Die CDU-Frau Karin Bertholds-Sandrock reaktiviert mit neurechter Allianz das Schreckensbild vom staatszersetzenden Homosexuellen. Und hat was gegen Kleingärtnervereine. Ein Kommentar von Christian Mentz von der MÄNNER
Der CDU-Landtagsabgeordneten Karin Bertholds-Sandrock scheint es gerade zu gelingen, in Niedersachsen ein parteiübergreifendes Bündnis gegen die Aufklärung über sexuelle Vielfalt an Schulen zu schmieden.
Den Anfang machte sie vor einigen Tagen, indem sie davor warnte, dass „Schwule und Lesben in den Klassen allein gegenüber den Kindern auftreten". Sie bezieht sich dabei auf Aufklärungskampagnen, bei denen Schulklassen von externen Bildungsträgern besucht werden. Andere Parteien und Gruppen ziehen nach und verschärfen den Ton. Die „Freien Wähler Niedersachsen" starten eine Kampagne mit dem Titel „Früh-Sexualisierung an Grundschulen - Nein, Danke".
Und die „Junge Alternative Niedersachsen", die Jugendorganisation der AfD, lässt verlauten, dass „nur die klassische Familie in der Lage sei", dem Staat das „Überleben zu garantieren", und deshalb bedürfe nur die „klassische Familie als einzige Form des Zusammenlebens der Förderung".
Gesellschaftliches Zusammenleben wird so als Überlebenskampf im großen Gesellschaftskrieg bebildert, und der Feind in dieser Schlacht ist auch klar: Homosexuelle, die den Fortbestand des Staates gefährden.
Schwule und Lesben als gesellschaftsfeindliche, schädliche Elemente
Hier geht es nicht mehr nur um die eigentliche Frage, ob und in welcher Form Schüler über nichtheterosexuelle Lebenswege informiert werden. Hier geht es um die Reaktivierung von Feindbildern, deren mentale Quelle noch hinter die biederen 50er Jahre zurückreicht. Schwule und Lesben als gesellschaftsfeindliche, schädliche Elemente. Mit staatszersetzenden Qualitäten, vor denen die Gesellschaft unbedingt geschützt werden muss.
Man möchte gar nicht wissen, welche Antworten dem Selbstwertgefühl von jungen Schwulen und Lesben an Schulen gegeben werden, wenn sie solche Debatten hören. Was aber soll mit homosexuellen Schülern überhaupt geschehen, in der Logik von Frau Bertholds-Sandrock und ihren Gefolgsleuten?
Wenn Schüler nicht mehr ungeschützt dem staatszersetzenden Einfluss Homosexueller ausgesetzt werden dürfen - müssten homosexuelle Schüler dann nicht auch aus der schulischen Gesellschaft entfernt werden? Unterricht vielleicht nur noch in abgelegenen Baracken, damit die homosexuellen Strahlungen nicht die anständige, stramme AfD-Jugend vergiftet?
Die Aversion gegen Homosexuelle in Schulklassen wird begleitet durch den Hass gegen „Gender Mainstreaming". Der Versuch, Kinder und Jugendliche die Rollenbilder von Männern und Frauen hinterfragen zu lassen, ist für die Neurechten vor allem eines: schwul. Und mindestens so gefährlich für Volk und Vaterland wie - schwul.
Dass es bei Gender Mainstreaming vielleicht nur darum geht, Kinder und Jugendliche von dem jeweiligen Geschlechterdruck zu befreien, wen interessierts. Mädchen müssen zurückhaltend, gefühlig, hübsch und dem Manne treu ergeben sein, Jungs müssen kriegerisch und hart sein, alles andere ist - schwul.
Die CDU schadet sich selbst, wenn sie gesellschaftspolitische Neandertaler wie Bertholdes-Sandrock ans Mikrofon lässt
Ganz oben auf dieser Welle reitet nun also Karin Bertholdes-Sandrock von der CDU. Sie schaut so lieb-naiv in die Kamera. Ein bisschen wie Frau Holle, und die kann für unsere Kleinen doch nur das Beste wollen. Ob bei ihr Aufklärung noch etwas ausrichten könnte? Etwa die Erkenntnis, dass Kinder und Jugendliche besser lernen und sich entwickeln können in einem Schulklima, in dem Vielfalt und individuelle Eigenschaften geschätzt werden? Wahrscheinlich nicht.
Aber wenigstens der CDU sollte mal jemand erklären, dass sie sich jedes Mal selbst ins Bein schießt, wenn sie gesellschaftspolitische Neandertaler wie Bertholdes-Sandrock ans Mikrofon lässt. Oder ist das Absicht? Überlassen es die CDU/CSU-Parteistrategen den etwas skurrilen Hinterbänklern, mit schrillen und hysterischen Auftritten noch mehr Abwanderung in Richtung AfD und Freie Wähler zu verhindern?
Langsam wird da ein Muster sichtbar. Hat denn die Union nicht mitbekommen, wie schon Norbert Geis und Erika Steinbachmit homophober Logorrhoe zum Gespött der Leute wurden?
Viel nützen wird es der Union nicht, wieder in die unterste Schublade der Ressentiments zu greifen: Denn diejenigen Wähler, die sich von Frau Holles Ammenmärchen noch einschüchtern lassen, die sind doch eh längst von der Union zur AfD und ähnlichem ausgewandert.
Auch sehr gefährlich: Kleingärtnervereine!
Unterdessen versucht Bertholdes-Sandrock zurückzuruden. Spiegel Online gegenüber sagte sie, sie sei missverstanden worden. Natürlich, was auch sonst? Sie habe mit ihrer Warnung vor Homosexuellen in Klassenzimmern vielmehr sagen wollen: „Wenn man in Zukunft häufiger externe Gäste an Schulen einladen will - sei es von Parteien, aus der Bundeswehr, einem Kleingärtnerverein oder eben von schwul-lesbischen Verbänden - muss sichergestellt werden, dass stets ein Lehrer anwesend ist".
Es wird immer absurder. Was befürchtet sie? Dass ein Kleingärtner die Jugendlichen in den Schulrabatten verscharrt? Dass ein Bundeswehrsoldat - was hat der eigentlich in Klassenzimmern verloren? - wild um sich ballert?
Vorsichtig sollte man allerdings mit einer Gruppe sein, die Bertholdes-Sandrock aufzählt: Parteipolitiker, genauer gesagt diejenigen der neurechten Allianzen, die in alter Manier gesellschaftliche Minderheiten zu Volkschädlingen erklären. Soll das wieder der von Ressentiments durchdrungene Geist sein, in dem junge Leute erzogen werden? Wer das nicht möchte: Lassen sie ihre Kinder nicht mit dieser Frau allein!
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