Mit der zunehmenden Bedeutung von Social Media wird es für Unternehmen immer wichtiger, sich auch eine gute Position an der digitalen Front ihrer wichtigsten Märkte zu erkämpfen und zu behaupten. An jene digitale Front ihrer Absatz- und Arbeitsmärkte entsandten Unternehmen bis vor Kurzem noch ausschließlich Leute aus PR und Marketing, die sich vor allem auf die Massenkommunikation verstehen.
Das könnte sich mit einem neuen Typus von Mitarbeiter bald ändern, dem „Social Employee". Unternehmen beginnen allmählich zu verstehen, dass es von entscheidendem Vorteil sein kann, wenn sich Mitarbeiter mit ihrem persönlichen Brand und Engagement für ihr Unternehmen in den sozialen Medien engagieren.
Mit Ausnahme einiger findiger Vertriebler und Recruiter, die auf Business-Netzwerken wie XING und LinkedIn auf ihr bewährtes Methodenrepertoire aus Kaltakquise und Direktansprache zurückgreifen, um ihre Pipeline zu füllen, lässt sich sonst kaum ein nennenswertes Zielgruppen-Engagement auf individueller Ebene von Seiten der Unternehmen auf sozialen Netzwerken beobachten.
Personaler und Vertriebler haben das gleiche Problem!
Warum ein solches immer wichtiger wird, zeigt folgende Ausgangssitation:
"Der Recruiter im Personalbereich hat das gleiche Problem wie der Verkäufer: Beide kennen den Entscheidungspunkt ihrer Zielgruppe nicht!", schreibt Ralph Dannhäuser in seinem Bestseller: Praxishandbuch Social Media Recruiting.
Er führt weiter aus: „Für den Recruiter ist der Zeitpunkt des Wechselinteresses seines Kandidaten entscheidend, für den Vertriebsmitarbeiter das Kaufinteresse seines Kunden! Also gilt es im Recruiting wie im Verkauf die Pipeline ordentlich zu füllen und den Zeitraum zwischen Interesse und Wechselbereitschaft mit entsprechenden kommunikativen Maßnahmen, z. B. in Social Media, zu überbrücken."
Wie wichtig die sozialen Medien für die Mitarbeitergewinnung werden, ermittelt Dannhäusers Co-Autor Wolfgang Brickwedde in seinen jährlichen Recruiting-Studien für Deutschland. Unter den ersten 3 Bewerberkanälen zählen Social Media-Netzwerke zu den einzigen, die seit 2010 stetig zunehmen. Zählt man die Mitarbeiterempfehlungen, die sich zu einem großen Teil ebenfalls auf sozialen Netzwerken abspielen, hinzu, gehören soziale Netzwerke heute bereits zum zweitwichtigsten Recruitingkanal in Deutschland. Nur Onlinejobbörsen generieren noch mehr Bewerbungseingänge.
Das Problem im Recruiting ist heute aber nicht die Masse, sondern die Qualität: Für Engpasszielgruppen werden bis zu 40 % vom Bruttojahresgehalt als Erfolgsprämie an Headhunter gezahlt, erläutert Dannhäuser in seinem Buch.
Die Engpasszielgruppen, das sind z. B. Ingenieure und Spezialisten aus der IT und Medizinbranche. Diese Zielgruppen zählen mehrheitlich zu den sog. passiven Kandidaten, also zur Gruppe derjeniger, die nicht aktiv nach neuen Stellen auf dem Arbeitsmarkt sucht, sondern lediglich ein „offenes Ohr" für neue - vor allem bessere - Angebote hat.
Im Vertrieb wie im Recruiting gilt es deshalb die Aufmerksamkeit derjenigen zu erlangen, deren Entscheidungsprozesse sich über eine längere Zeit erstrecken. Im Vertrieb mit Unternehmenskunden ist es keine Seltenheit, dass sich eine Kaufentscheidung über mehrere Jahre hinzieht. Auch beim Recruiting muss der Erstkontakt zu einem aussichtsreichen Kandidaten nicht bedeuten, dass er sofort „reif" ist für einen Jobwechsel.
Das heißt, der Recruiter - genauso wie der Vertriebler - muss sich heute darauf einstellen, den Kontakt über einen längeren Zeitraum zu halten und nach Möglichkeit versuchen, die individuelle Beziehungsebene mit seinen Kontakten auszubauen, um Vertrauen zu gewinnen. Social Media kann dabei helfen, diesen Prozess zu skalieren. Das setzt aber voraus, dass sich der Recruiter zielstrebig auf den sozialen Netzwerken zu engagieren weiß.
Der RECRUITER 2.0
Die Anforderungen an den Recruiter 2.0 sind enorm: ER oder SIE soll vertriebsorientiert sein. Über exzellente kommunikativen Fähigkeiten verfügen. Eine proaktive Vorgehensweise und eine gewinnende Persönlichkeit sollte ER oder SIE mitbringen. In der digitalen Welt fühlt sich Recruiter 2.0 zuhause, eine hohe Lernbereitschaft wird aufgrund der ständigen Neuerungen im Social Web ohnehin erwartet.
Um den Zeitraum zwischen Interesse und Wechselbereitschaft zu vielversprechenden Kontakten über einen längeren Zeitraum mit "kommunikativen Maßnahmen" zu überbrücken, braucht es vor allem 2 Dinge: Relevanten Content und ein effektives Engagement mit dem persönlichen Kontaktnetzwerk.
Das Problem ist nur, dass sich ein persönliches Netzwerk mit mehreren hundert Kontakten zum Beispiel auf XING oder LinkedIn kaum noch sinnvoll managen lässt. Die Updates in den Timelines der jeweiligen Netzwerke huschen im Minutentakt vorbei. Und um die relevanten Inhalte in der jeweiligen Fachwelt aktuell mitzuverfolgen, müsste der Recruiter 2.0 ständig unzählige Quellen checken und die aktuellen Entwicklungen auf den einschlägigen Foren beobachten.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Recruiter 2.0 ein solches Engagement über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten vermag. Insbesondere dann, wenn er verschiedene Positionen zu besetzen hat und sich gleichzeitig in mehreren Fachgebieten auskennen muss. Schließlich hat er auch noch seine klassischen Aufgaben wahrzunehmen und als Business Partner der Fachabteilungen zu funktionieren.
Der Aufstieg des SOCIAL EMPLOYEE
Anders sieht es beim Social Employee aus: Dieser Mitarbeitertypus ist "von Natur aus" persönlich wie professionell im Social Web integriert. Er kennt nicht nur die einschlägigen Netzwerke, sondern ist selbst Teil von ihnen und kann sich authentisch darin bewegen. Auf seinem Fachgebiet macht ihm niemand was vor.
Er führt nichts „Unlauteres im Schilde". Er ist integer, denn er möchte von seiner Community als kompetenter Ansprechpartner auf seinem Fachgebiet anerkannt sein. Sein persönlicher Brand ist ihm wichtig. Genauso wichtig wie der seines Arbeitgebers, für den er als Botschafter das Wort ergreifen darf. Er ist sozusagen von höchster Stelle dazu ermächtigt. Denn er soll vorangehen und die anderen mitziehen, ihnen Vorbild sein.
So ähnlich beschreibt ihn Mark Burgess, Co-Autor des Amazon-Bestsellers „THE SOCIAL EMPLOYEE". Doch was macht den Social Employee für Unternehmen so wichtig? In einem spannenden TED-Vortrag zitiert Burgess dazu folgendes Zahlenwerk:
90 % der Leute trauen keinen Werbeanzeigen mehr, aber vertrauen dem Rat und der Empfehlung von Fachleuten und Kollegen. Interessant auch der letzte Punkt: "Word-of-mouth", auf Deutsch in etwa: "die persönliche Weiterempfehlung", die um ein 10-faches wirksamer ist als eine traditionelle Werbeanzeige.
Reichweite vs Angriffsfläche
In einem anderen Vortrag erläuterte Burgess einmal, dass wenn Mitarbeiter als Markenbotschafter Inhalte ihrer Unternehmen mit ihren Netzwerken teilen, sie zusammengenommen mehr Reichweite erzielen, als wenn Unternehmen diese Inhalte auf ihren eigenen Markenkanälen verbreiten. Das sind beeindruckende Erkenntnisse. Sie basieren auf Untersuchungen, die u. a. mit Unternehmen wie Procter & Gamble (P&G), Nike, Intel, Nestle, SAP, durchgeführt wurden.
Mark Burgess verwendet ein einprägsames Bild, um die Wichtigkeit von Mitarbeitern als Markenbotschaftern zu illustrieren: Den Vergleich eines Baseballs mit einem Sack Murmeln. Beides weist in etwa das selbe Volumen und Gewicht auf. Ins Wasser geworfen, würden sie ungefähr dieselbe Menge an Wasser verdrängen.
Vergleicht man hingegen die Summe der Oberflächen, bieten die Murmeln zusammengenommen eine um etwa 300 % größere Fläche als der Baseball. Diese grössere Fläche ist das Potenzial, dass durch Social Employees entsteht und gehoben werden kann. Genauso wie die Murmeln im Sack, stehen die Mitarbeiter im engsten Kontakt zueinander, sie reiben sich und drehen sich und sind so ständig in Bewegung. Sie interagieren permanent mit ihren Nächsten und entfalten ungeahnte Kräfte. Warum also nicht diese neuen ungeahnten Kräfte im Sinne des Unternehmens nutzen?
Nun ja, mehr Fläche bedeutet schließlich auch mehr Angriffsfläche, mag manch einer zu bedenken geben. Es drängen sich einem Bilder von ungezügelten Mitarbeitern auf, die sie am Arbeitsplatz aufnehmen und als schrille Selfies ins Netz stellen. Es gibt auch die Befürchtung, dass Mitarbeiter - wenn auch unbeabsichtigt - wichtige Geschäftsgeheimnisse verraten könnten.
Keine Frage, solche schlimmen Sachen passieren und wir erfahren täglich davon in den Medien. Aber muss man sich nicht fragen, dass sie auch deshalb passieren, weil sich Mitarbeiter ihrer Verantwortung für das Unternehmen nicht bewusst sind. Oder weil Sie keine Ahnung darüber haben, über welche wichtigen Informationen sie verfügen und warum es wichtig ist, sie zu schützen.
Win-Win-Situation für Unternehmen und Mitarbeiter
Wäre es daher nicht die Pflicht eines jeden Unternehmens, seine Mitarbeiter im Rahmen einer Social Media Policy aufzuklären und zu schulen, wie weit sie im im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit im Social Web gehen dürfen. Denn das Social Web gehört für viele längst zu einer täglichen Realität, in der viel Zeit verbracht wird, auch während der Arbeitszeit.
Und wäre es nicht geschickt den Mitarbeitern die Benefits begreiflich zu machen, die für beide Seiten entstehen. Eine echte Win-Win-Situation, für das Unternehmen wie für den Mitarbeiter, so jedenfalls sieht es Mark Burgess.
Social Employees bieten ihren Unternehmen eine Reihe von Vorteilen: Sie vermitteln ein authentisches Unternehmensbild nach außen und helfen so dabei, gute Mitarbeiter zu finden und zu halten und mehr Leads zu generieren. Dabei brauchen sie nicht selbst aktiv rekrutieren oder verkaufen.
Ein aktives Engagement in der Community ist wichtig
Für Social Employees reicht es, wenn sie über die Themen und Produkte des Unternehmens, ihre Projekte und ihre Arbeit sprechen und sich mit ihren Netzwerken kontinuierlich dazu austauschen. Sie sind mehr als klassische Markenbotschafter: Sie können zwischen den Interessen der Außenwelt und ihrer Unternehmen vermitteln, Gespräche initiieren und die öffentliche Meinungsbildung beeinflussen, ohne dabei in einen Werbemodus zu verfallen.
Sie sagen nicht, „kauft unser Produkt, weil es die beste Qualität bietet", sondern sie erzählen, wie aufwändig es hergestellt wird und welchen Qualitätsanforderungen es ihrer Meinung nach genügen muss. Sie rufen ihre Fachkollegen nicht dazu auf, sich bei ihren Unternehmen zu bewerben. Nein, sie schwärmen ihnen davon vor, welchen Spaß sie haben, in einem spannenden Projekt mitzuarbeiten. Welche Herausforderungen zu meistern, welche Fragestellungen zu klären waren.
Social Employees haben auch ein großes Interesse daran zu erfahren, wie Außenstehende ihre Arbeit, ihre Produkte, ihre Unternehmen sehen. Sie sind offen für lobende wie kritische Stimmen und sie lernen aus den Erfahrungen ihrer Kunden und Kollegen. Sie geben auch Feedback und scheuen nicht, ihre Ideen in ihre Communities einzubringen und mit anderen zu teilen.
Wozu braucht es überhaupt noch Recruiter?
Die Frage ist nicht ganz unberechtigt. Es gibt heute bereits Unternehmen, die das aktive Rekrutieren von Mitarbeitern fast ganz eingestellt haben. In meinem Artikel „Was? Keine Stellenanzeigen mehr?!?" berichtete ich davon, wie Zappos, ein US-amerikanischer Versandhändler, beim Recruiting voll und ganz auf seine Social Employees setzt, und das mit großem Erfolg.
Zappos ist aber auch ein Unternehmen, dass die sozialen Medien in seiner DNA hat und von Anfang an zu nutzen verstand. Genauso wie die Huffington Post ihre Leser über die Verbreitung der Artikel in den sozialen Netzwerken anzusprechen wusste.
Der Grund, weshalb es auch künftig noch Recruiter geben wird, liegt im Zielgruppen-Problem: Nicht alle Personen einer Zielgruppe können via soziale Netzwerke erreicht und angesprochen werden, auch wenn fast jeder heute in der digitalen Welt täglich unterwegs ist.
Natürlich hat jeder schon einmal ein Video auf YouTube geschaut oder eine Bewertung auf Yelp nachgeschlagen. Vielleicht auch mal eine Präsentation auf SlideShare angesehen. Das allein reicht aber nicht aus. Es bedarf eines echten Engagements von allen Seiten auf den sozialen Netzwerken, um die Power von Social Employees zu entfalten.
Nehmen wir zum Beispiel die beruflich orientierten Netzwerke, wie XING und LinkedIn. Dort haben in Deutschland ca. 10 Mio. potentielle Arbeitnehmer ihr berufliches Profil hinterlegt, was nur knapp einem Viertel des deutschen Arbeitsmarktes entspricht. Und die meisten sind auf diesen Netzwerken noch nicht einmal besonders aktiv.
Nicht viel anders sieht es auf Facebook aus, mit über 25 Mio. Nutzern das größte soziale Netzwerk Deutschlands. Dort sind die Nutzer immerhin aktiver, mehr aber in den privaten Kontexten. Auch wenn Facebook-Nutzer die Unternehmensseiten liken und ihre Beiträge sharen, diese Form des Engagements ist in Wirklichkeit einseitig, obwohl sie als „Interaktion" gewertet wird.
Denn Unternehmensrecruiter und -vertriebler haben in der Regel keine Chance, in die Timelines der Fans ihrer Unternehmensseiten zu gucken und von sich aus aktiv zu werden, oder auf persönlicher Ebene mit den Fans zu interagieren.
Die meisten Nutzer wollten das auch gar nicht und fühlen sich schon belästigt, wenn sie Recruiter oder Vertriebler über die Kontakt- oder Nachrichtenfunktion der jeweiligen sozialen Netzwerke ansprechen.
Daher werden auch künftig die meisten Unternehmen noch Recruiter beschäftigen, die hauptamtlich Stellen ausschreiben und darauf hoffen, dass sich der ein oder andere bewirbt.
Recruiter werden sich aber zwangsläufig immer mehr auf die sozialen Medien zubewegen und dort proaktiv Ausschau nach geeigneten Kontakten und Netzwerken halten. Das ist wichtig, damit sie mehr über die Gespräche, Themen und individuellen Motive ihrer Zielgruppen erfahren und persönliche Kontakte schließen.
Recruiter werden zu Social Employees
Social Employees können Recruiter und Vertriebsleute darin ermutigen, die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke für ihre Zwecke zu erkunden und auf wirkungsvolle Art zu nutzen. Zum Beispiel Wege aufzeigen, Kontakte zu finden, zu knüpfen und über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.
Wichtig wird dabei sein, digitale Nischen und Plätze abseits der Mainstream-Medien ausfindig zu machen, über die sie auch die in den sozialen Netzwerken weniger Engagierten erreichen. Die Kontaktnetzwerke der Social Employees können ein guter Ausgangspunkt für diese Mission sein.
Als kritische Voraussetzung für den Recruiter 2.0 betrachte ich daher das Wohlgefallen daran, sich mit Mitarbeitern, Fachkollegen und Partnern zu vernetzen und den gegenseitigen Austausch zu fördern. Recruiter werden mit der Zeit selbst zu Social Employees. Der Kreis schließt sich.
Ein schönes Beispiel, wie solche Zweckgemeinschaften zwischen Social Employees konkret im Employer Branding und im Recruiting genutzt werden können, habe ich in meinem Artikel „Social Recruiting - clever gemacht: So findet Shell IT-Spezialisten" auf dem Next Recruiting Blog von MHM HR aufgezeigt.