Der Startänzer Edwin Revazov des Hamburger Balletts war ausgefallen. Sein Ersatz konnte nur einen Teil der Rolle übernehmen. Die Vorstellung war in Gefahr.
Eine Herausforderung, die als Elixier auf John Neumeier wirkte, der - von der Tournee durch Südafrika und einem Gastspiel in Moskau- zwar müde durch diese Aufgabe geradezu erfrischt wurde. Er arbeitete das Ballett um und verdichtete dessen Essenz
![2014-10-06-Shakespear_c_H.Badekow2.jpeg]()
Photo Holger Badekow
Shakespeare muss ihn dabei inspiriert haben. Dieser war und ist eine sichere Größe in Neumeiers Leben, der zu dessen Figuren sagt, dass er sie wie ‚etwas vergrößerte Freunde' empfinde. Was sie erleben, empfinden, was sie bewege, erlebte die Menschen heute noch gleich. Die ‚Shakespeare Dances' zitieren Figuren und Szenen aus dessen Stücken.
Zu Mozarts Musik, derjenigen, die dessen Humor und Lebensfreude ausdrückt, wurden Motive aus Shakespeares ‚Was ihr wollt' getanzt. Themen wie ‚Ungerechtigkeit', ‚Schäferidylle, ‚Verwirrung der Liebe' und schließlich ‚Happy End' wurden von einem als Nummerngirl agierenden Erzähler benannt, getanzt mit wie immer starker physischer Präsenz von Carsten Jung, der als ‚Liliom' im gleichnamigen Ballett von John Neumeier 2012 den ‚Benois de la Danse' gewonnen hatte.
Als Erzähler und Vermittler zwischen Publikum und Aufführung wirkte er mit seinem zeitgenössischen Outfit und Rennrad wie ein brechtscher Verfremdungseffekt und brach damit immer wieder den Bühnenzauber der Märchenfiguren.
Diese agierten im höfischen Milieu elegant mit Spitzentanz und zeigten im Bauern- und Schäfermilieu Erdverbundenheit mit einem zwar ernsthaft vorgetragenen, doch zum tollpatschigen neigenden Barfußtanz. Besonders komisch wurde es dann, wenn der König eine schöne Schäferin tänzerisch zu bezirzen suchte.
Das Kapitel der shakespeareschen Liebenden war durch die Umstellung etwas kurz geraten. Kein Othello mit Desdemona, kein Romeo und Julia, nur Hamlet, der in einer Zeit bevor das gleichnamige Shakespearedrama anfängt, mit Ophelia einen Liebes-Pas-de-Deux gibt. Der für den Star eingesprungene junge Tänzer Michael Tippett hat einen reizenden Charme und expressive Mimik; auch tanzte er scheinbar unbeschwert, doch wäre er bei einem unkontrollierten Sprung fast ins Publikum geflogen. Auch hat er an seiner stark hörbaren Atmung zu arbeiten. Man verstand, warum Neumeier den Rest der ursprünglichen Choreografie strich.
Als außerordentlicher ästhetischer Genuss präsentierte sich hingegen der dritte Teil; die auf teilweise wenig bekannte Vivaldistücke choreografierte Geschichte der Zwillinge Viola und Sebastian, die den liebeskranken Herzog und die traurige Dame von ihrer Melancholie ‚erlösen'.
Für diese Aufführung war das Ballett von seinen tänzerischen Arabesken befreit worden und ganz auf den Erzählstrang getrimmt. Doch die tänzerische Qualität der Truppe, das deutliche aufeinander Eingespieltsein, das es dem Einzelnen ermöglicht Risiken zu suchen und an seine tänzerischen Grenzen zu gehen, kam hier voll zum Tragen und steckte mit seiner Lebensfreude auch das Publikum an.
Das Missgeschick hat John Neumeier zur Qualität gewandelt. Diese ‚Essenz der Essenz' bescherte dem Baden Badener Publikum einen intensiven und unterhaltenden Ballettabend.
Ganz anders gestaltete sich der folgende Ballettabend im Theater Basel. Hier war Düsteres, Zerrissenheit und Depression angesagt; allerdings in höchst ästhetischer Form. Die drei Choreografen Jean-Philippe Dury aus Frankreich, Richard Wherlock aus England und Hausherr in Basel, sowie Ed Wubbe aus England hatten sich den düsteren Seiten der menschlichen Existenz angenommen.
Jean-Philippe Dury begann mit ‚Cel Black Days', das sich den diversen Phasen einer Depression annahm. Getanzt auf schwarzer Bühne in grauen und schwarzen Kostümen oder nackter Haut, mit einer Cellobegleitung, die mit ihren tiefen, wimmernden, und drängenden Tönen, das Aufbegehren der Seele physisch nachvollziehbar machte. Verbunden mit den eindringlichen Körperbewegungen der Tänzer wurden die Gefühle auch im Betrachter fast unerträglich unmittelbar.
Die Tänzergestalt als überlebensgroßes Kreuz auf den Bühnenvorhang projiziert war ein wirklich eindrücklicher Abschluss dieses Stückes.
Darauf folgte Richard Wherlocks ‚Straight to the Heart', eine Herzenshommage an ‚seine Diva', die britische Popikone der 60ger Jahre Dusty Springfield. Hier wurde es, zumindest was die Kostüme betrifft, farbiger und die Musik Springfields bezauberte zuerst. Doch auch sie erzählte von Liebes- und Trennungsschmerz, seelischem Leiden, von ungewisser Sexualität, Verlassenwerden und häuslicher Gewalt.
Wherlock wollte mit seiner Choreografie die innere Zerrissenheit Springsfields und ihre vielen schmerzvollen Prüfungen erfahrbar machen. Er zeigte eine teilweise schwungvolle, abwechslungsreiche Choreografie, die die Leiden im Betrachter jedoch nicht zum Klingen brachten. Auch hatte man schließlich den Eindruck wirklich jeden Song der Sängerin gehört zu haben.
![2014-10-06-dt_holland_016.jpeg]()
Ballett 'Holland' Photo Ismael Lorenzo
EditierenHöchst eindrucksvoll präsentierte sich die dritte Choreografie von Ed Wubbe: ‚Holland'. Auf schwarzer Bühne, mit schwarzen Gewändern, bei Nebelschwaden und gemalten Wolken getanzt, präsentierte sich hier die niederländische Welt der alten Meister Rembrandt, van Eyck, und Vermeer.
Die Musik war eher atmosphärisch: Das Harmonium auf der Bühne unterstützte dabei die Studiomusik und ergänzte sie durch eine Prise Unmittelbarkeit. Doch auch diese Skizzen holländischen Lebens, wohl einfallsreich choreografiert, zeigten eher die düsteren Seiten dort lebender Existenzen. Sie standen damit in diametralem Gegensatz zum Bild der fröhlichen Fahrradnation heute.
Doch endete das Stück auf einer positiven Note: Große bunte Tulpenballen, die Symbolblume der Holländer, schwebten hinunter und luden wie Luftballons zum Spielen ein. Ein Angebot, das enthusiastisch befolgt wurde von den Tänzern, deren Stamina durch alle drei Choreografien wirklich bemerkenswert war.
![2014-10-06-20141003_hh_ballett_werkstatt_1_schlussapplaus_c_holger_badekow.jpeg]()
John Neumeier (Mitte) umringt von seiner Truppe beim Schlussapplaus
John Neumeiers Produktionen sind noch nächstes Wochenende in Baden Baden zu sehen: Dann die ‚Giselle'
Nächste ‚Dance Talks' im Theater Basel am 7./ 9./ und 23.10.
Eine Herausforderung, die als Elixier auf John Neumeier wirkte, der - von der Tournee durch Südafrika und einem Gastspiel in Moskau- zwar müde durch diese Aufgabe geradezu erfrischt wurde. Er arbeitete das Ballett um und verdichtete dessen Essenz

Photo Holger Badekow
Shakespeare muss ihn dabei inspiriert haben. Dieser war und ist eine sichere Größe in Neumeiers Leben, der zu dessen Figuren sagt, dass er sie wie ‚etwas vergrößerte Freunde' empfinde. Was sie erleben, empfinden, was sie bewege, erlebte die Menschen heute noch gleich. Die ‚Shakespeare Dances' zitieren Figuren und Szenen aus dessen Stücken.
Zu Mozarts Musik, derjenigen, die dessen Humor und Lebensfreude ausdrückt, wurden Motive aus Shakespeares ‚Was ihr wollt' getanzt. Themen wie ‚Ungerechtigkeit', ‚Schäferidylle, ‚Verwirrung der Liebe' und schließlich ‚Happy End' wurden von einem als Nummerngirl agierenden Erzähler benannt, getanzt mit wie immer starker physischer Präsenz von Carsten Jung, der als ‚Liliom' im gleichnamigen Ballett von John Neumeier 2012 den ‚Benois de la Danse' gewonnen hatte.
Als Erzähler und Vermittler zwischen Publikum und Aufführung wirkte er mit seinem zeitgenössischen Outfit und Rennrad wie ein brechtscher Verfremdungseffekt und brach damit immer wieder den Bühnenzauber der Märchenfiguren.
Diese agierten im höfischen Milieu elegant mit Spitzentanz und zeigten im Bauern- und Schäfermilieu Erdverbundenheit mit einem zwar ernsthaft vorgetragenen, doch zum tollpatschigen neigenden Barfußtanz. Besonders komisch wurde es dann, wenn der König eine schöne Schäferin tänzerisch zu bezirzen suchte.
Das Kapitel der shakespeareschen Liebenden war durch die Umstellung etwas kurz geraten. Kein Othello mit Desdemona, kein Romeo und Julia, nur Hamlet, der in einer Zeit bevor das gleichnamige Shakespearedrama anfängt, mit Ophelia einen Liebes-Pas-de-Deux gibt. Der für den Star eingesprungene junge Tänzer Michael Tippett hat einen reizenden Charme und expressive Mimik; auch tanzte er scheinbar unbeschwert, doch wäre er bei einem unkontrollierten Sprung fast ins Publikum geflogen. Auch hat er an seiner stark hörbaren Atmung zu arbeiten. Man verstand, warum Neumeier den Rest der ursprünglichen Choreografie strich.
Als außerordentlicher ästhetischer Genuss präsentierte sich hingegen der dritte Teil; die auf teilweise wenig bekannte Vivaldistücke choreografierte Geschichte der Zwillinge Viola und Sebastian, die den liebeskranken Herzog und die traurige Dame von ihrer Melancholie ‚erlösen'.
Für diese Aufführung war das Ballett von seinen tänzerischen Arabesken befreit worden und ganz auf den Erzählstrang getrimmt. Doch die tänzerische Qualität der Truppe, das deutliche aufeinander Eingespieltsein, das es dem Einzelnen ermöglicht Risiken zu suchen und an seine tänzerischen Grenzen zu gehen, kam hier voll zum Tragen und steckte mit seiner Lebensfreude auch das Publikum an.
Das Missgeschick hat John Neumeier zur Qualität gewandelt. Diese ‚Essenz der Essenz' bescherte dem Baden Badener Publikum einen intensiven und unterhaltenden Ballettabend.
Ganz anders gestaltete sich der folgende Ballettabend im Theater Basel. Hier war Düsteres, Zerrissenheit und Depression angesagt; allerdings in höchst ästhetischer Form. Die drei Choreografen Jean-Philippe Dury aus Frankreich, Richard Wherlock aus England und Hausherr in Basel, sowie Ed Wubbe aus England hatten sich den düsteren Seiten der menschlichen Existenz angenommen.
Jean-Philippe Dury begann mit ‚Cel Black Days', das sich den diversen Phasen einer Depression annahm. Getanzt auf schwarzer Bühne in grauen und schwarzen Kostümen oder nackter Haut, mit einer Cellobegleitung, die mit ihren tiefen, wimmernden, und drängenden Tönen, das Aufbegehren der Seele physisch nachvollziehbar machte. Verbunden mit den eindringlichen Körperbewegungen der Tänzer wurden die Gefühle auch im Betrachter fast unerträglich unmittelbar.
Die Tänzergestalt als überlebensgroßes Kreuz auf den Bühnenvorhang projiziert war ein wirklich eindrücklicher Abschluss dieses Stückes.
Darauf folgte Richard Wherlocks ‚Straight to the Heart', eine Herzenshommage an ‚seine Diva', die britische Popikone der 60ger Jahre Dusty Springfield. Hier wurde es, zumindest was die Kostüme betrifft, farbiger und die Musik Springfields bezauberte zuerst. Doch auch sie erzählte von Liebes- und Trennungsschmerz, seelischem Leiden, von ungewisser Sexualität, Verlassenwerden und häuslicher Gewalt.
Wherlock wollte mit seiner Choreografie die innere Zerrissenheit Springsfields und ihre vielen schmerzvollen Prüfungen erfahrbar machen. Er zeigte eine teilweise schwungvolle, abwechslungsreiche Choreografie, die die Leiden im Betrachter jedoch nicht zum Klingen brachten. Auch hatte man schließlich den Eindruck wirklich jeden Song der Sängerin gehört zu haben.

Ballett 'Holland' Photo Ismael Lorenzo
EditierenHöchst eindrucksvoll präsentierte sich die dritte Choreografie von Ed Wubbe: ‚Holland'. Auf schwarzer Bühne, mit schwarzen Gewändern, bei Nebelschwaden und gemalten Wolken getanzt, präsentierte sich hier die niederländische Welt der alten Meister Rembrandt, van Eyck, und Vermeer.
Die Musik war eher atmosphärisch: Das Harmonium auf der Bühne unterstützte dabei die Studiomusik und ergänzte sie durch eine Prise Unmittelbarkeit. Doch auch diese Skizzen holländischen Lebens, wohl einfallsreich choreografiert, zeigten eher die düsteren Seiten dort lebender Existenzen. Sie standen damit in diametralem Gegensatz zum Bild der fröhlichen Fahrradnation heute.
Doch endete das Stück auf einer positiven Note: Große bunte Tulpenballen, die Symbolblume der Holländer, schwebten hinunter und luden wie Luftballons zum Spielen ein. Ein Angebot, das enthusiastisch befolgt wurde von den Tänzern, deren Stamina durch alle drei Choreografien wirklich bemerkenswert war.

John Neumeier (Mitte) umringt von seiner Truppe beim Schlussapplaus
John Neumeiers Produktionen sind noch nächstes Wochenende in Baden Baden zu sehen: Dann die ‚Giselle'
Nächste ‚Dance Talks' im Theater Basel am 7./ 9./ und 23.10.