Während in immer mehr Ländern homosexuellen Paaren die Eheschließung ermöglicht wird, argumentieren die Gegner, dass die traditionelle Institution Ehe durch eine Neudefinition zerstört würde. In dieser Argumentation steckt jedoch ein gewaltiger Logikfehler: Da die Ehe schon seit Anbeginn der Zeit eine zentrale Rolle in fast jeder Kultur auf der Welt spielt, hat sich die Definition bereits mehrfach geändert.
Bevor es Rechtssysteme und internationale Wirtschaftsbeziehungen gab, waren Eheschließungen für Adlige und Herrscher eine Möglichkeit, diplomatische und wirtschaftliche Verbindungen zu bestärken. „Friedensabkommen, Handelsabkommen und gegenseitige Verpflichtungen wurden durch Hochzeiten geschlossen“, schreibt Stephanie Coontz in ihrem Buch Die Ehe: eine Liebesgeschichte. Vor nicht allzu langer Zeit diente die Ehe fast ausschließlich dazu, vorteilhafte Verbindungen zu schaffen. Dann begannen die Menschen, dieses System offen anzuzweifeln.
Wer jetzt also immer noch behauptet, homosexuelle Ehen würden die seit jeher unveränderte Tradition der Ehe angreifen, sollte sich einmal ansehen, wie sehr sich das traditionelle Bild schon gewandelt hat.
Im alten Griechenland: Ehe dient der Fortpflanzung.
Wie die meisten Regierungen im Altertum haben auch die Griechen die Ehe für ihre Bürger nicht gesetzlich geregelt. Im Grunde gab es nur einen Grund, zu heiraten: um Nachwuchs zu produzieren. So schrieb ein Mann:„Wir haben hetaerae (Kurtisanen) für das Vergnügen, Konkubinen für die tägliche Körperpflege, und Ehefrauen, die unsere ehelichen Kinder gebären und sich um den Haushalt kümmern“. Die Vererbung von Reichtümern innerhalb der Familie entzog sich nämlich der Kontrolle des Staates. Laut Coontz war es so wichtig, Besitz innerhalb der Familie zu vererben, dass ein Mädchen, dessen Vater verstarb, ohne einen männlichen Erben zu haben, gezwungen werden konnte, ihren nächsten männlichen Verwandten zu heiraten, selbst wenn sie dazu zunächst von ihrem eigentlichen Ehemann geschieden werden musste.
Die Ehe galt damals keineswegs als ideale Beziehungsform, jedenfalls nicht in den gehobenen Gesellschaftsschichten. Als ideal wurden – wer hätte es gedacht – homosexuelle Partnerschaften betrachtet, da man nicht davon ausging, dass Beziehungen zwischen Männern und Frauen für beide Seiten erfüllend sein können.
Indigene Völker: Das Leben ist schwer genug, also heirate, wen du brauchst.
In einigen Kulturen hatten Männer mehrere Frauen, die sich gegenseitig bei den notwendigen Arbeiten innerhalb der Familie helfen konnten. Ein Sprichwort in Botswana lautet: „Ohne Nebenfrauen schafft es eine Frau nie, ihre Arbeit zu erledigen“, schreibt Coontz. In der rauen Natur Australiens arrangierten die Aborigines Hochzeiten ihrer Kinder unter strategischen Aspekten, damit der Clan durch das neu erworbene Land jederzeit überall im Land Wasser und Nahrung finden würde.
Bei einigen Stämmen der Ureinwohner Amerikas waren „Menschen mit zwei Seelen“ besonders angesehen, die die Arbeit von Männern und Frauen verrichten konnten. Diese wurden oft mit gleichgeschlechtlichen Partnern vermählt, da sämtliche Arbeiten im Haus so mühelos erledigt werden konnten. Bei der Ehe ging es also eher um die Bewältigung der Aufgaben als um das Geschlecht.
Im alten China: Warum sollen nur die Lebenden heiraten?
Konfuzianische Philosophen waren der Meinung, dass die stärksten Bande in einer Familie zwischen Vätern und Söhnen oder zwischen Brüdern bestehen, schreibt Coontz. Eheliche Beziehungen spielten eine deutlich geringere Rolle als familiäre. Das ging so weit, dass ein Sohn geschlagen werden konnte, wer er für seine Frau und nicht für seinen Vater Partei ergriff. Von den Frauen wiederum wurde erwartet, dass sie in das Haus der Familie des Ehemanns ziehen.
Zu den seltsamsten Ehetraditionen auf der Welt zählt eindeutig die im alten China übliche Geisterheirat. Damit unverheiratet gestorbene Verwandte nicht allein durchs Jenseits streifen müssen, wurden sie von der Verwandtschaft verheiratet – mit anderen Toten. Die beiden Verstorbenen wurden im Rahmen einer Zeremonie am Grab getraut, und die neuen Schwiegereltern blieben fortan in Kontakt. Obwohl sie in China heute offiziell verboten sind, werde solche Geisterheiraten immer noch durchgeführt.
Im alten Ägypten: Heiraten für den perfekten Stammbaum
Im zersplitterten Reich von Alexander dem Großen war die Ehe ein politisches Werkzeug, schreibt Coontz. Männer heirateten mehrere Frauen, um Allianzen mit verschiedenen Königen zu schmieden. Anders als die Frauen in Botswana hassten die hellenistischen Frauen ihre Nebenfrauen jedoch im Allgemeinen, da sie sie als Konkurrentinnen für den eigenen Machterwerb sahen. Kinder wandten sich zusammen mit ihren Müttern gegen die Stiefmütter. Geschwister kämpften gegen Geschwister. Um jegliche Zweifel am Stammbaum eines Erben auszuschließen, wurden mitunter sogar Geschwister verheiratet.
In den niedrigeren Gesellschaftsschichten, bei denen Reichtum keine große Rolle spielte, gab es deutlich mehr Freiheiten bei der Partnerwahl. Dennoch galten auch hier Ehen in erster Linie als Geschäftsbeziehungen, da ein unabhängiges Single-Leben angesichts der vielen Arbeit auf dem Feld und im Haus fast unmöglich war. Sklaven, die sich nicht um einen eigenen Haushalt kümmern mussten, durften deshalb auch nicht heiraten.
Im alten Rom: Frauen als politische Währung
Wie in vielen anderen Kulturen auch diente im alten Rom eine Ehe vor allem dazu, legitime Kinder in die Welt zu setzen. Die Männer galten eher als Verwalter ihrer Familie und weniger als Familienmitglieder, so Coontz. Abgesehen davon, dass für die Ehe mit Ausländern eine Genehmigung erforderlich war, kümmerte der Staat sich herzlich wenig darum, wer wen heiratet. Staatsmänner ließen sich mitunter sogar von ihren Frauen scheiden und verheirateten sie mit anderen Herrschern, wenn sie sich davon Vorteile versprachen. So ließ sich Marcus Porcius Cato von seiner Frau Marcia scheiden und arrangierte für sie eine Hochzeit mit seinem Freund Hortensius. Wie sich Marcia dabei wohl gefühlt hat?
Frühes Christentum: Sex in der Ehe ist ein notwendiges Übel.
„Viele frühe Christen“, schreibt Coontz, „waren der Meinung, dass die Ehe die strikte Selbstdisziplin untergräbt, die für die Errettung der Seele nötig ist.“ Deswegen hatte Keuschheit einen höheren Stellenwert als die Ehe, auch wenn Sex zum Zweck der Fortpflanzung toleriert wurde – solang man nicht seine Cousine, Cousine zweiten Grades, seine Stiefmutter, Stieftochter, die Witwe eines Onkels oder Bruders oder sonst jemanden heiratet, mit dem man über sieben Ecken verwandt sein könnte. (Wie man das wohl immer einwandfrei ermittelt hat?)
Mittelalter: Das Leben ist schwer, und Ehen sind wirtschaftlich sinnvoll.
Für die reichen Bürger war die Ehe immer noch eine politische Vereinbarung zwischen zwei Familien, die ihre Verbindungen stärken und ihr Vermögen mehren wollten. Königinnen arrangierten Hochzeiten für Geschwister, Verwandte und Hofdamen, um sich internationaler Unterstützung zu versichern. Im 12. und 13. Jahrhundert war man der Meinung, dass „die Liebe ihre Macht zwischen zwei Eheleuten nicht entfalten kann“, wie die Gräfin von Champagne einst schrieb. Außereheliche Beziehungen dagegen galten als der Inbegriff von Romantik.
Für die katholische Kirche hieß Ehe im Wesentlichen: Mann, Frau, beiderseitiges Einverständnis, Vollzug der Ehe und – sehr wichtig – Zustimmung der Eltern. Der Einfluss der Eltern auf die Hochzeiten ihrer Kinder war derart groß, dass im Jahr 1413 zwei Väter in Derbyshire einen Ehevertrag unterzeichneten, in dem der Name der Braut gar nicht eingetragen war, da der Vater noch nicht entschieden hatte, welche seiner Töchter er verheiraten wollte.
Für das niedere Volk bot eine Ehe die Möglichkeit, die nach dem Zufallsprinzip zugeteilten Landparzellen sinnvoller zu organisieren. Natürlich war es besser, mehrere nebeneinanderliegende Felder zu besitzen, deswegen versuchte man, die eigene Tochter mit dem Nachbarssohn zu verheiraten. Händler und Handwerker aus demselben Gewerbe heiraten oft untereinander, um sich das Arbeitsmaterial teilen zu können.
16. Jahrhundert: Die Ehe wird zum Sakrament.
1563 verkündete die katholische Kirche, dass eine Hochzeit ein heiliges Ritual ist, das in einer Kirche vollzogen werden muss. Diese Idee war schon einige Jahrhunderte zuvor diskutiert worden, so Coontz, doch dann wären viele Ehen ungültig gewesen, da zu dieser Zeit niemand in der Kirche geheiratet hat.
In der Zwischenzeit erlaubten die Protestanten ihren Priestern zu heiraten, warnten aber gleichzeitig davor, den Ehepartner zu sehr zu lieben. Viele Menschen fanden die Idee, aus Liebe zu heiraten, immer noch befremdlich. Ein Siedler in Virginia schrieb über eine Freundin, sie habe „ihren Ehemann wohl lieber, als es die Höflichkeit gebieten würde“. (Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass öffentliches Knutschen auch heute noch nervt.) Der Historiker E. A. Wrigley schreibt, dass im Europa vor der industriellen Revolution die Ehe eher „eine Reihe anpassbarer Systeme als ein allgemeines Muster“ war.
Aufklärung: In einer Ehe spielt auch Liebe eine Rolle.
Einige Intellektuelle begannen, gründlich über die Ehe nachzudenken und kamen zu dem Entschluss, dass Gleichgültigkeit zwischen den Partnern eine traurige Angelegenheit ist. Verliebte sollten sich selbst für eine Hochzeit entscheiden dürfen, anstatt sich den Entscheidungen der Eltern fügen zu müssen. Gemeinschaft und Gleichberechtigung gewannen zunehmend an Bedeutung. Die Ehe wurde langsam zu der privaten Partnerschaft, die sie heute noch ist.
Kritiker waren natürlich der Meinung, dass eine gleichberechtigte Partnerschaft das Ende der Institution Ehe sei, da dadurch die männliche Autorität untergraben werde, die den Haushalt zusammenhält. Diese dummen Frauen!
Viktorianisches Zeitalter: Eine gute Ehefrau ist rein.
Als Königin Victoria in unschuldigem Weiß zum Altar schritt, änderte sich die Wahrnehmung der Frau: Aus dem lustvollen Geschlecht wurde das unschuldige, asexuelle. Die perfekte Ehe bestand zwischen einem Mann und einer Frau mit höchsten moralischen Ansprüchen. Sex galt zunehmend als unziemlich für anständige Frauen, von denen erwartet wurde, all ihre Lustgefühle zu unterdrücken. Die Männer wandten ich deshalb der Einfachheit halber lieber Prostituierten zu.
Beginn des 20. Jahrhunderts: Ehepaare sollten guten Sex haben.
In ihrem Protest gegen die Prüderie des viktorianischen Zeitalters kokettierten junge Leute mit ihrer Jugend und Attraktivität. Junge Paare zur Zeit der Jahrhundertwende heirateten nicht nur aus Liebe, sondern hatte auch ein befriedigendes Sexleben. Ende der Zwanzigerjahre spielte die Intimität zwischen den Eheleuten sogar schon eine größere Rolle als die Verbindung der Eltern, so Coontz. Kritiker verfassten währenddessen Zeitungskolumnen mit Titeln wie „Ist die Ehe am Ende?“, und prophezeiten, dass durch die zunehmende Fokussierung auf Sex die Ehe innerhalb der nächsten 50 Jahre zugrunde gehen würde.
50er-Jahre: Kleinfamilien sind die besten Familien
Vor dem Zweiten Weltkrieg grassierte ein „Hochzeitsfieber“, auf das nach dem Krieg eine Fixierung auf die Kleinfamilie folgte. Eine typische Familie bestand aus einem Mann, der das Geld verdiente, einer Hausfrau und ein paar Kindern. Die Beziehungen hielten länger als je zuvor. Es gab aber z. B. in den USA trotzdem noch immer Gesetze, die die Ehe zwischen Weißen und Schwarzen, Mongolen, Hindus, amerikanischen Ureinwohnern, Japanern, Chinesen oder Filipinos verbaten. Tuberkulosepatienten und Geisteskranke durften ab 1950 jedoch heiraten.
Ende des 20. Jahrhunderts: Ehe ist ein Menschenrecht.
Feministinnen kämpften erfolgreich gegen die Erwartung, dass Frauen sich schnellstmöglich einen Mann suchen und eine Familie gründen. Damit trugen sie weiter zu einer Wahrnehmung der Ehe als Gemeinschaft gleichberechtigter Partner bei. Vergewaltigung in der Ehe wurde unter Strafe gestellt. Gesetze, die bisher gemischtrassige Ehen oder die Heirat von Gefangenen verboten hatten, wurden aufgehoben. Der Traum von der perfekten Hochzeit schuf eine milliardenschwere Industrie.
2001 erlaubten die Niederlande als erster von inzwischen vielen Staaten die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern.
Bevor es Rechtssysteme und internationale Wirtschaftsbeziehungen gab, waren Eheschließungen für Adlige und Herrscher eine Möglichkeit, diplomatische und wirtschaftliche Verbindungen zu bestärken. „Friedensabkommen, Handelsabkommen und gegenseitige Verpflichtungen wurden durch Hochzeiten geschlossen“, schreibt Stephanie Coontz in ihrem Buch Die Ehe: eine Liebesgeschichte. Vor nicht allzu langer Zeit diente die Ehe fast ausschließlich dazu, vorteilhafte Verbindungen zu schaffen. Dann begannen die Menschen, dieses System offen anzuzweifeln.
Wer jetzt also immer noch behauptet, homosexuelle Ehen würden die seit jeher unveränderte Tradition der Ehe angreifen, sollte sich einmal ansehen, wie sehr sich das traditionelle Bild schon gewandelt hat.
Im alten Griechenland: Ehe dient der Fortpflanzung.
Wie die meisten Regierungen im Altertum haben auch die Griechen die Ehe für ihre Bürger nicht gesetzlich geregelt. Im Grunde gab es nur einen Grund, zu heiraten: um Nachwuchs zu produzieren. So schrieb ein Mann:„Wir haben hetaerae (Kurtisanen) für das Vergnügen, Konkubinen für die tägliche Körperpflege, und Ehefrauen, die unsere ehelichen Kinder gebären und sich um den Haushalt kümmern“. Die Vererbung von Reichtümern innerhalb der Familie entzog sich nämlich der Kontrolle des Staates. Laut Coontz war es so wichtig, Besitz innerhalb der Familie zu vererben, dass ein Mädchen, dessen Vater verstarb, ohne einen männlichen Erben zu haben, gezwungen werden konnte, ihren nächsten männlichen Verwandten zu heiraten, selbst wenn sie dazu zunächst von ihrem eigentlichen Ehemann geschieden werden musste.
Die Ehe galt damals keineswegs als ideale Beziehungsform, jedenfalls nicht in den gehobenen Gesellschaftsschichten. Als ideal wurden – wer hätte es gedacht – homosexuelle Partnerschaften betrachtet, da man nicht davon ausging, dass Beziehungen zwischen Männern und Frauen für beide Seiten erfüllend sein können.
Indigene Völker: Das Leben ist schwer genug, also heirate, wen du brauchst.
In einigen Kulturen hatten Männer mehrere Frauen, die sich gegenseitig bei den notwendigen Arbeiten innerhalb der Familie helfen konnten. Ein Sprichwort in Botswana lautet: „Ohne Nebenfrauen schafft es eine Frau nie, ihre Arbeit zu erledigen“, schreibt Coontz. In der rauen Natur Australiens arrangierten die Aborigines Hochzeiten ihrer Kinder unter strategischen Aspekten, damit der Clan durch das neu erworbene Land jederzeit überall im Land Wasser und Nahrung finden würde.
Bei einigen Stämmen der Ureinwohner Amerikas waren „Menschen mit zwei Seelen“ besonders angesehen, die die Arbeit von Männern und Frauen verrichten konnten. Diese wurden oft mit gleichgeschlechtlichen Partnern vermählt, da sämtliche Arbeiten im Haus so mühelos erledigt werden konnten. Bei der Ehe ging es also eher um die Bewältigung der Aufgaben als um das Geschlecht.
Im alten China: Warum sollen nur die Lebenden heiraten?
Konfuzianische Philosophen waren der Meinung, dass die stärksten Bande in einer Familie zwischen Vätern und Söhnen oder zwischen Brüdern bestehen, schreibt Coontz. Eheliche Beziehungen spielten eine deutlich geringere Rolle als familiäre. Das ging so weit, dass ein Sohn geschlagen werden konnte, wer er für seine Frau und nicht für seinen Vater Partei ergriff. Von den Frauen wiederum wurde erwartet, dass sie in das Haus der Familie des Ehemanns ziehen.
Zu den seltsamsten Ehetraditionen auf der Welt zählt eindeutig die im alten China übliche Geisterheirat. Damit unverheiratet gestorbene Verwandte nicht allein durchs Jenseits streifen müssen, wurden sie von der Verwandtschaft verheiratet – mit anderen Toten. Die beiden Verstorbenen wurden im Rahmen einer Zeremonie am Grab getraut, und die neuen Schwiegereltern blieben fortan in Kontakt. Obwohl sie in China heute offiziell verboten sind, werde solche Geisterheiraten immer noch durchgeführt.
Im alten Ägypten: Heiraten für den perfekten Stammbaum
Im zersplitterten Reich von Alexander dem Großen war die Ehe ein politisches Werkzeug, schreibt Coontz. Männer heirateten mehrere Frauen, um Allianzen mit verschiedenen Königen zu schmieden. Anders als die Frauen in Botswana hassten die hellenistischen Frauen ihre Nebenfrauen jedoch im Allgemeinen, da sie sie als Konkurrentinnen für den eigenen Machterwerb sahen. Kinder wandten sich zusammen mit ihren Müttern gegen die Stiefmütter. Geschwister kämpften gegen Geschwister. Um jegliche Zweifel am Stammbaum eines Erben auszuschließen, wurden mitunter sogar Geschwister verheiratet.
In den niedrigeren Gesellschaftsschichten, bei denen Reichtum keine große Rolle spielte, gab es deutlich mehr Freiheiten bei der Partnerwahl. Dennoch galten auch hier Ehen in erster Linie als Geschäftsbeziehungen, da ein unabhängiges Single-Leben angesichts der vielen Arbeit auf dem Feld und im Haus fast unmöglich war. Sklaven, die sich nicht um einen eigenen Haushalt kümmern mussten, durften deshalb auch nicht heiraten.
Im alten Rom: Frauen als politische Währung
Wie in vielen anderen Kulturen auch diente im alten Rom eine Ehe vor allem dazu, legitime Kinder in die Welt zu setzen. Die Männer galten eher als Verwalter ihrer Familie und weniger als Familienmitglieder, so Coontz. Abgesehen davon, dass für die Ehe mit Ausländern eine Genehmigung erforderlich war, kümmerte der Staat sich herzlich wenig darum, wer wen heiratet. Staatsmänner ließen sich mitunter sogar von ihren Frauen scheiden und verheirateten sie mit anderen Herrschern, wenn sie sich davon Vorteile versprachen. So ließ sich Marcus Porcius Cato von seiner Frau Marcia scheiden und arrangierte für sie eine Hochzeit mit seinem Freund Hortensius. Wie sich Marcia dabei wohl gefühlt hat?
Frühes Christentum: Sex in der Ehe ist ein notwendiges Übel.
„Viele frühe Christen“, schreibt Coontz, „waren der Meinung, dass die Ehe die strikte Selbstdisziplin untergräbt, die für die Errettung der Seele nötig ist.“ Deswegen hatte Keuschheit einen höheren Stellenwert als die Ehe, auch wenn Sex zum Zweck der Fortpflanzung toleriert wurde – solang man nicht seine Cousine, Cousine zweiten Grades, seine Stiefmutter, Stieftochter, die Witwe eines Onkels oder Bruders oder sonst jemanden heiratet, mit dem man über sieben Ecken verwandt sein könnte. (Wie man das wohl immer einwandfrei ermittelt hat?)
Mittelalter: Das Leben ist schwer, und Ehen sind wirtschaftlich sinnvoll.
Für die reichen Bürger war die Ehe immer noch eine politische Vereinbarung zwischen zwei Familien, die ihre Verbindungen stärken und ihr Vermögen mehren wollten. Königinnen arrangierten Hochzeiten für Geschwister, Verwandte und Hofdamen, um sich internationaler Unterstützung zu versichern. Im 12. und 13. Jahrhundert war man der Meinung, dass „die Liebe ihre Macht zwischen zwei Eheleuten nicht entfalten kann“, wie die Gräfin von Champagne einst schrieb. Außereheliche Beziehungen dagegen galten als der Inbegriff von Romantik.
Für die katholische Kirche hieß Ehe im Wesentlichen: Mann, Frau, beiderseitiges Einverständnis, Vollzug der Ehe und – sehr wichtig – Zustimmung der Eltern. Der Einfluss der Eltern auf die Hochzeiten ihrer Kinder war derart groß, dass im Jahr 1413 zwei Väter in Derbyshire einen Ehevertrag unterzeichneten, in dem der Name der Braut gar nicht eingetragen war, da der Vater noch nicht entschieden hatte, welche seiner Töchter er verheiraten wollte.
Für das niedere Volk bot eine Ehe die Möglichkeit, die nach dem Zufallsprinzip zugeteilten Landparzellen sinnvoller zu organisieren. Natürlich war es besser, mehrere nebeneinanderliegende Felder zu besitzen, deswegen versuchte man, die eigene Tochter mit dem Nachbarssohn zu verheiraten. Händler und Handwerker aus demselben Gewerbe heiraten oft untereinander, um sich das Arbeitsmaterial teilen zu können.
16. Jahrhundert: Die Ehe wird zum Sakrament.
1563 verkündete die katholische Kirche, dass eine Hochzeit ein heiliges Ritual ist, das in einer Kirche vollzogen werden muss. Diese Idee war schon einige Jahrhunderte zuvor diskutiert worden, so Coontz, doch dann wären viele Ehen ungültig gewesen, da zu dieser Zeit niemand in der Kirche geheiratet hat.
In der Zwischenzeit erlaubten die Protestanten ihren Priestern zu heiraten, warnten aber gleichzeitig davor, den Ehepartner zu sehr zu lieben. Viele Menschen fanden die Idee, aus Liebe zu heiraten, immer noch befremdlich. Ein Siedler in Virginia schrieb über eine Freundin, sie habe „ihren Ehemann wohl lieber, als es die Höflichkeit gebieten würde“. (Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass öffentliches Knutschen auch heute noch nervt.) Der Historiker E. A. Wrigley schreibt, dass im Europa vor der industriellen Revolution die Ehe eher „eine Reihe anpassbarer Systeme als ein allgemeines Muster“ war.
Aufklärung: In einer Ehe spielt auch Liebe eine Rolle.
Einige Intellektuelle begannen, gründlich über die Ehe nachzudenken und kamen zu dem Entschluss, dass Gleichgültigkeit zwischen den Partnern eine traurige Angelegenheit ist. Verliebte sollten sich selbst für eine Hochzeit entscheiden dürfen, anstatt sich den Entscheidungen der Eltern fügen zu müssen. Gemeinschaft und Gleichberechtigung gewannen zunehmend an Bedeutung. Die Ehe wurde langsam zu der privaten Partnerschaft, die sie heute noch ist.
Kritiker waren natürlich der Meinung, dass eine gleichberechtigte Partnerschaft das Ende der Institution Ehe sei, da dadurch die männliche Autorität untergraben werde, die den Haushalt zusammenhält. Diese dummen Frauen!
Viktorianisches Zeitalter: Eine gute Ehefrau ist rein.
Als Königin Victoria in unschuldigem Weiß zum Altar schritt, änderte sich die Wahrnehmung der Frau: Aus dem lustvollen Geschlecht wurde das unschuldige, asexuelle. Die perfekte Ehe bestand zwischen einem Mann und einer Frau mit höchsten moralischen Ansprüchen. Sex galt zunehmend als unziemlich für anständige Frauen, von denen erwartet wurde, all ihre Lustgefühle zu unterdrücken. Die Männer wandten ich deshalb der Einfachheit halber lieber Prostituierten zu.
Beginn des 20. Jahrhunderts: Ehepaare sollten guten Sex haben.
In ihrem Protest gegen die Prüderie des viktorianischen Zeitalters kokettierten junge Leute mit ihrer Jugend und Attraktivität. Junge Paare zur Zeit der Jahrhundertwende heirateten nicht nur aus Liebe, sondern hatte auch ein befriedigendes Sexleben. Ende der Zwanzigerjahre spielte die Intimität zwischen den Eheleuten sogar schon eine größere Rolle als die Verbindung der Eltern, so Coontz. Kritiker verfassten währenddessen Zeitungskolumnen mit Titeln wie „Ist die Ehe am Ende?“, und prophezeiten, dass durch die zunehmende Fokussierung auf Sex die Ehe innerhalb der nächsten 50 Jahre zugrunde gehen würde.
50er-Jahre: Kleinfamilien sind die besten Familien
Vor dem Zweiten Weltkrieg grassierte ein „Hochzeitsfieber“, auf das nach dem Krieg eine Fixierung auf die Kleinfamilie folgte. Eine typische Familie bestand aus einem Mann, der das Geld verdiente, einer Hausfrau und ein paar Kindern. Die Beziehungen hielten länger als je zuvor. Es gab aber z. B. in den USA trotzdem noch immer Gesetze, die die Ehe zwischen Weißen und Schwarzen, Mongolen, Hindus, amerikanischen Ureinwohnern, Japanern, Chinesen oder Filipinos verbaten. Tuberkulosepatienten und Geisteskranke durften ab 1950 jedoch heiraten.
Ende des 20. Jahrhunderts: Ehe ist ein Menschenrecht.
Feministinnen kämpften erfolgreich gegen die Erwartung, dass Frauen sich schnellstmöglich einen Mann suchen und eine Familie gründen. Damit trugen sie weiter zu einer Wahrnehmung der Ehe als Gemeinschaft gleichberechtigter Partner bei. Vergewaltigung in der Ehe wurde unter Strafe gestellt. Gesetze, die bisher gemischtrassige Ehen oder die Heirat von Gefangenen verboten hatten, wurden aufgehoben. Der Traum von der perfekten Hochzeit schuf eine milliardenschwere Industrie.
2001 erlaubten die Niederlande als erster von inzwischen vielen Staaten die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern.