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Was ich lernte, als ich meinen Stiefvater beim Sterben begleitete

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In der vergangenen Woche, am Dienstag, 26. August, ist es nun geschehen. Um 17.22 Uhr hat uns Günther verlassen.

In dem Haus, das er so geliebt hat. Das er mit seinen eigenen Händen gebaut hat. Das er sich gewünscht hat und auf das er stolz war. Genau dieses Haus hat er jetzt für immer verlassen - sehr würdevoll, in einem mit weißem Tuch ausgeschlagenen, einfachen Holzsarg.

Ein kleiner Strauß Blumen und sein Teddy Diggi begleiteten ihn auf seine letzte große Reise. Der Fährmann wird ihn nun aufs weite Meer hinaus bringen, wo er bestattet wird, wie es sich für einen Seemann mit dreieinhalb Goldstreifen auf den Schulterklappen gehört.

Günther war mein zweiter Stiefvater. In den Armen meiner Mutter und seiner Frau tat er seine letzten Atemzüge. Ohne medizinische Apparate, ohne kalte Krankenhauswände, ohne künstliche Ernährung blies er den zerstörenden Krebs förmlich aus sich heraus und verstarb mit einem entspannten Lächeln, in seinem eigenen Ehebett, an der Seite meiner Mutter.

Mario, mein Bruder, Mama und ich hatten eine ziemlich traurige Woche in Hamburg. Wir freuen uns aber trotzdem darüber, wie schön Sterben auch für die Familie und Angehörige sein kann - wenn wir das zulassen und wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Denn Günther war nicht allein in seinen letzten Stunden und Tagen. Er hatte seine Familie um sich und Helfer, die ihm etwas gaben, was sich jeder Mensch nur wünschen kann, wenn er im Sterben liegt: Aufmerksamkeit, Hingabe, Würde.

Es waren vier junge Menschen, gut ausgebildete Palliativmediziner. Pfleger, die sich Tag und Nacht um ihn kümmerten, voller Liebe, ohne jeglichen Zeitdruck - solange, bis er seine Augen für immer schloss. Für uns Angehörige war das einfach nur rührend.

Das Besondere an der Palliativmedizin: Es geht nicht um die reine Schmerzbehandlung von Todgeweihten. Es geht nicht darum, Menschen an Schläuche anzuschließen, zuzusehen, wie sie dahinsiechen, abzuwarten, bis sie sterben.

Bei Palleativmedizin geht es nicht in erster Linie darum, die Überlebenszeit um jeden Preis zu verlängern. Es geht um Lebensqualität. Was zählt, sind die Wünsche von Patienten wie Günther. Ihre Ziele und ihr Befinden. Nur das hat Vorrang.

Und Günther wollte zu Hause sterben, in seinem Haus, bei seiner Familie. Seine Helfer haben das verstanden und ihn dabei unterstützt. So sehr sie konnten. Wir sind unendlich traurig, dass er von uns gegangen ist. Aber wir sind glücklich, dass er es auf diese Weise tun könnte.

Und er ist nicht für immer gegangen. Er wartet nur am anderen Ende des Weges auf uns.

Ich kann nur allen Menschen empfehlen, sich im Vorfeld um Palliativmedizin zu kümmern. Es muss nicht immer ein Krankenhaus oder ein Hospiz sein, in dem man seine letzten Lebenstage verbringt. Es geht auch anders.

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