Diese Fassade!
Der Mensch ist Architekt seiner eigenen Physis und Psyche. Bevor er Häuser errichtet, baut er an sich selbst. "Ich bin" und "ich baue" oder "buan" haben dieselbe Wurzel. Bei beiden geht es um „Meisterschaft", die ohne einen nachhaltigen Lernprozess nicht erreicht werden kann. „Erfahrung heisst gar nichts. Man kann eine Sache auch 35 Jahre falsch machen." Zitiert der Schweizer Manager und Autor Benedikt Weibel den Dichter Kurt Tucholsky in seinem Buch „Simplicity. Die Kunst, die Komplexität zu reduzieren" (Zürich 2014).
Weniger ist bekanntlich mehr. Aber es muss klar definiert werden. Dabei bezieht er sich auch auf Fredmund Malik, der die „Konzentration auf Weniges" als einen der höchsten Grundsätze der Unternehmensführung bezeichnete. Und er empfiehlt, mit Ockhams Rasiermesser zu arbeiten, in jeder Problemstellung das Wesentliche zu suchen und alles andere abzuschneiden. Dabei kommt es darauf an, die richtigen 20 Prozent zu finden. Wer einen solchen Maßstab anlegt, muss reagieren wie die Architekten in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts: „Weg mit dem Ornament!" Es ist ein wesentliches Verdienst des Buches, dies auch im übertragenen Sinn im heutigen Unternehmenskontext zu sehen. So sind die überflüssigen Ornamente der Institutionen, hinter deren Fassaden viele Risse im Gemäuer zu finden sind, für den Manager häufig nur Worthülsen und Leerformeln, die unter Titeln wie Vision, Mission oder Leitbild firmieren. Nach seiner Erfahrung sind solche „blutleeren Sätze eher die Regel als die Ausnahme. Es gibt also zu tun". Auch im eigenen Leben, das durch Unternehmen und Organisationen im Großen häufig gespiegelt wird. Blendwerk und Fassade sind im Kleinen und Großen oft kaum zu unterscheiden.
In seinem Buch „Gesellschaft der Angst" (2014) beschreibt der Soziologe Prof. Heinz Bude die außengeleiteten Charaktere, die sich selbst nie genügen können, weil sie sich vor allem vom Urteil der Anderen abhängig machen, die sich Trends und herrschenden Meinungen anschließen und im Zweifelsfall lieber schweigen als anzuecken und gegenzuhalten. Ihr Ich orientiert sich nur an der Außenwelt, und das eigene Fundament kommt ins Wanken, „wenn es nicht mehr glaubt, mithalten zu können". Einem solchen Charakter fehlen die inneren Reserven, die ihn immun (resilient) gegenüber Vergleichen und Verführungen machen könnten. Um sich selbst das Gefühl zu geben, stabil zu sein und Halt zu haben, muss er ständig performen und sich in Szene setzen. „Wenn im Zweifelsfall das Blendwerk der Performanz den Ausschlag dafür gibt, ob man noch im Spiel ist oder schon aussteigen muss, dann können einem schon Zweifel kommen, ob letztlich nichts anderes als der Erfolg selbst entscheidet."
Bauplan für eine Seele
Ja, unsere Lebens- und Arbeitswelt ist permanent voll blinkendender und unüberhörbarer Signale, die suggerieren, dass es sich lohnt, noch mehr Geld zu verdienen und noch eine Sprosse auf der Karriereleiter zu nehmen. Das bestätigt zugleich das Statusdenken der außengeleiteten Charaktere, die keinen Bezug zur Essenz ihres Wesens haben, die nicht wissen, was es heißt, auf sich selbst zu achten, sich um andere Menschen zu kümmern oder auch einfach nur innezuhalten. Dass viele Facetten davon auch in unserem eigenen Lebensgebäude zu finden sind, beschreibt Arianna Huffington in ihrem zeitgleich erschienenen Buch „Die Neuerfindung des Erfolgs". Darin rät sie, dass es dringend renoviert und saniert werden muss: Wir brauchen schleunigst einen neuen Bauplan, um Innen- und Außenwelt wieder zusammenzubringen, denn zu viele Menschen lassen ihr Leben und ihre Seele zu Hause, wenn sie zur Arbeit gehen. Ein Grund dafür, warum sich der Stress in unserem Leben so „anhäuft", ist, dass wir uns nicht genügend um uns selbst kümmern: „Wir sind einfach zu beschäftigt damit, dem Phantom des Erfolgs nachzujagen."
Als die Mitbegründerin und Chefredakteurin der Huffington Post 40 wurde, entschied sie sich, eine „große Inventur" in ihrem Leben zu machen. Dazu gehörte (auch im biblischen Sinne), ihr Haus auf Felsen zu bauen, es vor äußeren Stürmen zu schützen, aber auch an der eigenen inneren Infrastruktur und Resilienz zu arbeiten. „Es macht durchaus Sinn", bestätigt Claudia Silber, die bei der memo AG in Greußenheim die Unternehmenskommunikation leitet, „bei sich selbst auch regelmäßig Inventur zu machen und auch sich selbst zu hinterfragen. An vielen Stellen folgen wir doch der allgemeinen Meinung - auch wenn sie noch so schwachsinnig ist. Quer- und Selbstdenken und unbequem sein ist zwar mühsam und oft auch mutig, aber es macht das eigene Spiegelbild wieder klarer."
Arianna Huffington erkannte, dass die Stärke ihrer Innenwelt wesentlich davon abhängt, wie sie auf die Außenwelt zugeht. Mitgefühl und Großzügigkeit bilden für sie eine Brücke dorthin. In ihrem Buch beschreibt sie diesen neuen Weg, „den jeder Mensch sofort betreten kann, wo immer er auch gerade steht" und der zugleich zeigt, dass das Leben von innen nach außen geformt wird. So wie es Philosophen und Dichter es seit je beschrieben haben.
Hände lassen sich nicht täuschen
Wie bei kaum einem anderen Dichter zeigt sich das Thema „Bauen am eigenen Leben" in Verbindung mit Nachhaltigkeit und zahlreichen Parallelen zur heutigen Generation Y bei Rainer Maria Rilke. Er lebte ständig wie jemand, der aus den Räumen der Welt hinausgeworfen wurde, hatte nie eine feste Adresse, keinen "anständigen" Beruf, nie ein festes Einkommen, war oft in finanzieller Not und wurde von einigen Gönnerinnen und Gönnern ausgehalten. In seinem Werk, das Robert Musil zu den "Jahrhundertzusammenhängen der deutschen Dichtung, nicht zu denen des Tages" zählte (der schönste Beleg für die Nachhaltigkeit eines Werkes), ist von den frühen Gedichten bis zu den späten Elegien der Baugedanke gegenwärtig. Er ist das Fundament seiner Wort- und Lebenskunst. Das Haus des Dichters ist sein literarisches (Bau-)Werk, bei dem der Mörtel mit Herzblut gemischt ist.
Rilke baute schon früh an seiner Identität: Im Herbst 1897, während seines Studiums in München, änderte er auf Anraten seiner Geliebten Lou Andreas-Salomé seinen Namen in Rainer Maria Rilke. Damit einher ging eine Änderung seiner Handschrift, und bald pflegte er auch eine neue Lebensweise: Er versuchte, im Sinne der Reformbewegungen der Jahrhundertwende zu leben, wozu vegetarische Kost, Barfußgehen und eine asketische Lebensweise gehörten.
Die Angst in der Kindheit "zuckte" ihm wie Zugluft "herein durch die Fugen" seines Lebensgebäudes. Er betonte immer wieder, dass ein Grundantrieb seines Dichtens die Verwandlung des Unbewältigten in der Kindheit sei. Rilke, der am 1. September 1886 Zögling der Militärunterrealschule St. Pölten wurde, war ein stiller, ernster und stark nervöser Junge, der sich gern abseits hielt. Die Mitschüler hielten ihn für einen Sonderling, lachten ihn aus, weil er in glühender Traumsicherheit Gedichte schrieb. Nach dem vierten Jahr rückte er in die Militäroberrealschule in Mährisch-Weißkirchen vor. Hier erwies sich seine Konstitution als nicht widerstandsfähig genug, weshalb ihn seine Eltern aus der Anstalt nahmen. Für seine empfindliche Seele war jedes Planen, jede schablonenhafte Einwirkung von außen eine Last. Sein Gemütszustand wollte das Individuelle und Weite.
Der Künstler soll nach Rilke Dinge bauen, sie mit anderen Mitteln neu hervorbringen und dabei ihr Wesen freilegen, geduldig Formen vervollkommnen. Das Muster eines solchen Künstlers ist für ihn der französische Bildhauer Auguste Rodin, dessen Kunst sich "nicht auf eine große Idee aufbaut, sondern auf eine kleine gewissenhafte Verwirklichung, auf das Erreichbare, auf ein Können". Er sieht in ihm den ernsten, gesammelten Arbeiter, der "tief wie ein Knecht" seinen Weg geht und sein tägliches Handwerk ausübt. Das Bauen von Hand ist ein wiederkehrendes Thema bei Rilke. Die Hand bedarf, um sinnvoll zu funktionieren, der konkreten Dingwelt. Hände verkörpern für ihn Reinheit und Nähe. Sie vollziehen Handlungen, die auf die Welt zugreifen. Ihr erstes Merkmal ist ihre Offenheit gegenüber der Welt. Augen lassen sich täuschen, Hände nicht.
Vor diesem Hintergrund ist es auch selbsterklärend, dass in meinem Blog in der Huffington Post vor allem Beiträge zum Handwerk, zu Dingen, die man selbst machen, überschauen und steuern kann, am meisten gepostet, getwittert und kommentiert werden. An dieser Stelle sei auf einen wichtigen kritischen Aspekt verwiesen, den der Soziologe Harald Welzer in seinem Buch „Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne" (2014) im Zusammenhang mit dem 3-D-Drucker-Hype beschreibt: „Die Zeiten, da Architekturstudenten wie bei Mies van der Rohe erst mal ein Semester lang Striche mit unterschiedlich harten Bleistiften ziehen mussten, um etwas über die Materialität des Zeichnens zu lernen, sind längst vorbei. Daher scheint es eher fraglich, ob das Überspringen aller stofflichen und handwerklichen Erfahrung und das umstandslose ‚Machen' hilfreich für den Weg in eine reduktive Moderne ist..."
In seinem Werk widmet er sich der Frage, wie sich eine Kultur des „Weniger" gestalten lässt bzw. die Organisation der Reduktion im Kontext moderner Gesellschaften. Sein Fazit: „Die reduktive Moderne muss sich tatsächlich in Strategien des Weglassens einüben." Ankommen ist für ihn eine Haltung, für die es früher den Begriff der „Meisterschaft" gab, der hier am Beginn des Beitrags über nachhaltige Lebensentwürfe eine im besten Wortsinn fundamentale Bedeutung hat.
Die Ordnung der Dinge
„Wo fängt das Zuviel an oder hört das Zuwenig auf? Wo liegt unser ganz persönliches ‚Maß' an unentdeckten Dachböden und der Übersichtlichkeit aufgeräumter Schubladen?" Fragt die Philosophin Dr. Ina Schmidt in ihrem Buch „Alles in bester Ordnung" (2011), einem philosophischen Wegweiser vom Suchen und Finden. Sie spricht hier zwar nicht von Nachhaltigkeit, meint sie aber. Auch wenn sie von der „echten Aufmerksamkeit" schreibt, die den Dingen in unserem Leben eine Ordnung geben, ein eindeutiges „Bekenntnis" zu dem, was wichtig ist und Sinn „macht". Sinn ist für sie das Einzige, was ein System von innen heraus stabilisiert. Damit verbunden ist die Erkenntnis, dass die einzige Sicherheit, die wir bekommen können, wir uns selbst geben müssen. Um zu ihr vorzudringen, sollte Schicht für Schicht das abgetragen werden, was uns die Sicht aus unserem Lebensgebäude heraus verstellt. Das Denken ist für die Philosophin hierbei so etwas wie der „Schlüssel zu einem anderen ‚Empfinden' von Ordnung", die für sie alles andere als spießig ist - sie ist für sie ein kreativer Prozess und weniger ein Zustand.
Sie zeigt, dass Ordnung und Bodenständigkeit zusammengehören, und dass die Nachhaltigkeitsdebatte ohne Berücksichtigung eines Ordnungsrahmens nicht greifbar ist. Es braucht, um das Thema in seiner Tiefe und Breite gleichermaßen zu verstehen, das „Handfeste", Konkrete und Einfache. Aber es kommt nicht von selbst, sondern bedarf manchmal auch eines Anstoßes von außen: Es können Bücher sein wie die von Arianna Huffington, Heinz Bude oder Ina Schmidt - es können aber auch Unternehmensberater/innen und „Aufräumexperten" wie Edith Stork sein, die ein kluges Bewusstsein dafür schaffen, wie der Mensch mit sich und seinem (Arbeits-)Leben umgeht. Die Selbstorganisation umfasst für sie nicht nur die eigene Arbeitsstruktur, wie man etwas macht, sondern den Ablauf aller Arbeitsschritte am eigenen Platz und im Verbund mit den Arbeitsbeziehungen und -abläufen mit den anderen Kollegen („Tatort Büro. Gegen die Zurichtung des Menschen im Büro", 2004).
Besonders problematisch sind für sie die „Bodengründler", weil sie Papiere sogar auf der Erde um sich herum auftürmen. Viele Menschen halten Aufräumen für überflüssig - die Argumente sind immer die gleichen: „Ich brauche mein kreatives Chaos, darin finde ich mich gut zurecht, und andere können meine Arbeit eh nicht erledigen - deshalb muss auch keiner die Ordnung an meinem Platz verstehen." Für Edith Stork ist das eine bequeme Ausrede. Ordnung ist für sie keine Last - vielmehr schafft sie Freiräume, die Kreativität erst ermöglichen." (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.11. 2011) Ordnung hat für sie aber auch Ent-Scheidung und Nein-Sagen-Können zu tun. An ihrem Beispiel zeigt sich zugleich das Big Picture, dessen Rahmen wir selbst setzen müssen, wenn wir Wege in eine zukunftsfähige Moderne finden wollen. Dafür braucht es eine wichtige Kompetenz, auf die Steve Jobs immer wieder verwiesen hat: „Konzentrieren heißt nein sagen." Blendwerk und Fassaden haben dann keine Chance mehr, weil nur die inneren Reserven zählen, die dafür sorgen, dass das eigene Fundament nicht ins Wanken kommt.
Der Mensch ist Architekt seiner eigenen Physis und Psyche. Bevor er Häuser errichtet, baut er an sich selbst. "Ich bin" und "ich baue" oder "buan" haben dieselbe Wurzel. Bei beiden geht es um „Meisterschaft", die ohne einen nachhaltigen Lernprozess nicht erreicht werden kann. „Erfahrung heisst gar nichts. Man kann eine Sache auch 35 Jahre falsch machen." Zitiert der Schweizer Manager und Autor Benedikt Weibel den Dichter Kurt Tucholsky in seinem Buch „Simplicity. Die Kunst, die Komplexität zu reduzieren" (Zürich 2014).
Weniger ist bekanntlich mehr. Aber es muss klar definiert werden. Dabei bezieht er sich auch auf Fredmund Malik, der die „Konzentration auf Weniges" als einen der höchsten Grundsätze der Unternehmensführung bezeichnete. Und er empfiehlt, mit Ockhams Rasiermesser zu arbeiten, in jeder Problemstellung das Wesentliche zu suchen und alles andere abzuschneiden. Dabei kommt es darauf an, die richtigen 20 Prozent zu finden. Wer einen solchen Maßstab anlegt, muss reagieren wie die Architekten in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts: „Weg mit dem Ornament!" Es ist ein wesentliches Verdienst des Buches, dies auch im übertragenen Sinn im heutigen Unternehmenskontext zu sehen. So sind die überflüssigen Ornamente der Institutionen, hinter deren Fassaden viele Risse im Gemäuer zu finden sind, für den Manager häufig nur Worthülsen und Leerformeln, die unter Titeln wie Vision, Mission oder Leitbild firmieren. Nach seiner Erfahrung sind solche „blutleeren Sätze eher die Regel als die Ausnahme. Es gibt also zu tun". Auch im eigenen Leben, das durch Unternehmen und Organisationen im Großen häufig gespiegelt wird. Blendwerk und Fassade sind im Kleinen und Großen oft kaum zu unterscheiden.
In seinem Buch „Gesellschaft der Angst" (2014) beschreibt der Soziologe Prof. Heinz Bude die außengeleiteten Charaktere, die sich selbst nie genügen können, weil sie sich vor allem vom Urteil der Anderen abhängig machen, die sich Trends und herrschenden Meinungen anschließen und im Zweifelsfall lieber schweigen als anzuecken und gegenzuhalten. Ihr Ich orientiert sich nur an der Außenwelt, und das eigene Fundament kommt ins Wanken, „wenn es nicht mehr glaubt, mithalten zu können". Einem solchen Charakter fehlen die inneren Reserven, die ihn immun (resilient) gegenüber Vergleichen und Verführungen machen könnten. Um sich selbst das Gefühl zu geben, stabil zu sein und Halt zu haben, muss er ständig performen und sich in Szene setzen. „Wenn im Zweifelsfall das Blendwerk der Performanz den Ausschlag dafür gibt, ob man noch im Spiel ist oder schon aussteigen muss, dann können einem schon Zweifel kommen, ob letztlich nichts anderes als der Erfolg selbst entscheidet."
Bauplan für eine Seele
Ja, unsere Lebens- und Arbeitswelt ist permanent voll blinkendender und unüberhörbarer Signale, die suggerieren, dass es sich lohnt, noch mehr Geld zu verdienen und noch eine Sprosse auf der Karriereleiter zu nehmen. Das bestätigt zugleich das Statusdenken der außengeleiteten Charaktere, die keinen Bezug zur Essenz ihres Wesens haben, die nicht wissen, was es heißt, auf sich selbst zu achten, sich um andere Menschen zu kümmern oder auch einfach nur innezuhalten. Dass viele Facetten davon auch in unserem eigenen Lebensgebäude zu finden sind, beschreibt Arianna Huffington in ihrem zeitgleich erschienenen Buch „Die Neuerfindung des Erfolgs". Darin rät sie, dass es dringend renoviert und saniert werden muss: Wir brauchen schleunigst einen neuen Bauplan, um Innen- und Außenwelt wieder zusammenzubringen, denn zu viele Menschen lassen ihr Leben und ihre Seele zu Hause, wenn sie zur Arbeit gehen. Ein Grund dafür, warum sich der Stress in unserem Leben so „anhäuft", ist, dass wir uns nicht genügend um uns selbst kümmern: „Wir sind einfach zu beschäftigt damit, dem Phantom des Erfolgs nachzujagen."
Als die Mitbegründerin und Chefredakteurin der Huffington Post 40 wurde, entschied sie sich, eine „große Inventur" in ihrem Leben zu machen. Dazu gehörte (auch im biblischen Sinne), ihr Haus auf Felsen zu bauen, es vor äußeren Stürmen zu schützen, aber auch an der eigenen inneren Infrastruktur und Resilienz zu arbeiten. „Es macht durchaus Sinn", bestätigt Claudia Silber, die bei der memo AG in Greußenheim die Unternehmenskommunikation leitet, „bei sich selbst auch regelmäßig Inventur zu machen und auch sich selbst zu hinterfragen. An vielen Stellen folgen wir doch der allgemeinen Meinung - auch wenn sie noch so schwachsinnig ist. Quer- und Selbstdenken und unbequem sein ist zwar mühsam und oft auch mutig, aber es macht das eigene Spiegelbild wieder klarer."
Arianna Huffington erkannte, dass die Stärke ihrer Innenwelt wesentlich davon abhängt, wie sie auf die Außenwelt zugeht. Mitgefühl und Großzügigkeit bilden für sie eine Brücke dorthin. In ihrem Buch beschreibt sie diesen neuen Weg, „den jeder Mensch sofort betreten kann, wo immer er auch gerade steht" und der zugleich zeigt, dass das Leben von innen nach außen geformt wird. So wie es Philosophen und Dichter es seit je beschrieben haben.
Hände lassen sich nicht täuschen
Wie bei kaum einem anderen Dichter zeigt sich das Thema „Bauen am eigenen Leben" in Verbindung mit Nachhaltigkeit und zahlreichen Parallelen zur heutigen Generation Y bei Rainer Maria Rilke. Er lebte ständig wie jemand, der aus den Räumen der Welt hinausgeworfen wurde, hatte nie eine feste Adresse, keinen "anständigen" Beruf, nie ein festes Einkommen, war oft in finanzieller Not und wurde von einigen Gönnerinnen und Gönnern ausgehalten. In seinem Werk, das Robert Musil zu den "Jahrhundertzusammenhängen der deutschen Dichtung, nicht zu denen des Tages" zählte (der schönste Beleg für die Nachhaltigkeit eines Werkes), ist von den frühen Gedichten bis zu den späten Elegien der Baugedanke gegenwärtig. Er ist das Fundament seiner Wort- und Lebenskunst. Das Haus des Dichters ist sein literarisches (Bau-)Werk, bei dem der Mörtel mit Herzblut gemischt ist.
Rilke baute schon früh an seiner Identität: Im Herbst 1897, während seines Studiums in München, änderte er auf Anraten seiner Geliebten Lou Andreas-Salomé seinen Namen in Rainer Maria Rilke. Damit einher ging eine Änderung seiner Handschrift, und bald pflegte er auch eine neue Lebensweise: Er versuchte, im Sinne der Reformbewegungen der Jahrhundertwende zu leben, wozu vegetarische Kost, Barfußgehen und eine asketische Lebensweise gehörten.
Die Angst in der Kindheit "zuckte" ihm wie Zugluft "herein durch die Fugen" seines Lebensgebäudes. Er betonte immer wieder, dass ein Grundantrieb seines Dichtens die Verwandlung des Unbewältigten in der Kindheit sei. Rilke, der am 1. September 1886 Zögling der Militärunterrealschule St. Pölten wurde, war ein stiller, ernster und stark nervöser Junge, der sich gern abseits hielt. Die Mitschüler hielten ihn für einen Sonderling, lachten ihn aus, weil er in glühender Traumsicherheit Gedichte schrieb. Nach dem vierten Jahr rückte er in die Militäroberrealschule in Mährisch-Weißkirchen vor. Hier erwies sich seine Konstitution als nicht widerstandsfähig genug, weshalb ihn seine Eltern aus der Anstalt nahmen. Für seine empfindliche Seele war jedes Planen, jede schablonenhafte Einwirkung von außen eine Last. Sein Gemütszustand wollte das Individuelle und Weite.
Der Künstler soll nach Rilke Dinge bauen, sie mit anderen Mitteln neu hervorbringen und dabei ihr Wesen freilegen, geduldig Formen vervollkommnen. Das Muster eines solchen Künstlers ist für ihn der französische Bildhauer Auguste Rodin, dessen Kunst sich "nicht auf eine große Idee aufbaut, sondern auf eine kleine gewissenhafte Verwirklichung, auf das Erreichbare, auf ein Können". Er sieht in ihm den ernsten, gesammelten Arbeiter, der "tief wie ein Knecht" seinen Weg geht und sein tägliches Handwerk ausübt. Das Bauen von Hand ist ein wiederkehrendes Thema bei Rilke. Die Hand bedarf, um sinnvoll zu funktionieren, der konkreten Dingwelt. Hände verkörpern für ihn Reinheit und Nähe. Sie vollziehen Handlungen, die auf die Welt zugreifen. Ihr erstes Merkmal ist ihre Offenheit gegenüber der Welt. Augen lassen sich täuschen, Hände nicht.
Vor diesem Hintergrund ist es auch selbsterklärend, dass in meinem Blog in der Huffington Post vor allem Beiträge zum Handwerk, zu Dingen, die man selbst machen, überschauen und steuern kann, am meisten gepostet, getwittert und kommentiert werden. An dieser Stelle sei auf einen wichtigen kritischen Aspekt verwiesen, den der Soziologe Harald Welzer in seinem Buch „Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne" (2014) im Zusammenhang mit dem 3-D-Drucker-Hype beschreibt: „Die Zeiten, da Architekturstudenten wie bei Mies van der Rohe erst mal ein Semester lang Striche mit unterschiedlich harten Bleistiften ziehen mussten, um etwas über die Materialität des Zeichnens zu lernen, sind längst vorbei. Daher scheint es eher fraglich, ob das Überspringen aller stofflichen und handwerklichen Erfahrung und das umstandslose ‚Machen' hilfreich für den Weg in eine reduktive Moderne ist..."
In seinem Werk widmet er sich der Frage, wie sich eine Kultur des „Weniger" gestalten lässt bzw. die Organisation der Reduktion im Kontext moderner Gesellschaften. Sein Fazit: „Die reduktive Moderne muss sich tatsächlich in Strategien des Weglassens einüben." Ankommen ist für ihn eine Haltung, für die es früher den Begriff der „Meisterschaft" gab, der hier am Beginn des Beitrags über nachhaltige Lebensentwürfe eine im besten Wortsinn fundamentale Bedeutung hat.
Die Ordnung der Dinge
„Wo fängt das Zuviel an oder hört das Zuwenig auf? Wo liegt unser ganz persönliches ‚Maß' an unentdeckten Dachböden und der Übersichtlichkeit aufgeräumter Schubladen?" Fragt die Philosophin Dr. Ina Schmidt in ihrem Buch „Alles in bester Ordnung" (2011), einem philosophischen Wegweiser vom Suchen und Finden. Sie spricht hier zwar nicht von Nachhaltigkeit, meint sie aber. Auch wenn sie von der „echten Aufmerksamkeit" schreibt, die den Dingen in unserem Leben eine Ordnung geben, ein eindeutiges „Bekenntnis" zu dem, was wichtig ist und Sinn „macht". Sinn ist für sie das Einzige, was ein System von innen heraus stabilisiert. Damit verbunden ist die Erkenntnis, dass die einzige Sicherheit, die wir bekommen können, wir uns selbst geben müssen. Um zu ihr vorzudringen, sollte Schicht für Schicht das abgetragen werden, was uns die Sicht aus unserem Lebensgebäude heraus verstellt. Das Denken ist für die Philosophin hierbei so etwas wie der „Schlüssel zu einem anderen ‚Empfinden' von Ordnung", die für sie alles andere als spießig ist - sie ist für sie ein kreativer Prozess und weniger ein Zustand.
Sie zeigt, dass Ordnung und Bodenständigkeit zusammengehören, und dass die Nachhaltigkeitsdebatte ohne Berücksichtigung eines Ordnungsrahmens nicht greifbar ist. Es braucht, um das Thema in seiner Tiefe und Breite gleichermaßen zu verstehen, das „Handfeste", Konkrete und Einfache. Aber es kommt nicht von selbst, sondern bedarf manchmal auch eines Anstoßes von außen: Es können Bücher sein wie die von Arianna Huffington, Heinz Bude oder Ina Schmidt - es können aber auch Unternehmensberater/innen und „Aufräumexperten" wie Edith Stork sein, die ein kluges Bewusstsein dafür schaffen, wie der Mensch mit sich und seinem (Arbeits-)Leben umgeht. Die Selbstorganisation umfasst für sie nicht nur die eigene Arbeitsstruktur, wie man etwas macht, sondern den Ablauf aller Arbeitsschritte am eigenen Platz und im Verbund mit den Arbeitsbeziehungen und -abläufen mit den anderen Kollegen („Tatort Büro. Gegen die Zurichtung des Menschen im Büro", 2004).
Besonders problematisch sind für sie die „Bodengründler", weil sie Papiere sogar auf der Erde um sich herum auftürmen. Viele Menschen halten Aufräumen für überflüssig - die Argumente sind immer die gleichen: „Ich brauche mein kreatives Chaos, darin finde ich mich gut zurecht, und andere können meine Arbeit eh nicht erledigen - deshalb muss auch keiner die Ordnung an meinem Platz verstehen." Für Edith Stork ist das eine bequeme Ausrede. Ordnung ist für sie keine Last - vielmehr schafft sie Freiräume, die Kreativität erst ermöglichen." (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.11. 2011) Ordnung hat für sie aber auch Ent-Scheidung und Nein-Sagen-Können zu tun. An ihrem Beispiel zeigt sich zugleich das Big Picture, dessen Rahmen wir selbst setzen müssen, wenn wir Wege in eine zukunftsfähige Moderne finden wollen. Dafür braucht es eine wichtige Kompetenz, auf die Steve Jobs immer wieder verwiesen hat: „Konzentrieren heißt nein sagen." Blendwerk und Fassaden haben dann keine Chance mehr, weil nur die inneren Reserven zählen, die dafür sorgen, dass das eigene Fundament nicht ins Wanken kommt.