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Ex-Telekom-Manager Sattelberger kritisiert: "Work-Life-Balance ist ein Denkfehler"

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Deutschland will sich an die Spitze einer Bewegung setzen. Wieder einmal. Aber dieses Mal geht es nicht um ökonomische oder technische Spitzenleistungen - für die unser Land in aller Welt bewundert wird.

Es geht ums Kürzer treten. Zusammen mit Gewerkschaften wollen SPD, Grüne und Linke den Stress bekämpfen. Sie wollen Regeln und Verodnungen schaffen, mit denen Menschen Beruf und Privatleben besser trennen können. Der britische “Guardian” spricht bereits von einem “bahnbrechenden Gesetz”, das da in Arbeit sei.

Aber sind solche Regeln der richtige Weg im Kampf gegen den Stress? Und: Was ist überhaupt das Problem in der heutigen Arbeitswelt? Diese Fragen hat die Huffington Post mit dem Ex-Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger diskutiert.

Sattelberger glaubt, dass der nun eingeschlagene Weg genau das Gegenteil bewirken wird. Denn nicht nur die Wirtschaft muss sich ändern - sondern auch jeder Einzelne. Er hält den Fokus auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance deshalb für gefährlich: “Work-Life-Balance ist Selbstvetrug”, sagt er.

HuffPost: Herr Sattelberger. Die Politik hat ein neues Thema entdeckt: Die sogenannte Work-Life-Balance soll nun mit Regeln und Gesetzen tief in unserem Leben verankert werden. Ist die Arbeitswelt so hart geworden?
Sattelberger: Zunächst einmal: Viele Menschen leiden unter zunehmenden psychischen Belastungen im Job, das müssen wir ernst nehmen. Mit Verordnungen aber gehen wir einen falschen und gefährlichen Weg. Schon der Begriff ist ein Problem.

Wieso das?
Sattelberger: Weil er Arbeit und Leben voneinander trennt. Es mag sein, dass viele Menschen in ihren privaten Aktivitäten mehr Sinn als im Job sehen. Aber anstatt unser Lebensfelder jenseits der Arbeit auszuweiten, sollten wir darum ringen, uns selbst und anderen ein sinnerfülltes Arbeitsleben zu ermöglichen. Doch davon wollen die ganzen Wohlfühlapologeten aus Politik, Gewerkschaft und Wohlfühlindustrie nichts wissen.

Was ist so schlimm daran, wenn sich die Politik dem Thema annimmt?
Sattelberger: Der Staat hat noch niemandem zu persönlichem Glück verholfen. Wir müssen diesem blinden Glauben an Regulierung Einhalt gebieten. Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Edmund Phelps hat herausgefunden: 95 Prozent des persönlichen Glücks werden vom Glück in der Arbeitswelt bestimmt. Wer das versteht, glaubt nicht mehr an den Knopfdruck einer Verordnung, sondern an echte Veränderungen der Arbeitskultur.

Nun kann aber nicht jeder Sachbearbeiter sein Hobby zum Beruf machen.
Sattelberger: Aber jeder Mensch kann sich ehrlich fragen, was ihn wirklich treibt und ob er seine Fähigkeiten und Leidenschaften in seinem Job optimal verwirklichen kann. Das tun aber die wenigsten. Ich habe in meinem beruflichen Wirken zu viele Menschen erlebt, die ihr Leben wie in einem falschen Film geführt haben. Sie verbringen für Geld und Sicherheit ihr ganzes Leben in der Legehennenbatterie eines oder zwei großer Konzerne oder in den abgeschlossenen Silos öffentlicher Verwaltungen.

Sie haben ja auch viele Jahre in einer solchen Legehennenbattiere gedient.
Sattelberger: In meinem Berufsleben sogar in sieben. Ich bin aber immer nur so lange geblieben, bis ich in den Unternehmen die Projekte umgesetzt hatte, die mir wichtig waren. Dann bin ich weiter gezogen. Wer zu lange ein Leben im falschen Film führt, erlebt einen sich jahrelang aufbauenden Druck, der bis zum Burnout führen kann - oder wenigstens zum hilflosen Ausweichmannöver ins Private.

Studien zeigen, dass Kinder glücklicher sind, wenn ihre Eltern nach einem langen Tag zufrieden nach Hause kommen, als wenn Eltern schon gegen 17 Uhr aus dem Büro zurück sind - aber mit ihrem Berufsleben hadern. Überschätzen wir den Faktor Arbeitszeit?
Sattelberger: Wahrscheinlich. Und daran zeigt sich auch, weshalb die nun angedachten Verordnungen so fatal sind. Wie ein Volk von Lemmingen glauben wir, der Staat müsse es richten. Aber jeder Mensch erlebt das Arbeitsleben anders. Und jeder befindet sich in einer anderen Situation. Eine moderne Arbeitszeitlogik reagiert daher auf wichtige Lebenssituationen. Sie ist keine Work-Life-Balance-Soße, die über alle gleich gegossen wird.

Was wäre eine solche moderne Arbeitszeitlogik?
Sattelberger: Eine zeitgemäße Arbeitskultur besitzt einen Anything-Goes-Ansatz, bei dem Mitarbeiter und Arbeitgeber individuelle Lösungen auf Augenhöhe vereinbaren. Natürlich gibt es da Phasen großer Anspannung, in denen Unternehmen ihren Mitarbeitern viel abverlangen. Für Phasen, in denen der Einzelne sich selbst Neues abverlangt, kann er ebenfalls Freiräume beanspruchen - um sich fortzubilden etwa, Angehörige zu pflegen oder um für eine Partei Wahlkampf zu machen.

Aber dafür müssen sich nicht nur die Unternehmen ändern, sondern auch die Mitarbeiter.
Sattelberger: Ja. Vor allem müssen sich dafür die Schulen und Hochschulen ändern. Sie müssen Lernkulturen schaffen, in denen junge Menschen echte Freiräume für ihre Entwicklung erhalten. Bislang produzieren Schulen und Unis stattdessen immer mehr anpasserische Kreaturen. Sie versagen zunehmend dabei, schöpferische und selbstbewusste Persönlichkeiten auf den Weg zu bringen.

Manche Jugendforscher sind der Meinung, die junge Generation sei so selbstbewusst und schöpferisch wie noch nie.
Sattelberger: Wenn ich mir die geölten Lebensläufe und die stromlinienförmigen Ausbildungsmuster ansehe, bin ich vom Gegenteil überzeugt. Und wenn ich dann sehe, wie junge Talente die Signale ihres Körpers und ihrer Seele wegdrücken und sich anpassen, dann erst recht.

Was können die Menschen tun, um nicht in diese Falle zu laufen?
Sattelberger: Ziehen Sie alle sechs Monate eine Zwischenbilanz und fragen Sie sich, ob Sie noch auf dem richtigen Weg sind. Und fragen Sie sich auch, ob dieser Weg noch zu der Vorstellung eines erfüllten Lebens passt. Tägliche Routinen verhindern den Blick auf das Grundsätzliche. Am Ende muss aber klar sein: Wer nicht springt, der wird nicht landen. Wer nicht den Mut hat, Änderungen anzustoßen, wird stehen bleiben.

Sie delegieren das Problem zurück an die Arbeitnehmer.
Sattelberger: Zu einem gewissen Teil. Denn erstens kann nur jeder Einzelne wissen, was ihn glücklich macht. Zweitens müssen Unternehmen und Verwaltungen Raum für gute Arbeitskulturen schaffen. Deshalb ist Work-Life-Balance - so wie wir das Thema aktuell diskutieren - ein Denkfehler.

Wie bitte?
Sattelberger: Ein Staat, der sich als nationaler Betriebsrat aufspielt und den Einzelnen entmündigt, setzt die falschen Zeichen. Wenn Menschen sich stark auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance fokussieren, ist das eher ein Zeichen dafür, dass sie ihr richtiges Leben noch nicht gefunden haben. Es ist schlicht ein Irrtum zu glauben, dass mit regulierter Trennung von Arbeit und Privatem auch das Leben besser werde.

Ist Work-Life-Balance also ein Alibi für diejenigen, die noch nicht den richtigen Job gefunden haben?
Sattelberger: Ja, ich würde da sogar von einem Fluchtmechanismus sprechen - oder veritablem Selbstbetrug.

Haben Sie sich nie ausgebrannt gefühlt?
Sattelberger: Natürlich war ich oft müde von der Arbeit. Aber bis auf die vergangenen zwei Jahre habe ich mich nie ausgelaugt gefühlt. Ich habe in meinem Leben selten von der Mühlsal der Arbeit gesprochen - sondern davon, was mich reizt, was mich bewegt. Probleme hatte ich nur, wenn Handeln und Engagement nicht mehr mit meinen persönlichen Werten in Einklang waren. Dann habe ich gelitten wie ein Hund und zwei Mal Adieu gesagt.

Woran erkennen Menschen, dass sie ihren richtigen Weg gefunden haben?
Sattelberger: Wenn sie die eigenen Gaben und Talente zum Blühen bringen. Aber auch, wenn das Thema Arbeitszeit auf einmal eine weniger wichtige Rolle spielt. Aber das kann niemand von Außen bewerten, dass können sie nur selbst.

Einige würden sagen, Sie haben sich mit ihren 60- bis 80-Stunden-Wochen als Vorstand ausgebeutet.
Sattelberger: Aber das wäre falsch. Man beutet sich nur aus, wenn man mehr gibt als man verkraftet. Und es gibt ja auch guten Stress, der einen anspornt und dessen Resultat am Ende sehr glücklich machen kann.

Weshalb kommt das Thema eigentlich jetzt auf? In Wirklichkeit war die Freiheit von Arbeitnehmern noch nie so groß wie heute.
Sattelberger: Die äußere Freiheit ja, die innere nein. Und deshalb sind die geplanten Regeln so falsch, sie optimieren nur das Äußere. Die geplanten Verordnungen wären eine Übertragung der Systematik der Industriegesellschaft auf die moderne Zeit.

Viele Unternehmen würden sich etwa so beschreiben: Ein modernes Arbeitsumfeld - mit viel viel Freiheit und Raum zur Entfaltung.
Sattelbeger: Das Gegenteil ist wahr. In vielen Konzernen herrscht eine systemische und systematische Ermüdungskultur - und Kreativitätsstarre. In Zukunft brauchen wir aber Kulturen der Wachheit, Selbstbewusstheit und Innovationsfreude.

Gibt es in Unternehmen heute schon Beispiele dafür?
Sattelberger: Es gibt uralte Beispiele wie 3M und Gore oder viele andere, die ich den neuen Mittelstand nenne.

Wer den Freiraum nicht bekommt, sollte wechseln. Aber wieso tun es so wenige? Viele Arbeitnehmer wechseln nur einige wenige Male in ihrem Leben den Job.
Sattelberger: Es gibt da eine gelernte Hilflosigkeit. Zu viele Arbeitnehmer und junge Führungskräfte befinden sich einem Hamsterrad und versuchen, dort durch immer schnelleres Laufen herauszukommen. Oder sie kämpfen eben für mehr Raum im Privaten.

Ist die gesamte Debatte für mehr Work-Life-Balance also vor allem Ausdruck einer Gesellschaft, die auch noch die letzten Winkel mit Wohlfühlgeist versehen will?
Sattelberger: All das erinnert mich tatsächlich schon an Züge spätrömischer Dekadenz. Das Land muss aber dringend aus dieser Trägheit erwachen. Deutschland braucht nicht mehr Freizeit, sondern innovative Arbeitskulturen. Sonst wird unsere Wirtschaft im Sandwich zwischen digitaler Dominanz der USA und industrieller Aufholjagd Asiens zerrieben. Das hat übrigens auch mit uns allen zu tun: Denn da steht das langfristige Wohl jedes Einzelnen auf dem Spiel.



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