Das Internet der Dinge, der Aufstieg der Kollaborativen Commons und der Niedergang des Kapitalismus
Ein neues Wirtschaftssystem betritt die Weltbühne: - die Kollaborativen Commons, das erste neue ökonomische Paradigma seit dem Aufkommen von Kapitalismus und Sozialismus im frühen 19. Jahrhundert, das tatsächlich Wurzeln zu fassen vermag. Und es sorgt bereits jetzt für einen fundamentalen Wandel in der Organisation unseres Wirtschaftslebens, der - noch für die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts - eine drastische Verringerung der Einkommenskluft, eine Demokratisierung der Weltwirtschaft und den Aufbau einer ökologisch nachhaltigeren Gesellschaft in Aussicht stellt.
Das Null-Grenzkosten-Phänomen
Motor dieses ökonomischen Wandels ist ironischerweise nicht etwa das Versagen der Marktwirtschaft sondern, ihr außerordentlicher Erfolg durch die unablässige Suche des freien Unternehmertums nach neuen Technologien zur Steigerung der Produktivität und zur Senkung der Grenzkosten bei Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistungen mit dem Ziel, die Preise zu senken, den Absatz zu fördern und den Investoren ausreichende Profite zu garantieren.
(Grenzkosten sind die Kosten, die bei der Herstellung einer zusätzlichen Einheit einer Ware bzw. Dienstleistung anfallen, lässt man die Fixkosten außen vor.)
Was Ökonomen freilich nie hatten ahnen können, war eine technische Revolution, die eine »extreme Produktivität« entfesseln könnte, die die Grenzkosten auf nahezu null zu senken vermag - was Informationen, Energie und auch viele gegenständliche Waren sowie Dienstleistungen potentiell so gut wie kostenlos, im Überfluss vorhanden und von den Märkten unabhängig macht. Genau das erleben wir im Augenblick.
Sein verheerendes Potenzial hat das Null-Grenzkosten-Phänomen während des vergangenen Jahrzehnts im Sektor »Informationsgüter« aufgezeigt, als Millionen von zu Prosumenten gewordenen Konsumenten ihre eigene Musik zu produzieren und über Tauschbörsen miteinander zu teilen begannen, ihre eigenen Videos auf YouTube, ihr eigenes Wissen auf Wikipedia, ja selbst ihre eigenen kostenlosen E-Books im World Wide Web.
Das Null-Grenzkosten-Phänomen hat die Musikindustrie in die Knie gezwungen, die Filmindustrie erschüttert, Zeitungen und Magazine in den Bankrott getrieben, der Buchbranche das Fürchten gelehrt.
Sechs Millionen Studenten sind derzeit bei kostenlosen Massive Open Online Courses (MOOCs) eingeschrieben, Seminaren mit anderen Worten, die praktisch zu null Grenzkosten Bildung vermitteln, zum Teil durch einige der renommiertesten Professoren der Welt; dass die Kurse mit Scheinen anerkannt werden, zwingt die Universitäten zum Überdenken ihres kostspieligen Geschäftsmodells.
Ökonomen haben die gewaltigen Auswirkungen des Null-Grenzkosten-Phänomens auf den Informationsgüter-Sektor zur Kenntnis genommen, schworen aber bis jüngst auf die Firewall zwischen der virtuellen und der realen Welt traditioneller Wirtschaftszweige wie den Energie-, den Herstellungs- und Dienstleistungssektor. Diese Firewall weist aber erste Breschen auf.
Die Herausbildung des Internets der Dinge
Derzeit ist erneut eine massive technologische Revolution im Gange, die Millionen - und bald Hunderte von Millionen - Prosumenten in die Lage versetzt, ihre eigene Energie zu produzieren und mit anderen zu teilen; dasselbe gilt für eine wachsende Zahl gegenständlicher Produkte, die zu nahezu null Grenzkosten mit dem 3D-Drucker zu fabrizieren sind.
Unser Kommunikationsinternet ist dabei, sowohl mit dem eben entstehenden Energie-Internet als auch mit einem gleichfalls im Werden begriffenen Transport-und-Logistik-Internet zu einem allumfassenden Internet der Dinge zu verschmelzen, das die Weltwirtschaft noch in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts von Grund auf verändern wird. Milliarden von Sensoren werden jedes Gerät, jede Maschine, ja überhaupt jedes »Ding« mit jedem Menschen in einem nahtlosen neuralen Netzwerk verbinden, das sich über die gesamte wirtschaftliche Wertschöpfungskette erstreckt.
Bereits heute steuern 14 Milliarden Sensoren Arbeitsfluss, Lagerhäuser, Straßensysteme, Produktionsstraßen, Stromnetz, Büros, Privathäuser, Geschäfte und Fahrzeuge, überwachen deren Status und Leistung und geben Big Data zurück an Kommunikations-, Energie- und Logistik- und Transportinternet. 2030, so schätzt man, werden menschliche und natürliche Umwelt durch über 100 Billionen Sensoren in einem dezentralen globalen intelligenten Netz miteinander verbunden sein.
Unternehmen wie Prosumenten können sich ins Internet der Dinge einklinken und Big Data und Analyse-Tools zur Entwicklung prognostischer Algorithmen heranziehen, die eine drastische Steigerung von Effizienz und Produktivität ebenso erlauben wie die Senkung der Grenzkosten bei Produktion und Verteilung materieller Produkte gegen nahezu null - so wie das jetzt bereits Milliarden von Prosumenten im Bereich der Informationsgüter tun.
So wird zum Beispiel während der nächsten Jahrzehnte der überwiegende Teil der Energie für Privathäuser, Haushaltsgeräte, Fahrzeuge und praktisch jeden Bereich der Weltwirtschaft zu nahezu null Grenzkosten erzeugt werden und so gut wie kostenlos sein.
Längst Wirklichkeit ist das für einige Millionen Früheinsteiger, die erneuerbare Energie bereits heute vor Ort aus ihrem zum Mikrokraftwerk umfunktionierten Geschäft oder Zuhause beziehen. Selbst noch vor Tilgung der Installationskosten von Solar- und Windanlagen - die oft nur zwei bis acht Jahre in Anspruch nimmt - liegen die Grenzkosten für die gewonnene Energie so gut wie bei null.
Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen bzw. Uran zur Gewinnung von Kernenergie, bei denen bereits die Ausgangsstoffe etwas kosten, sind die Sonne, die wir auf dem Dach sammeln, und der Aufwind an unserer Hauswand umsonst. Das Internet der Dinge wird es Prosumenten ermöglichen, den Stromverbrauch ihrer Gebäude energietechnisch zu optimieren und ihren Überschuss an grüner Energie in einem sich entwickelnden Energie-Internet mit anderen zu teilen.
Nach eben diesem Prinzip produzieren bereits heute Hunderttausende von Hobbyisten und Startups mit kostenloser Software bei nahezu null Grenzkosten ihre eigenen 3D-Produkte aus billigen Recycling-Materialen wie Plastik oder Papier. Bereits 2020 werden Prosumenten ihre 3D-Produkte mit anderen in Kollaborativen Commons mithilfe fahrerloser Elektro- bzw. Brennstoffzellenfahrzeuge teilen können, die mithilfe erneuerbarer Energien betrieben und durch ein automatisiertes Logistik- und Transport-Internet gesteuert sind.
Eine dezentrale Peer-to-Peer-Plattform wie das Internet der Dinge ermöglicht es Millionen von kleinen Playern - sozialen Unternehmern wie Einzelperson -, als Gleiche unter Gleichen in einem weltweiten Kollaborativen Commons zusammenzukommen und so laterale Skaleneffekte durch Umgehung der letzten verbleibenden Mittelsmänner zu erzielen, die in der von vertikal integrierten Weltkonzernen dominierten Zweiten Industriellen Revolution für die hohen Grenzkosten verantwortlich waren.
Diese fundamentale technologische Änderung der Art, wie wirtschaftliche Aktivität sich organisiert und Skaleneffekte erzielt, bedingt einen großen Umschwung im Fluss wirtschaftlicher Macht weg von den Wenigen hin zu den Massen und damit die Demokratisierung des Wirtschaftslebens.
Die Produktivitätsgewinne der Dritten Industriellen Revolution lassen die der ersten beiden industriellen Revolutionen vermutlich weit hinter sich. Cisco Systems prognostiziert, dass das Internet der Dinge bereits 2022 für $14,4 Billionen an Kosteneinsparungen und Einkünften sorgen wird.
Eine Studie von General Electric vom November 2012 kommt zu dem Schluss, dass der durch ein intelligentes industrielles Internet ermöglichte Zuwachs an Effizienz und Produktivität bereits 2025 in praktisch jedem Sektor der Wirtschaft zu spüren sein könnte und somit Auswirkungen auf »schätzungsweise die Hälfte der globalen Wirtschaft« haben wird.
Der Aufstieg der Kollaborativen Commons
Millionen von Menschen verlegen bereits heute Teile ihres Wirtschaftslebens aus den kapitalistischen Märkten in die globalen Kollaborativen Commons. Prosumenten produzieren und teilen nicht nur Informationen, Unterhaltung, grüne Energie, Produkte aus dem 3D-Drucker zu nahezu null Grenzkosten mit anderen und schreiben sich in MOOCs in den Kollaborativen Commons ein; sie teilen auch Fahrzeuge, Wohnraum, ja selbst Kleidung mit anderen über Social-Media-Sites, Miet- und Umverteilungsclubs und Genossenschaften, und das alles zu geringen oder nahezu null Grenzkosten.
Vierzig Prozent der amerikanischen Bevölkerung ist heute aktiv in der kollaborativen Teil- und Tauschwirtschaft engagiert. So nutzen zum Beispiel gegenwärtig in den USA 800.000 Personen die Dienste von Car-Sharing-Organisationen; jedes von diesen Diensten eingesetzte Fahrzeug eliminiert 15 Fahrzeuge in Privatbesitz.
Gleichzeitig teilen, ebenfalls bei nahezu null Grenzkosten, rund um die Welt bereits Millionen von Mietern und Hausbesitzern ihren Wohnraum mit Millionen von Reisenden über Online-Dienste wie Airbnb und Couchsurfing. Allein in New York kosteten die 416.000 Gäste, die 2012 und 2013 über Airbnb privat übernachteten, die New Yorker Hotelbranche eine Million Übernachtungen. Folge davon ist, dass der »Tauschwert« auf dem Markt zunehmend durch den »Teil- und Tauschwert« in den Kollaborativen Commons ersetzt wird.
In einer Null-Grenzkosten-Gesellschaft reduziert extreme Produktivität die Menge an Informationen, Energie, materiellen Ressourcen, Arbeit und Logistikkosten, die - nach Einfahren der Fixkosten - zu Produktion, Verteilung und Recycling wirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen nötig sind.
Der Übergang vom Besitz des Benötigten zum bloßen Zugang dazu bedeutet auch, dass immer mehr Menschen immer weniger Dinge in einem Kollaborativen Commons teilen, was zu einem drastischen Rückgang im Verkauf neuer Produkte führt, was wiederum den Einsatz von weniger Ressourcen und eine Reduzierung der in die Atmosphäre geblasenen Treibhausgase zur Folge hat.
Anders gesagt, das stürmische Entwicklung hin zu einer Null-Grenzkosten-Gesellschaft und der Austausch nahezu kostenloser grüner Energie und einer Reihe von Gütern und Dienstleistungen des Grundbedarfs in den Kollaborativen Commons ist die ökologisch effizienteste und nachhaltigste Wirtschaftsform überhaupt. Das Bemühen um eine Nahezu-Null-Grenzkosten-Gesellschaft ist die Benchmark für den Aufbau einer nachhaltigen Zukunft für die Menschheit auf unserer Erde schlechthin.
Jüngste Studien unterstreichen die Breite des wirtschaftlichen Potenzials der Kollaborativen Commons. Laut einer umfassenden Umfrage aus dem Jahre 2012 fühlen sich 62 Prozent aller Gen-Xer und Millennier angezogen von dem Gedanken, Güter, Dienstleistungen und Erfahrungen in den Kollaborativen Commons zu teilen.
Bei der Frage nach dem Nutzen einer Teil- und Tauschwirtschaft standen bei den Befragten finanzielle Einsparungen ganz oben an; es folgten Erwägungen wie Umweltfolgen, Flexibilität des Lebensstils, Komfort und der problemlose Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. Bei der Frage nach dem Gefühlswert nannte man am häufigsten die Großzügigkeit, gefolgt von dem Bewusstsein, ein geschätztes Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, intelligent, verantwortungsbewusst und Teil einer Bewegung.
Stellt sich die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, mit der die Kollaborativen Commons zur Zerschlagung des konventionellen Geschäftsmodells führen? Laut einer Meinungsumfrage von Latitude Research wird bei 75 Prozent aller Befragten die gemeinsame Nutzung physischer Dinge und Räume in den nächsten fünf Jahren weiter zunehmen. Eine ganze Reihe von Analytikern aus der Industrie schließt sich dieser optimistischen Prognose an. 2011 erklärte das Time-Magazin den Konsum im Verbund zu einer seiner »10 Ideen, die die Welt verändern werden«.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird uns der konventionelle Markt mit seinen profitorientierten Unternehmen bis weit in die Zukunft erhalten bleiben; letztere werden in der kommenden Ära in zunehmend entschlackter Funktion, vor allem als Organisatoren von Netzwerkdiensten und -lösungen, als starke Partner der Kollaborativen Commons florieren.
Der kapitalistische Markt jedoch wird nicht länger der eine beherrschende Faktor des Wirtschaftslebens sein. Wir stehen auf der Schwelle zu einer zum Teil jenseits der Märkte operierenden Welt, die uns das Zusammenleben in zunehmend global verflochtenen Kollaborativen Commons lehrt.
Auf- und Ausbau der intelligenten Infrastruktur für eine neue ökonomische Ära
Die Errichtung des Internets der Dinge, der Infrastruktur für die digitale Dritte Industrielle Revolution mit anderen Worten, wird beträchtliche Investitionen sowohl öffentlicher als auch privater Mittel erfordern, so wie das auch bei den ersten beiden industriellen Revolutionen der Fall war.
So steht rund um die Welt ein Upgrade des Kommunikationsinternets mittels universellem allgemeinem Breitbandzugang und kostenloser Wi-Fi-Anbindung an. Die Energieinfrastruktur bedarf des Umstiegs von fossilen Brennstoffen und Atomkraft auf erneuerbare Energien. Millionen Gebäude sind mit Einrichtungen zur Gewinnung erneuerbarer Energie nachzurüsten und so in Mikrokraftwerke umzubauen.
In jede Ebene dieser Infrastruktur sind Wasserstoff- und andere Speichertechnologien zur Sicherung intermittierender Energien zu integrieren. Außerdem steht die Neukonfiguration des Stromnetzes als intelligentes digitales Energieinternet an, das dem Fluss der Energie aus Millionen grüner Mikrokraftwerke gewachsen ist.
Schließlich ist noch der Transport- und Logistik-Sektor zu digitalisieren und zu einem automatisierten, GPS-gesteuerten fahrerlosen Straßen- und Schienennetz auszubauen. Die Einführung des Elektro- und Brennstoffzellentransports erfordert ein Energieinternet mit Millionen von vernetzten Stromtankstellen. Zu alledem bedarf es intelligenter Straßen, deren Millionen von Sensoren in Echtzeit Informationen über Verkehrsfluss und Frachtbewegung an das Transport- und Logistik-Internet liefern.
Die Aufskalierung eines intelligenten digitalen Internets der Dinge wird für Millionen Arbeitsplätze und neue Geschäftsmöglichkeiten sowohl in der Marktwirtschaft als auch in den Kollaborativen Commons sorgen und damit für einen drastischen Anstieg der Produktivität; im Rahmen dieser Entwicklung wird eine nachhaltige kohlenstofffreie Gesellschaft entstehen.
Investitionen in die Infrastruktur haben immer einen Multiplikatoreffekt, der auf die gesamte Wirtschaft wirkt. Die Einstellung von Millionen Arbeitern stimuliert die Kaufkraft, was wiederum für neue Geschäftsmöglichkeiten sowie zusätzliche Arbeitsplätze zur Befriedigung der wachsenden Nachfrage sorgt.
Der Ausbau des Internets der Dinge ermöglicht darüber hinaus einen paradigmatischen Produktivitätszuwachs über die gesamte Wertschöpfungskette, durch den der Multiplikatoreffekt bis in den letzten Winkel der Wirtschaft dringt.
Die Alternative, sich bei schwindenden wirtschaftlichen Möglichkeiten, gebremstem Bruttosozialprodukt, abnehmender Produktivität, steigender Arbeitslosigkeit und zunehmender Umweltverschmutzung an eine im Niedergang begriffene Zweite Industrielle Revolution zu klammern, ist undenkbar, da dies langfristig weltweit zu wirtschaftlichem Schwund und einem Rückgang der Lebensqualität führt.
Der Auf- und Ausbau des Internets der Dinge als Plattform für den Übergang zur Null-Grenzkosten-Gesellschaft führt uns in eine vielversprechende neue wirtschaftliche Ära mit weitreichendem Nutzen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft an sich.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft - Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus
2014, geb. mit Schutzumschlag, 528 Seiten
D 27,00 € / A 27,80 € / CH 38,50 Fr.; ISBN 978-3-593-39917-1
Ein neues Wirtschaftssystem betritt die Weltbühne: - die Kollaborativen Commons, das erste neue ökonomische Paradigma seit dem Aufkommen von Kapitalismus und Sozialismus im frühen 19. Jahrhundert, das tatsächlich Wurzeln zu fassen vermag. Und es sorgt bereits jetzt für einen fundamentalen Wandel in der Organisation unseres Wirtschaftslebens, der - noch für die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts - eine drastische Verringerung der Einkommenskluft, eine Demokratisierung der Weltwirtschaft und den Aufbau einer ökologisch nachhaltigeren Gesellschaft in Aussicht stellt.
Das Null-Grenzkosten-Phänomen
Motor dieses ökonomischen Wandels ist ironischerweise nicht etwa das Versagen der Marktwirtschaft sondern, ihr außerordentlicher Erfolg durch die unablässige Suche des freien Unternehmertums nach neuen Technologien zur Steigerung der Produktivität und zur Senkung der Grenzkosten bei Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistungen mit dem Ziel, die Preise zu senken, den Absatz zu fördern und den Investoren ausreichende Profite zu garantieren.
(Grenzkosten sind die Kosten, die bei der Herstellung einer zusätzlichen Einheit einer Ware bzw. Dienstleistung anfallen, lässt man die Fixkosten außen vor.)
Was Ökonomen freilich nie hatten ahnen können, war eine technische Revolution, die eine »extreme Produktivität« entfesseln könnte, die die Grenzkosten auf nahezu null zu senken vermag - was Informationen, Energie und auch viele gegenständliche Waren sowie Dienstleistungen potentiell so gut wie kostenlos, im Überfluss vorhanden und von den Märkten unabhängig macht. Genau das erleben wir im Augenblick.
Sein verheerendes Potenzial hat das Null-Grenzkosten-Phänomen während des vergangenen Jahrzehnts im Sektor »Informationsgüter« aufgezeigt, als Millionen von zu Prosumenten gewordenen Konsumenten ihre eigene Musik zu produzieren und über Tauschbörsen miteinander zu teilen begannen, ihre eigenen Videos auf YouTube, ihr eigenes Wissen auf Wikipedia, ja selbst ihre eigenen kostenlosen E-Books im World Wide Web.
Das Null-Grenzkosten-Phänomen hat die Musikindustrie in die Knie gezwungen, die Filmindustrie erschüttert, Zeitungen und Magazine in den Bankrott getrieben, der Buchbranche das Fürchten gelehrt.
Sechs Millionen Studenten sind derzeit bei kostenlosen Massive Open Online Courses (MOOCs) eingeschrieben, Seminaren mit anderen Worten, die praktisch zu null Grenzkosten Bildung vermitteln, zum Teil durch einige der renommiertesten Professoren der Welt; dass die Kurse mit Scheinen anerkannt werden, zwingt die Universitäten zum Überdenken ihres kostspieligen Geschäftsmodells.
Ökonomen haben die gewaltigen Auswirkungen des Null-Grenzkosten-Phänomens auf den Informationsgüter-Sektor zur Kenntnis genommen, schworen aber bis jüngst auf die Firewall zwischen der virtuellen und der realen Welt traditioneller Wirtschaftszweige wie den Energie-, den Herstellungs- und Dienstleistungssektor. Diese Firewall weist aber erste Breschen auf.
Die Herausbildung des Internets der Dinge
Derzeit ist erneut eine massive technologische Revolution im Gange, die Millionen - und bald Hunderte von Millionen - Prosumenten in die Lage versetzt, ihre eigene Energie zu produzieren und mit anderen zu teilen; dasselbe gilt für eine wachsende Zahl gegenständlicher Produkte, die zu nahezu null Grenzkosten mit dem 3D-Drucker zu fabrizieren sind.
Unser Kommunikationsinternet ist dabei, sowohl mit dem eben entstehenden Energie-Internet als auch mit einem gleichfalls im Werden begriffenen Transport-und-Logistik-Internet zu einem allumfassenden Internet der Dinge zu verschmelzen, das die Weltwirtschaft noch in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts von Grund auf verändern wird. Milliarden von Sensoren werden jedes Gerät, jede Maschine, ja überhaupt jedes »Ding« mit jedem Menschen in einem nahtlosen neuralen Netzwerk verbinden, das sich über die gesamte wirtschaftliche Wertschöpfungskette erstreckt.
Bereits heute steuern 14 Milliarden Sensoren Arbeitsfluss, Lagerhäuser, Straßensysteme, Produktionsstraßen, Stromnetz, Büros, Privathäuser, Geschäfte und Fahrzeuge, überwachen deren Status und Leistung und geben Big Data zurück an Kommunikations-, Energie- und Logistik- und Transportinternet. 2030, so schätzt man, werden menschliche und natürliche Umwelt durch über 100 Billionen Sensoren in einem dezentralen globalen intelligenten Netz miteinander verbunden sein.
Unternehmen wie Prosumenten können sich ins Internet der Dinge einklinken und Big Data und Analyse-Tools zur Entwicklung prognostischer Algorithmen heranziehen, die eine drastische Steigerung von Effizienz und Produktivität ebenso erlauben wie die Senkung der Grenzkosten bei Produktion und Verteilung materieller Produkte gegen nahezu null - so wie das jetzt bereits Milliarden von Prosumenten im Bereich der Informationsgüter tun.
So wird zum Beispiel während der nächsten Jahrzehnte der überwiegende Teil der Energie für Privathäuser, Haushaltsgeräte, Fahrzeuge und praktisch jeden Bereich der Weltwirtschaft zu nahezu null Grenzkosten erzeugt werden und so gut wie kostenlos sein.
Längst Wirklichkeit ist das für einige Millionen Früheinsteiger, die erneuerbare Energie bereits heute vor Ort aus ihrem zum Mikrokraftwerk umfunktionierten Geschäft oder Zuhause beziehen. Selbst noch vor Tilgung der Installationskosten von Solar- und Windanlagen - die oft nur zwei bis acht Jahre in Anspruch nimmt - liegen die Grenzkosten für die gewonnene Energie so gut wie bei null.
Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen bzw. Uran zur Gewinnung von Kernenergie, bei denen bereits die Ausgangsstoffe etwas kosten, sind die Sonne, die wir auf dem Dach sammeln, und der Aufwind an unserer Hauswand umsonst. Das Internet der Dinge wird es Prosumenten ermöglichen, den Stromverbrauch ihrer Gebäude energietechnisch zu optimieren und ihren Überschuss an grüner Energie in einem sich entwickelnden Energie-Internet mit anderen zu teilen.
Nach eben diesem Prinzip produzieren bereits heute Hunderttausende von Hobbyisten und Startups mit kostenloser Software bei nahezu null Grenzkosten ihre eigenen 3D-Produkte aus billigen Recycling-Materialen wie Plastik oder Papier. Bereits 2020 werden Prosumenten ihre 3D-Produkte mit anderen in Kollaborativen Commons mithilfe fahrerloser Elektro- bzw. Brennstoffzellenfahrzeuge teilen können, die mithilfe erneuerbarer Energien betrieben und durch ein automatisiertes Logistik- und Transport-Internet gesteuert sind.
Eine dezentrale Peer-to-Peer-Plattform wie das Internet der Dinge ermöglicht es Millionen von kleinen Playern - sozialen Unternehmern wie Einzelperson -, als Gleiche unter Gleichen in einem weltweiten Kollaborativen Commons zusammenzukommen und so laterale Skaleneffekte durch Umgehung der letzten verbleibenden Mittelsmänner zu erzielen, die in der von vertikal integrierten Weltkonzernen dominierten Zweiten Industriellen Revolution für die hohen Grenzkosten verantwortlich waren.
Diese fundamentale technologische Änderung der Art, wie wirtschaftliche Aktivität sich organisiert und Skaleneffekte erzielt, bedingt einen großen Umschwung im Fluss wirtschaftlicher Macht weg von den Wenigen hin zu den Massen und damit die Demokratisierung des Wirtschaftslebens.
Die Produktivitätsgewinne der Dritten Industriellen Revolution lassen die der ersten beiden industriellen Revolutionen vermutlich weit hinter sich. Cisco Systems prognostiziert, dass das Internet der Dinge bereits 2022 für $14,4 Billionen an Kosteneinsparungen und Einkünften sorgen wird.
Eine Studie von General Electric vom November 2012 kommt zu dem Schluss, dass der durch ein intelligentes industrielles Internet ermöglichte Zuwachs an Effizienz und Produktivität bereits 2025 in praktisch jedem Sektor der Wirtschaft zu spüren sein könnte und somit Auswirkungen auf »schätzungsweise die Hälfte der globalen Wirtschaft« haben wird.
Der Aufstieg der Kollaborativen Commons
Millionen von Menschen verlegen bereits heute Teile ihres Wirtschaftslebens aus den kapitalistischen Märkten in die globalen Kollaborativen Commons. Prosumenten produzieren und teilen nicht nur Informationen, Unterhaltung, grüne Energie, Produkte aus dem 3D-Drucker zu nahezu null Grenzkosten mit anderen und schreiben sich in MOOCs in den Kollaborativen Commons ein; sie teilen auch Fahrzeuge, Wohnraum, ja selbst Kleidung mit anderen über Social-Media-Sites, Miet- und Umverteilungsclubs und Genossenschaften, und das alles zu geringen oder nahezu null Grenzkosten.
Vierzig Prozent der amerikanischen Bevölkerung ist heute aktiv in der kollaborativen Teil- und Tauschwirtschaft engagiert. So nutzen zum Beispiel gegenwärtig in den USA 800.000 Personen die Dienste von Car-Sharing-Organisationen; jedes von diesen Diensten eingesetzte Fahrzeug eliminiert 15 Fahrzeuge in Privatbesitz.
Gleichzeitig teilen, ebenfalls bei nahezu null Grenzkosten, rund um die Welt bereits Millionen von Mietern und Hausbesitzern ihren Wohnraum mit Millionen von Reisenden über Online-Dienste wie Airbnb und Couchsurfing. Allein in New York kosteten die 416.000 Gäste, die 2012 und 2013 über Airbnb privat übernachteten, die New Yorker Hotelbranche eine Million Übernachtungen. Folge davon ist, dass der »Tauschwert« auf dem Markt zunehmend durch den »Teil- und Tauschwert« in den Kollaborativen Commons ersetzt wird.
In einer Null-Grenzkosten-Gesellschaft reduziert extreme Produktivität die Menge an Informationen, Energie, materiellen Ressourcen, Arbeit und Logistikkosten, die - nach Einfahren der Fixkosten - zu Produktion, Verteilung und Recycling wirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen nötig sind.
Der Übergang vom Besitz des Benötigten zum bloßen Zugang dazu bedeutet auch, dass immer mehr Menschen immer weniger Dinge in einem Kollaborativen Commons teilen, was zu einem drastischen Rückgang im Verkauf neuer Produkte führt, was wiederum den Einsatz von weniger Ressourcen und eine Reduzierung der in die Atmosphäre geblasenen Treibhausgase zur Folge hat.
Anders gesagt, das stürmische Entwicklung hin zu einer Null-Grenzkosten-Gesellschaft und der Austausch nahezu kostenloser grüner Energie und einer Reihe von Gütern und Dienstleistungen des Grundbedarfs in den Kollaborativen Commons ist die ökologisch effizienteste und nachhaltigste Wirtschaftsform überhaupt. Das Bemühen um eine Nahezu-Null-Grenzkosten-Gesellschaft ist die Benchmark für den Aufbau einer nachhaltigen Zukunft für die Menschheit auf unserer Erde schlechthin.
Jüngste Studien unterstreichen die Breite des wirtschaftlichen Potenzials der Kollaborativen Commons. Laut einer umfassenden Umfrage aus dem Jahre 2012 fühlen sich 62 Prozent aller Gen-Xer und Millennier angezogen von dem Gedanken, Güter, Dienstleistungen und Erfahrungen in den Kollaborativen Commons zu teilen.
Bei der Frage nach dem Nutzen einer Teil- und Tauschwirtschaft standen bei den Befragten finanzielle Einsparungen ganz oben an; es folgten Erwägungen wie Umweltfolgen, Flexibilität des Lebensstils, Komfort und der problemlose Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. Bei der Frage nach dem Gefühlswert nannte man am häufigsten die Großzügigkeit, gefolgt von dem Bewusstsein, ein geschätztes Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, intelligent, verantwortungsbewusst und Teil einer Bewegung.
Stellt sich die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, mit der die Kollaborativen Commons zur Zerschlagung des konventionellen Geschäftsmodells führen? Laut einer Meinungsumfrage von Latitude Research wird bei 75 Prozent aller Befragten die gemeinsame Nutzung physischer Dinge und Räume in den nächsten fünf Jahren weiter zunehmen. Eine ganze Reihe von Analytikern aus der Industrie schließt sich dieser optimistischen Prognose an. 2011 erklärte das Time-Magazin den Konsum im Verbund zu einer seiner »10 Ideen, die die Welt verändern werden«.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird uns der konventionelle Markt mit seinen profitorientierten Unternehmen bis weit in die Zukunft erhalten bleiben; letztere werden in der kommenden Ära in zunehmend entschlackter Funktion, vor allem als Organisatoren von Netzwerkdiensten und -lösungen, als starke Partner der Kollaborativen Commons florieren.
Der kapitalistische Markt jedoch wird nicht länger der eine beherrschende Faktor des Wirtschaftslebens sein. Wir stehen auf der Schwelle zu einer zum Teil jenseits der Märkte operierenden Welt, die uns das Zusammenleben in zunehmend global verflochtenen Kollaborativen Commons lehrt.
Auf- und Ausbau der intelligenten Infrastruktur für eine neue ökonomische Ära
Die Errichtung des Internets der Dinge, der Infrastruktur für die digitale Dritte Industrielle Revolution mit anderen Worten, wird beträchtliche Investitionen sowohl öffentlicher als auch privater Mittel erfordern, so wie das auch bei den ersten beiden industriellen Revolutionen der Fall war.
So steht rund um die Welt ein Upgrade des Kommunikationsinternets mittels universellem allgemeinem Breitbandzugang und kostenloser Wi-Fi-Anbindung an. Die Energieinfrastruktur bedarf des Umstiegs von fossilen Brennstoffen und Atomkraft auf erneuerbare Energien. Millionen Gebäude sind mit Einrichtungen zur Gewinnung erneuerbarer Energie nachzurüsten und so in Mikrokraftwerke umzubauen.
In jede Ebene dieser Infrastruktur sind Wasserstoff- und andere Speichertechnologien zur Sicherung intermittierender Energien zu integrieren. Außerdem steht die Neukonfiguration des Stromnetzes als intelligentes digitales Energieinternet an, das dem Fluss der Energie aus Millionen grüner Mikrokraftwerke gewachsen ist.
Schließlich ist noch der Transport- und Logistik-Sektor zu digitalisieren und zu einem automatisierten, GPS-gesteuerten fahrerlosen Straßen- und Schienennetz auszubauen. Die Einführung des Elektro- und Brennstoffzellentransports erfordert ein Energieinternet mit Millionen von vernetzten Stromtankstellen. Zu alledem bedarf es intelligenter Straßen, deren Millionen von Sensoren in Echtzeit Informationen über Verkehrsfluss und Frachtbewegung an das Transport- und Logistik-Internet liefern.
Die Aufskalierung eines intelligenten digitalen Internets der Dinge wird für Millionen Arbeitsplätze und neue Geschäftsmöglichkeiten sowohl in der Marktwirtschaft als auch in den Kollaborativen Commons sorgen und damit für einen drastischen Anstieg der Produktivität; im Rahmen dieser Entwicklung wird eine nachhaltige kohlenstofffreie Gesellschaft entstehen.
Investitionen in die Infrastruktur haben immer einen Multiplikatoreffekt, der auf die gesamte Wirtschaft wirkt. Die Einstellung von Millionen Arbeitern stimuliert die Kaufkraft, was wiederum für neue Geschäftsmöglichkeiten sowie zusätzliche Arbeitsplätze zur Befriedigung der wachsenden Nachfrage sorgt.
Der Ausbau des Internets der Dinge ermöglicht darüber hinaus einen paradigmatischen Produktivitätszuwachs über die gesamte Wertschöpfungskette, durch den der Multiplikatoreffekt bis in den letzten Winkel der Wirtschaft dringt.
Die Alternative, sich bei schwindenden wirtschaftlichen Möglichkeiten, gebremstem Bruttosozialprodukt, abnehmender Produktivität, steigender Arbeitslosigkeit und zunehmender Umweltverschmutzung an eine im Niedergang begriffene Zweite Industrielle Revolution zu klammern, ist undenkbar, da dies langfristig weltweit zu wirtschaftlichem Schwund und einem Rückgang der Lebensqualität führt.
Der Auf- und Ausbau des Internets der Dinge als Plattform für den Übergang zur Null-Grenzkosten-Gesellschaft führt uns in eine vielversprechende neue wirtschaftliche Ära mit weitreichendem Nutzen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft an sich.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft - Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus
2014, geb. mit Schutzumschlag, 528 Seiten
D 27,00 € / A 27,80 € / CH 38,50 Fr.; ISBN 978-3-593-39917-1