„Nächtelang bin ich durch die Wohnung gegeistert. Panisch habe ich versucht, zu retten, was noch zu retten ist. Als es dann soweit war, hätte ich mich am liebsten ins Bett gelegt, mir die Decke über den Kopf gezogen und wäre nie wieder aufgestanden.“
Mitreißend erzählt die Unternehmerin Anne Koark, wie sie ihre eigene Insolvenz erlebt hat.
Vielen geht es so wie Koark.
Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen im ersten Halbjahr 2014 ist zwar um 4,4 Prozent zurückgegangen. Aber immer noch meldeten 43 800 Privatpersonen Zahlungsunfähigkeit an. Was auf dem Papier ein bürokratischer Vorgang ist, erleben die Betroffenen wie das Ende der Welt.
Aber Anne Koarks Schicksal aber zeigt, dass es auch der Anfang einer neuen, faszinierenden Geschichte sein kann.
Die gebürtige Britin ging pleite. Dann schrieb sie einen Bestseller über ihr Schicksal. Seitdem ist sie eine Galionsfigur der Gescheiterten. Sie berät strauchelnde Unternehmer, spricht auf Konferenzen über ihre Geschichte - und legte damit den Grundstein für ein neues Leben.
Doch von alledem ahnte sie Ende der 90er Jahre nichts, als sie in München das Unternehmen „Trust in Business“ gründete.
Erfolgreich half sie ausländischen Unternehmen ihre deutschen Niederlassungen zu etablieren. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolges erhielt sie 2001 einen Existenzgründerpreis. Die Medien berichteten über ihre Erfolgsgeschichte, das brachte ihr zig neue Kunden.
Eine Unterschrift mit Folgen
Ein Kunde war von ihren Leistungen so angetan, dass er sich wünschte, dauerhaft in ihrer Nähe zu sein. Deswegen richtete sie einen Office Service ein. „Die Leute haben mir die Bude eingerannt“, erinnert sich Koark.
Aus Platzmangel unterschrieb sie bei einem großen Finanzinstitut einen Mietvertrag, der ihr die doppelte Bürofläche in einem Münchener Außenbezirk einbrachte. Diese Unterschrift sollte ihr zum Verhängnis werden.
Denn dann kam der 11. September.
Nach den Anschlägen auf das World Trade Center mussten viele ihrer Kunden zurückstecken. So ging auch die Zahl ihrer Aufträge zurück.
Es kam weniger Geld rein, aber die Kosten für die Büroräume blieben gleich. Die Höhe der Miete basierte auf der genutzten Fläche. Ein Hoffnungschimmer? Keineswegs. „Eine Verkleinerung der Bürofläche wäre denkbar gewesen, aber die Baumaßnahmen dafür hätte ich bezahlen müssen. Und das konnte ich nicht.“
So häuften sich ihre Schulden.
Koark rutschte in die Insolvenz. Sie konnte nur noch über den Zeitpunkt entscheiden, an dem sie die Firma aufgab.
In dieser Zeit hatte sie vor allem mit ihren eigenen Wertvorstellungen zu kämpfen. „Ich bin so erzogen worden, dass man keine Schulden macht. Ich habe immer gespart und gespart“, sagt Koark.
Dass jetzt Rechnungen offen bleiben würden, konnte sie anfangs nicht akzeptieren. Sie musste sich ihren Fehler erst eingestehen.
Doch nicht nur das Ringen mit sich selbst machte ihr zu schaffen. Sie hatte Angst vor der Reaktion ihrer Angestellten, Mitarbeiter und Gläubiger. Sie alle hatten an ihre Fähigkeiten geglaubt und ihr Vertrauen geschenkt. Und jetzt hatte sie deren Vertrauen gebrochen.
Nicht zuletzt die Sorge um ihre zwei Kinder trieb die alleinerziehende Mutter um. Wie sollten sie als insolvente Person für deren Unterhalt aufkommen? „Es war wie eine schwarze Wand, die immer näher kam. Ich habe gedacht, das überlebe ich nicht.“
Der Entschluss steht
Im März 2003 war es soweit. Sie meldete ihre Firma als insolvent. Da sie privat haftete, wurde auch ihr Eigentum gepfändet. „Nicht nur meine Firma habe ich verloren. Meine Altersvorsorge, meine Eigentumswohnung, mein Auto. Alles war weg.“
Aber es liegt nicht in Anne Koarks Natur, einfach aufzugeben. „Ich fühle mich nicht sicher, wenn ich nicht in Bewegung bin.“ Bewegung bedeutet für Koark unternehmerisches Handeln. Und nicht nur ihr Charakter hat dafür gesorgt, dass sie sich wieder aufgerafft hat.
Ihre Freunde standen ihr in einer Zeit bei, in der sie sich nicht mal ohne Weiteres ein Zugticket kaufen konnte. „Freunde von mir sind unaufgefordert mit Tüten voll Essen bei mir aufgetaucht. Eine Freundin hat mir jedes Jahr einen Weihnachtsbaum gekauft. Das war besonders für die Kinder sehr wichtig.“
Anfangs fiel es ihr nicht leicht, diese Geschenke anzunehmen. Bis eine Freundin ihr ins Gewissen redete: „Jahrelang warst du diejenige, die gegeben hat. Warum kannst du jetzt unsere Hilfe nicht annehmen? Bist du etwa besser als wir?“ Diese Einsicht half Koark dabei, sich eines falschen Stolzes zu entledigen.
Motiviert hatte sie außerdem der Präsident eines Mittelstandsverbandes. Als sie ihm von ihrem Ausscheiden aus dem Verband berichtete, bat er sie darum, bei sich im Büro zu erscheinen.
Gerührt fragte er dort Koark: „Was haben sie jetzt vor? Wie können wir sie dabei unterstützen?“ Dass der Glaube an ihre Person trotz ihres Fehlers nicht gebrochen war, gab ihr Kraft.
Nichts zu verstecken
Zündend für das, was nach der Insolvenz kam, war letztendlich ihr Schritt an die Öffentlichkeit. Aus Angst vor der Reaktion der Presse, die sie vor nicht all zu langer Zeit noch hochgejubelt hatte, entschied sie sich ihre Geschichte aufzuschreiben.
Den Artikel schickte sie an jede ihr bekannte Zeitung. Wallstreet-Online veröffentlichte schließlich ihren Text mit dem Titel „Insolvenz - Hilfe Ich bin noch ein Mensch!“ Darin beschrieb sie ihre Situation und ihr Gefühl der Machtlosigkeit.
Die Reaktion darauf war ergreifend. „Ich habe 1200 Dankesbriefe von anderen insolventen Personen erhalten. Da war mir klar: ich muss etwas für diese Menschen tun.“
Sie sprach öffentlich über ihre Insolvenz, schrieb „Pleitier“ auf ihre Visitenkarte und veröffentlichte ein Buch unter dem Titel „Insolvent und trotzdem erfolgreich“. Ihr Ziel ist es, Privatinsolvenz von seinen Vorurteilen zu befreien.
„Meistens geraten diejenigen in Insolvenz, die nichts dafür können. Die, die über ihren Verhältnissen gelebt haben, bilden die Minderheit.“ Das belegen auch Daten des Statistischen Bundesamtes. Demnach sind Arbeitslosigkeit, Trennung, Scheidung oder Tod des Partners sowie Erkrankungen und Sucht Hauptursachen für private Insolvenzen.
Aus dem gleichen Grund plädiert Koark für eine Änderung des Insolvenzrechts. Statt zu bestrafen sollte es das Ziel sein, den Verschuldeten wieder auf die Beine zu helfen. Das wäre auch im Sinne der Gläubiger, da so die Wahrscheinlichkeit auf eine Rückzahlung der Forderung höher ist als bisher.
Unter den jetzigen Regelungen gehen die Gläubiger oft leer aus. Die einzigen die dabei kassieren, sind die Verwalter. „Das liegt allerdings nicht an den Verwaltern, sondern an dem jetzigen System. Würden die Verwalter nicht pauschal sondern abhängig von ihrem Erfolg bei der Schuldenbegleichung bezahlt, sähe die Situation sicherlich anders aus“, so Koark.
Die Spuren der Vergangenheit
Erst seit Ende 2013 hat die 53-Jährige keinen Eintrag mehr in ihrer SCHUFA-Akte. Mittlerweile hat sie noch eine Tochter bekommen und arbeitet wieder als Übersetzerin und Marketing-Beraterin.
Koark ist besorgt, dass die ab 1. Juli in Kraft tretende Reform des Insolvenzrechts zu einem Anstieg der Insolvenzverfahren führen könnte. Den Menschen, die ihr Schicksal teilen, rät sie, ihren Fehler so schnell wie möglich zu akzeptieren.
Offen darüber zu sprechen ist dabei besonders wichtig. „Man darf nicht stillstehen. Man muss schnell wieder in Bewegung kommen. Von Anfang an durch sein Verhalten signalisieren, dass man bereit ist, so viel wie möglich für die Gläubiger zu tun.“
Ihre Erfahrungen aus dem eigenen Insolvenzfall haben sie verändert, ihr aber auch gezeigt: „Nur wer aufgibt, ist ein Versager.“
Mitreißend erzählt die Unternehmerin Anne Koark, wie sie ihre eigene Insolvenz erlebt hat.
Vielen geht es so wie Koark.
Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen im ersten Halbjahr 2014 ist zwar um 4,4 Prozent zurückgegangen. Aber immer noch meldeten 43 800 Privatpersonen Zahlungsunfähigkeit an. Was auf dem Papier ein bürokratischer Vorgang ist, erleben die Betroffenen wie das Ende der Welt.
Aber Anne Koarks Schicksal aber zeigt, dass es auch der Anfang einer neuen, faszinierenden Geschichte sein kann.
Die gebürtige Britin ging pleite. Dann schrieb sie einen Bestseller über ihr Schicksal. Seitdem ist sie eine Galionsfigur der Gescheiterten. Sie berät strauchelnde Unternehmer, spricht auf Konferenzen über ihre Geschichte - und legte damit den Grundstein für ein neues Leben.
Doch von alledem ahnte sie Ende der 90er Jahre nichts, als sie in München das Unternehmen „Trust in Business“ gründete.
Erfolgreich half sie ausländischen Unternehmen ihre deutschen Niederlassungen zu etablieren. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolges erhielt sie 2001 einen Existenzgründerpreis. Die Medien berichteten über ihre Erfolgsgeschichte, das brachte ihr zig neue Kunden.
Eine Unterschrift mit Folgen
Ein Kunde war von ihren Leistungen so angetan, dass er sich wünschte, dauerhaft in ihrer Nähe zu sein. Deswegen richtete sie einen Office Service ein. „Die Leute haben mir die Bude eingerannt“, erinnert sich Koark.
Aus Platzmangel unterschrieb sie bei einem großen Finanzinstitut einen Mietvertrag, der ihr die doppelte Bürofläche in einem Münchener Außenbezirk einbrachte. Diese Unterschrift sollte ihr zum Verhängnis werden.
Denn dann kam der 11. September.
Nach den Anschlägen auf das World Trade Center mussten viele ihrer Kunden zurückstecken. So ging auch die Zahl ihrer Aufträge zurück.
Es kam weniger Geld rein, aber die Kosten für die Büroräume blieben gleich. Die Höhe der Miete basierte auf der genutzten Fläche. Ein Hoffnungschimmer? Keineswegs. „Eine Verkleinerung der Bürofläche wäre denkbar gewesen, aber die Baumaßnahmen dafür hätte ich bezahlen müssen. Und das konnte ich nicht.“
So häuften sich ihre Schulden.
Koark rutschte in die Insolvenz. Sie konnte nur noch über den Zeitpunkt entscheiden, an dem sie die Firma aufgab.
In dieser Zeit hatte sie vor allem mit ihren eigenen Wertvorstellungen zu kämpfen. „Ich bin so erzogen worden, dass man keine Schulden macht. Ich habe immer gespart und gespart“, sagt Koark.
Dass jetzt Rechnungen offen bleiben würden, konnte sie anfangs nicht akzeptieren. Sie musste sich ihren Fehler erst eingestehen.
Doch nicht nur das Ringen mit sich selbst machte ihr zu schaffen. Sie hatte Angst vor der Reaktion ihrer Angestellten, Mitarbeiter und Gläubiger. Sie alle hatten an ihre Fähigkeiten geglaubt und ihr Vertrauen geschenkt. Und jetzt hatte sie deren Vertrauen gebrochen.
Nicht zuletzt die Sorge um ihre zwei Kinder trieb die alleinerziehende Mutter um. Wie sollten sie als insolvente Person für deren Unterhalt aufkommen? „Es war wie eine schwarze Wand, die immer näher kam. Ich habe gedacht, das überlebe ich nicht.“
Der Entschluss steht
Im März 2003 war es soweit. Sie meldete ihre Firma als insolvent. Da sie privat haftete, wurde auch ihr Eigentum gepfändet. „Nicht nur meine Firma habe ich verloren. Meine Altersvorsorge, meine Eigentumswohnung, mein Auto. Alles war weg.“
Aber es liegt nicht in Anne Koarks Natur, einfach aufzugeben. „Ich fühle mich nicht sicher, wenn ich nicht in Bewegung bin.“ Bewegung bedeutet für Koark unternehmerisches Handeln. Und nicht nur ihr Charakter hat dafür gesorgt, dass sie sich wieder aufgerafft hat.
Ihre Freunde standen ihr in einer Zeit bei, in der sie sich nicht mal ohne Weiteres ein Zugticket kaufen konnte. „Freunde von mir sind unaufgefordert mit Tüten voll Essen bei mir aufgetaucht. Eine Freundin hat mir jedes Jahr einen Weihnachtsbaum gekauft. Das war besonders für die Kinder sehr wichtig.“
Anfangs fiel es ihr nicht leicht, diese Geschenke anzunehmen. Bis eine Freundin ihr ins Gewissen redete: „Jahrelang warst du diejenige, die gegeben hat. Warum kannst du jetzt unsere Hilfe nicht annehmen? Bist du etwa besser als wir?“ Diese Einsicht half Koark dabei, sich eines falschen Stolzes zu entledigen.
Motiviert hatte sie außerdem der Präsident eines Mittelstandsverbandes. Als sie ihm von ihrem Ausscheiden aus dem Verband berichtete, bat er sie darum, bei sich im Büro zu erscheinen.
Gerührt fragte er dort Koark: „Was haben sie jetzt vor? Wie können wir sie dabei unterstützen?“ Dass der Glaube an ihre Person trotz ihres Fehlers nicht gebrochen war, gab ihr Kraft.
Nichts zu verstecken
Zündend für das, was nach der Insolvenz kam, war letztendlich ihr Schritt an die Öffentlichkeit. Aus Angst vor der Reaktion der Presse, die sie vor nicht all zu langer Zeit noch hochgejubelt hatte, entschied sie sich ihre Geschichte aufzuschreiben.
Den Artikel schickte sie an jede ihr bekannte Zeitung. Wallstreet-Online veröffentlichte schließlich ihren Text mit dem Titel „Insolvenz - Hilfe Ich bin noch ein Mensch!“ Darin beschrieb sie ihre Situation und ihr Gefühl der Machtlosigkeit.
Die Reaktion darauf war ergreifend. „Ich habe 1200 Dankesbriefe von anderen insolventen Personen erhalten. Da war mir klar: ich muss etwas für diese Menschen tun.“
Sie sprach öffentlich über ihre Insolvenz, schrieb „Pleitier“ auf ihre Visitenkarte und veröffentlichte ein Buch unter dem Titel „Insolvent und trotzdem erfolgreich“. Ihr Ziel ist es, Privatinsolvenz von seinen Vorurteilen zu befreien.
„Meistens geraten diejenigen in Insolvenz, die nichts dafür können. Die, die über ihren Verhältnissen gelebt haben, bilden die Minderheit.“ Das belegen auch Daten des Statistischen Bundesamtes. Demnach sind Arbeitslosigkeit, Trennung, Scheidung oder Tod des Partners sowie Erkrankungen und Sucht Hauptursachen für private Insolvenzen.
Aus dem gleichen Grund plädiert Koark für eine Änderung des Insolvenzrechts. Statt zu bestrafen sollte es das Ziel sein, den Verschuldeten wieder auf die Beine zu helfen. Das wäre auch im Sinne der Gläubiger, da so die Wahrscheinlichkeit auf eine Rückzahlung der Forderung höher ist als bisher.
Unter den jetzigen Regelungen gehen die Gläubiger oft leer aus. Die einzigen die dabei kassieren, sind die Verwalter. „Das liegt allerdings nicht an den Verwaltern, sondern an dem jetzigen System. Würden die Verwalter nicht pauschal sondern abhängig von ihrem Erfolg bei der Schuldenbegleichung bezahlt, sähe die Situation sicherlich anders aus“, so Koark.
Die Spuren der Vergangenheit
Erst seit Ende 2013 hat die 53-Jährige keinen Eintrag mehr in ihrer SCHUFA-Akte. Mittlerweile hat sie noch eine Tochter bekommen und arbeitet wieder als Übersetzerin und Marketing-Beraterin.
Koark ist besorgt, dass die ab 1. Juli in Kraft tretende Reform des Insolvenzrechts zu einem Anstieg der Insolvenzverfahren führen könnte. Den Menschen, die ihr Schicksal teilen, rät sie, ihren Fehler so schnell wie möglich zu akzeptieren.
Offen darüber zu sprechen ist dabei besonders wichtig. „Man darf nicht stillstehen. Man muss schnell wieder in Bewegung kommen. Von Anfang an durch sein Verhalten signalisieren, dass man bereit ist, so viel wie möglich für die Gläubiger zu tun.“
Ihre Erfahrungen aus dem eigenen Insolvenzfall haben sie verändert, ihr aber auch gezeigt: „Nur wer aufgibt, ist ein Versager.“
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