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FIFA-WM in Brasilien: Warum Fußball so eine Bedeutung hat wie nie zuvor

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Die Zahlen sind deutlich: 26,36 Millionen Menschen haben das Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Portugal im Ersten gesehen. Nimmt man die Zuschauer auf den Fanmeilen und beim Public Viewing hinzu, dürfte die Einschaltquote noch imposanter ausfallen.

Derzeit führt an Fußball kein Weg vorbei. In den Supermärkten stehen unzählige WM-Produkte, Lieferwagen haben bundesweit schwarz-rot-gold geflaggt. Und selbst die meisten Bundestagsabgeordneten twittern lieber über die Weltmeisterschaft als über das politische Tagesgeschäft.

Doch auch nach der WM wird der Sport präsent bleiben. Die Huffington Post nennt acht Gründe, warum Fußball so wichtig ist wie nie.

Fußball kurbelt die Wirtschaft an...

Längst ist der Fußball zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey aus dem Jahr 2010 erzeugt der deutsche Profifußball eine jährliche Wertschöpfung von fünf Milliarden Euro.

Das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt einer mittleren Großstadt. Insgesamt 110.000 Jobs hängen am Geschäft mit dem Sport. Und der Staat nimmt jährlich 1,5 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben aus dem Profifußball ein.


... und führt uns gleichzeitig vor Augen, wohin Kommerzialisierung führen kann.

Auf der anderen Seite verändert die Kommerzialisierung des Fußballs dessen kulturelle Wurzeln. Groß geworden ist der Sport nämlich als Phänomen der Arbeiterklasse – vor allem im Ruhrgebiet, aber auch in Süddeutschland. Mit den ärmeren Bevölkerungsschichten als Zielgruppe jedoch können Vereine, die sich als mittelständische Unternehmen verstehen, kein Wachstum erzielen.

Familienfreundliche Multifunktionsstadien mit nur wenigen preiswerten Stehplätzen, Alkohol- und Rauchverbote, strenge Einlasskontrollen – das alles soll dazu beitragen, dass Menschen zum Fußball kommen, die darüber vor 20 Jahren womöglich noch nicht nachgedacht hätten.

Dadurch läuft der Fußball Gefahr, sich selbst zu gentrifizieren. Es ist das gleiche Prinzip wie in hippen, aber heruntergekommenen Altbaubezirken in den deutschen Großstädten: Erst wird der Fußball durch die vielen Kreativen auf den Tribünen interessant. Dann kommen jene, die sich auch höhere Eintrittspreise leisten können. Und schließlich sind jene verschwunden, die einst dafür sorgten, dass Fußball ein Ereignis wurde.







Fußball ist ein Gemeinschaftserlebnis: Jeder weiß, wo er beim WM-Halbfinale 2006 war.

Der Fußball ist eines der letzten gemeinschaftsstiftenden Ereignisse in unserer Gesellschaft. Den angeblich „positiven Patriotismus“ der schwarzrotgoldenen Schland-Fans kann man kritisch sehen. Und trotzdem schafft ein großes Fußballturnier Ereignisse, an die sich viele Millionen Menschen auch Jahre später noch erinnern.


Die Politik hat den Fußball für sich entdeckt. Genauer: die Kanzlerin.

Beim WM-Finale 1954 in Bern war kein einziger deutscher Politiker im Stadion. Konrad Adenauer interessierte sich nicht für Fußball. Und dass die Spieler der DFB-Mannschaft nach dem gewonnen Endspiel die erste Strophe des Deutschlandliedes sangen, brachte ihn regelrecht in Rage. Er fürchtete um seine Politik der Westbindung.

Auch Willy Brandt ließ sich nicht zu einem Kabinenbesuch hinreißen. Ebenso wie Helmut Schmidt – wenngleich der Hamburger Sozialdemokrat einen festen Platz in der deutschen Fußballikonografie hat: Er war beim Finale der WM 1974 in Deutschland aus protokollarischen Gründen mit auf der Ehrentribüne, als Franz Beckenbauer der Pokal überreicht wurde.

Helmut Kohl war der erste Kanzler, der die Nationalmannschaft an seine Brust drückte. Der frühere Mittelfeldspieler von Phoenix Ludwigshafen reiste 1986 zum Weltmeisterschaftsendspiel nach Mexiko und stattete der DFB-Elf auch eine Visite im Trainingslager für die WM 1990 ab. Kohl ließ bisweilen sogar EU-Gipfel unterbrechen, um wichtige Spiele im Fernsehen zu verfolgen. Bei einem Staatsbesuch in China überreichte er als Gastgeschenk VHS-Kassetten mit Spielen der deutschen Nationalmannschaft.

Es war die Zeit, als sich auch Ministerpräsidenten Fanschals über ihr Jacket legten, um Lokalkolorit zu demonstrieren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war der Fußball endgültig in der Politik angekommen.

Auch Gerhard Schröder pflegte engen Kontakt zum Fußball. Er war beim WM-Finale 2002 im Stadion, das Deutschland gegen Brasilien verlor. Zwischen den großen Turnieren sah man ihn ebenfalls des Öfteren im Stadion. Für die ARD kommentierte er einst den DFB-Pokal.



Unter Kanzlerin Angela Merkel, die weder Fußball gespielt hat noch zuvor als Fan aufgefallen war, haben die Stadien- und Kabinenbesuche ein exzessives Ausmaß angenommen. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ihr erstes großes Fußballturnier als Kanzlerin ausgerechnet die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland war. Als Regierungschefin des Gastgeberlandes war sie bei allen wichtigen Ereignissen dabei. Nicht zu ihrem Nachteil.

Bei der WM 2014 hat sie jedenfalls einen neuen Rekord aufgestellt: Den ersten Kabinenbesuch eines Kanzlers (respektive: einer Kanzlerin) zur Feier des Vorrundenstarts. Man mag sich kaum vorstellen, wie sich Merkel noch steigern will, wenn die DFB-Elf wirklich ins Finale kommen sollte.


Fußball öffnet uns den Blick auf gesellschaftliche Probleme.

Zum Glück wäre eine WM wie die 1978 in Argentinien heute nicht mehr denkbar: Während in Buenos Aires das Finale zwischen den Niederlanden und Argentinien stattfand, vegetierten in Rufweite des Stadions hunderte politischer Gefangene in einem Folterkeller.

Diese WM, die nie hätte stattfinden dürfen, markierte eine Zäsur. Sportberichterstattung ohne den Blick auf die politischen Begleitumstände war danach nicht mehr möglich.

Das zeigt die WM in Brasilien nur zu deutlich. Ohne die Weltmeisterschaft hätte die Weltöffentlichkeit wohl kaum von den sozialen Verwerfungen im Land erfahren. Und es wird spannend, wie der Blick auf Russland bei der WM 2018 ausfällt.


Kaum zu glauben: Fußball war einst gesellschaftlich geächtet. Heute erreicht der Sport so viele Deutsche wie nie.

Die frühen Fußballer in Deutschland waren anglophile, wohlhabende Bürgersöhne. Sie gründeten die ersten Vereine wie den Dresden English Football Club, aus dem 1898 der noch heute bestehende Dresdner SC hervorging. Zum Massenphänomen wurde der Fußball Anfang des 20. Jahrhunderts in den Arbeiterregionen.

Die Turner verspotteten den neuen Sport als „Fußlümmelei“. Und auch sonst sah sich der Fußball vielerlei Ressentiments ausgesetzt: Manchen Kaisertreuen war das Spiel zu „englisch“, anderen zu proletarisch.

Der frühere Bundestrainer Helmut Schön wuchs in den 1920er-Jahren in einer sehr bürgerlichen Gegend in Dresden auf. In seinen Memoiren beschrieb er die Reaktion seines Vaters, als er einmal vom Bolzen nach Hause kam: „Er war schon achtundfünfzig Jahre alt, als ich zur Welt kam. Konnte er noch begreifen, dass Fußball auch eine Kunst war? Für ihn war es Mord.“

Erst in den 60er- und 70er-Jahren, als die von Schön trainierte deutsche Nationalmannschaft auch für Intellektuelle eine Projektionsfläche bot, vollzog der Fußball einen Imagewandel. Mit „Rebellen“ wie Paul Breitner oder Günther Netzer konnten auch Studentenbewegte etwas anfangen.

Gleichzeitig spielten Mannschaften wie Borussia Mönchengladbach und Bayern München einen lebensfrohen Offensivfußball, der weit über die traditionellen Fanschichten hinaus strahlte. Einen ähnlichen Effekt erzielten übrigens Jogi Löw und Jürgen Klinsmann bei der WM 2006: Kaum vorstellbar, dass sich mit dem Zickler-Jancker-Rumpelfußball ein solcher Massensog wie bei diesem Turnier hätte entfalten können.



Sogar Manager finden Fußball schick.

Heute machen übrigens Businesslogen in den Stadien einen wichtigen Teil der Vereinsumsätze aus. Firmenchefs laden Geschäftspartner zum Plausch beim Fußball ein. Manchmal werden auch Deals abgeschlossen. Fußballschauen ist manchmal wie Golfspielen geworden. Man kann darüber streiten, ob das ein Fortschritt ist.


Mittlerweile ist Fußball fester Bestandteil der Popkultur geworden.

Auch in den 60er-Jahren gab es schon Fußballlieder. Oft genug wurden sie von Fußballern gesungen – meist waren die Songs etwas für echte Fans. Und nur für die.



Später sang die deutsche Nationalmannschaft mit Schlagerstars wie Udo Jürgens, Peter Alexander oder Michael Schanze. Das hatte Massenwirkung, aber gleichzeitig auch so viel Charme wie das Orgelspiel von Franz Lambert im WM-Quartier 1978 in Argentinien. Tante Ruth mochte das erbaulich finden. Wirklich cool war das nicht.

Eine Ausnahme machten die Toten Hosen 1990. Aber lange Zeit waren sie damit allein.



Das änderte sich erst zur WM 2006, vor allem durch das Fußball-Album „You have to win the Zweikampf“ der Sportfreunde Stiller.



Niemand führt wirklich Statistik darüber: Aber 2014 gibt es (gefühlt) wohl so viele Fußballlieder wie nie. Nicht alles davon ist wirklich gelungen, manches mag wirtschaftliches Kalkül sein. Aber das Thema beschäftigt uns mehr denn je.



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