Als junger Akademiker berief ich mich in einer Rede, die ich 1961 in Kansas hielt, auf Präsident Harry S. Truman. Er hatte auf die Frage, was ihn als Präsidenten besonders stolz gemacht habe, geantwortet, „dass wir unsere Feinde völlig besiegten und sie dann als Gleichgestellte in die Völkergemeinschaft zurückgeführt haben. Ich nehme an, dass nur Amerika so etwas tun würde".
Truman war sich der riesigen Macht Amerikas bewusst, aber stolz war er vor allem auf die humanitären und demokratischen Werte der USA. Er wollte, dass man sich weniger an die Siege Amerikas als vielmehr an seine Versöhnungsleistungen erinnerte.
Seit Truman haben sich alle Präsidenten diese Auffassung in irgendeiner Form zu eigen gemacht und sich voller Stolz auf ähnliche Attribute der amerikanischen Geschichte berufen. Und für den größten Teil dieses Zeitraums spiegelte die Völkergemeinschaft, für deren Erhalt diese Präsidenten sich einsetzten, einen amerikanischen Konsens wieder - eine sich stetig ausbreitende, kooperative Ordnung von Staaten, die gemeinsamen Regeln und Normen folgen, liberale Wirtschaftssysteme haben, territorialer Eroberung abschwören, nationale Souveränität achten und sich partizipative und demokratische Regierungssysteme geben.
Amerikanische Präsidenten beider Parteien drängen andere Staaten unermüdlich und oft sehr nachdrücklich und mit großer Überzeugungskraft, sich dem Schutz und der Achtung der Menschenrechte zu verpflichten. Und in vielen Fällen trägt die Verteidigung dieser Werte durch die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten dazu bei, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen grundlegend verändern.
Heute jedoch steht dieses „regelbasierte" System vor großen Herausforderungen.
Schon die häufigen Ermahnungen an andere Länder, „ihren angemessenen Teil beizutragen", sich an „die Regeln des 21. Jahrhunderts zu halten" oder sich in dem gemeinsamen System als „verantwortungsbewusste Akteure" zu verhalten, verdeutlichen die Tatsache, dass es keine allgemeine Definition des Systems und auch kein gemeinsames Verständnis dessen gibt, was denn nun ein „angemessener" Beitrag sein könnte.
Außerhalb der westlichen Welt wird die Gültigkeit dieser Regeln in ihrer derzeitigen Form von Staaten und Regionen infrage gestellt, die eine minimale Rolle bei ihrer ursprünglichen Formulierung spielten; sie lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sie diese Regeln modifizieren wollen. Während man sich heute vielleicht häufiger als in jeder anderen Ära auf „die internationale Staatengemeinschaft" beruft, bietet uns diese Gemeinschaft kein klares Bild, keine fest vereinbarten Ziele, Methoden oder Grenzen.
Unser Zeitalter sucht beharrlich, und manchmal geradezu verzweifelt, nach dem Konzept einer Weltordnung. Chaos droht, doch zugleich herrscht eine noch nie da gewesene Interdependenz: im Hinblick auf die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, den Zerfall von Staaten, die Auswirkungen der Umweltzerstörungen, die immer wieder begangenen Völkermorde und die Ausbreitung neuer Technologien, die es ermöglichen, Konflikte so weit zu eskalieren, dass sie unkontrollierbar und letztlich auch undurchschaubar werden.
Neue Methoden der Verfügbarkeit und der Weitergabe von Informationen verbinden und einen die Regionen dieser Welt wie nie zuvor und projizieren jedes Ereignis auf eine globale Ebene. Doch das geschieht auf eine Art und Weise, die jede Reflexion behindert und die politischen Führer zwingt, ihre Reaktionen unverzüglich kundzutun, und das in der möglichst schlichten Form von Schlagzeilen.
Stehen wir vor einem neuen Zeitabschnitt, in dem die Zukunft durch Kräfte bestimmt wird, die durch keine Ordnung mehr begrenzt werden?
Dieser Text ist ein Auszug aus Weltordnung.
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Aus dem Englischen von Enrico Heinemann und Karlheinz Dürr
480 Seiten
€ 24,99 [D] / € 25,70 [A] / CHF 35,50
C. Bertelsmann
Truman war sich der riesigen Macht Amerikas bewusst, aber stolz war er vor allem auf die humanitären und demokratischen Werte der USA. Er wollte, dass man sich weniger an die Siege Amerikas als vielmehr an seine Versöhnungsleistungen erinnerte.
Seit Truman haben sich alle Präsidenten diese Auffassung in irgendeiner Form zu eigen gemacht und sich voller Stolz auf ähnliche Attribute der amerikanischen Geschichte berufen. Und für den größten Teil dieses Zeitraums spiegelte die Völkergemeinschaft, für deren Erhalt diese Präsidenten sich einsetzten, einen amerikanischen Konsens wieder - eine sich stetig ausbreitende, kooperative Ordnung von Staaten, die gemeinsamen Regeln und Normen folgen, liberale Wirtschaftssysteme haben, territorialer Eroberung abschwören, nationale Souveränität achten und sich partizipative und demokratische Regierungssysteme geben.
Amerikanische Präsidenten beider Parteien drängen andere Staaten unermüdlich und oft sehr nachdrücklich und mit großer Überzeugungskraft, sich dem Schutz und der Achtung der Menschenrechte zu verpflichten. Und in vielen Fällen trägt die Verteidigung dieser Werte durch die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten dazu bei, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen grundlegend verändern.
Heute jedoch steht dieses „regelbasierte" System vor großen Herausforderungen.
Schon die häufigen Ermahnungen an andere Länder, „ihren angemessenen Teil beizutragen", sich an „die Regeln des 21. Jahrhunderts zu halten" oder sich in dem gemeinsamen System als „verantwortungsbewusste Akteure" zu verhalten, verdeutlichen die Tatsache, dass es keine allgemeine Definition des Systems und auch kein gemeinsames Verständnis dessen gibt, was denn nun ein „angemessener" Beitrag sein könnte.
Außerhalb der westlichen Welt wird die Gültigkeit dieser Regeln in ihrer derzeitigen Form von Staaten und Regionen infrage gestellt, die eine minimale Rolle bei ihrer ursprünglichen Formulierung spielten; sie lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sie diese Regeln modifizieren wollen. Während man sich heute vielleicht häufiger als in jeder anderen Ära auf „die internationale Staatengemeinschaft" beruft, bietet uns diese Gemeinschaft kein klares Bild, keine fest vereinbarten Ziele, Methoden oder Grenzen.
Unser Zeitalter sucht beharrlich, und manchmal geradezu verzweifelt, nach dem Konzept einer Weltordnung. Chaos droht, doch zugleich herrscht eine noch nie da gewesene Interdependenz: im Hinblick auf die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, den Zerfall von Staaten, die Auswirkungen der Umweltzerstörungen, die immer wieder begangenen Völkermorde und die Ausbreitung neuer Technologien, die es ermöglichen, Konflikte so weit zu eskalieren, dass sie unkontrollierbar und letztlich auch undurchschaubar werden.
Neue Methoden der Verfügbarkeit und der Weitergabe von Informationen verbinden und einen die Regionen dieser Welt wie nie zuvor und projizieren jedes Ereignis auf eine globale Ebene. Doch das geschieht auf eine Art und Weise, die jede Reflexion behindert und die politischen Führer zwingt, ihre Reaktionen unverzüglich kundzutun, und das in der möglichst schlichten Form von Schlagzeilen.
Stehen wir vor einem neuen Zeitabschnitt, in dem die Zukunft durch Kräfte bestimmt wird, die durch keine Ordnung mehr begrenzt werden?
Dieser Text ist ein Auszug aus Weltordnung.

Aus dem Englischen von Enrico Heinemann und Karlheinz Dürr
480 Seiten
€ 24,99 [D] / € 25,70 [A] / CHF 35,50
C. Bertelsmann