Albert Schweitzer wurde vor 62 Jahren der Friedensnobelpreis verliehen. Ein Zeitzeuge erinnert sich.
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Noch heute denke ich gerne an meine Begegnung mit Dr. Ari van Wijnen zurück. Er erzählte mir, wie er den berühmten Urwalddoktor Albert Schweitzer kennengelernt hatte.
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"Seitdem ich denken kann, gab es für mich nur ein Idol: Albert Schweitzer." Dr. Ary van Wijnen ist der letzte lebende Zeitzeuge, der mit Schweitzer zusammengearbeitet hat. Der gebürtige Holländer mit Wohnsitz in Gerlachsheim bei Lauda erinnert sich an die Zeit mit dem berühmten Theologen, Philosophen und Urwalddoktor.
Schon van Wijnens Vater, ein evangelischer Pastor im holländischen Groningen, war begeistert von Schweitzers liberaler Theologie. Inspiriert von seinem Vater hatte der junge Ary bereits mit zwölf Jahren sämtliche Bücher über und von ihm gelesen. Folglich kam für den Jungen nur ein Beruf in Frage: Arzt werden und seinem großen Vorbild nacheifern.
"Helfen wollte ich, doch nicht hier, wo es genügend Ärzte gibt, sondern in den Entwicklungsländern." Dieser Wunsch begleitete ihn das ganze Studium hindurch, doch am Ende kamen van Wijnen Zweifel. "Ich wusste ja nicht, ob ich tatsächlich geeignet war", sagt der 75-Jährige. Anfang der 1960er Jahre bewarb er sich um ein Praktikum bei Schweitzer in Gabun.
Wenige Jahre zuvor, 1952, hatte dieser den Friedensnobelpreis erhalten. "Seine Popularität hatte dadurch immens zugenommen und auch die Anzahl der Besuchergruppen, die zu seinem Krankenhaus in Lambarene pilgerten, um ihn persönlich kennen zu lernen."
Van Wijnen erhielt eine Absage. Im Mai 1963 erreichte ihn schließlich ein Telegramm aus Lambarene. Ein Praktikumsplatz wurde dem jungen Studenten angeboten. "Mein größter Wunsch hatte sich erfüllt", sagt van Wijnen heute. Nach einem Gespräch mit den Eltern wurde innerhalb weniger Tage der Flug ins westafrikanische Gabun gebucht.
"Bei meiner Ankunft gab es ein großes Empfangskomitee." Dass es nicht wegen ihm sei, war dem jungen Mann bald klar. "Mit mir war eine Delegation wichtiger Leute im Flieger", schmunzelt van Wijnen. "So konnte ich Albert Schweitzer gleich bei meiner Ankunft die Hand schütteln."
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Sechs Monate blieb der Student in Gabun. Er arbeitete längst nicht nur im Krankenhaus mit. "Schweitzer verlangte viel mehr. Ich half beim Anstreichen der Wellblechdächer und bei der Gartenarbeit. Das gehörte zu meinen Aufgaben dazu." Immer wieder sah er Schweitzer mit Tropenhelm die vielen Besucher begleiten.
"Das koloniale Aussehen, das er durch den Hut bekam, hat ihn nicht gestört." Im Gegenteil, der Arzt riet allen Besuchern, eine Kopfbedeckung zu tragen. Van Wijnen hielt sich nicht daran und musste bald dafür büßen. "Schon nach ein paar Tagen Gartenarbeit hatte ich einen Sonnenstich", lacht er.
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Als "The Greatest Man in the World", als modernen Heiligen, hatte kurz vorher das TIME-Magazin Schweitzer betitelt. Zu dem Zeitpunkt traf van Wijnen sein Vorbild täglich zum Abendessen.
"Die anschließende Abendandacht, die er mit Stücken auf dem Klavier begleitete, gehört zu meinen schönsten Erinnerungen", betont er heute. Dass das Musikinstrument von Ameisen zerfressen war, hat die Klänge nicht weiter gestört.
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Zum Abschied schenkte ihm Schweitzer zwei Bücher. "Ich wusste nicht, was auf mich zukommt und wollte mit ihm in Kontakt bleiben." Dass er den Nobelpreisträger am Tag der Abreise zum letzten Mal sehen würde, konnte der Student nicht wissen. Kurz vor Beendigung seines Studiums erhielt er noch einen Brief. "Darin fragte er mich, ob ich als Arzt in seinem Hospital arbeiten möchte." Van Wijnen nahm das Angebot sofort an. Nach dem Staatsexamen flog er am 7. September 1965 erneut nach Gabun. Doch sein großes Vorbild traf er nicht mehr an. Schweitzer war drei Tage vorher verstorben. "Ich war sehr traurig, doch gleichzeitig auch sehr dankbar, ihn einst kennengelernt zu haben", erinnert sich van Wijnen.
Er erreichte Lambarene zu einer Zeit, in der die Begräbnisfeierlichkeiten in vollem Gange waren. "Ich sah, wie beliebt er bei der Bevölkerung war. Drei Monate wurden Totentänze an seinem Grab aufgeführt, die Leute kamen aus dem ganzen Land, um ihn so die letzte Ehre zu erweisen", beschreibt er heute das beeindruckende Ritual. Auch heute noch glauben die Gabuner, nach dem Tod ins Reich der Vorfahren zu kommen. Und wenn jemand im Leben eine gute Person war, würde er auch alle Vorteile im Jenseits haben. Das stand bei dem "Grand Docteur", wie die Menschen ihn ehrfurchtsvoll nannten, außer Zweifel.
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Bis 1967 blieb van Wijnen als Arzt in Lambarene. Die Fertigstellung des Lepradorfes erlebte er mit. "Schweitzer hat dafür das Geld aus seinem Nobelpreis verwendet." Noch zweimal, von 1969 bis 1974 und von 1981 bis 1985 kehrte van Wijnen zurück. Zuletzt als ärztlicher Leiter des Krankenhauses. Vorbereitet hatte er sich in Holland mit Fortbildungen in innerer Medizin und Kinderheilkunde.
Weitere Stationen folgten am tropenmedizinischen Institut in Amsterdam sowie als Lepra-Arzt in Nigeria und Haiti. Schließlich wurde es ruhiger um den "Weltbürger", wie er sich selbst bezeichnet. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als medizinischer Berater bei der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe in Würzburg. Seinem Vorbild ist er treu geblieben: Schweitzers philosophische Gedanken, wie "Ehrfurcht vor dem Leben" und "Ich will leben inmitten von Leben, das leben will", begleiten van Wijnen noch heute: "Die Zeit bei und mit dem Urwalddoktor zählt zu den wichtigsten Ereignissen in meinem Leben."
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Dr. Ary van Wijnen heute.
Albert Schweitzer
Albert Schweitzer wurde am 14. Januar 1875 im elsässischen Kaysersberg bei Colmar geboren. Der Sohn eines Vikars war ein evangelischer Theologe, Organist, Philosoph und Arzt. 1913 gründete Schweitzer in Französisch-Äquatorialafrika (heute Gabun) das Urwaldhospital. 1952 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Seine Dankesrede folgte 1954. Am 4. September 1965 starb er in Lambarene.
Fotos: Jochen Hövekenmeier (1), DAHW (1) Archiv van Wijnen (5)

Noch heute denke ich gerne an meine Begegnung mit Dr. Ari van Wijnen zurück. Er erzählte mir, wie er den berühmten Urwalddoktor Albert Schweitzer kennengelernt hatte.

"Seitdem ich denken kann, gab es für mich nur ein Idol: Albert Schweitzer." Dr. Ary van Wijnen ist der letzte lebende Zeitzeuge, der mit Schweitzer zusammengearbeitet hat. Der gebürtige Holländer mit Wohnsitz in Gerlachsheim bei Lauda erinnert sich an die Zeit mit dem berühmten Theologen, Philosophen und Urwalddoktor.
Schon van Wijnens Vater, ein evangelischer Pastor im holländischen Groningen, war begeistert von Schweitzers liberaler Theologie. Inspiriert von seinem Vater hatte der junge Ary bereits mit zwölf Jahren sämtliche Bücher über und von ihm gelesen. Folglich kam für den Jungen nur ein Beruf in Frage: Arzt werden und seinem großen Vorbild nacheifern.
"Helfen wollte ich, doch nicht hier, wo es genügend Ärzte gibt, sondern in den Entwicklungsländern." Dieser Wunsch begleitete ihn das ganze Studium hindurch, doch am Ende kamen van Wijnen Zweifel. "Ich wusste ja nicht, ob ich tatsächlich geeignet war", sagt der 75-Jährige. Anfang der 1960er Jahre bewarb er sich um ein Praktikum bei Schweitzer in Gabun.
Wenige Jahre zuvor, 1952, hatte dieser den Friedensnobelpreis erhalten. "Seine Popularität hatte dadurch immens zugenommen und auch die Anzahl der Besuchergruppen, die zu seinem Krankenhaus in Lambarene pilgerten, um ihn persönlich kennen zu lernen."
Van Wijnen erhielt eine Absage. Im Mai 1963 erreichte ihn schließlich ein Telegramm aus Lambarene. Ein Praktikumsplatz wurde dem jungen Studenten angeboten. "Mein größter Wunsch hatte sich erfüllt", sagt van Wijnen heute. Nach einem Gespräch mit den Eltern wurde innerhalb weniger Tage der Flug ins westafrikanische Gabun gebucht.
"Bei meiner Ankunft gab es ein großes Empfangskomitee." Dass es nicht wegen ihm sei, war dem jungen Mann bald klar. "Mit mir war eine Delegation wichtiger Leute im Flieger", schmunzelt van Wijnen. "So konnte ich Albert Schweitzer gleich bei meiner Ankunft die Hand schütteln."

Sechs Monate blieb der Student in Gabun. Er arbeitete längst nicht nur im Krankenhaus mit. "Schweitzer verlangte viel mehr. Ich half beim Anstreichen der Wellblechdächer und bei der Gartenarbeit. Das gehörte zu meinen Aufgaben dazu." Immer wieder sah er Schweitzer mit Tropenhelm die vielen Besucher begleiten.
"Das koloniale Aussehen, das er durch den Hut bekam, hat ihn nicht gestört." Im Gegenteil, der Arzt riet allen Besuchern, eine Kopfbedeckung zu tragen. Van Wijnen hielt sich nicht daran und musste bald dafür büßen. "Schon nach ein paar Tagen Gartenarbeit hatte ich einen Sonnenstich", lacht er.

Als "The Greatest Man in the World", als modernen Heiligen, hatte kurz vorher das TIME-Magazin Schweitzer betitelt. Zu dem Zeitpunkt traf van Wijnen sein Vorbild täglich zum Abendessen.
"Die anschließende Abendandacht, die er mit Stücken auf dem Klavier begleitete, gehört zu meinen schönsten Erinnerungen", betont er heute. Dass das Musikinstrument von Ameisen zerfressen war, hat die Klänge nicht weiter gestört.

Zum Abschied schenkte ihm Schweitzer zwei Bücher. "Ich wusste nicht, was auf mich zukommt und wollte mit ihm in Kontakt bleiben." Dass er den Nobelpreisträger am Tag der Abreise zum letzten Mal sehen würde, konnte der Student nicht wissen. Kurz vor Beendigung seines Studiums erhielt er noch einen Brief. "Darin fragte er mich, ob ich als Arzt in seinem Hospital arbeiten möchte." Van Wijnen nahm das Angebot sofort an. Nach dem Staatsexamen flog er am 7. September 1965 erneut nach Gabun. Doch sein großes Vorbild traf er nicht mehr an. Schweitzer war drei Tage vorher verstorben. "Ich war sehr traurig, doch gleichzeitig auch sehr dankbar, ihn einst kennengelernt zu haben", erinnert sich van Wijnen.
Er erreichte Lambarene zu einer Zeit, in der die Begräbnisfeierlichkeiten in vollem Gange waren. "Ich sah, wie beliebt er bei der Bevölkerung war. Drei Monate wurden Totentänze an seinem Grab aufgeführt, die Leute kamen aus dem ganzen Land, um ihn so die letzte Ehre zu erweisen", beschreibt er heute das beeindruckende Ritual. Auch heute noch glauben die Gabuner, nach dem Tod ins Reich der Vorfahren zu kommen. Und wenn jemand im Leben eine gute Person war, würde er auch alle Vorteile im Jenseits haben. Das stand bei dem "Grand Docteur", wie die Menschen ihn ehrfurchtsvoll nannten, außer Zweifel.

Bis 1967 blieb van Wijnen als Arzt in Lambarene. Die Fertigstellung des Lepradorfes erlebte er mit. "Schweitzer hat dafür das Geld aus seinem Nobelpreis verwendet." Noch zweimal, von 1969 bis 1974 und von 1981 bis 1985 kehrte van Wijnen zurück. Zuletzt als ärztlicher Leiter des Krankenhauses. Vorbereitet hatte er sich in Holland mit Fortbildungen in innerer Medizin und Kinderheilkunde.
Weitere Stationen folgten am tropenmedizinischen Institut in Amsterdam sowie als Lepra-Arzt in Nigeria und Haiti. Schließlich wurde es ruhiger um den "Weltbürger", wie er sich selbst bezeichnet. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als medizinischer Berater bei der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe in Würzburg. Seinem Vorbild ist er treu geblieben: Schweitzers philosophische Gedanken, wie "Ehrfurcht vor dem Leben" und "Ich will leben inmitten von Leben, das leben will", begleiten van Wijnen noch heute: "Die Zeit bei und mit dem Urwalddoktor zählt zu den wichtigsten Ereignissen in meinem Leben."
Dr. Ary van Wijnen heute.
Albert Schweitzer
Albert Schweitzer wurde am 14. Januar 1875 im elsässischen Kaysersberg bei Colmar geboren. Der Sohn eines Vikars war ein evangelischer Theologe, Organist, Philosoph und Arzt. 1913 gründete Schweitzer in Französisch-Äquatorialafrika (heute Gabun) das Urwaldhospital. 1952 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Seine Dankesrede folgte 1954. Am 4. September 1965 starb er in Lambarene.
Fotos: Jochen Hövekenmeier (1), DAHW (1) Archiv van Wijnen (5)