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Russlands Willkürjustiz - (K)eine Vergewaltigung und sieben Haftstrafen

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"Viele Deutsche können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, in einem Unrechtsstaat zu leben. Was würden Sie ihnen erzählen?" - Diese Frage stellte ich Olga Romanowa, bekannte Journalistin und Kämpferin gegen die Willkür-Justiz in Russland. Ihr Mann saß lange im Gefängnis, sie selbst wurde von Bewaffneten am Betreten ihres TV-Studios gehindert und fristlos gekündigt.

Ihr Vergehen: Sie versuchte als einzige TV-Journalistin in Russland, über einen Unfall zu berichten, bei dem der Sohn des damaligen Verteidigungsministers und Putin-Vertrauten Iwanow eine Rentnerin totfuhr; statt gegen den Todesfahrer wurde nur gegen den Schwiegersohn der Ermordeten ermittelt.

Unter Putin herrschen Ordnung und Gesetz? Von wegen.

Olga Romanowa will zuerst gar nicht recht glauben, dass es in Deutschland Illusionen gibt, unter Putin könnten Ordnung und Gesetz herrschen. Kein Russe, selbst die Putin-Verteidiger, seien so naiv, meint die resolute Frau und schüttelt lange ungläubig den Kopf.

Dann nimmt sie einen kräftigen Schluck Kaffee, als wolle sie Energie tanken, und legt in einem Atemzug los: "Ich könnte Ihnen tausend Geschichten berichten, aber erzählen Sie den Deutschen diese: Einer Verkäuferin in einem Laden hier in Moskau wurde ihr Telefon gestohlen, Ende 2011.

Sie erstattete Anzeige. Am nächsten Tag hatte die Polizei sechs Verdächtige gefunden - und ermittelte gegen sie alle wegen Massenvergewaltigung.

"Das wird in Deutschland niemand glauben"

"Das wird in Deutschland niemand glauben", unterbreche ich Romanowa. Was nun wiederum sie nicht glauben will. Wieder nimmt sie einen kräftigen Schluck Kaffee: "Solche Fälle gibt es zur Genüge. Wir haben alle Akten, ich kenne die Beteiligten, alles ist offiziell."

"Warum macht die Polizei das?", frage ich sie. Sie sieht mich verwundert an - wie kann ein Korrespondent mit anderthalb Jahrzehnten Russland-Erfahrung so naiv sein, sagt ihr Blick. Entschuldigen Sie die Frage, aber für Ausländer ohne Russland-Erfahrung ist das nicht nachvollziehbar." Sie lächelt bitter: "Ja, unsere Realität ist außerhalb des nachvollziehbaren für Menschen, die sie nicht selbst erleben. Die Polizei macht solche Sachen, weil das Jahresende näher rückt, und weil die Beamten ihren Jahresplan erfüllen müssen.

Fünf der Männer fügten sich in ihr Schicksal, einer war psychisch krank, die anderen von auswärts. Die Verkäuferin erklärte, es habe gar keine Vergewaltigung gegeben, es habe sich nur um einen Telefondiebstahl gehandelt, man habe sie zu einer Falschaussage genötigt; sie schrieb entsprechende Briefe an alle Instanzen. Sie wurde daraufhin wegen Falschaussage selbst zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil sie eine Vergewaltigung vorgetäuscht habe. Die Männer bekamen vom gleichen Gericht dennoch langjährige Haftstrafen aufgebrummt, für diese angebliche Vergewaltigung, die laut dem Urteil gegen das vermeintliche Opfer nur vorgetäuschte und damit gar nicht existent war.

Versuchen Sie nicht, das mit Logik oder normalem Menschenverstand zu verstehen! Fünf der verurteilten Männer und die Frau fügten sich in ihr Schicksal, sie wussten, dass sie keine Chance haben gegen unser Rechtssystem."

Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich mir wünschte, Romanowa hätte ein harmloseres Beispiel erzählt, weil dieses für viele Menschen im Westen einfach zu krass ist, als dass sie es nachvollziehen könnten.

"Und Nummer sechs?", frage ich sie. Sie lächelt bitter. Man lächelt oft in Russland, wenn man eigentlich weinen möchte: "Eines der Opfer hatte eine kämpferische Mutter, so kam der Fall zu uns" - sie meint ihre Organisation "Sitzendes Russland", die sich für Opfer der Willkürjustiz einsetzt: "Ihr Sohn Dima, Post-Angestellter, verheiratet, Vater von zwei kleinen Kindern, damals 28 Jahre, wurde in der Sache zu sieben Jahren Straflager verurteilt. Dima wurde mitten in der Nacht in seiner Wohnung direkt aus dem Bett heraus verhaftet, obwohl es später in den Akten hieß, man habe ihn am Tatort festgenommen."

Hätte ich nicht selbst ähnlich drastische Fälle erlebt, auch aus nächster Nähe - ich würde Romanowas Erzählungen wohl nicht glauben. Genauso wenig wie die vielen Putin-Versteher in Deutschland, die in der Moskauer Autokratie eine Alternative zu unserem Rechtsstaat sehen.

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Der Autor im Gespräch mit Olga Romanowa

Boris Reitschuster ist Autor des Buches "Putins Demokratur. Ein Machtmensch und sein System".

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Econ Verlag
3-8437-1000-7

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