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Kein Tsunami: Wovor das Prostituiertenschutzgesetz die Prostituierten schützen soll

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Die Novellierung des Prostitutionsgesetzes ist eines der Ziele der Großen Koalition und Gegenstand heftiger Diskussionen. Dabei besteht ein Konsens, dass es "Prostituiertenschutzgesetz" heißen soll. Damit erklärt oder erkennt die Regierung, dass die prostituierten Personen eine schutzbedürftige Bevölkerungsgruppe sind.

Ungeklärt bleibt aber die Gefahrendefinition: Vor wem oder was müssen denn die prostituierten Personen eigentlich geschützt werden? Vor der gesellschaftlichen Stigmatisierung?

Der Großteil der prostituierten Personen lehnt die Prostitution ab, will sich nur kurz aus der Geldnot helfen und so schnell wie möglich aus der Prostitution wieder aussteigen. Die meisten prostituierten Personen, auch wenn sie sich lange prostituieren, wollen nicht, dass diese Lebensphase Spuren in ihrer Biografie hinterlässt. Sie identifizieren sich gar nicht mit der Prostitution, sie bejahen sie nicht, sie wollen gegenüber dem Rest der Gesellschaft unsichtbar bleiben. Sie tragen also selbst zur Stigmatisierung bei.

Hoffentlich wird das neue Gesetz nicht versuchen, sie vor sich selbst zu schützen, sondern vor den realen Gefahren, denen sie ausgesetzt sind. Welche Gefahren also?

Vor wem soll das Gesetz sie schützen? Vor ihren Nachbarn?

Die Sperrgebietsverordnungen bewirken, dass die Bevölkerung außerhalb der Prostitution niemals erfährt, dass gerade um die Ecke Frauen sich prostituieren. Der Straßenstrich wird aus den Innenstädten verbannt, darf nur auf entlegenen Straßen außerhalb der Wohngebiete stattfinden. So schützt man aber nicht Prostituierte vor ihren Nachbarn, sondern umgekehrt die Nachbarn vor der Wahrnehmung der Prostitution.

Keine Mutter, kein Vater muss den unangenehmen Fragen ihrer oder seiner Kinder beantworten, was diese Frauen am Rande der Straße wohl machen und warum sie so dürftig angezogen sind. In den abgelegenen Straßen, wo Straßenstrich erlaubt ist, fährt keine Familienkutsche vorbei, also sind die Kinder vor der Wahrnehmung der Prostitution geschützt, oder vielmehr die Eltern vor unangenehmen Fragen.

Die Prostituierten sollten jedoch vor Angriffen und Übergriffen geschützt werden, aber das Gegenteil ist der Fall: Am Waldrand oder in abgelegenen Straßen sind sie solchen Gefahren viel eher ausgesetzt. Und wenn sie um Hilfe rufen, ist niemand da, der helfen könnte. Also werden die Prostituierten nicht davor geschützt, in Gefahrenzonen stehen zu müssen.

Vor wem also sollte das Gesetz die Prostituierten schützen? Vor ihren Zuhältern?

Die Zuhälterei besteht darin, Einkünfte aus der Prostitution einer anderen Person zu beziehen. Ob diese Einkünfte an eine Gegenleistung geknüpft sind oder nicht, ist vollkommen egal. Meistens erfüllt der Zuhälter eine Beschützerfunktion und rechtfertigt damit seine Anteile an dem Prostitutionsertrag.

Wenn aber aus dem Beschützer ein Tyrann wird, der die Frau zur Steigerung ihrer Einkünfte zwingt, damit sie zum Beispiel mit bestimmten Praktiken mehr Geld verdient, dann ist dies dirigistische Zuhälterei und ist verboten. Also sind nach der heutigen Gesetzeslage die Prostituierten vor Übergriffen ihrer Zuhälter bestens geschützt.

Warum sollte also der Schutz der Prostituierten vor ihren Zuhältern im Fokus der Gesetzgebung stehen?

Weil die Erpressung keine Straftat darstellt. Sie kann von der gesamten Situation der prostituierten Personen nicht isoliert werden. Diese stehen unter dem Druck, ihre ganze Familie im Heimatland versorgen zu müssen.

Die Funktion des Zuhälters wird nicht von einer einzigen Person eingenommen, sondern von der eigenen Verwandtschaft aufgrund deren Erwartungshaltung. Diese Art von Zuhälterei braucht keine sichtbaren Erpressungsmittel, die emotionale Abhängigkeit genügt.

Wie könnte man durch ein Gesetz diese Abhängigkeitsverhältnisse durchbrechen?

Diese erweiterten Familien sehen die Prostitution der Schwächsten ihrer Mitglieder als die allerletzte Armutsüberwindungsstrategie, die ihnen in einer desolaten Wirtschaftslage übrigbleibt.

Wird das Prostituiertenschutzgesetz die im Zuge des EU-Beitritts wegrationalisierten Sozialsysteme in Rumänien und Bulgarien wiederherstellen? Wird sie diskriminierten Roma-Familien einen Zugang zur Grundversorgung ermöglichen? Wird das Gesetz ganze Bevölkerungsteile vor der Armut schützen? Wäre das nicht der richtige Schutz, den diese Personen brauchen?

Sind es aber dann die BordellbesitzerInnen, die eine Gefahr darstellen, vor der per Gesetz die prostituierten Personen geschützt werden sollten?

Sie betonen immer wieder, wie effizient und professionell sie den Schutz der sich bei ihnen prostituierenden Personen gewährleisteten, wie bequem und sicher die Ausübung der Prostitution bei ihnen sei im Vergleich zum Straßenstrich.

Tatsächlich sind Bordellzimmer fast immer mit einem Wasseranschluss ausgestattet und ermöglichen einen Mindestmaß an Hygiene, die auf dem Strich nicht vorhanden ist. Allerdings stellt die Hygiene keine Garantie dafür dar, dass ansteckende Krankheiten sich nicht verbreiten. Die gefährlichsten Krankheitserreger werden bei Oral- oder Geschlechtsverkehr ohne Kondom übertragen, auch unter ansonsten guten hygienischen Bedingungen.

Die wenigsten BordellbesitzerInnen stellen aber den prostituierten Personen kostenlos Kondome zur Verfügung. Nur in Bayern, wo es im lokalen Gesetz steht, erinnern sie ihre Kunden per Aushang an die Kondompflicht. Die BordellbesitzerInnen sind in den seltensten Fällen ArbeitgeberInnen. Sie übernehmen also weder die Pflichten noch die Rechte von ArbeitgeberInnen und sollten keine Macht über die prostituierten Personen ausüben.

Die Mieten, die sie für die Zimmer verlangen, übersteigen bei Weitem den ortsüblichen Mietspiegel. Sie verschlingen einen Großteil der Einkünfte der Prostitution. Also sind die BordellbetreiberInnen eigentlich in einer Machtposition, die diejenige eines Arbeitgebers weit übersteigt; natürlich sind Überschreitungen ihrerseits zu befürchten.

Es ist auf jeden Fall gerechtfertigt, die prostituierten Personen vor ihnen schützen zu wollen. Die Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten, die die Regierung einzuführen gedenkt, ist eine längst überfällige Maßnahme, die verhindern soll, dass notorische Kriminelle ein Bordell eröffnen dürfen. Es werden endlich Auflagen definiert und erteilt, die ein Bordell erfüllen muss.

Werden hiermit prostituierte Personen besser vor Grenzüberschreitungen geschützt?

Das ist leider nicht zu erwarten. Es wird mit dem neuen Gesetz weiterhin nicht auszuschließen sein, dass Strohmänner eingesetzt werden, welche die Auflagen erfüllen. Druck auf die prostituierten Personen kann auch aus dem Hintergrund ausgeübt werden, von einer Person, deren Name auf keinem Dokument erscheint.

Prostituierte Personen bilden tatsächlich eine schutzbedürftige Personengruppe, und es wäre die Aufgabe des Gesetzgebers, seiner Schutzpflicht nachzukommen, um sie vor den realen Gefahren zu schützen.

Die meisten Grenzüberschreitungen, bis hin zu Gewaltakten, die prostituierte Personen tagtäglich erfahren, werden von Sexkäufern begangen. Sie kommen als Kunden, die sexuelle Handlungen kaufen wollen, erweisen sich aber als Gewalttäter, die mit Geld für Sex eigentlich einen Freibrief für Gewalt zu erkaufen glauben.

Von ihnen kommt die Nachfrage nach gefährlichen Praktiken, von ihnen kommt die Ablehnung der Benutzung von Kondomen. Und von ihnen kommen auch Bedrohungen, Beschimpfungen, herablassende Bemerkungen, die am Selbstwertgefühl nagen.

Wie will das Gesetz prostituierte Personen vor diesen Gefahren schützen, die ihnen von der eigenen Kundschaft drohen?

Die aktuellen Gesetzentwürfe sehen bestenfalls die Bestrafung der Kunden von Zwangsprostituierten vor, jedoch nicht die der übrigen Kunden. Das bedeutet, dass den Sexkäufern die Freiwilligkeit der prostituierten Person glaubwürdig vorgegaukelt werden muss, was meistens schon der Fall ist.

Die allerwenigsten Frauen trauen sich in der Interaktion mit einem Sexkäufer über ihre Not zu sprechen, geschweige denn um Hilfe zu bitten. Die Erpressungssituation und der Druck müssen nur weiter unsichtbar bleiben, und es wird sich kein Kunde strafbar machen.

Geschützt vor jedem Zwang sollen in der glamourösen Welt der "freiwilligen" Prostitution Frauen (und im geringeren Maß auch Männer) weiterhin ihre Sexualität als Ware anbieten dürfen und weiterhin diesen Gefahren ausgesetzt werden.

Übersehen dabei alle PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen bewusst, dass die Gefahren von den Käufern ausgehen, selbst wenn diese sich (auch künftig) nicht strafbar machen? Und dass die Tatsache, dass es Käufer gibt, überhaupt das ganze System Prostitution aufrechterhält, welches eine tägliche Anhäufung von Übergriffen durch Männer gegen die sexuelle Selbstbestimmung bedeutet?

Wen will man aber tatsächlich mit dem ProstituiertenSchutzGesetz schützen?

Die Prostituierten sind es nicht - es ist viel eher das gute Gewissen der Sexkäufer, damit sie ungestört weiterhin diese Übergriffe begehen können, ohne sich einer Straftat schuldig zu machen.

Aber warum kaufen Männer überhaupt Sex?

Weil es eine unbändige männliche Sexualität gibt, die auf der Suche nach ihrer Befriedigung bereit ist, viel gesellschaftliches Übel und persönliches Leid in Kauf zu nehmen? Woher kommt denn diese Bereitschaft?

Sie entstammt dem patriarchalischen Glauben, der männliche Sexualtrieb stürze sich wie ein Tsunami auf die Menschheit, ohne dass ihm etwas entgegengesetzt werden könne. Die Menschheit dürfe nur Schadensbegrenzung betreiben, damit die dramatischen Folgen dieses Tsunamis nicht allzu schmerzhaft seien.

Doch es gibt eine gute Nachricht: Der männliche Sexualtrieb ist kein Tsunami. Wie sein weibliches Pendant kann er kultiviert und kontrolliert werden. Der Sexualtrieb ist eine wunderbare Kraft, die sowohl bei Frauen als auch bei Männern vorhanden ist, die Bindungen verfestigt und Menschen stärkt, die sich in Kunst äußert und die Kulturen bereichert.

Es ist an der Zeit, mit der patriarchalischen Vorstellung aufzuräumen, dass wir alle mit der Zerstörungswut des männlichen Sexualtriebes leben müssten, weil es alternativlos sei.

Es gibt Alternativen, es ist kein Tsunami in Sicht.

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