weitere Rollen, von Wendy über Timmy bis zum Chefkoch, der am Ende singend für mehr Toleranz gegenüber der Diskriminierung eintritt. Sehr befreiend in einer Zeit, in der man Widersprüche scheinbar besser erträgt als Unterschiede.
Synchronschwimmen im Burkini
Ob in der Märchenstunde, im Schwimm- oder Biologieunterricht mit Mr. (bzw. Mrs. Garisson!) - das rasante Pointenfeuerwerk wird dort besonders dicht, wo Original und Adaption motivisch zur Deckung kommen. Etwa wenn Kartmän beim Synchronschwimmen nicht wieder aus seinem Burkini rauskommt, nachdem Garisson ihn in gewohnt tuntiger Art angeherrscht hat: "Mach mir jetzt nicht die Türkin, Eric!". Das sind dann auch die Momente für Szenenapplaus. Das Publikums weiß die Wiedererkennungswerte gepaart mit national gefärbtem Konfliktpotenzial mehr als zu schätzen.
Mohrenkopf hin, Negerkuss her - die politisch unkorrekte Glücksrad-Lösung von Stäns Vater und ein Shitstorm auf YouTube bringt die sprachkulturelle Expedition der Südpark-Jungs ins Rollen. Dass dabei Unisex-Umkleidekabinen, Klimawandel, Cyber-Mobbing, Antisemitismus, Tierschutz, Inklusion und die aktuelle Blackfacing-Debatte ebenso über die kompakte Varieté-Bühne gejagt werden wie der allgemeine Kultur-Clash und das Gender-Mainstreaming, versteht sich von selbst. Dramaturgisch erstklassig eingesetzte Songs und die Piano-Begleitung von Dean Wilmington halten die rasanten Kostüm- und Szenenwechsel souverän zusammen (Bühne und Kostüme: Anna van Leen).
Kein Piep in Sicht
Es geht um nicht weniger, als die moralische Frage des politisch korrekten Ausdrucks. Da dies eh schon eines von unseren kollektiven Luxusproblemen ist, steigt das Publikum voll in den anarchischen Diskurs-Raum des Südparks eine - ganz ohne das eigentlich zu erwartende Raunen. Vorgehaltene Hände? Fehlanzeige. Die herrlich schrille Anti-Smartphone-Ballade, die Tina Haas schließlich als ausgegrenzter Butters gibt, ist einer der absoluten Höhepunkte der 100 Minuten Trash-Revue. Und am Ende singen die vier sich besonders schräg Moral und Verhaltenskodex zusammen, so dass der politisch korrekte Impetus mehr als ad absurdum geführt wird. Über einen zweiten Teil der Theateradaption wird glücklicherweise schon nachgedacht. Eine TV-Aufzeichnung bietet sich an. Tournee-würdig ist "Süd Park" allemal. Da geht noch was. Man darf gespannt sein.
Bilder: Karl-Bernd Karwasz/Schauspiel Hannover