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Kokain war gestern: Südamerikanische Kartelle steigen massiv in den Handel mit gestohlenen Smartphones ein

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BOGOTA/KOLUMBIEN - In der Hauptstadt eines Landes, das für seinen Drogenhandel berüchtigt ist, war diese Szene nicht ungewöhnlich. Die kolumbianische Polizei hielt nach dem Hinweis eines Informanten einen Minivan auf, der gerade den Flughafen El Dorado in Bogota verlassen wollte. Im Laderaum des Fahrzeugs fanden die Ermittler, was sie suchten: dutzende Kisten mit wertvoller Schmuggelware.

Beschlagnahmt wurden in den Morgenstunden des 26. September 2012 aber nicht Kokain oder andere illegale Drogen. Die Kisten enthielten über 400 Smartphones der Marken Samsung, LG und BlackBerry – komplett mit Handbüchern und Ladegeräten. Als die Polizisten die Geräte einschalteten, wurden die Namen und Logos der amerikanischen Mobilfunkanbieter AT&T und Verizon angezeigt.

Polizei sicher: Geräte wurden in den USA gestohlen

Zwar ergab eine Suche nach den Seriennummern in der Datenbank der US-Polizei keine Verbindung zu gemeldeten Diebstählen, dennoch ist Luis Guate, Ermittler bei der kolumbianischen Nationalpolizei, sicher, dass die Geräte in den USA gestohlen wurden: Abgehörte Gespräche zwischen kolumbianischen Schmugglern belegen, dass die Telefone von einem Hehler für gestohlene Elektrogeräte in Miami gekauft und dann nach Bogota gebracht wurden.

handy
Oft werden aus Platzgründen nur die Motherboards der gestohlenen Geräte geschmuggelt.

„Unser Informant berichtete, dass die Händler die gestohlenen Handys dort kaufen, überholen und mitsamt Handbuch in Originalkartons legen, damit sie wie neu aussehen“, erklärte Guate der Huffington Post. Zudem würden die Händler oft die Seriennummern verändern, damit keine Verbindung zu Diebstahlsmeldungen möglich ist. „Dann werden die Geräte nach Kolumbien gebracht.“

Südamerikanische Kartelle haben ihre Arbeitsweise im jahrzehntelangen Kokainhandel nahezu perfektioniert. Jetzt bietet sich ihnen ein neues Geschäftsfeld mit riesigen Profiten und einem deutlich geringeren Risiko: der Handel mit gestohlenen Smartphones. Recherchen der Huffington Post anhand von Interviews mit kolumbianischen Gesetzeshütern und einem Polizei-Informanten sowie Niederschriften abgehörter Telefongespräche zwischen Schmugglern zeigen, dass Kolumbien das Hauptdrehkreuz dieses zunehmend lukrativen Handelszweigs ist.

„Drogenhandel ist gefährlicher, da er weltweit bekämpft wird“, erklärt Staatsanwältin Jeanet Pelaez der HuffPost. „Doch längst nicht jedes Land kümmert sich um gestohlene Smartphones. Es gibt keine Kontrolle, und das Risiko ist minimal.“
Die möglichen Profite sind dagegen enorm. Der weltweite Markt für gestohlene Smartphones ist laut einer Schätzung von Lookout, einem Sicherheitsunternehmen mit Sitz in San Francisco, rund 30 Milliarden US-Dollar pro Jahr wert.

Während der Kokainhandel für gewöhnlich von Süden nach Norden fließt und die Koka-produzierenden Länder in Lateinamerika mit Käufern in Nordamerika verbindet, erfolgt der Smartphone-Handel in der umgekehrten Richtung. Viele der gestohlenen Mobiltelefone stammen aus Städten in den USA. Dort ist die Zahl der mitunter tödlichen Raubüberfälle, die auf iPhones und ähnliche Geräte abzielen, sprunghaft angestiegen. Die gestohlenen Handys werden dann nach Bogota und in andere südamerikanische Städte gebracht.

Informanten müssen um ihr Leben fürchten

Ein Informant der kolumbianischen Polizei bestätigte gegenüber der HuffPost, dass sich immer mehr Schmuggler am Handel mit gestohlenen Smartphones beteiligten. Er bestand darauf, dass sein Name ungenannt bleibt, da er um sein Leben fürchtet. Die Kartelle bevorzugen vor allem hochwertige Modelle wie iPhone oder Samsung Galaxy. Viele der Telefone, die hier in großen Mengen für den Wiederverkauf eintreffen, wurden in den USA gestohlen, sagt der Informant. „Wenn man die Telefone einschaltet,“ erklärt er, „wird At&T oder T-Mobile angezeigt.“

Dem Informanten zufolge bringen Händler die gestohlenen Handys aus den USA zu einem Elektronikmarkt in einem Einkaufszentrum in Bogota. Dort werden die Geräte überarbeitet und dann, meist auf dem Landweg, außer Landes geschmuggelt.

Kolumbien spielt für den weltweiten Vertrieb mittlerweile eine so große Rolle, dass gestohlene Smartphones auch aus Ländern wie Spanien oder Singapur per Schiff oder Flugzeug ins Land geschmuggelt werden.

Über ein ausgeklügeltes Botensystem werden die Geräte dann auf dem gesamten Kontinent ausgeliefert, von Brasilien bis nach Argentinien. Unterwegs werden die Handys in Milch- oder Obstbehältern versteckt und auf LKWs und Busse verladen, in das Futter von Koffern oder Jacken eingenäht und auf Fähren transportiert, oder von Schmugglern im Rucksack durch seichte Flüsse an der Grenze zu Venezuela getragen, so die Strafverfolgungsbehörden und ein Informant bei der Polizei. Oft werden aus Platzgründen nur die Motherboards der gestohlenen Geräte geschmuggelt.

Manche schmuggeln auch Drogen und Smartphones zusammen. Letztes Jahr wollte die kolumbianische Polizei William Eliezer Lozano Salas festnehmen, der mehrere Handyläden in Kolumbien besaß und gestohlene Telefone nach Ecuador, Peru, Argentinien und Brasilien gebracht haben soll. Doch die Ermittler kamen zu spät: Die brasilianische Polizei hatte Salas schon wegen Drogenhandels festgenommen, so die kolumbianische Staatsanwältin Pelaez.

20 Tote bei Raubüberfällen wegen ihrer Handys getötet

Der Handel mit gestohlenen Telefonen ist inzwischen so lukrativ, dass die Straßenkriminalität so hoch ist wie nie zuvor. Polizeiangaben zufolge sind in den vergangenen zwei Jahren mindestens 20 Menschen wegen ihrer Handys bei Raubüberfällen getötet worden. In einem Leitartikel erklärte die kolumbianische Zeitung El Tiempo im letzten Jahr, dass öffentliches Hantieren mit einem Smartphone „zur Todesfalle“ geworden sei.

Dass Menschen bereit sind, für ein Smartphone zu töten, zeigt auch, wie sehr die Einzelhandelspreise von Land zu Land schwanken. Ein Smartphone, das in den USA für 200 Dollar erhältlich ist, kann in Hong Kong oder Brasilien 2000 Dollar kosten, da enorme Importzölle die Preise für Apple-Produkte dort stark in die Höhe getrieben haben.

In den USA fordern Strafverfolgungsbehörden Smartphone-Hersteller wie Apple und Samsung daher auf, ihre Geräte mit einem sogenannten „Kill Switch“ auszustatten, mit dem die Telefone bei Diebstahl deaktiviert werden können. Dadurch gibt es weniger Anreize für die Diebe.

Apple und Samsung präsentierten in diesem Sommer neue Sicherheitsfunktionen, mit denen die Besitzer ihre Geräte im Falle eines Diebstahls unbrauchbar machen können. Der Bezirksstaatsanwalt von San Francisco, George Gascon, warf den Mobilfunkanbietern letzten Monat jedoch vor, die Einführung der Diebstahlsicherung von Samsung zu blockieren, um weiterhin von den Prämien für Handyversicherungen profitieren zu können.

Darüber hinaus muss die neue Diebstahlsicherung von Apple namens „Activation Lock“ vom Besitzer des iPhones erst aktiv eingeschaltet werden, weshalb diese Funktion wohl nur selten genutzt wird, vermutet die Polizei.

„Es handelt sich hierbei um ein schwerwiegendes Problem, auf das Hersteller und Mobilfunkanbieter vehementer reagieren müssen“, sagt der New Yorker Oberstaatsanwalt Eric Schneidermann.

Hersteller wollen Behörden unterstützen

Apple stand bisher trotz mehrmaliger Nachfrage der Huffington Post für Kommentare nicht zur Verfügung. In einem offiziellen Statement von Samsung hieß es, dass man das „Problem des Smartphone-Diebstahls sehr ernst“ nehme und an einer besseren Lösung arbeite. CTIA, die Branchenvereinigung der Mobilfunkanbieter, sagt, die Unternehmen hätten „im letzten Jahr hart gearbeitet, um die Strafverfolgungsbehörden im Kampf gegen gestohlene Handys zu unterstützen“.

Hier in Bogota wirft der Leiter der Cybercrime-Einheit der kolumbianischen Nationalpolizei, Col. Fredy Bautista Garcia, den Elektronikgiganten Gleichgültigkeit gegenüber der tödlichen Gewalt im Land vor. In einem Interview lobte Garcia ein neues Gesetz in Südkorea, nach dem Mobilfunkhersteller alle neuen Modelle mit einem sogenannten „Kill Switch“ versehen müssen. Er stellte die Frage, warum das nicht überall der Fall ist.

„Ich glaube nicht, dass die ganze Tragweite des Problems wirklich verstanden wird“, sagt Garcia.





Emilia Ospina versteht die Tragweite des Problems. An einem Tag im Juni 2012 schickte ihr 25-jähriger Sohn Juan Guillermo Gomez (siehe Foto) ihr von seinem Blackberry aus eine SMS: „Weißt du, dass ich dich liebe, Mama?“

Das sollten die letzten Worte sein, die sie von ihrem Sohn hören würde.

juan guillermo gomez
Juan Guillermo Gomez wurde von Handydieben in Bogota getötet.

Ein paar Nächte später wurde er auf dem Heimweg von einer Bar von vier Männern aufgehalten, die sein BlackBerry forderten, so die Polizei. Einer von ihnen zückte ein Messer und stach Gomez damit in die Brust. Die Männer ließen den Sterbenden auf der Straße zurück, stahlen sein Smartphone und flüchteten, berichtet die Polizei weiter.

„Für meinen Schmerz gibt es keine Worte“. Seine Mutter schüttelt den Kopf und drückt beide Hände gegen ihre Brust. „Es ist, als reiße man mir das Herz heraus.“ Juan Guillermo Gomez wurde von Handydieben in Bogota getötet.

Zahlen der kolumbianische Polizei und Consumer Reports zufolge wurden im letzten Jahr in den USA und in Kolumbien ungefähr gleich viele Handys gestohlen gemeldet (1,6 Millionen). In den USA leben jedoch siebenmal mehr Menschen als in Kolumbien.

In Bogota, der pulsierenden 7-Millionen-Metropole am Fuße der Anden, sind Überfälle mittlerweile so häufig, dass der Bürgermeister die Bewohner davor gewarnt hat, ihre Handys offen auf der Straße zu zeigen. Die Kolumbianer haben für die Nutzung von Smartphones in der Öffentlichkeit inzwischen sogar einen eigenen Begriff: „Papayas verschenken“, was ungefähr so viel bedeutet wie „sein Schicksal herausfordern“.

Handydiebe sind meist verarmte Drogensüchtige

Den lokalen Behörden zufolge handelt es sich bei den Handydieben in Bogota meist um Drogensüchtige aus den Armenvierteln, die die gestohlenen Geräte an Schmuggler verkaufen – für 25 bis 100 Dollar pro Gerät, je nach Modell und Zustand. Die meisten von ihnen sind Männer, es gibt jedoch auch überraschend viele Frauen unter den Dieben. Die kolumbianische Zeitung El Tiempo veröffentlichte letztes Jahr die Fotos von 10 Frauen, die in Bogota wegen Handydiebstahls festgenommen worden waren. Schlagzeile: „Die 10 Königinnen der gestohlenen Handys in der Hauptstadt“.

Die Diebe werden immer dreister und agieren Tag und Nacht in nahezu jedem Teil der Stadt.

Jose Mendez, 33, wohnt in Bogota und arbeitet für Tigo, einen kolumbianischen Mobilfunkanbieter. Ihm wurde sein Handy bereits zweimal gestohlen. Einmal hat er gerade auf der Straße telefoniert, als ein Mann ihm von einem Motorrad aus das Handy entriss und davonraste. Ein paar Monate später zog ein Dieb ihm in einem Restaurant das Telefon aus der Jacke, die er über einen Stuhl gelegt hatte.

"Es ist gefährlich, ein Smartphone zu besitzen"

Wenn er jetzt unterwegs auf sein Smartphone gucken will, geht er dazu immer in einen Laden. „Es ist gefährlich, hier ein Handy zu besitzen“, sagte Mendez in einem Interview. „Man kann sich nirgends mehr sicher fühlen, höchstens noch in den eigenen vier Wänden.“

Auch für den Anwalt Gomez war seine tödliche Begegnung mit den Smartphone-Dieben nicht die erste. Ein Jahr zuvor war er bereits von Räubern zusammengeschlagen worden, die mit seinem Handy verschwanden. Danach bat seine Mutter ihn, sein Handy nicht mehr offen auf der Straße zu zeigen. „Er war mein Leben“, sagt sie. „Als er starb, ist die Farbe aus meinem Leben verschwunden. Alles ist nur noch schwarz-weiß. Lebendigkeit und Glück gibt es für mich nicht mehr.“

Gomez wuchs in Bucaramanga auf, ungefähr 300 Kilometer nördlich von Bogota. Seine Eltern, die ihn liebevoll Juangui nannten, sagen, er war als Kind neugierig, eine Leseratte, hat Radios zerlegt, um herauszufinden, wie sie funktionieren, und hat sich selbst Englisch und Gitarrespielen beigebracht.

Ein Mord, der das ganze Land schockiert

Später hat er sich dann für eine Karriere als Anwalt entschieden, um „die ganze Korruption in der Regierung zu bekämpfen“, so seine Mutter. Kolumbianischen Zeitungen zufolge galt er als „brillanter Anwalt mit großer Zukunft“. Kurz vor seinem Tod hatte er sich nach Aussage seiner Familie einen langjährigen Traum erfüllt und sich für ein Graduierten-Programm in Harvard beworben.

Mehr als ein Jahr nach dem Tod seines Bruders trägt Nicolas Gomez, 20, noch immer die Lieblingsuhr seines Bruders, eine Tissot, auch wenn ihm das Armband eigentlich zu eng ist.

„Er trug diese Uhr, als er umgebracht wurde“, erklärt Nicolas in seiner Wohnung in Bogota und starrt auf sein Handgelenk. „Die Diebe haben sie nicht genommen. Ich weiß nicht, warum. Die Uhr ist mehr wert als ein Handy.“





Der Mord hat das ganze Land schockiert. Kolumbianische Geschäftsleute, Politiker, Professoren und Studenten kamen zum Trauergottesdienst in der Herz-Jesu-Kirche in Bucaramanga. Die Polizei in Kolumbien hat einen Notfallplan für Gegenden mit besonders vielen Handydiebstählen entwickelt. Kolumbianische Journalisten haben eine Social-Media-Kampagne gestartet , um auf die gewalttätigen Überfälle wegen Smartphones aufmerksam zu machen.

Zwei Männer wurden letztendlich des Mordes an Gomez schuldig gesprochen und zu Gefängnisstrafen verurteilt: einer zu 44 Jahren, der andere zu 39 Jahren. Ein 17jähriger Komplize wurde nach Jugendstrafrecht zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Polizei sucht noch immer nach dem vierten Verdächtigen.

Gomez Mutter ist nicht mehr wütend auf die Mörder ihres Sohnes. Stattdessen, so sagt sie, tun sie ihr leid, da ein Smartphone für sie mehr wert ist als ein Menschenleben. „Mein Sohn ist gestorben“, sagt sie, „doch diese Menschen sind innerlich tot.“

„Als trage man einen Toten“

Die Polizei in Kolumbien begründet die zunehmende Gewalt auf den Straßen mit der starken Nachfrage nach Smartphones auf dem Schwarzmarkt. Vor allem das iPhone ist begehrt. Wie in Amerika stellen sich auch in Kolumbien iPhone-Fans beim Verkaufsstart eines neuen Modells stundenlang vor die Läden. Doch in einem Land, in dem rund ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt, können sich viele Menschen nur ein gestohlenes Modell leisten.

„Würden die Menschen keine gestohlenen Handys kaufen, gäbe es auch diese Überfälle nicht“, sagt Carlos Felagán Cabrera, Cybercrime-Ermittler bei der kolumbianischen Nationalpolizei.

Um die Menschen vom Kauf gestohlener Handys abzuschrecken, hat die kolumbianische Regierung im letzten Jahr mehrere schockierende, zum Teil grausame Fernsehspots produziert. In einem sieht man lächelnde Menschen, die telefonieren, während sie Blumen kaufen, ein Buch lesen oder shoppen gehen. Kurz darauf beginnt Blut aus den Geräten zu tropfen, und ein spanischer Text läuft über den Bildschirm, der den Käufern gestohlener Handys indirekt die Schuld an der Gewalt gibt: „Wer ein gestohlenes Telefon kauft, trägt einen Toten mit sich herum. Tun Sie es nicht.“

Die kolumbianische Regierung produzierte diesen Spot, um Menschen vom Kauf gestohlener Smartphones abzuhalten. In einem anderen Spot schwenkt eine Kamera über einen Friedhof, auf dem gerade jemand Blumen auf einem Grab ablegt. Eine Stimme sagt: „Durch den Handel mit gestohlenen Handys werden die Träume vieler Kolumbianer begraben. Kaufen oder verkaufen Sie keine gestohlenen Telefone. Auch Sie tragen Verantwortung.“

Pablo Marquez, Leiter der Regulierungsagentur der kolumbianischen Mobilfunkanbieter, sagt, dass diese Kampagne „sehr effektiv“ gewesen sei. „Den Menschen ist bewusst geworden, dass das gestohlene Handy, das sie kaufen wollen, vielleicht von einem Mordopfer stammen könnte“, so Marquez in einem Interview.

Die vielen Käufer im Einkaufszentrum Las Avenidas in Bogota – wo nach Aussage der Polizei die meisten gestohlenen Handys in Kolumbien verkauft werden – zeigen jedoch, dass die Nachfrage nach billigen Gebrauchttelefonen ungebrochen ist, auch wenn vielleicht Blut an ihnen klebt.




In einem chaotischen Basar präsentieren rund 20 Verkäufer mit zurückgegelten Haaren die aktuellsten iPhone-, Samsung- und BlackBerry-Modelle in Reihen von Glasvitrinen, aus den Deckenlautsprechern dröhnt Reggaeton-Musik. Auch auf den Straßen wird gehandelt. Verkäufer haben blaue und rote Decken auf dem Gehweg ausgebreitet und bieten dort Mobiltelefone an, während nur ein paar Schritte weiter Motorräder vorbeirasen und Busse noch mehr Abgase in den Smog über der Stadt blasen.

Der größte Markt für gestohlene Telefone

„Das hier ist der größte Markt für gestohlene Telefone in Kolumbien“, erklärt Fernando Orosco, ein verdeckter Ermittler der kolumbianischen Nationalpolizei. Er schätzt, dass rund 80 Prozent der hier angebotenen Telefone gestohlen sind. Einige stammen aus Kolumbien, andere aus dem Ausland. Um Razzien zu verhindern, zeigen die Verkäufer in ihren Vitrinen legale Handys und lagern die gestohlenen Telefone im Hinterzimmer, erklärt er.

An einem Stand fragt eine Frau einen Verkäufer nach einem iPhone. Er nickt und verschwindet. Einen Moment später kommt er mit einem weißen iPhone 5 zurück, das bis auf ein paar kleine Kratzer völlig neuwertig ist. Er zeigt ihr, wie die Kamera funktioniert und sagt, dass es 850.000 kolumbianische Pesos kostet, also etwa 400 US-Dollar.

„Woher weiß ich, dass das Handy nicht gestohlen ist?“, fragt sie. „Es ist nicht gestohlen“, versichert ihr der Verkäufer. „Ich gebe Ihnen eine Quittung und den Namen meines Geschäfts, und wenn Sie Probleme mit der Polizei bekommen sollten, sagen Sie denen einfach, wer ich bin.“

Der Käufer senkt den Preis noch einmal um etwa 50 Dollar und legt eine dreimonatige Garantie drauf. Doch die Frau sagt, sie hat nicht genug Geld und geht.

Hacker und Schmuggler

Bis die Polizei vor zwei Jahren eine Großrazzia machte, galt ein Hotel fünf Kilometer vom Shopping-Center entfernt als wichtigstes Bearbeitungszentrum, in dem gestohlene Smartphones marktfähig gemacht wurden. Alle paar Monate flog ein berüchtigter Hacker namens Pedro Eduardo Chasco aus seiner Heimat Argentinien nach Bogota, checkte im Ibis-Hotel ein und verließ danach kaum mehr sein Zimmer, so die kolumbianischen Gesetzeshüter.

Die Polizei vermutet, dass Diebe ganze Koffer voll mit gestohlenen Smartphones in Chascos Zimmer brachten. Mithilfe eines Computers mit ausgeklügelter Hacker-Software entsperrte er in Marathonsitzungen hunderte Telefone, sodass sie in anderen Netzwerken eingesetzt werden konnten. Polizeiangaben zufolge hat er pro Besuch bis zu 500 Smartphones bearbeitet und dabei von den Händlern zwischen 20 und 50 Dollar pro Gerät kassiert. Zwischen 2008 und 2011 soll Chasco achtmal solche Arbeiten durchgeführt haben.

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Nach Aussage der Polizei sind etwa 80 Prozent der in diesem Einkaufszentrum in Bogota verkauften Telefone gestohlen.

Hacker helfen, die Telefone zu manipulieren

„Er ist ein Hacker“, sagt Cabrera von der kolumbianischen Polizei. „Er ist sehr gut darin, Smartphones zu manipulieren. Er spielt eine Schlüsselrolle in dieser Struktur, da er es den Händlern ermöglicht, die Geräte außer Landes zu bringen.“
Chasco, der die argentinische und die spanische Staatsbürgerschaft besitzt, ist bei der Polizei als „El Liberador“ bekannt – der Mann, der Smartphones befreit. Bei den Händlern heißt er „der Spanier“. In einem von der kolumbianischen Polizei abgehörten Telefongespräch erzählte ein Händler namens Luis Eduardo Bernal Castillo, genannt Lucho, einem Verbündeten, dass er eine Lieferung iPhones entsperren lassen muss, um sie nach Peru zu schmuggeln.

„Es gibt nur einen, der das kann“, sagte Castillo laut Polizeiprotokoll. „Und das ist der Spanier.“ 2011 nahm die Polizei Castillo fest und warf ihm vor, Drahtzieher eines Verbrecherrings zu sein, der in drei Monaten 14.000 gestohlene Smartphones in Südamerika verschoben hat.





Ende 2011 dachte die Polizei, Chasco sei ihnen ins Netz gegangen. Doch als die Polizisten auf dem Weg in sein Hotelzimmer waren, warnte ihn ein Hotelmitarbeiter, so Staatsanwältin Pelaez. Als die Polizisten das Zimmer betraten, stand Chasco dort allein. Die Beamten fanden keinerlei Beweise – weder Computer noch gestohlene Handys – und mussten ihn wieder gehen lassen.

Das Ibis-Hotel gab auch auf Nachfrage keine Stellungnahme zu dieser Angelegenheit ab. Chasco wird inzwischen auch von Interpol per Haftbefehl gesucht, doch die Polizei hat keine Spur von ihm, so Pelaez. Sein Anwalt stand für einen Kommentar nicht zur Verfügung. "Wir denken, dass er sich irgendwo in Argentinien aufhält,“, sagt Pelaez.

Der letzte Teil der gefährlichen Reise

Wenn die Smartphones nicht mehr an einen Netzanbieter gebunden sind, beginnt der letzte Teil der Reise. Erfahrene Schmuggler bringen die Geräte in verschiedene Städte in ganz Südamerika. Dort werden die Telefone dann in Einkaufszentren weiterverkauft. Oft verpacken Schmuggler die Handys in Kartons mit der Aufschrift „Mobilfunkzubehör“, so die Polizei. Um Platz zu sparen, werden die Geräte auch oft auseinandergebaut und nur die Motherboards (der dünne, grüne Computerchip des Smartphones) verschickt. Am Zielort werden die Handys dann wieder zusammengebaut.

Doch ohne Hilfe könnten die Händler ihre Smartphones nicht außer Landes schmuggeln. Damit die Ware sicher über die Grenze gelangt, müssen viele Menschen bestochen werden, zum Beispiel Busfahrer und Zollbeamte, erklärt Pelaez.
Die Polizei hat bereits mehrere peruanische Busfahrer festgenommen, die auf dem Weg nach Argentinien gestohlene Handys in Geheimfächern ihrer Busse versteckt hatten.

2011 wurde ein kolumbianischer Zollbeamter festgenommen, der Schmugglern dabei geholfen haben soll, mit gestohlenen Handys im Gepäck die Sicherheitskontrollen am Flughafen von Bogota zu umgehen. Der Beamte plädiert auf „nicht schuldig“ und wartet derzeit auf seinen Prozess.

„Jemand sagte ihm vorab, wie der Schmuggler gekleidet sei. Dann tat er so, als würde er ihn durchsuchen, und ließ ihn gehen“ erklärt Pelaez.

Informanten führen ein gefährliches Doppelleben

Angesichts des zunehmenden Handels mit gestohlenen Smartphones holen die kolumbianischen Behörden zum Rundumschlag aus. Vor zwei Jahren nahm die Polizei 17 Menschen fest, die gestohlene Handys zwischen Kolumbien, Peru, Ecuador und Argentinien geschmuggelt hatten. Dazu wurden nach Angaben der kolumbianischen Polizei 1150 gestohlene Telefone, 2800 Motherboards, 5 Laptops und etwa 26.000 US-Dollar beschlagnahmt. Im vergangenen Sommer wurden weitere 16 Menschen festgenommen und 850 Handys, 125 Motherboards und 60 SIM-Karten sichergestellt, die nach Peru, Venezuela und Argentinien gebracht werden sollten.

Bei einer Pressekonferenz zu einer kürzlich erfolgten Razzia präsentierten Polizeibeamte dutzende Smartphones, jede Menge kolumbianische Pesos und sechs Pistolen aus dem Besitz der Schmuggler. Vier der Festgenommenen standen ebenfalls hinter dem Tisch, die Jacken vor das Gesicht gezogen und von den Blitzlichtern abgewandt.

Die Polizei hat die kolumbianischen Telefonkartelle mit den klassischen Methoden der Verbrechensbekämpfung infiltriert. Guate, ein Ermittler mit breiten Schultern und kurzgeschnittenem silbergrauen Haar, hat hunderte Telefongespräche zwischen Händlern abgehört und kann die Geheimsprache nun zumindest ansatzweise entschlüsseln.

Zum Beispiel wird niemals das Wort „Telefon“ verwendet, sagt er. Stattdessen werden ältere Modelle als „perritos“ (Hündchen) und neuere Smartphones als „buenitas“ (Schönheiten) bezeichnet. Bei der Nennung von Seriennummern werden Ziffern durch Buchstaben ersetzt.

Mazda-Kombis, immer neue Handys und Gespräche über Skype

Die meisten Handyschmuggler versuchen, Aufmerksamkeit zu vermeiden, indem sie statt auffälliger Sportwagen Mazda-Kombis fahren und ihre Profite in ihren Einkaufszentren in Bogota waschen. Sie wechseln ihre persönlichen Handys alle vier Tage, um nicht abgehört zu werden, und sie führen wichtige geschäftliche Gespräche über Skype, weil der Online-Dienst von der Polizei nicht überwacht werden kann, sagt Guate.

Die Polizei setzt auf eine weitere traditionelle Methode, um die Kartelle zu infiltrieren: treue Informanten. Kürzlich traf ein Informant der Polizei sich mit der HuffPost und beschrieb, wie die kolumbianischen Handyschmuggler sich organisieren und arbeiten.

Er bat darum, seinen Namen und körperliche Merkmale nicht zu nennen, damit seine Identität geheim bleibt. Dann setzte er sich an einen Tisch, blickte durch das leere Restaurant, und erklärte, warum er anonym bleiben muss. „Wenn sie herausfinden, dass ich ein Informant bin”, sagte er leise, „werden sie mich töten.“

Der Informant sagte, dass er mit 25 Jahren in den Handel mit gestohlenen Handys einstieg. Er kaufte die Telefone von Dieben und verkaufte sie unter den Glastheken eines Einkaufszentrums in Bogota. Jetzt, mit 30, wurde er mit einer Kiste gestohlener Handys in der Hand festgenommen. Um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, wurde er Informant.

„Sie sagten, sie würden die Anklage fallenlassen, wenn ich kooperiere“, sagt er. „Also habe ich mich auf einen Handel mit der Polizei eingelassen.“

Schmuggler verdienen 200 US-Dollar pro Woche

Er führt ein Doppelleben. Als Mitglied des Kartells transportiert er gestohlene Handys zwischen den Leuten, die die Telefone von den Dieben kaufen, und den Schmugglern, die sie außer Landes bringen. „Ich bin der Mittelsmann“, sagt er. Als Informant trifft er sich monatlich mit einem verdeckten Ermittler und verrät, wo die Händler ihre Ware verstecken, und welche Telefonnummern abgehört werden sollten.

Als Schmuggler verdient er etwa 200 US-Dollar pro Woche. Als Informant zahlt ihm die Polizei 2000 Dollar für Informationen, die zu einer Festnahme führen. Bisher haben seine Informationen zur Festnahme von mehr als einem Dutzend Händlern geführt.

Manchmal bekommt er auch ein Essen spendiert. Während wir uns unterhielten, brachte ein Polizist ihm einen Teller mit dampfenden Empanadas aus einem Imbiss im Einkaufszentrum. Der Informant lächelte. „Sie versorgen mich gut“, sagt er. „Sie mästen mich fast.“

Doch das aufreibende Leben als Informant hat seine Spuren hinterlassen. Er fürchtet, dass durch seine Informationen auch seine Verbündeten im Gefängnis landen könnten.

„Ich sage ihnen, dass sie nicht die Mittelsmänner verhaften sollen, weil das meine Freunde sind. Sie sollten nur die Schmuggler festnehmen.“

Außerdem hat er Angst, dass seine Tarnung auffliegen könnte. Als er aufstand, blickte er noch einmal über die Schulter und blickte sich in der dämmrigen Umgebung um.

„Ich bin immer auf der Hut“, sagte er. „Ich passe immer auf, ob mir jemand folgt.“

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