Immer diese Missverständnisse. In Oswalt Kolles Aufklärungsfilm Das Wunder der Liebe, uraufgeführt im Februar 1968, gibt es eine Szene, in der sich eine junge Frau bei ihrem desinteressierten Mann beschwert: „Du hast mich nicht mal richtig in die Arme genommen!" Er versucht sich rauszureden, aber sie lässt nicht locker: „Nein, jetzt muss es raus. Ich liege im Bett und grüble: Mag er dich nicht mehr? Hat er vielleicht eine andere?" Als ich diese Szene meiner Frau vorspiele, lacht sie und meint: „Ist wie bei uns. Nur dass ich weiß, mit wem du mich betrügst. Nämlich mit deiner Eismaschine."
Tatsächlich verbringe ich seit Monaten viel Zeit mit meinem neuen Lieblingsspielzeug. Ehrfürchtig stehe ich vor dem Gerät, andächtig lausche ich dem Höllenlärm, den es macht, wenn es mit Hilfe eines robusten Messers einen Eisblock nach und nach zu einem Pulver, einem Sorbet oder einer Mousse verarbeitet. Dass der legendäre Pacojet in meiner Hobbyküche steht, halte ich immer noch für ein kleines Wunder, denn ich weiß durchaus, dass die viel zu teure Kopffräse normalerweise nur bei den Profis zu finden ist. Aber mein schlechtes Gewissen, die Haushaltskasse geplündert zu haben, schwindet schon bald.
Schalte ich nämlich die Hochleistungsmaschine ein, erlebe ich viel mehr als ein kulinarisches Freizeitvergnügen. Wenn die Kiste zum Beispiel gefrorene Petersilie in ein feines grünes Eispulver verwandelt, mit dem ich hocharomatische Emulsionen anrühren kann, dann vibriert etwas in mir, auf das meine Frau durchaus eifersüchtig sein darf. Nicht dass Sie denken, ich mache hier und auf den folgenden Seiten etwa Werbung für dieses oder jenes Küchengerät! Es geht mir ausschließlich um die Gaumenerotik, die dieses Ding ermöglicht. Ähnlich schwärmen kann ich auch von der Sous-vide-Technik, von einem guten Räucherofen oder wirklich scharfen Messern.
Geraume Zeit habe ich mich gefragt: Was ist mit mir los? Hat sich aus einem Hobby ein veritabler Hau entwickelt? Habe ich den Beruf verfehlt? Dann habe ich mich mal in meinem Bekanntenkreis umgehört und erleichtert festgestellt, dass immer mehr Männer kochen und dass sie anders kochen als Frauen. Freunde, denen ich nicht mal zugetraut hatte, dass sie wissen, was eine Mehlschwitze ist, entpuppten sich als heimliche Saucenfreaks und Fondspezialisten. Andere gaben sich als Rindfleischfanatiker zu erkennen; ich traf auf Espresso-Philosophen und verwegene Experimentalgourmets, die auch schon mal das Risiko eingehen, die Küche in die Luft zu sprengen, weil sie mit flüssigem Stickstoff experimentieren.
So unterschiedlich das kulinarische Spezialgebiet im Einzelfall, alle Männer, denen ich begegnete, erzählten mit einem Lächeln auf den Lippen von ihrer wachsenden Freude, die Freizeit in der Küche zu verbringen. Alle sprachen verhältnismäßig ehrlich über Stärken und Schwächen der eigenen Kochkunst und sie schwärmten von technischen Geräten, als verspräche allein schon die Ausrüstung eine orale Befriedigung. Da man nicht von seinem Bekanntenkreis auf ein gesellschaftliches Phänomen schließen sollte, dachte ich: Kein Wunder, dass diese Typen deine Freunde sind. Dann erschien ein Artikel in einer deutschen Tageszeitung. „Huch, mein Mann ist gastrosexuell!", lautete die Überschrift des informativen Textes, der mir prompt von allen Freunden gemailt wurde. Oft mit dem Zusatz: „Da scheint dich aber jemand ziemlich gut zu kennen. Hihi! Hast du eine Geliebte?" Hatte ich nicht.
Nach der Lektüre des Artikels habe ich allerdings mit einer großen Recherche begonnen und mit vielen Hobbyköchen aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus gesprochen, die sehr ähnlich, nämlich enthusiastisch, übers Kochen reden, die sich für gute Lebensmittel begeistern können, die etwa, wenn sie einen fangfrischen Fisch beschreiben, Liebeserklärungen abgeben. Ich habe Leute kennengelernt, die sehr bescheiden leben und ihr Erspartes investieren, um Spitzenrestaurants besuchen und daheim die Menüs der Sterneköche replizieren zu können; ich habe Unternehmer getroffen, die mittlerweile viel Geld verdienen mit uns Gastrosexuellen, weil sie, etwa über Internet, all jene Waren anbieten, die es weder am Bio-Bauernstand noch im gut sortierten Supermarkt gibt. Und jetzt weiß ich: Ja, wir Gastrosexuellen werden immer mehr! Wir sind ein gesellschaftliches Phänomen, jippieh!
Wenn sich Männer fürs Kochen begeistern, ergeben sich freilich neue Chancen und Herausforderungen fürs Zusammenleben, verändern sich Ehen und Partnerschaften. Dieses Hobby findet nicht im dunklen Keller oder der Garage statt, sondern in der Mitte der Familie. Das hat viele Vorteile, die ich in diesem Buch herausstellen werde, aber müffelt die Wohnung ständig nach Fischfond oder steht das Konto im Minus, weil der Mann ein Küchengerät nach dem anderen anschafft beziehungsweise teure seltsame Fleischstücke einkauft, kann das durchaus ein Scheidungsgrund sein.
Mein Buch DER GASTROSEXUELLE MANN möchte, frei nach Oswald Kolle, Aufklärungsarbeit leisten, nämlich über die Küchenfixierung des modernen Mannes, über die geheimen Sehnsüchte und konkreten Wünsche eines Gastrosexuellen. Weibliche Leser werden erfahren, was ihre kochenden Männer wirklich umtreibt, und betroffene Männer werden wiederum ihre Freude haben, wenn sie während der Lektüre feststellen: Klar, so geht's mir auch. Oder aber: Nee, das mache ich vollkommen anders. Oder: Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Und diese Männer dürfen das Buch auf den Tisch legen, wenn sie wieder mal von ihrer Frau oder einem Freund gefragt werden: Warum zum Teufel stellst du dich zehn Stunden in die Küche? Weil du ernsthaft versuchst, ein Gericht auf mittlerem Sterneniveau zuzubereiten?
Wer gar keine Ahnung vom Kochen hat oder die etwas ambitionierte Herangehensweise gastrosexueller Männer wahlweise für elitär, seltsam überdreht oder sogar zynisch hält (angesichts des Hungers in der Welt), wird mit einem durchaus seriösen Einblick in eine Szene belohnt, die, allen politischen Korrektheiten zum Trotz, zum gesellschaftlichen Leitbild avanciert: Wer sich ansieht, mit welchem Erfolg wir Männer das traditionelle Terrain der Frau, nämlich die Küche, erobern, wie wir diesen Ort verwandeln, indem wir Geräte aus Labor oder Werkstatt herbeischleppen, mit welcher Leidenschaft wir Saucen und Schäume herstellen, wie kunstvoll wir Teller arrangieren, mit Dessertring und Anricht-Pinzette, alles Spielzeuge unserer kulinarischen Lust, ja, wer bemerkt, wie Männer sich verändern, wenn sie stundenlang Knochen auskochen, wer all diese Vorgänge unvoreingenommen beobachtet, wird den Begriff Gastrosexualität weder für ein bescheuertes Modewort noch für eine Randerscheinung in unserem Freizeitbetrieb halten.
Es gibt drei starke Kräfte, die uns Männer in die Küchen treibt: Erstens ein erotisches Verlangen, das sich auf viele Bereiche des Kochens und Essens bezieht. Zweitens eine enorme intellektuelle und handwerkliche Herausforderung - denn es geht ja hier um Laien, die wie Profis agieren. Sowie drittens die Sehnsucht eines Büromenschen nach einem gemeinschaftlichen Erlebnis mit Familie und Freunden, das Gesprächsstoff bietet jenseits des üblichen Stammtischgeredes über Arbeit, Sport und Frauen. Womit das Freizeitvergnügen des ambitionierten Hobbykochs zu einem sozialen Distinktionsmerkmal wird. Und möglich wurde all dies durch einen grundlegenden Wandel der Geschlechterrollen in den vergangenen drei Jahrzehnten.
((Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch „Der gastrosexuelle Mann - Kochen als Leidenschaft", erschienen im campus Verlag))
http://www.amazon.de/Der-gastrosexuelle-Mann-Kochen-Leidenschaft/dp/3593500434/ref=pd_rhf_gw_p_img_1
Tatsächlich verbringe ich seit Monaten viel Zeit mit meinem neuen Lieblingsspielzeug. Ehrfürchtig stehe ich vor dem Gerät, andächtig lausche ich dem Höllenlärm, den es macht, wenn es mit Hilfe eines robusten Messers einen Eisblock nach und nach zu einem Pulver, einem Sorbet oder einer Mousse verarbeitet. Dass der legendäre Pacojet in meiner Hobbyküche steht, halte ich immer noch für ein kleines Wunder, denn ich weiß durchaus, dass die viel zu teure Kopffräse normalerweise nur bei den Profis zu finden ist. Aber mein schlechtes Gewissen, die Haushaltskasse geplündert zu haben, schwindet schon bald.
Schalte ich nämlich die Hochleistungsmaschine ein, erlebe ich viel mehr als ein kulinarisches Freizeitvergnügen. Wenn die Kiste zum Beispiel gefrorene Petersilie in ein feines grünes Eispulver verwandelt, mit dem ich hocharomatische Emulsionen anrühren kann, dann vibriert etwas in mir, auf das meine Frau durchaus eifersüchtig sein darf. Nicht dass Sie denken, ich mache hier und auf den folgenden Seiten etwa Werbung für dieses oder jenes Küchengerät! Es geht mir ausschließlich um die Gaumenerotik, die dieses Ding ermöglicht. Ähnlich schwärmen kann ich auch von der Sous-vide-Technik, von einem guten Räucherofen oder wirklich scharfen Messern.
Geraume Zeit habe ich mich gefragt: Was ist mit mir los? Hat sich aus einem Hobby ein veritabler Hau entwickelt? Habe ich den Beruf verfehlt? Dann habe ich mich mal in meinem Bekanntenkreis umgehört und erleichtert festgestellt, dass immer mehr Männer kochen und dass sie anders kochen als Frauen. Freunde, denen ich nicht mal zugetraut hatte, dass sie wissen, was eine Mehlschwitze ist, entpuppten sich als heimliche Saucenfreaks und Fondspezialisten. Andere gaben sich als Rindfleischfanatiker zu erkennen; ich traf auf Espresso-Philosophen und verwegene Experimentalgourmets, die auch schon mal das Risiko eingehen, die Küche in die Luft zu sprengen, weil sie mit flüssigem Stickstoff experimentieren.
So unterschiedlich das kulinarische Spezialgebiet im Einzelfall, alle Männer, denen ich begegnete, erzählten mit einem Lächeln auf den Lippen von ihrer wachsenden Freude, die Freizeit in der Küche zu verbringen. Alle sprachen verhältnismäßig ehrlich über Stärken und Schwächen der eigenen Kochkunst und sie schwärmten von technischen Geräten, als verspräche allein schon die Ausrüstung eine orale Befriedigung. Da man nicht von seinem Bekanntenkreis auf ein gesellschaftliches Phänomen schließen sollte, dachte ich: Kein Wunder, dass diese Typen deine Freunde sind. Dann erschien ein Artikel in einer deutschen Tageszeitung. „Huch, mein Mann ist gastrosexuell!", lautete die Überschrift des informativen Textes, der mir prompt von allen Freunden gemailt wurde. Oft mit dem Zusatz: „Da scheint dich aber jemand ziemlich gut zu kennen. Hihi! Hast du eine Geliebte?" Hatte ich nicht.
Nach der Lektüre des Artikels habe ich allerdings mit einer großen Recherche begonnen und mit vielen Hobbyköchen aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus gesprochen, die sehr ähnlich, nämlich enthusiastisch, übers Kochen reden, die sich für gute Lebensmittel begeistern können, die etwa, wenn sie einen fangfrischen Fisch beschreiben, Liebeserklärungen abgeben. Ich habe Leute kennengelernt, die sehr bescheiden leben und ihr Erspartes investieren, um Spitzenrestaurants besuchen und daheim die Menüs der Sterneköche replizieren zu können; ich habe Unternehmer getroffen, die mittlerweile viel Geld verdienen mit uns Gastrosexuellen, weil sie, etwa über Internet, all jene Waren anbieten, die es weder am Bio-Bauernstand noch im gut sortierten Supermarkt gibt. Und jetzt weiß ich: Ja, wir Gastrosexuellen werden immer mehr! Wir sind ein gesellschaftliches Phänomen, jippieh!
Wenn sich Männer fürs Kochen begeistern, ergeben sich freilich neue Chancen und Herausforderungen fürs Zusammenleben, verändern sich Ehen und Partnerschaften. Dieses Hobby findet nicht im dunklen Keller oder der Garage statt, sondern in der Mitte der Familie. Das hat viele Vorteile, die ich in diesem Buch herausstellen werde, aber müffelt die Wohnung ständig nach Fischfond oder steht das Konto im Minus, weil der Mann ein Küchengerät nach dem anderen anschafft beziehungsweise teure seltsame Fleischstücke einkauft, kann das durchaus ein Scheidungsgrund sein.
Mein Buch DER GASTROSEXUELLE MANN möchte, frei nach Oswald Kolle, Aufklärungsarbeit leisten, nämlich über die Küchenfixierung des modernen Mannes, über die geheimen Sehnsüchte und konkreten Wünsche eines Gastrosexuellen. Weibliche Leser werden erfahren, was ihre kochenden Männer wirklich umtreibt, und betroffene Männer werden wiederum ihre Freude haben, wenn sie während der Lektüre feststellen: Klar, so geht's mir auch. Oder aber: Nee, das mache ich vollkommen anders. Oder: Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Und diese Männer dürfen das Buch auf den Tisch legen, wenn sie wieder mal von ihrer Frau oder einem Freund gefragt werden: Warum zum Teufel stellst du dich zehn Stunden in die Küche? Weil du ernsthaft versuchst, ein Gericht auf mittlerem Sterneniveau zuzubereiten?
Wer gar keine Ahnung vom Kochen hat oder die etwas ambitionierte Herangehensweise gastrosexueller Männer wahlweise für elitär, seltsam überdreht oder sogar zynisch hält (angesichts des Hungers in der Welt), wird mit einem durchaus seriösen Einblick in eine Szene belohnt, die, allen politischen Korrektheiten zum Trotz, zum gesellschaftlichen Leitbild avanciert: Wer sich ansieht, mit welchem Erfolg wir Männer das traditionelle Terrain der Frau, nämlich die Küche, erobern, wie wir diesen Ort verwandeln, indem wir Geräte aus Labor oder Werkstatt herbeischleppen, mit welcher Leidenschaft wir Saucen und Schäume herstellen, wie kunstvoll wir Teller arrangieren, mit Dessertring und Anricht-Pinzette, alles Spielzeuge unserer kulinarischen Lust, ja, wer bemerkt, wie Männer sich verändern, wenn sie stundenlang Knochen auskochen, wer all diese Vorgänge unvoreingenommen beobachtet, wird den Begriff Gastrosexualität weder für ein bescheuertes Modewort noch für eine Randerscheinung in unserem Freizeitbetrieb halten.
Es gibt drei starke Kräfte, die uns Männer in die Küchen treibt: Erstens ein erotisches Verlangen, das sich auf viele Bereiche des Kochens und Essens bezieht. Zweitens eine enorme intellektuelle und handwerkliche Herausforderung - denn es geht ja hier um Laien, die wie Profis agieren. Sowie drittens die Sehnsucht eines Büromenschen nach einem gemeinschaftlichen Erlebnis mit Familie und Freunden, das Gesprächsstoff bietet jenseits des üblichen Stammtischgeredes über Arbeit, Sport und Frauen. Womit das Freizeitvergnügen des ambitionierten Hobbykochs zu einem sozialen Distinktionsmerkmal wird. Und möglich wurde all dies durch einen grundlegenden Wandel der Geschlechterrollen in den vergangenen drei Jahrzehnten.
((Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch „Der gastrosexuelle Mann - Kochen als Leidenschaft", erschienen im campus Verlag))
http://www.amazon.de/Der-gastrosexuelle-Mann-Kochen-Leidenschaft/dp/3593500434/ref=pd_rhf_gw_p_img_1