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Antibiotika: Wie lange wirken sie noch bei uns?

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Die Erkenntnis, dass Hände, Bettwäsche, medizinische Geräte und Verbände so gut wie möglich von Keimen befreit werden müssen, ist einer der großen Erfolge der Medizin.

Zwar hat es eine Weile gedauert, bis sich diese Erkenntnis durchgesetzt hat, aber dann zeigte die medizinische Hygiene ihre Wirkung, so die Hygiene-Expertin Petra Gastmeier: »In der Ära vor Robert Koch hatte man zum Beispiel nach Amputationen Wundinfektionsraten von 60 bis 70 Prozent, danach sind die Infektionsraten dann heruntergegangen auf 5 bis 10 Prozent.

Das war seinerzeit ein Riesensprung.« Einige Jahrzehnte später brachte die Entdeckung der Antibiotika eine ähnlich deutliche Verbesserung: Penicillin, Streptomycin, Chloramphenicol, Aureomycin, Tetracyclin - die Liste der Antibiotika, die seit der Entdeckung des Penicillins im Jahr 1928 eingesetzt wurden, um lebensgefährliche Infektionen zu heilen, ist lang.

Durch sie überlebten viele Menschen, die sonst gestorben wären, erinnert Hensel: »Das ist uns nicht so klar, dass viele von uns - wahrscheinlich zwei von drei - heute schon tot wären, weil sie sich mit kleinen Dingen infiziert hätten, die wir heute mit Antibiotika behandeln können.«

Doch Antibiotika haben eine Schwachstelle: Früher oder später finden Bakterien einen Weg, gegen ein Antibiotikum unempfindlich zu werden.

Dann überleben sie eine Behandlung mit diesem Antibiotikum: Die Bakterien sind »resistent« geworden, sagen die Ärzte und greifen zu einem anderen Antibiotikum, zu einem, das noch wirkt.

Das war so lange möglich, wie ständig neue Antibiotika auf den Markt kamen. Doch seit einiger Zeit funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr, sagt Petra Gastmeier: »Leider ist es so, dass in den letzten Jahren kaum neue Antibiotika auf den Markt gekommen sind, so gut wie keine.«

Es findet derzeit kein Kongress über Infektionskrankheiten statt, auf dem nicht das Thema Antibiotika-Resistenz und Antibiotika-Mangel ganz oben auf der Themenliste steht.

Auch Giuseppe Cornaglia hält das Problem für besonders dringlich:
»Wir haben nichts Bedeutendes in der Pipeline. Das heißt, für
die kommenden fünf bis zehn Jahren können wir einfach kein bedeutendes Medikament auf diesem Gebiet erwarten.

Vielleicht gibt es eine kleine Verbesserung, aber es fällt schwer, daran zu glauben, dass ein neuer Wirkstoff einfach so aus heiterem Himmel auftaucht.« Was das bedeuten würde, zeigt sich schon heute: Die Zahl der resistenten Bakterien, gegen die nur noch ein oder zwei besondere Antibiotika helfen, steigt jährlich, weiß Giuseppe Cornaglia: »Wir haben jetzt viele Daten, die alle zeigen: Die Resistenzen nehmen zu, und viele Antibiotika wirken nicht mehr.«

Auch in Deutschland gibt es solche Fälle, bedauert Petra Gastmeier von der Charité: »Eigentlich gibt es nur ein bis zwei Antibiotika, die man da noch einsetzen kann, und häufig entsteht beim Einsetzen dieser Antibiotika dann auch relativ schnell eine Resistenz gegen diese Substanzen.
Dann hat man nichts mehr in der Hand und muss hoffen, dass es allein das Immunsystem des Patienten schafft, die Infektion zu beherrschen. Man hat dann also den Zustand wieder erreicht, den wir vor der Antibiotika-Einführung hatten, bevor das Penicillin entdeckt wurde.«

Wenn ein Bakterium ein entsprechendes Resistenzgen besitzt, kann ihm das Antibiotikum nichts mehr anhaben.

Da Bakterien sich rasant vermehren, wächst auch die Zahl der Bakterien, die resistent sind, sehr schnell. Hinzu kommt, dass Bakterien untereinander Resistenzgene austauschen können, sogar von einer Art zur anderen.

Und der Mensch fördert das auch noch - zum Beispiel durch den falschen Einsatz von Antibiotika in der Medizin, beklagt Giuseppe Cornaglia: »Manche Menschen nehmen die falschen Antibiotika, oder sie nehmen zu viel, weil sie es nicht besser wissen.

Sie wissen einfach nicht, welches sie anwenden sollen. Also probieren sie es aus und nehmen so viel wie möglich - das ist der falsche Weg.«

Oder es werden Antibiotika gegen Krankheiten verschrieben, die durch Viren verursacht werden. Das ist sinnlos, denn Antibiotika wirken nicht gegen Viren, sondern nur gegen Bakterien. Aber nicht nur in der Medizin werden Antibiotika falsch eingesetzt.

Auch in der Tierzucht kommen sie zum Einsatz, um die Tiere gesund zu halten und damit die Tiere schneller wachsen.

Dadurch können sich auch im Tierstall resistente Bakterien entwickeln und verbreiten, die letztlich beim Menschen landen, stellte Petra Gastmeier in einer Untersuchung fest: »Man muss davon ausgehen, dass Fleisch durchaus kontaminiert sein kann. Wir haben hier in unserem Institut vor einiger Zeit mal Geflügelfleisch aus dem Supermarkt geholt und untersucht, ob das Geflügelfleisch an der Oberfläche auch multiresistente Bakterien aufweist«, fasst sie die Studie zusammen.

»In fast 50 Prozent der Proben war das der Fall.« Wenn man in Zukunft mit den noch verbliebenen wirksamen Antibiotika sorgsamer umgehen will, um ihre Heilkraft zu erhalten, reicht es daher nicht, allein in der Humanmedizin etwas zu verändern, betont Petra Gastmeier.

»Etwa 60 bis 70 Prozent aller produzierten und verabreichten Antibiotika, die jedes Jahr eingesetzt werden, werden im Bereich der Tiermast oder der Tierzucht eingesetzt, und nur der kleinere Teil im Bereich der Humanmedizin.

Das bedeutet also: Wenn man nur Optimierung im Bereich der Humanmedizin durchführt, wird man das Problem nicht ausreichend angehen können, sondern man muss auf beiden Seiten etwas tun.«

Gefährliche Keime im Krankenhaus

Resistente Bakterien sorgen vor allem im Krankenhaus für Probleme, wo es besonders viele Menschen mit einem geschwächten Immunsystem gibt. Das macht es den Bakterien noch leichter, sich zu vermehren.

Außerdem befinden sich im Krankenhaus viele Menschen mit offenen Wunden, mit Kathetern, die in die Harnblase führen, oder mit Schläuchen, durch die Medikamente direkt in das Blutsystem des Patienten fließen.

Das alles sind mögliche Einfallstore, die es den Bakterien ermöglichen, ins Innere des Patienten zu gelangen. Dort erst werden sie dem Menschen gefährlich.

Solange Bakterien nur die Haut eines Menschen besiedeln - was gar nicht so selten vorkommt - verursachen sie keine Probleme.

Aber wenn Ärzte oder Pflegepersonal sich nicht oft genug die Hände desinfizieren, können Bakterien von der Haut des einen Patienten leicht auf den Katheter des Bettnachbarn übertragen werden, beschreibt Petra Gastmeier: »Das ist ein ganz wesentlicher Faktor, weil es ja verschiedene Möglichkeiten gibt, wie sich solche Bakterien im Krankenhaus ausbreiten.

Aber der häufigste Übertragungsweg sind die Hände des Personals, die zunächst zum einen Patienten gehen und dann zum anderen Patienten.

Wenn dazwischen nicht konsequent eine Händedesinfektion stattfindet, dann können die Erreger von einem Patienten zum anderen übertragen werden. Deswegen glauben wir, dass man mit dieser alten und sehr einfachen Methode der Händereinigung sehr viel erreichen kann.«

Gleichwohl zeigen Beobachtungen im Krankenhausalltag, dass immer noch zu häufig darauf verzichtet wird, bedauert Petra Gastmeier: »Da müssen wir leider immer wieder feststellen, dass jede zweite Händedesinfektion, die eigentlich sein müsste, nicht durchgeführt wird.«

Giuseppe Cornaglia findet das ebenso bedauernswert: »Generell sind Hygiene und Achtsamkeit genauso wichtig wie die Therapie. Heutzutage, wo es immer weniger Möglichkeiten der Behandlung von resistenten Bakterien gibt, werden die gesamten Maßnahmen zur Infektionskon- trolle sogar wichtiger als der Einsatz von Antibiotika.

Und sie sind ganz bestimmt einfacher durchzuführen, als wirksame Antibiotika zu finden. Das Problem ist das Verhalten des Pflegepersonals und der Ärzte.«

Petra Gastmeyer verweist auf einen interessanten Aspekt: »Am besten schneidet in der Regel das Pflegepersonal ab, denn das Pflegepersonal wird auch in der Ausbildung am besten zu diesem Thema geschult und trainiert.

Leider müssen wir immer wieder feststellen, dass die Ärzte nicht so gut dastehen in dieser Hinsicht wie das Pflegepersonal. Da besteht auf jeden Fall Nachholbedarf.«

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "Gesund leben - gesund bleiben".
2014-08-28-gesundleben.jpg
Beltz Verlag
ISBN 978-3-407-85999-0

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