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Neustart. Das Ende der Wirtschaft, wie wir sie kennen. Oder: Menschenwürde statt Stress

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Liebe deutsche Wirtschaft,

ich muss gestehen, eine Zahl aus Deinem Innenleben bereitet mir Sorgen. Laut der Deutschen Rentenversicherung wurden 2013 mehr als 66.000 Deiner Mitarbeiter eine Erwerbsminderungsrente wegen psychischer Erkrankungen gewährt - über 19.000 Menschen mehr als noch vor acht Jahren. Das Durchschnittsalter der Betroffenen: 49 Jahre.

Es fällt mir schwer, mich an diesen Gedanken zu gewöhnen: Menschen in ihrem besten Alter müssen von heute auf morgen auf einen großen Teil ihres Einkommens verzichten, weil sie es einfach nicht mehr schaffen, in der täglichen Tretmühle mitzuhalten. Die chronisch krank werden, weil sie bei ihrer Arbeit unter zu viel Stress leiden.

Und mindestens genauso erschreckend, liebe deutsche Wirtschaft, ist die Antwort, die ein Experte - ja, ein echter Experte! - der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände auf diese Herausforderung gibt: Deutschland braucht mehr Therapieplätze!

Glauben die Arbeitgeber ernsthaft, dass sie ihre Mitarbeiter immer mehr Belastungen aussetzen können, um dann Staat und Krankenkassen die Folgen ihrer menschenfeindlichen Unternehmenspolitik aufzubürden, indem sie für die Opfer mehr Therapieplätze fordern? Was für eine perfide Logik!

Sicher, wer psychische Probleme wie Depressionen hat, dem muss umgehend professionell geholfen werden. Aber es kann doch nicht sein, dass die Wirtschaft die von ihr verursachten Probleme auf die Gesellschaft abwälzt. Nein, den Menschen muss vor allem von denjenigen geholfen werden, die die Probleme verursachen: den Unternehmen selbst.

Auch eine Anti-Stress-Verordnung, wie sie der Deutsche Gewerkschaftsbund von der Bundesregierung fordert, ist dabei genauso wenig hilfreich. Soll etwa die Zahl der erhaltenen Emails pro Tag und Mitarbeiter ein bestimmtes Limit nicht mehr überschreiten dürfen?

Wir müssen dafür sorgen, dass dieser unmenschliche Druck erst gar nicht entstehen kann. Für die Unternehmen bedeutet das vor allem eines: Sie müssen sich entscheiden, wie sie generell mit Menschen umgehen wollen. Welchen Stellenwert hat der einzelne Mitarbeiter? Und wird er oder sie nur nach dem Prinzip von Effizienz und Kosten beurteilt und eingesetzt?

In den vergangenen Jahren haben deutsche Unternehmen unter dem Druck einer globalisierten Wirtschaft und den Forderungen nach immer höheren Renditen die Daumenschrauben bei ihren Mitarbeitern angesetzt. Viele Arbeitsstellen wurden wegrationalisiert, der Leistungsdruck auf den Rest der Belegschaften erhöht. Frei nach der Devise: mit weniger Menschen mehr erreichen.

Eine weitere Zahl ist in diesem Zusammenhang interessant. Nach einer Studie des Gallup-Instituts fühlen sich nur noch 14 Prozent der deutschen Arbeitnehmer mit ihrem Unternehmen verbunden. Mehr als 80 Prozent machen nur Dienst nach Vorschrift, zeigen also kein besonderes Engagement in ihrem Job.

Das ist verständlich. Denn damit wir uns für etwas einsetzen, müssen wir im Job nicht nur ausreichend bezahlt werden, sondern als soziale Wesen gesehen und behandelt werden, die sich in ihrem Arbeitsumfeld wohlfühlen und gemeinsam mit Kollegen, Chefs und Kunden dieselben Ziele verfolgen wollen. Sonst wird jede Tätigkeit zu einer seelischen Belastung.

Liebe deutsche Wirtschaft, dieses Betriebsklima spielt in den Gedankenspielen Deiner Chefetagen kaum eine Rolle. Dort werden Kennzahlen kalkuliert, der einzelne Mensch zählt dagegen wenig. Natürlich wird in den Unternehmen heute mehr miteinander kommuniziert - die Flut an Emails spricht für sich.

Leider geschieht das immer weniger von Angesicht zu Angesicht. Wer aber den Erfolgsfaktor Mensch in den Mittelpunkt stellt, der verschickt nicht nur Informationen und Anweisungen und überprüft nicht nur die Ergebnisse und das Einhalten von Vorschriften, sondern kümmert sich vor allem um das Miteinander: das Klima zwischen den Mitarbeitern, zwischen Führungskräften und ihren Teams sowie zwischen Unternehmen und Kunden. Es ist ein Aufwand, der sich lohnt!

Unternehmen erzielen keine schlechteren Ergebnisse, nur weil sie Menschen Wertschätzung und Respekt entgegenbringen und sie als Individuen behandeln, die sich nicht so einfach in standardisierte Prozesse pressen lassen. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir das System Wirtschaft ändern, indem wir Führungskräfte die Chance geben, ihren Teams im Arbeitsalltag nahe zu sein, diese in ihre Entscheidungen einzubinden und im stetigen intensiven Austausch mit ihnen das Betriebsklima hochzuhalten, dann erleben wir Mitarbeiter, die auch ohne ungesunden Druck und Kontrolle das Beste geben.

Und das ist weit mehr als sich die meisten von uns heute vorstellen können. Denn, liebe deutsche Wirtschaft, Du kannst Dir sicher sein: Die meisten Deiner Mitarbeiter brauchen für ihre Zufriedenheit keine Therapieplätze und auch keine Frühverrentung. Was sie wirklich brauchen, sind menschenwürdige Arbeitsplätze, an denen sie ihr Potenzial endlich hochmotiviert ausleben können.

Come on, gute alte Freundin, ein bisschen mehr Raum und Zeit für uns alle ist doch auf jeden Fall drin!




"Patrick D. Cowden wird auf dem Generation Y Kongress - Unternehmensführung der Zukunft, am 17. Oktober in Köln sprechen. Anmeldungen für den Kongress sind noch möglich. Die Besonderheit der Veranstaltung ist, dass überwiegend junge Wirtschafts- und Unternehmensdenker auf der Bühne stehen. Neben Vorträgen können Teilnehmer an Workshops und einer abschließenden Podiumsdiskussion teilnehmen. Weitere Informationen finden Sie bei GEDANKENtanken."

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