
In vielen Teilen dieser Welt kommt etwas in Bewegung. In Uruguay wurde Cannabis legalisiert, in US-Staaten hat die Entscheidung für einen kleinen Wirtschaftsboom gesorgt.
In Deutschland ist diese Debatte dagegen noch nicht angekommen. Im Gegenteil: Das Thema gilt bei vielen als verrucht, schmutzig und verboten.
Junge Menschen bekommen erzählt, der Joint sei die Einstiegsdroge für Heroin. Der erste Schritt ist das harmlose Kiffen, der zweite Schritt der Drogentod.
Es ist ein Märchen, aber viele glaube es. Fast zwei Drittel der Deutschen sind gegen die Cannabis-Legalisierung, hat eine Umfrage ergeben.
Ich erlebe es ja selbst immer wieder. Wenn ich irgendwo erzähle, dass ich mich mit allen Aspekten der Cannabis-Legalisierung beschäftige, auch den positiven, müsste ich mich den Reaktionen zufolge schon fragen, ob ich eigentlich ernstzunehmender Journalist bin oder Anwalt einer Gruppe von demnach in jeder Hinsicht limitierten Menschen, die sich ununterbrochen die Tüten reinziehen.
Darf ich die Legalisierung von Cannabis befürworten? Viele Kollegen bezweifeln das.
Das Thema Cannabis ist eins der merkwürdigsten Tabu-Themen unserer Gesellschaft. Ein bisschen wie Sex und die "Bild"-Zeitung. Alle tun es und ziemlich viele wissen, was drin steht, aber ernsthaft darüber reden? Lieber nicht.
Ich glaube, dass wir dringender denn je über die Legalisierung sprechen müssen. Aus gesellschaftlichen, aber auch aus medizinischen Gründen.
Wer viel kifft, wird antriebslos. Wer mit Joints versucht, seine Probleme zu lösen, macht alles noch viel schlimmer. Und wer bekifft Auto fährt, gefährdet das Leben anderer Menschen. Keine Frage. Aber das gilt für Rotwein genauso.
Das machen wir uns viel zu selten klar.
Cannabis ist die am meisten konsumierte illegale Droge. Rund 17 Millionen Deutsche haben in ihrem Leben mindestens ein Mal Cannabis konsumiert. Es ist ein Massenphänomen.
Tabak hat noch mehr Fans, 30 Prozent der Über-18-Jährigen Deutschen rauchen. Und jeder Deutsche im Alter von über 15 Jahren trinkt im Schnitt 11,8 Liter reinen Alkohol im Jahr, das entspricht rund 500 Flaschen Bier.
Nur: „Trinker und Raucher - das sind die Drogentoten in Deutschland. Danach kommt lange nichts", sagt Raphael Gaßmann von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. An Tabak sterben jährlich 114.000 Menschen, an Alkohol 74.000.
An Cannabis: null.
Aber Tabak und Alkohol sind legal. Cannabis nicht. Und darüber müssen wir reden.
In der Redaktion sitzen wir übrigens verhältnismäßig selten im Kreis und geben den Joint rum. Genau genommen haben wir das noch nie getan - soweit ich mich erinnern kann.
Aber sollen wir deswegen nicht darauf hinweisen, dass Cannabis aus Sicht vieler Konsumenten das bessere Medikament ist?
Und dass auch Studien zeigen, dass Cannabis sich als besser verträgliches Schmerzmittel bewährt hat? Wie in US-Staaten, die den Gebrauch von Cannabis legalisiert haben, und wo seitdem weniger Menschen an starken Schmerzmitten sterben als in den anderen Staaten.
Sollen wir nicht darüber berichten, dass Cannabis sogar bei der Behandlung von Krebs, Aids und Multiple Sklerose helfen kann?
Doch. Ich finde, wir müssen sogar - trotz der vielen Gegner.
Keine Sorge, es wird so schnell nicht so weit kommen, dass sich jeder den Einkaufswagen im Supermarkt mit Cannabis vollladen darf.
Aber wir müssen uns zumindest mal fragen, ob eine Legalisierung nicht viel mehr Vor- als Nachteile hätte.
Und wir müssen endlich aufhören, eine ziemlich große, wachsende Gruppe der Gesellschaft zu kriminalisieren - weil sie Cannabis als Genussmittel konsumiert oder es als Medikament benötigt.
Wir müssen eine Gruppe von Menschen ernster nehmen, die sich diskriminiert fühlt, weil sie auf der angeblich falschen Seite steht.
Nur das tun wir.
Ich finde: Wenn wir über Missstände berichten wollen - und Journalisten sagen, dass sie das wollen -, dann kommen wir um dieses Thema nicht herum.
