"Das Verlangen verschwindet mit dem Besitz."
FRANCIS DE PICABIA
Hätten männliche Singles einen Kumpel wie Kalle, wären sie wohl die längste Zeit Singles gewesen. Kalle ist der King of Kotelette im Kuppeln. Baggert begeistert jedes augengefällige Mädel an - und kriegt fast jedes rum.
Schade eigentlich, dass ich kein Single mehr und Kalles Zielgruppe überdies längst entwachsen bin. Oder vom Glück der frühen Geburt profitiere. Ganz, wie man will.
Kalle ist in Wahrheit zwei Hunde, einer fürs Auge, einer fürs Gefühl. Diese Mischung ist es, die ihn unwiderstehlich macht. Wobei der schönste Teil der Schönheit ohnehin der ist, den ein Bild nicht wiedergeben kann und den deshalb einzig das Herz zu sehen vermag.
So schön er ist, von innen wie von außen, so schamlos ist er auch. Animiert, kokettiert und schwadroniert, als habe er es vor dem Spiegel einstudiert. Und bringt damit die Mädels reihenweise um den Verstand, diese ihn aber nicht einmal aus der Fassung. Kalle ist ein cooler Hund. Ein kalter Hund ist er nicht. Aber der geborene Schauspieler. Ihm gefällt, wenn er gefällt.
Mit Wonne genießt er alle Wonnen, die ihm weibliche Hände nur allzu bereitwillig bereiten.
Ginge es nach ihm, würden sie niemals enden. Kalles Lieblingswort ist denn auch das Mehr. Mehr Mädels, mehr Hände, mehr Zärtlichkeit. Hier hat der Nimmersatt sein Lindenblatt.
Wobei für Kalle Hände längst nicht gleich Hände sind. Hände sind für ihn eine Wissenschaft, die richtigen Hände die größte Errungenschaft. Er hat sie alle ausprobiert, große Hände, kleine Hände, warme Hände, kalte Hände, harte Hände, weiche Hände, grobe Hände, zarte Hände, geschickte Hände, ungeschickte Hände. Geübte Hände, ungeübte Hände. Letztere sind eindeutig seine erste Wahl. Ganz einfach deshalb, weil er von ihnen am längsten profitiert. Egoistisch ist das auch, vor allem aber ist es klug. Selbstredend sagt er auch zu keiner anderen Hand Nein.
Was für ein Fuchs, dieser Hund.
So genau, wie Kalle weiß, welche Sorte Hand die seine ist, so genau weiß er auch, wo er sie findet und wie er sie dazu macht.
Sein Hotspot dafür ist die Katze, seit ich mich nach einem Stadtspaziergang an einem frühen Sommerabend mit ihm dorthin verirrte. Mit Katzen kennt er sich ja aus. Natürlich ist diese Katze keine Mieze, sondern eine Straßenkneipe im Hamburger Szene-Viertel Schanze. Aber eigentlich immer voller Miezen. Die meisten kommen von der nahen Uni oder aus dem Büro, die wenigsten sind älter als 25.
Mädels aller Haar- und Hautfarben, in knappen oder in weiten Klamotten, englische Fräuleins mit schneeweißem Teint und der Kälte von Gletschern. Magere Mädels, dralle Mädels, reiche Mädels, späte Mädels, die, jeder Illusion beraubt, ihrer Jugend noch immer nicht Tschüss sagen wollen. Oder können. Arme Mädels.
Ihnen allen macht Kalle den Kater. Groß buckeln muss er dafür nicht. Die Mädels geraten schon in Verzückung, wenn sie seiner auch nur ansichtig werden. Schwänzelt er mit dem ganzen Körper wedelnd auf sie zu, giggeln und gackern sie aufgeregt wie Kinder, blenden ihr einladendes Lächeln ein und beginnen ein Flötenkonzert, das nur höchste Töne kennt.
»Ist der aber hübsch«, tremoliert die eine. »Komm doch mal her zu mir, mein Süßer«, zirpt die andere. »Dich nehm ich mit nach Hause«, frohlockt eine Dritte.
Alles Gute kommt von oben. Also verschwindet Kalle schnurstracks unterm Tisch. Streicht seinen Auserwählten mit seinem sonnenwarmen Fell so lange so zärtlich um die nackten Beine, bis auch das letzte bisschen Selbstbeherrschung in ihren Gesichtern begieriger Hingabe gewichen ist - und sich ihre Hände völlig losgelassen in Kalles Fell verlieren.
Meist ist das der Moment, in dem Kalles Glanz auch mich erleuchtet, kurz nur und stets begleitet von den stets gleichen Fragen, den stets gleichen Antworten und dem stets gleichen Ende.
Sind Sie der Mann von dem Hund?
Ja, so weit habe ich es gebracht!
Ha, ha, ha! (Witz verstanden)
Wie heißt er denn? (Große Augen)
Kalle.
Kalle! Wie lustig. (Verhaltenes Grinsen)
Kalle Spaghetti eigentlich. (Schallendes Gelächter)
Spaghetti? (Jetzt glucksendes Lachen, amüsierter Blick)
Wirklich? Heißt der wirklich Spaghetti? (Tiefer Unglaube in der Stimme)
Ja, sicher!
Und wo kommt Spaghetti her? (Gespannte Neugierde in den Augen)
Das ist eine Nudel.
Neeein! (Beleidigte Mimik). Kalle Spaghetti natürlich. (Verlegenes Lächeln)
Aus eBay.
Waaas, aus eBay. Das ist doch 'n Witz!
Es ist ein Witz, zum Lachen ist er nicht. Die Mädels lachen auch nicht. Aber nicht, weil sie nicht verstehen, was für sie nicht zu verstehen ist. Sondern weil sie mich falsch verstehen.
Wer die Wahrheit spricht, braucht ein schnelles Pferd. Mein Pferd heißt Kalle. Sofort ist er wieder im Film, dreht und wendet sich geschickt so, dass ihm die zurückgewonnenen Hände nun nur noch wohltun, wo es ihm am wohlsten tut. Und das ist überall. Rechte Seite, linke Seite. Kopf, Rücken, vorne, hinten, Mitte. Einzig an seine breite Brust kommt keine Hand heran. Rückenlage ausgeschlossen. Zu wenig Platz wegen zu vieler Füße.
Aber da sind ja noch die Ohren. Und seine große Schnauze, die er nun nicht nur hinhält sondern tatsächlich auch mal hält. Dankbar schnurrt wie ein Kätzchen oder brummt wie ein Kater. Je nach Grad des Wohlgefallens.
Auch das Missfallen hat Töne. Kitzeln Kalle ahnungsferne Hände am Hinterteil, kläfft das Vorderteil. Ziehen sie ihn übermütig an der Rute, lässt er einen ziehen. Das hört man nicht, aber man braucht die Hand dann an der Nase, der eigenen.
Entzieht sich Kalle eine kosende Hand, ehe er sich ihr entzieht, zeigt er sich einfallsreich. Bettet seinen Kopf baby-klein und unschuldig in den Schoß der dazugehörigen Hübschen und schaut ihr mit enttäuschtem »Warum hast-du-mich-denn-nicht-mehr-lieb-Blick« so tief in die Augen, dass ihr Herz einen Türsteher braucht.
Ist es gebrochen, das Herz, ist er weg, der Kalle. Und tschüss! Was ja für ihn immer auch sofort ein neues Hallo bedeutet.
Obwohl ich nicht schadenfroh bin, muss ich eingestehen, dass mir die Enttäuschung der Mädels über Kalles Treulosigkeit hin und wieder doch eine gewisse Genugtuung bereitet. Mir ist er treu, der Schuft! Obwohl er mich genau kennt. Karl Valentin, der Münchner Komiker, der Hintersinn und Humor meisterhaft verkuppelte, würde wohl sagen:
»A Hund is' er scho, der Kalle!«
Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "Kalle für alle" von Elmar Schnitzer.
Weltbild Verlag
ISBN: 9783784433530
FRANCIS DE PICABIA
Hätten männliche Singles einen Kumpel wie Kalle, wären sie wohl die längste Zeit Singles gewesen. Kalle ist der King of Kotelette im Kuppeln. Baggert begeistert jedes augengefällige Mädel an - und kriegt fast jedes rum.
Schade eigentlich, dass ich kein Single mehr und Kalles Zielgruppe überdies längst entwachsen bin. Oder vom Glück der frühen Geburt profitiere. Ganz, wie man will.
Kalle ist in Wahrheit zwei Hunde, einer fürs Auge, einer fürs Gefühl. Diese Mischung ist es, die ihn unwiderstehlich macht. Wobei der schönste Teil der Schönheit ohnehin der ist, den ein Bild nicht wiedergeben kann und den deshalb einzig das Herz zu sehen vermag.
So schön er ist, von innen wie von außen, so schamlos ist er auch. Animiert, kokettiert und schwadroniert, als habe er es vor dem Spiegel einstudiert. Und bringt damit die Mädels reihenweise um den Verstand, diese ihn aber nicht einmal aus der Fassung. Kalle ist ein cooler Hund. Ein kalter Hund ist er nicht. Aber der geborene Schauspieler. Ihm gefällt, wenn er gefällt.
Mit Wonne genießt er alle Wonnen, die ihm weibliche Hände nur allzu bereitwillig bereiten.
Ginge es nach ihm, würden sie niemals enden. Kalles Lieblingswort ist denn auch das Mehr. Mehr Mädels, mehr Hände, mehr Zärtlichkeit. Hier hat der Nimmersatt sein Lindenblatt.
Wobei für Kalle Hände längst nicht gleich Hände sind. Hände sind für ihn eine Wissenschaft, die richtigen Hände die größte Errungenschaft. Er hat sie alle ausprobiert, große Hände, kleine Hände, warme Hände, kalte Hände, harte Hände, weiche Hände, grobe Hände, zarte Hände, geschickte Hände, ungeschickte Hände. Geübte Hände, ungeübte Hände. Letztere sind eindeutig seine erste Wahl. Ganz einfach deshalb, weil er von ihnen am längsten profitiert. Egoistisch ist das auch, vor allem aber ist es klug. Selbstredend sagt er auch zu keiner anderen Hand Nein.
Was für ein Fuchs, dieser Hund.
So genau, wie Kalle weiß, welche Sorte Hand die seine ist, so genau weiß er auch, wo er sie findet und wie er sie dazu macht.
Sein Hotspot dafür ist die Katze, seit ich mich nach einem Stadtspaziergang an einem frühen Sommerabend mit ihm dorthin verirrte. Mit Katzen kennt er sich ja aus. Natürlich ist diese Katze keine Mieze, sondern eine Straßenkneipe im Hamburger Szene-Viertel Schanze. Aber eigentlich immer voller Miezen. Die meisten kommen von der nahen Uni oder aus dem Büro, die wenigsten sind älter als 25.
Mädels aller Haar- und Hautfarben, in knappen oder in weiten Klamotten, englische Fräuleins mit schneeweißem Teint und der Kälte von Gletschern. Magere Mädels, dralle Mädels, reiche Mädels, späte Mädels, die, jeder Illusion beraubt, ihrer Jugend noch immer nicht Tschüss sagen wollen. Oder können. Arme Mädels.
Ihnen allen macht Kalle den Kater. Groß buckeln muss er dafür nicht. Die Mädels geraten schon in Verzückung, wenn sie seiner auch nur ansichtig werden. Schwänzelt er mit dem ganzen Körper wedelnd auf sie zu, giggeln und gackern sie aufgeregt wie Kinder, blenden ihr einladendes Lächeln ein und beginnen ein Flötenkonzert, das nur höchste Töne kennt.
»Ist der aber hübsch«, tremoliert die eine. »Komm doch mal her zu mir, mein Süßer«, zirpt die andere. »Dich nehm ich mit nach Hause«, frohlockt eine Dritte.
Alles Gute kommt von oben. Also verschwindet Kalle schnurstracks unterm Tisch. Streicht seinen Auserwählten mit seinem sonnenwarmen Fell so lange so zärtlich um die nackten Beine, bis auch das letzte bisschen Selbstbeherrschung in ihren Gesichtern begieriger Hingabe gewichen ist - und sich ihre Hände völlig losgelassen in Kalles Fell verlieren.
Meist ist das der Moment, in dem Kalles Glanz auch mich erleuchtet, kurz nur und stets begleitet von den stets gleichen Fragen, den stets gleichen Antworten und dem stets gleichen Ende.
Sind Sie der Mann von dem Hund?
Ja, so weit habe ich es gebracht!
Ha, ha, ha! (Witz verstanden)
Wie heißt er denn? (Große Augen)
Kalle.
Kalle! Wie lustig. (Verhaltenes Grinsen)
Kalle Spaghetti eigentlich. (Schallendes Gelächter)
Spaghetti? (Jetzt glucksendes Lachen, amüsierter Blick)
Wirklich? Heißt der wirklich Spaghetti? (Tiefer Unglaube in der Stimme)
Ja, sicher!
Und wo kommt Spaghetti her? (Gespannte Neugierde in den Augen)
Das ist eine Nudel.
Neeein! (Beleidigte Mimik). Kalle Spaghetti natürlich. (Verlegenes Lächeln)
Aus eBay.
Waaas, aus eBay. Das ist doch 'n Witz!
Es ist ein Witz, zum Lachen ist er nicht. Die Mädels lachen auch nicht. Aber nicht, weil sie nicht verstehen, was für sie nicht zu verstehen ist. Sondern weil sie mich falsch verstehen.
Wer die Wahrheit spricht, braucht ein schnelles Pferd. Mein Pferd heißt Kalle. Sofort ist er wieder im Film, dreht und wendet sich geschickt so, dass ihm die zurückgewonnenen Hände nun nur noch wohltun, wo es ihm am wohlsten tut. Und das ist überall. Rechte Seite, linke Seite. Kopf, Rücken, vorne, hinten, Mitte. Einzig an seine breite Brust kommt keine Hand heran. Rückenlage ausgeschlossen. Zu wenig Platz wegen zu vieler Füße.
Aber da sind ja noch die Ohren. Und seine große Schnauze, die er nun nicht nur hinhält sondern tatsächlich auch mal hält. Dankbar schnurrt wie ein Kätzchen oder brummt wie ein Kater. Je nach Grad des Wohlgefallens.
Auch das Missfallen hat Töne. Kitzeln Kalle ahnungsferne Hände am Hinterteil, kläfft das Vorderteil. Ziehen sie ihn übermütig an der Rute, lässt er einen ziehen. Das hört man nicht, aber man braucht die Hand dann an der Nase, der eigenen.
Entzieht sich Kalle eine kosende Hand, ehe er sich ihr entzieht, zeigt er sich einfallsreich. Bettet seinen Kopf baby-klein und unschuldig in den Schoß der dazugehörigen Hübschen und schaut ihr mit enttäuschtem »Warum hast-du-mich-denn-nicht-mehr-lieb-Blick« so tief in die Augen, dass ihr Herz einen Türsteher braucht.
Ist es gebrochen, das Herz, ist er weg, der Kalle. Und tschüss! Was ja für ihn immer auch sofort ein neues Hallo bedeutet.
Obwohl ich nicht schadenfroh bin, muss ich eingestehen, dass mir die Enttäuschung der Mädels über Kalles Treulosigkeit hin und wieder doch eine gewisse Genugtuung bereitet. Mir ist er treu, der Schuft! Obwohl er mich genau kennt. Karl Valentin, der Münchner Komiker, der Hintersinn und Humor meisterhaft verkuppelte, würde wohl sagen:
»A Hund is' er scho, der Kalle!«
Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "Kalle für alle" von Elmar Schnitzer.
Weltbild Verlag
ISBN: 9783784433530