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Zeitgeist: Die gefühlte Gerechtigkeitslücke

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Einer der wirrsten Begriffe in der öffentlichen Diskussion Deutschlands ist das Wort „Gerechtigkeitslücke". Gemeinhin wird damit umrissen, dass nicht alle Deutschen gleiches Einkommen und Vermögen besitzen. Mehr noch, die Kluft zwischen Arm und Reich werde immer größer, wird behauptet.

An jeder Ecke wird Ungerechtigkeit ausgemacht: die Gefahr von Altersarmut bestehe, die unterschiedlichen Karrierewege von Mann und Frau, selbst auf der Straße, ist Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt überzeugt, geht es nicht gerecht zu. „Wir wollen diese Gerechtigkeitslücke schließen" gibt sich der Ober-Straßenwart tatkräftig und möchte für ihre 170 Millionen jährlichen Fahrten durch deutsche Lande die Ausländer mit einer Maut zur Kasse bitten. 600 Millionen Euro sollen dabei in die Kassen fließen und endlich auch die Verkehrswege gerecht machen.

Grundsätzlich ist das Patentrezept gegen diese allerorten aufgefundenen Ungleichgewichte: Umverteilung und staatliche Regulierung. Schier endlos die Liste der Aktionen mit denen man himmelschreiendem Unrecht begegnen will: Mindestlohn, Frauenquote, Zuschussrente, Millionärssteuer oder halt auch die Maut. Und alle finden sich in diesen ergriffenen Maßnahmen wider Opposition, SPD und Union, jeder will die Opfer gnadenloser Marktkräfte schützen. Nur der Staat kann ihnen zu ihrem guten Recht verhelfen.

Ein schönes Beispiel sind die 8,50 Euro Mindestlohn pro Stunde. Da gibt es kaum noch Ablehner mehr, sondern man macht sich allenfalls Gedanken darüber, ob Erntehelfer die Kröten nun schon im nächsten oder erst im übernächsten Jahr bekommen sollen und was eigentlich mit Praktikanten jünger als siebzehneinhalb Jahren ist. Kein Mensch fragt sich noch, ob nicht ein paar Jobs, die einfach die 8,50 Euro nicht wert sind, dann ersatzlos wegfallen. Sollen die Typen die jetzt nur 6,25 Euro bekommen doch sehen wie sie ohne Beschäftigung zurechtkommen. Müssen sie halt Stütze beantragen, dann ist wenigstens alles gerecht.

Nun lässt sich all der Blödsinn nur schwer in Zahlen veranschaulichen. Stellvertretend kann man jedoch mal in den Bundeshaushalt schauen. Ich habe Ihnen ein Jahrzehnt einschließlich der geplanten Berliner Etats in eine Tabelle gepackt. 42 Prozent aller Ausgaben gehen schon mal für den Monsteretat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales drauf, dieses Jahr stattliche 122 Milliarden Euro. Das ist schon mal Umverteilung pur. Aber auch in den Milliarden des Gesundheits-, Familien- und Bildungs-Ministeriums verstecken sich jede Menge Umverteilungsgelder.

Zählt man die mal holzschnittartig zusammen, sind das 2014 gut 52 Prozent aller Ausgaben. Das ist dann immerhin das Sechsfache dessen, was für die Verkehrsinfrastruktur ausgegeben wird oder das Fünffache des für die Verteidigung dieses Landes aufgewendeten Geldes. Würde wirklich mal ein Feind an den deutschen Grenzen auftauchen, dann könnten ihm ja die Sozialhilfeempfänger entgegenmarschieren.

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Eigentlich müsste man auch noch den drittgrößten Etatposten, die Zinsen auf die Bundesschuld, in Höhe von 33 Milliarden Euro hinzurechnen, denn diese Schulden sind Wohltaten der Vergangenheit, die über die Einnahmen hinausgingen. Immerhin 2.037 Milliarden Euro Verbindlichkeiten (Stand 31.3.2014) hat die Öffentliche Hand aufgehäuft.

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Aber hören Sie für diese Kraftanstrengung irgendwo ein Wort der Dankbarkeit oder Anerkennung? Ganz im Gegenteil, alles viel zu wenig. Glaubt man den Gerechtigkeitsfanatikern, müsste man die Steuern massiv erhöhen (natürlich nur bei den Reichen) und den armen Hunden noch viel mehr Geld rüberschieben. Was, die Bedürftigen fahren nicht zwei- oder dreimal in Urlaub? Sauerei, die schuften sich doch jeden Nachmittag beim Ansehen der Vorabendserien ab.

Erklärt man diesen Geknechteten nur oft genug, dass sie vom Schicksal mächtig benachteiligt sind, dann wählen sie schon die Volksparteien, die Abhilfe versprechen. Was für einen Bedarf für eine FDP alten Zuschnitts gäbe es da, die Zahlemänner_frauen* auch mal zu Wort kommen zu lassen. Die Zahlemänner sind übrigens gendermäßig korrekt geschrieben, Leerzeichen und Unterstrich stehen für alle, die nicht wissen, ob sie Mann oder Frau sind. Aber diese von mir eins geliebte Partei hat sich ja mit ihrem Anpassungskurs an den Zeitgeist leider ins Abseits gekarrt.

Die wollten am Ende allen Ernstes auch noch sozial und gerecht rüberkommen. Was ihnen natürlich niemand geglaubt hat. Das ist so, als wenn der Wolf plötzlich erklären würde, er habe dem Rotkäppchen-Verschmausen abgeschworen und wäre jetzt endlich auch Vegetarier geworden. Nun will sich das mickrige Lager von drei Umfrageprozenten offenbar auch noch spalten. Wegen einer „Perversion des Liberalismus" planen ein paar enttäuschte ehemalige FDP-ler die Gründung einer neuen Partei. Ich fasse es nicht.

In einem Aufruf „Wir brauchen eine neue liberale Partei!" kritisieren die Gründungsmitglieder die Politik der ehemaligen Regierungspartei FDP: „Mit dem Wechsel von der sozialliberalen zur christlich-liberalen Koalition hat der Liberalismus, soweit er politisch von der FDP vertreten wurde, durch das kritiklose Aufgreifen rein wirtschaftlicher Wunschvorstellungen geradezu zu einer Perversion des Liberalismus geführt und Besitzstandsdenken über die Ermöglichung von Chancen gestellt."

Die wollen allen Ernstes eine Partei, die sozialliberal und links ist. Als wenn es an sozial denkenden Politikern einen Mangel geben würde. Wenn die Zulauf bekommen, können Sie das Kürzel „FDP" endgültig vergessen. Wenn Sie das nicht schon getan haben.

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