Elegido hat es nicht geschafft. Trotz Zehntausender, die hinter ihm standen und um sein Leben kämpften. Er ist nur einer von vielen, die zu Symbolen werden. Sie heißen Langosto, Volante oder Afligido. Durch ihr Martyrium erlangen sie Unsterblichkeit. Elegido ist ein Stier, der auch in diesem Jahr nicht gerettet werden konnte.
Am vergangenen Dienstag war es wieder soweit in der kastilischen Kleinstadt Tordesillos. Die traditionsreiche Fiesta um den Toro de la Vega gipfelte darin, den Stier von Hand zu Tode zu stechen. Die Männer, keine ausgebildeten Toreros, erwarteten den Stier, der durch den Ort über eine Brücke gehetzt wurde, an der Flussaue des Duero. Ab hier durfte auf ihn eingestochen werden. "15 Lanzenreiter und 30 mit Lanzen bewaffnete Fußgänger hetzten Elegido", sagt Martina Szyszka von SOS-Galgos.
"Wer ihn erlegt, hat das Recht, ihm die Hoden und den Schwanz abzuschneiden und diesen triumphierend auf seine Lanze zu spießen." Mehr als 120 Polizisten der Guardia Civil sorgten dafür, dass keiner der 300 anwesenden Stierkampfgegner das Ritual störte. Durch die Sitzblockade der Aktivisten konnte es erst eine halbe Stunde später beginnen.
"Der Stier hat die Möglichkeit, begnadigt zu werden, aber nur, wenn es ihm gelingt, an einem bestimmten Punkt anzukommen", erklärt Caroline Waggershauser, die in der Nähe von Barcelona einen Gnadenhof betreibt. "Natürlich hat das Tier kaum eine Chance, diesen Punkt zufällig zu erreichen", sagt die Deutsche. Es gab Stiere, die sich retten konnten, die diesen Platz erreichten, doch starben sie später an ihren Stichwunden, die ihnen durch die 33 Zentimeter langen Lanzenspitzen während der Hetzjagd zugefügt wurden.
Elegido war ein friedlicher Stier. Heute war ich machtlos, ich stand nur wenige Meter von ihm entfernt. Er war ein sanfter Stier, der weder angreifen noch rennen wollte, verschreckt, mit einem um Hilfe bittenden Blick den ich niemals vergessen werde. Sie stachen auf ihn ein, einmal, ein weiteres Mal. Verzweifelt versuchte er aufzustehen, doch brach er immer wieder zusammen. Ohne zu verstehen, warum sie auf ihn wütend waren, mit seinem Blick, um Hilfe und Gnade flehend. Ich werde niemals verstehen wie jemand sich daran vergnügt und stolz darauf ist, so etwas zu tun. Alles, was ich weiß ist, dass ich nicht ruhen werde, bis diese und andere grausamen Bräuche in Spanien verschwunden sind.
Alessandro Zara Ferrante, Aktivist bei IgualdadAnimal
45 000 Menschen folgten am letzten Samstag in Madrid dem Aufruf von PACMA, um für die Abschaffung des Toro de la Vega zu protestieren. Seit nunmehr zehn Jahren kämpft die spanische Tierschutzpartei mit der Unterstützung von Tierschützern aus aller Welt gegen das öffentliche Abschlachten der Bullen. Unter dem Deckmantel von Kultur und Tradition findet die Veranstaltung seit 1534 jährlich im September statt. Seit 1980 hat der Toro de la Vega zusammen mit dem Fest zu Ehren der Jungfrau Maria das Gütesiegel einer "Fiesta von nationalem touristischen Interesse". Der Protestzug am Samstag war der größte, der in Spanien je für die Verteidigung der Tierrechte abgehalten wurde.
Auch Tierschützer der spanischen Anti-Stierkampf-Plattform La Tortura No Es Cultura ("Folter ist keine Kultur") mischten sich unter den Mob. "Die Leute von Tordesillas sagten mir, dass die Stierkampfgegner ihr Fest ruinieren. Damit haben sie Recht. Das werden wir tun", betonte Aktivistin Marta Esteban.
Der Toro de la Vega ist weit über die Grenzen Spaniens als Schande bekannt. Er hat inzwischen auch in der Europäischen Union Gehör gefunden. Für Álvaro Martín, dem Sieger des diesjährigen Turniers, ist es ein Ritual, doch für jeden modernen, mitfühlenden und intelligenten Menschen ist es dagegen ein grausames Relikt aus dem Mittelalter, welches durch nichts gerechtfertigt werden kann. Kultur hört da auf, wo Grausamkeit beginnt. Die Anti-Stierkampf-Bewegung braucht internationale Unterstützung, denn nur gemeinsam sind wir stark!
Bloggerin Martina Szyszka, deutsches Mitglied von La Tortura No Es Cultura
Anonymous hatte am Tag vor dem Fest die offizielle Webseite des Toro de la Vega gehackt. Mit dem Slogan "Tod und Folter sind keine Kultur" hatte die Internet-Bewegung eine unmissverständliche Botschaft an die Lanzenreiter und die für das Spektakel verantwortlichen Politiker hinterlassen.
Im Land wächst der Widerstand. Weitere Tierschutzorganisationen protestieren gegen den "ethisch nicht zu rechtfertigenden, langsamen und schmerzhaften Tod einer Kreatur". Prominente schlossen sich einer Kampagne an, in der symbolisch eine Lanze für den Stier gebrochen wird. In einer Fotomontage wurde Tordesillas Bürgermeister José Antonio González in einem Fadenkreuz gezeigt. Die Organisatoren des Festes wehren sich gegen die "schweren Beleidigungen, Drohungen und gewalttätigen Ausdrücke der Missachtung des menschlichen Lebens". Im tiefsten Spanien brodelt es. Vielleicht war Elegido der letzte Stier, der in Tordesillas zu Tode gefoltert wurde. Zumindest wenn man den Sprechern der Tierschutzorganisationen glaubt.
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