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Karstadt - leuchtendes Vorbild für Restrukturierung

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Juni 2010 - Der Investor Berggruen übernimmt Karstadt für 70 Mio. € und macht die Zusage, in den nächsten drei Jahren weitere 240 Mio. Euro zu investieren. In der Folge hob das Essener Amtsgericht das Insolvenzverfahren auf. 40.000 Gläubiger mussten auf rund zwei Mrd. Euro verzichten. Berggruen kündigte an, Karstadt in eine Dachgesellschaft mit drei weiteren Untergesellschaften, Sporthäuser, Premiumhäuser und sonstige Warenhäuser, zu unterteilen. Kleine Geschäftsbereiche seien leichter zu managen und könnten schneller reagieren.

Zwischen dem 1. Oktober 2011 und dem 30. September 2012 erwirtschaftete die dank des Einsatzes geballter Turnaround-Kompetenz nun leicht zu managende und reaktionsschnelle Unternehmensgruppe einen Verlust von 249,6 Millionen Euro. 121 davon entfielen auf Restrukturierungsmaßnahmen, vor allen Dingen Abfindungen für rund 2.000 Mitarbeiter. In den ersten sieben Monaten des folgenden Geschäftsjahres sank der Umsatz um 7,9 %. Alle Waren-, Sport- und Premiumhäuser lagen unter ihren Plänen.

Mai 2013 - Das Unternehmen teilte mit, bis 2015 eine ›Tarifpause‹ einzulegen, und damit vorübergehend aus der Tarifbindung auszusteigen, mit anderen Worten: seinen Mitarbeitern nicht einmal den Inflationsausgleich zu gönnen.

Juni 2014 - Karstadt Sport in Düsseldorf. Nach langem Suchen in den Regalen - die wenigen Verkäufer waren beschäftigt - habe ich endlich gefunden, was ich gesucht habe und gehe zur Kasse. Vor mir in der Reihe steht direkt an der Kasse eine Frau, die diverse Sportbekleidung erwirbt. Die Mitarbeiterin an der Kasse scannt die Barcodes, trennt die Sicherheitsetiketten, eines nach dem anderen, und kassiert schließlich ab. EC-Karte, Sicherheitszahl, Kaufbeleg, die gesamte Ware in eine große Tüte - der nächste bitte. Und dies ist eine japanische Familie, die eine große Anzahl an Fußballtrikots kauft - Warenwert an die 700 €. Auch hier die gleiche Prozedur. In den insgesamt 14 Minuten meiner Wartezeit kann ich mich ein wenig umschauen. Hinter mir die immer länger werdende Schlange - mit meiner Wartezeit bin ich noch gut bedient - und direkt neben der Kasse eine weitere Kasse, funktionsfähig, aber unbesetzt. Wenige Schritte entfernt ein Mitarbeiter von Karstadt, der ein Regal mit Sporttaschen füllt und einen anderen Mitarbeiter anweist, ihm weitere Taschen aus dem Keller zu holen. Der Gegenentwurf einer Hochleistungsorganisation, wobei den Mitarbeitern kein Vorwurf zu machen ist. Sie arbeiten sicher nach den Anweisungen des Managements, die vielleicht lauten, dass es wichtiger ist, Regale zu befüllen, als den Kunden dabei zu helfen, ihr Geld im Unternehmen zu lassen. Oder die darin bestehen, nur einen kleinen Teil der Mitarbeiter die Hoheit über die Kassen einzuräumen, denn wenn jeder alles kann, gehen die Personalkosten nur unnötig nach oben. Nach insgesamt 25 Minuten habe ich die Filiale mit Waren im Wert von 29,95 € verlassen und gehe in das kaufhauseigene, stellenweise nach Urin riechende Parkhaus zurück zu meinem Auto. Das nächste Mal vielleicht doch Amazon?

August 2014 - Karstadt hat einen neuen Investor - es wurde bekannt gegeben, dass die österreichische Signa Holding, namentlich René Benko, die angeschlagene Warenhauskette übernimmt.

September 2014 - Benko stellt sein Programm vor und kündigt harte Einschnitte an. Spiegel online meldet am 14.9.2014, dass Karstadt mehr als 200 Millionen Euro sparen müsse, weil die Kosten für eine nachhaltige Sanierung auf 263 Millionen Euro beziffert werden. Ohne diese Sanierung sei die Existenz von Karstadt nur noch bis März 2016 gesichert.

Die 83 Filialen müssen mit harten Einschnitten rechnen. Verkaufspersonal soll eingespart und Kassen abgebaut werden. In Bereichen mit hoher Selbstbedienungsquote werde eine "Reduzierung auf Minimalbesetzung" angestrebt. Zudem sollen allein in der Essener Konzernzentrale 20 Prozent der Stellen abgebaut werden und sollen u.a. die Gebühren in den Karstadt-Parkhäusern "um rund zehn Prozent" steigen.

Service runter, Personalkosten auch und die Preise rauf - ja, ja, so bringt man Unternehmen nach vorne. Glauben diese Leute wirklich an das, was sie sagen? Wir fürchten, ja. Wobei bei näherem Hinsehen die Genialität des Konzepts klar wird.

Die Verweilzeit in den Kaufhäusern wird sich für die Kunden verlängern. Damit hat der Kunde noch mehr Muße darüber nachzudenken, warum er sich einen Besuch bei Karstadt antut. Auch verlängert sich die Verweilzeit der Autos in den konzerneigenen Parkhäusern.

In Verbindung mit einer Gebührenerhöhung macht dies absolut Sinn. Karstadt wird durch seine Parkhäuser gerettet sein. Chapeau - man kann von diesen Wirtschaftsprofis einfach nur dazulernen.

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