Quantcast
Channel: Huffington Post Germany Athena
Viewing all articles
Browse latest Browse all 40759

Ein Brief an die zukünftigen Lehrer meiner Kinder

$
0
0
Liebe Lehrer,

Jetzt, da ein neues Schuljahr anbricht, möchte ich mir ein paar Minuten Zeit nehmen, um Ihnen diese Nachricht schreiben und Sie wissen zu lassen, wie sehr ich das schätze, was Sie ab jetzt meinen Kindern beibringen werden.

Aber lassen Sie mich mit einer kleinen Geschichte anfangen.

Meine Lieblingslehrerin aller Zeiten, die mich auch am meisten geprägt hat, war in der fünften Klasse Miss M.

Also damals,

ähem...

1978,

am ersten Tag der fünften Klasse, war ich gar nicht so begeistert, dass ich in ihrer Klasse gelandet war.

Sie war streng.

Sie setzte uns in Reihen.

Sie legte Regeln fest.

Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt einen einzigen Anflug eines Lächelns sehen ließ in der ersten Woche.

Ich hatte richtige Angst vor ihr.

Aber nach und nach, als sie merkte, dass wir bereit waren dafür, wurde sie lockerer.
Sie wurde netter.

Sie lächelte.

Sie umarmte uns sogar.

Sie erwartete eine Menge von uns, ermutigte uns aber auch, kreativ zu sein.

Jedes Jahr ließ sie ihre Schüler das gleiche Projekt machen, und jedes Kind, das in die fünfte Klasse kam, wusste das.

Wenn man in Miss M.s Klasse war,

musste man Weirdos machen.

Weirdos waren im Grunde genommen braune Papiertüten aus dem Supermarkt, die sie mit uns in große, ausgestopfte Köpfe verwandelte.

Wir konnten sie so gestalten und bemalen, wie wir wollten.

Je schräger

desto besser.

Wenn wir damit fertig waren, hängte Miss M. die Weirdos an der Decke des Klassenzimmers auf.

Die anderen Kinder der Schule kamen an unserem Klassenzimmer vorbei und bestaunten unsere Weirdos.

Sie waren immer neidisch.

Und wir waren immer stolz.

Miss M. ermutigte mich, mir Mühe zu geben mein Bestes zu geben.

Manchmal fand ich, dass sie ein bisschen pedantisch war.

Aber einmal habe ich ein Schaubild über ein Buch als Schulprojekt gemacht.

Ich habe wirklich hart daran gearbeitet.

Ich war fest entschlossen, Miss M. zu beeindrucken.

Und das habe ich auch geschafft.

Tatsächlich fand Miss M. mein Schaubild so gut, dass sie es mich einer sechsten Klasse präsentieren ließ.

Vor Kindern, die älter waren als ich.

Sie setzte die Latte ziemlich hoch an. Aber ich habe es geschafft und ihre Erwartungen übertroffen.

Ich habe mich so gut gefühlt.

Und ich bin mir nicht sicher, wieso,

aber wir haben in Miss M.s Klasse auch einmal "Freunde bis in den Tod" gesehen.

Ich habe durch den Film nicht viel über mich selbst gelernt.

Aber ich habe etwas über Lehrer gelernt.

Ich habe gelernt, dass Lehrer echte Menschen sind.

Denn Miss M. weinte.

Es gab noch ein anderes Erlebnis aus der fünften Klasse, das für mich eine besondere Bedeutung hat.

Der Pioneer Day.

Der galt nicht nur für die Klasse von Miss M. Der galt für alle fünften Klassen.

Der Pioneer Day war unser großer Tag.

Wir verkleideten uns als Pioniere.

Wir machten Staffelläufe und andere sportliche Wettkämpfe.

Außerdem gab es jede Menge anderer Sachen zu machen.

Wie zum Beispiel buchstabieren.

Es war so ein lustiger, außergewöhnlicher Tag.

Jeder Fünftklässler freute sich auf diesen Tag.

Warum erzähle ich diese Geschichte?

Weil ich weiß, dass Miss M. Spaß am Unterrichten hatte und wir Spaß am Lernen hatten.

Sie hatte ein bisschen Freiheit bei der Gestaltung.

Und wir hatten diese Freiheit auch.

Sie hatte die Möglichkeit ihren Lehrplan auszubessern.

Sie brachte mir mehr bei über harte Arbeit, Disziplin und Erfolg als jeder andere Lehrer, den ich je hatte.

Ohne je einen einzigen mahnenden Brief an meine Eltern zu schicken.

Oder einen Haufen an Matheaufgaben, die ich lösen musste.

Und meine Antwort erkläten musste.

Sie aufschreiben. Erst in Worten...

...und dann in Zahlen.

Und dann eine komplette Geschichte darüber schreiben.

Und die dann illustieren.

Jep.

Damals konnten Lehrer noch ihr eigenes Ding machen.

Sie durften das machen...

...ich weiß nicht...

...was sie wollten.

Jetzt nicht mehr.

Ich wette, Miss M. würde es heute hassen zu unterrichten.

Und das ist der Grund, warum ich Ihnen diese Nachricht schreibe.

Ich weiß, dass Sie den Lehrplan nicht wirklich verändern können.

Ich weiß, dass Sie nicht nur auf die Tests hin unterrichten wollen.

Ich weiß, dass die Ansagen von oben kommen.

Ich weiß, dass Sie gezwungen werden, so zu unterrichten.

Ich weiß, dass der Unterricht, den sie sich ausmalten, als sie gerade mit dem Lehramtsstudium fertig waren, anders ist als der, den sie heute praktizieren.

Ich weiß auch, dass die Eltern eine echte Herausforderung bei ihrem Job sein können.

Ich weiß, dass Sie sich, bevor Sie einem Kind eine Note geben, Sorgen machen, dass eine erboste Mutter oder ein wütender Vater anrufen und Sie dazu auffordern, sie zu ändern.

Ich weiß, dass es Erwachsene gibt, die immer eher ihrem Kind glauben als dem Lehrer.

Also,

genauso wie Sie

weiß ich, dass alle Kinder schwindeln.

Sogar meine.

Besonders meine.

Ich weiß, dass das, was im Klassenzimmer passiert,

und das, was meine Kinder mir erzählen
nicht übereinstimmt.

Und deswegen,

um das klarzustellen:

Ich bin auf Ihrer Seite.

Wenn meine Kinder Ihnen das Leben schwer machen,

finde ich das nicht in Ordnung.

Weisen Sie sie zurecht.

Ich bin absolut dafür und ich unterstütze Sie darin.

Zu hundert Prozent.

Meine Kinder wissen, dass die Schule an erster Stelle steht.

Sie wissen, dass mein Mann und ich von ihnen erwarten, dass sie ihr Bestes geben.

Wir sind uns da sehr einig.

Jetzt,

da alles gesagt ist,

möchte ich sie wissen lassen:

Wie gut meine Kinder in standardisierten Tests abschneiden, ist mir sowas von egal.

Und ich will nicht, dass Sie Ihren Tag damit verbringen, sich damit zu stressen, ob meine Tochter eine komplizierte Matheaufgabe auf vierzehn verschiedene Weisen lösen kann.

Was ich möchte, ist, dass Sie mit Ihren Stärken meinen Kindern dabei helfen, die ihren zu finden.

Ich weiß, dass ihre Hände vom vielen Korrigieren müde sind.

Aber wenn Sie diese Blätter voll mit standardisierten Tests und Matheaufgaben
einfach mal nehmen und zerknüllen

und sie dazu benutzen, 21 Papiertüten draus zu machen,

wenn ich nie ein einziges der Arbeitsblätter zu Gesicht bekäme,

ich aber 21 Weirdos von der Decke des Klassenzimmers hängen sähe,

seien Sie versichert,

Ihr Geheimnis wäre bei mir sicher.

Auch auf HuffingtonPost.de: Süß:
Dieses Baby erinnert uns daran, wie cool Schaukeln ist!


Viewing all articles
Browse latest Browse all 40759

Trending Articles



<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>