Zukunft und Witz haben eines gemeinsam: Beide entstehen, indem sie gewagt werden. Der amerikanische Komiker und Improvisationskünstler Robin Williams, der sich im August 2014 das Leben nahm, prägte diese Erkenntnis des Witzes, der von einer unkontrollierbaren Wendung, von einer Überraschung lebt, denn es kommt immer anders als erwartet.
Alles hat er in sich aufgenommen: „Zu diesem Übermaß gehörte das Wissen, dass es zu viel Leid und zu wenig Trost auf der Welt gibt." (Peter Kümmel , DIE ZEIT, 14.8.2014). Dabei vermittelte er doch in vielen seiner Filme und Auftritte, dass die Zukunft eine Art Theater sein sollte: immer auch lustig und unkonventionell, gestaltet von mutigen und tatkräftigen Menschen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und nicht in der Routine und Selbsttäuschung erstarren, die optimistisch und engagiert sind im Trotzdem.
Dazu müssen wir „neu und besonnen über die essenziellen Entscheidungen nachdenken, die vor uns liegen und sich aus mehreren Faktoren ergeben", schreibt der US-amerikanische Politiker und Umweltschützer Al Gore in seinem Buch „Die Zukunft. Sechs Kräfte, die unsere Welt verändern", in dem er auf einen der „überraschendsten" Aspekte der Wirtschaft hinweist: die ungesunde Konzentration auf sehr kurzfristige Ziele unter Ausschluss langfristiger Zielsetzungen.
Sind unsere wirtschaftlichen Entscheidungen auf Wachstum ausgerichtet, kommt es darauf an, wie der Begriff definiert wird. „Bleiben die Auswirkungen der Umweltverschmutzung bei der Bewertung dessen, was wir als ‚Fortschritt' bezeichnen, systematisch unberücksichtigt, beachten wir sie auch nicht weiter und dürfen nicht überrascht sein, wenn unser Fortschritt mit jeder Menge Umweltverschmutzung einhergeht."
Um diese Probleme zu lösen, brauchen wir mehr Zukunftskompetenz und Aufgeschlossenheit gegenüber dem Unerwarteten und Unerwiesenen. Aber welche Begriffe behindern die Arbeit an der eigenen Zukunftskompetenz, weil sie sich an den Scheinsicherheiten vergangener Zeiten orientieren? Wie kann das Credo der Nachhaltigkeit soweit dekonstruiert werden, dass die damit einhergehenden unterschiedlichen Sehnsüchte, Erwartungen und Befindlichkeiten deutlich werden?
Braucht es eine Präzisierung, um die Spreu vom Weizen zu trennen? Wann ist Nachhaltigkeit ein Zukunftskonzept, und wann ist es ein Geschäft, fragwürdige PR, ein Ablenkungsmanöver, das uns von der zentralen Frage der Zukunftskompetenz entfernt? Warum braucht die Vermittlung von Nachhaltigkeit auch Überraschungen?
In allen gesellschaftlichen Bereichen bezeichnet der Begriff Nachhaltigkeit das, was standhält, was tragfähig ist. Inmitten der Komplexität und des ständigen Umzugs von Provisorium zu Provisorium suchen Menschen nach Konstanten, nach Stabilität, weil die Gesellschaft immer instabiler wird. Stabilitätsfaktoren sind heute Familie, Freunde, Heimat, weil sie Möglichkeiten zum Rückzug und identitätsstiftende Momente bieten. Vielleicht sind diese Stabilitätsanker Versuche, wieder Sicherheit und Geborgenheit zu gewinnen, sich an bewährten Mustern festzuhalten, um sich nicht zu verlieren.
Nähe, Emotionen und direkte Begegnungen machen eine Gemeinschaft aus, deren Mitglieder enger zusammenrücken, wenn die Zeiten unsicherer werden. Der Mensch lebt in großen Teilen davon, dass er hier „anerkannt, vielleicht sogar beliebt ist. Das zu leisten, ist nicht nur Kopfsache. Warum ist der Mensch Mensch? Weil er eine Seele hat, sie selber spürt, schützen will und anderen gleiches gönnt", sagt der Liedermacher Rolf Zuckowski, für den heute besonders Einfühlsamkeit gefragt ist, „die Gabe, Worte für das zu finden, was auch andere denken. Unverzichtbar für Erfolg und nachhaltige Wirkung ist ein Kern des Eigenen, wo immer das herkommen mag." Familie, gute Ratgeber und wahre Freunde sind ihm dabei richtige Wegbegleiter.
Lass dich überraschen
Schnell kann es geschehn. Die Werbung hat das Freundschaftsthema längst für sich entdeckt: „Guten Freunden gibt man ein Küsschen." (Ferrero), "Auf die Freundschaft." (Holsten Pilsener), „Für eine gesunde Freundschaft." (Mera Dogs), „Da hört die Freundschaft auf." (Choco Crossies), „Freundschaft erfahren." (Daihatsu), „Freundschaft verbindet!" (Medical Friends).
Holsten zeigte zum Beispiel, dass es Freunde mit "Ecken", "Kanten" und großem Durst braucht, um das Feierabendbier zu genießen - eine Kampagne im Frühjahr 2014 stellte das Holsten Pilsener als "offizielles Feierabendbier" vor. Im Frühjahr 2014 wurde auf das Motto gesetzt:„ Wir gucken Fußball" - „ohne Schnickschnack, sondern in entspannter Atmosphäre, mit guten Freunden und bester Sicht auf das Spiel". Bereits 2012 suchte Bitburger nach Gemeinschaftsmomenten außerhalb des Fußballstadions und bediente sich der bewährten „Wenn"-Mechanik: „Wenn aus Herrn Weber Sebastian wird" oder „Wenn aus Nachbarschaft Freundschaft wird".
Der Spot zeigte Feierabendsituationen mit Kollegen, die Grillparty oder das Nachbarschaftstreffen, die mit Bitburger zu „unvergesslichen Gemeinschaftserlebnissen" werden. Das Thema Gemeinschaft (Geselligkeit, Lebensfreude und Genuss) sollte als ein wesentlicher Eckpunkt der Marke wahrgenommen werden.
Ebenfalls 2012 startete die Markenkampagne von Jägermeister: „Wer, wenn nicht wir". Der Spot erzählte drei kurze Geschichten, die alle in einer großen enden: in der Geschichte von Freundschaft, einer innigen Gemeinschaft mit tiefer Verbundenheit. Ziel der Marketingstrategen war es, der Marke mehr Wertigkeit und Tiefe zu geben - jenseits des lauten Partygedöns, auf das Jägermeister oft reduziert wurde. Markenwurzel ist auch hier das Wissen um die Gemeinschaft.
Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der memo AG schätzt Werbung sehr, die unerwartet ist und sie positiv überrascht: „Gerade in Zeiten, in denen wir mit Werbung überflutet werden, erregt bei mir der Spot oder die Anzeige Aufmerksamkeit, wo sich wirklich Gedanken über die Zielgruppe, die Marke und das Produkt gemacht wurde. Das hat dann auch etwas mit Wertschätzung zu tun, sofern es sich nicht um falsche Produktversprechen handelt." Für memo sind die Kunden deshalb etwas Besonderes, weil sie die wichtigsten Stakeholder des Unternehmens sind: „Sie kaufen die von uns ausgesuchten Produkte und geben uns dazu oft Feedback, das wir ernst nehmen. Dadurch entsteht ein wertvoller Dialog, den wir in Zukunft noch ausbauen möchten. Und daran merken wir natürlich auch, dass unsere Kunden Anteil nehmen und die gekauften Produkte durchaus wertschätzen."
Wertschätzung hat für sie viel mit dem Thema Qualität zu tun: „Wenn eine Sache oder auch eine Beziehung (Freundschaft) Qualität hat, schätze ich diese aufgrund ihrer Stabilität sehr viel mehr als ein ‚Wegwerfprodukt' oder eine lose Bekanntschaft - und pflege diese auch mehr", sagt die Kommunikationsexpertin. Mit Freundschaft wirbt das Unternehmen nicht - vielmehr stehen Kompetenz, Beratung und Kundenservice im Mittelpunkt des Kerngeschäfts. Die Verantwortlichen sind sich dabei durchaus bewusst, dass Nachhaltigkeit und nachhaltiger Konsum auch Spaß machen darf und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger verbunden sein sollte. Das kann durchaus so weit gehen, dass sie sich als "Ökos" auch schon mal auf die Schippe nehmen. Auch das gehört zu Überraschungsmomenten der Freundschaft, die keine Kampagne braucht.
Das übernehmen andere: So verzichtete Coca-Cola im Juni 2013 auf seinen Schriftzug auf den Flaschen. Anlässlich der Freundschaftskampagne wurde der legendäre Coke-Schriftzug durch rund 150 verschiedene Vornamen und Begriffe aus dem Jugendwortschatz ersetzt. In Verbindung mit der Aufforderung „Trink ne Coke mit ..." wollte Coca-Cola zum gemeinsamen Genießen und Teilen animieren - und damit selbst zum Symbol für Freundschaft werden. Ferrero ruft im Internet dazu auf, seine eigene Regel zu schreiben: „Teile deine eigene Freundschaftsregel, indem du auf den Button klickst, deine Regel in das erscheinende Textfeld einträgst und ein Bild dazu hochlädst."
All diese Ansätze sollen eines vermitteln: Teil von etwas Größerem und authentisch zu sein - echt und eben nicht „gefälscht" Doch leider sind das die meisten Geschichten, die in der Werbewelt vermittelt werden, gerade nicht. „Oder glauben Sie wirklich, die Ferrero Küsschen Clique ist im echten Leben befreundet und findet es super, sich mit Süßwaren zu füttern?" Fragt Britta Poetzsch, Head of Lifestyle der Agenturgruppe Serviceplan am 21. August 2014 im Handelsblatt.
Der Freundschaftsbegriff und das Marketingmotiv der Freundschaft „boomen deshalb, weil der Vertrauensverlust in unserer Gesellschaft Höchstmarken erreicht hat", sagt der Kommunikations- und Nachhaltigkeitsexperte Klaus Stallbaum aus Bergisch Gladbach: „In einer Touch-and-Go-Welt, in der ‚jeder' nur sein eigenes Scherflein ins Trockene bringen will oder seinen Narzissmus spazieren führt, ist wahre Freundschaft ein Mangelgut geworden.
Daran ändert auch der Freundschaftsbegriff 2.0 nichts, den Mark Zuckerberg mit Facebook in unser Leben geschleust hat. Ob die eher privat akzentuierten Netzwerke oder die vornehmlich beruflich genutzten wie XING oder LinkedIn - es gilt Bestmarken zu setzen: ‚Viel Freund (Follower/Kontakte), viel Ehr'. Spiegelnde Oberfläche, Tiefgang ungewiss. Werbung spricht vorhandene Bedürfnisse an und befriedigt sie zielgerichtet. Sie zeigt auf, welche Produkte unerfüllte oder schlummernde Bedürfnisse bzw. Emotionen bedienen.
Nicht von ungefähr bedient sich gerade auch die sportaffine Sponsoring-Industrie des Freundschaftsmotivs." 11 Freunde müsst ihr sein" - wir leben im Jahr der frisch aufgerüschten fussballerischen Weltmeisterschaftslorbeeren. Da Marken personifiziert werden sollen, um hybride Kunden über implizite sensorische Signale zu binden, ist der Köder Freundschaft naheliegend - höchst emotional besetzt und ans Sehnsuchtspotential andockend. Vor ein paar Jahren wurde das Thema Liebe auf der Schlachtbank der Werber zerlegt und für jeden Mist missbraucht. Jetzt ist eben die Freundschaft dran: A brand like a friend."
Aus tiefster Quelle
Die tiefste Quelle für Nachhaltigkeit ist Freundschaft. Sagte der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler in seinem Grußwort zur 2. Bonner Konferenz zur Entwicklungspolitik am 27. August 2009. Und das ist es, was auch langfristige Partnerschaften ausmacht, die den Menschen Zeit geben, sich gegenseitig kennenzulernen und einander zuzuhören.
So wie es auch die Musiker Sarah Connor, Sandra Nasic, Roger Cicero, Gregor Meyle, Andreas Gabalier, Sasha und Xavier Naidoo im TV-Experiment „Sing meinen Song - Das Tauschkonzert" vorgemacht haben. Die Sendung wurde von April bis Juni 2014 von VOX ausgestrahlt und basiert auf der niederländischen Sendung The Netherlands Best Singers, die seit 2009 von TROS gezeigt wird. Die deutsche Ausgabe wurde von Schwartzkopff TV-Productions in Zusammenarbeit mit naidoo records produziert. Während vor einer traumhaften Kulisse in Südafrika eine Woche lang gedreht, gelacht und gesungen wurde, fungierte Xavier Naidoo als Gastgeber. Die sieben Popstars saßen zusammen, unterhielten sich über verschiedene Themen, und die Zuschauer spielten Mäuschen mittendrin.
Es wurden Freundschaften geschlossen, Grenzen ausgetestet und Überraschungsmomente gezeigt, die jegliches Schubladendenken außer Kraft setzten: So sangen Sarah Connor und Sandra Nasic erstmals in deutscher Sprache, Xavier Naidoos Interpretation des Songs „Amoi Seg Ma Uns Wieder" von Andreas Gabalier in steirisch war ein besonders emotionaler Moment, Roger Cicero und Gregor Meyle wechselten ebenfalls die Sprachen und sangen in Englisch.
Michael Herberger, der 1995 unter anderem mit Xavier Naidoo die Band Söhne Mannheims gründete und bis zum Ausstieg des Führungsduos im Februar 2012 leitete (zusammen führen sie die Naidoo Herberger GbR), produzierte die CD mit den Coverversionen. Seine Charakterisierung eines neuen Arrangements zeigt zugleich, was das Eigene und das Fremde in einer Freundschaft ausmacht, die auch von Überraschungen lebt, wenn man sich auf den anderen einlässt ohne sich zu verlieren: So soll eine gute Coverversion originell sein. „Aber das Original muss man noch erkennen können. Der neue Interpret sollte das so überzeugend darbieten, als wäre es von ihm selbst. In Südafrika dachten wir tatsächlich öfter mal: ‚Das müsste eigentlich sie/er als nächste Solosingle auskoppeln.'"
Die Erfahrung der Gegenseitigkeit möchte im Nachgang niemand der Musiker missen. Und wenn ein Lied ihre Lippen verlässt. „Ich liebe Überraschungen. Inspiration ist für mich Überraschung dann, wenn man etwas Besonderes entdeckt. Das ist wie ein Geschenk." Bestätigt auch Andreas Bourani, der Sänger der WM-Hymne „Auf uns" in einem Interview mit dem Magazin MADAME (August 2014). Menschen wie diese Musiker schaffen es, andere heute nicht nur für sich selbst und ihre Songs, sondern auch für die Zukunft zu begeistern - die Öffnung auf das, was kommt. Sie sollte uns dazu bringen, bereits die Gegenwart mit anderen Augen zu sehen, Entwicklungen zu reflektieren und eine lockere Distanz zu uns selbst zu entwickeln - sonst ist es schwer, in einer komplexen Welt mit Überraschungen klarzukommen.
„Ich werde nicht gerne überrascht", sagt Thomas Richard Fischer, der von 2004 bis Juli 2007 Vorstandsvorsitzender der WestLB war, in einem Interview mit Barbara Nolte und Jan Heidtmann („Die da oben. Innenansichten aus deutschen Chefetagen", 2009). Er spricht sogar von einem Hass, der sich gegen das Unerwartete richtet: „Ich war der Ansicht, dass ich, wenn ich angenehm leben will, eine Fertigkeit entwickeln muss, Risiken möglichst früh zu erkennen."
Geholfen hat ihm das nicht. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelte gegen ihn, weil er im Verdacht stand, bei verlustreichen Spekulationsgeschäften im Jahre 2007 seine Auskunftspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat verletzt zu haben. „Ja, mach nur einen Plan - sei nur ein großes Licht - und mach dann noch 'nen zweiten Plan - geh`n tun sie beide nicht." So die unbequeme Wahrheit in Bertold Brechts „Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens".
Mit dem Unvorhergesehenen haben vor allem jene kein Problem, die auch den Dingen ihre Zeit lassen, die eine gesunde Vorstellung von Wachstum haben, aber ebenso wissen, das Glück nur zu haben ist, wenn das Unvorhergesehene zugelassen wird. Für Claudia Silber bedeutet es, flexibel zu bleiben - vor allem auch geistig: „Wenn immer alles in geplanten und geregelten Bahnen läuft, wird man träge und verliert vor allem die notwendige Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Deshalb ist Unvorhergesehenes bei mir eher willkommen und wirkt auf keinen Fall abschreckend."
Die Vermessung der Nachhaltigkeit
Je unsicherer die Zukunft und je instabiler die Gesellschaft, desto stärker ist die Sehnsucht nach Verlässlichkeit und Vorhersagbarkeit ausgeprägt. Ein Beleg dafür sind unter anderem Prognosesucht und Quantifizierungswut sowie ein gewachsenes Sicherheitsbedürfnis, zu dem auch das Thema der zwanghaften Messbarkeit gehört, das der britische Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead als „Trugschluss der unangebrachten Konkretisierung" bezeichnete. Auswüchse davon sind auch in der Marktforschung zu beobachten.
Steve Jobs hielt davon nichts. Auf die Frage, inwieweit sein neues Produkt durch Marktforschung abgesichert sei, soll er einmal geantwortet haben, dass Graham Bell auch keine Marktforschung gebraucht habe, um das erste Telefon auf den Markt zu bringen. Diese Radikalität braucht es sicher nicht, denn viele Ansätze mögen auch ihre Berechtigung haben. „Allerdings sollte man deren Arbeitsergebnisse nicht zur maßgeblichen Basis der eigenen Entscheidungen machen, weil auch ihre Methoden natürliche Grenzen haben." Bemerken Christoph Giesa und Lena Schiller Clausen in ihrem wegweisenden Buch „New Business Order. Wie Start-ups Wirtschaft und Gesellschaft verändern" (2014).
Lässt sich Zukunft messen? Ist sie nicht das, was wir uns vorstellen und heute tun? Hier bietet die junge Literatur ebenfalls neue und tiefe Einblicke: Diese „Gesellschaft versicherte sich immer neurotischer gegen jedes Risiko, gegen jedes unvorhersehbare Gefühl. Und diese diffuse Ablehnung der Irrationalität war überall, wir lebten nicht mehr, wir planten alles und eigentlich war es nur die Evolution der IKEA-Werbung", schreibt Joshua Groß in seinem Debütroman „Der Trost von Telefonzellen", der 2013 bei starfruit publications Fürth erschien.
Der erste Roman des 1989 geborenen Autors widmet sich Themen wie Freundschaft und Liebe, der Suche nach Identität und Stabilität, aber auch Zweifeln an der Erwachsenenwelt und den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Ein im besten Wortsinn überraschendes Buch, das zugleich zeigt, wie sehr auch die junge Generation der Zwanzig- und Dreißigjährigen Überraschungen braucht, um sich selbst zu spüren: „Das ist wenigstens mal ein Tag, der nicht die elende Kopie eines anderen ist. Das ist wenigstens mal eine Konfrontation mit dem, was man manchmal Leben nennt. Das ist wenigstens mal eine warme Nacht, in der ein Dichter einen Tapeziertisch klaut, ein intellektueller Vagabund, ein bescheuerter Doktor, Seite an Seite mit einem bekloppten Maler, ein kaputtes Herz, ein zerstörter Verstand, und tagsüber sieht alles so normal aus..."
Wenn nie etwas Unerwartetes geschieht, geraten wir in eine Art Lähmungszustand. Sagt Claudia Silber. Unerwartete Situationen sind für sie auch mit Wachsamkeit, Spannung (ihre Abwesenheit führt nur selten zu Bestleistungen) und einem anhaltenden Interesse an der Welt verbunden. Doch was tut ein Unternehmen wie memo, um nicht in der Routine zu erstarren? Den Mitarbeitern werden viele Freiheiten gegeben, zu der auch eine größtmögliche Flexibilität gehört - „auch um Beruf und Familie individuell zu vereinbaren und sein ganz persönliches Lebensmodell zu entwickeln und zu verfolgen."
Kleine Auszeiten wie eine Runde Tischtennis oder Tischkicker werden hier nicht argwöhnisch beäugt. „Auch Witz und Humor dürfen im täglichen Leben und vor allem im Berufsalltag dabei auf keinen Fall fehlen." Das bestätigt einmal mehr den Anfangssatz von Robin Williams: Hier wird etwas gewagt. Und dadurch Zukunft gestaltet.
Messbarkeit von Nachhaltigkeitsmaßnahmen macht für das Unternehmen allerdings dann Sinn, wenn sich dadurch konkrete Maßnahmen belegen lassen, wenn ihre Glaubwürdigkeit untermauert werden soll. Diese Daten sollten auch bis zu einem bestimmten Punkt kommuniziert werden. „Solange es nachvollziehbare und glaubwürdige Daten gibt, sollten diese auch kommuniziert werden, sich aber jedoch bei bestimmten Themen, z.B. Verhaltensänderungen im Bereich nachhaltiger Konsum, mit einer emotionaleren Ansprache die Waage halten", sagt Claudia Silber.
Eine ausschließlich emotionale Vermittlung hält sie ebenso für falsch wie eine rein fachliche Vermittlung (von Daten). Hier muss ihrer Meinung nach die richtige Balance gefunden werden, um Nachhaltigkeit verständlich zu machen. Zahlen und Zielvorgaben hält sie generell für sinnvoll - in manchen Arbeitsbereichen z.B. im Vertrieb mehr als in anderen wie Marketing. "Gefährlich" wird es dann, „wenn Entscheidungen nur noch ausschließlich danach getroffen werden. Womit wir wieder beim Unvorhergesehenen sind: Wer nur nach Zahlen und Zielvorgaben arbeitet, ist nicht offen für Neues und Unerwartetes und wagt keinen Blick über den Tellerrand."
Der Markt hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass er für Überraschungen gut ist, und dass es Sinn macht, klein anzufangen und einen Blick auf nachhaltig ausgerichtete Unternehmen zu werfen, wenn man große Räder drehen möchte. Dabei immer auch offen für das Unerwartete zu sein, macht das Leben umso spannender - ist es doch das, „was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen." (John Lennon)
Alles hat er in sich aufgenommen: „Zu diesem Übermaß gehörte das Wissen, dass es zu viel Leid und zu wenig Trost auf der Welt gibt." (Peter Kümmel , DIE ZEIT, 14.8.2014). Dabei vermittelte er doch in vielen seiner Filme und Auftritte, dass die Zukunft eine Art Theater sein sollte: immer auch lustig und unkonventionell, gestaltet von mutigen und tatkräftigen Menschen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und nicht in der Routine und Selbsttäuschung erstarren, die optimistisch und engagiert sind im Trotzdem.
Dazu müssen wir „neu und besonnen über die essenziellen Entscheidungen nachdenken, die vor uns liegen und sich aus mehreren Faktoren ergeben", schreibt der US-amerikanische Politiker und Umweltschützer Al Gore in seinem Buch „Die Zukunft. Sechs Kräfte, die unsere Welt verändern", in dem er auf einen der „überraschendsten" Aspekte der Wirtschaft hinweist: die ungesunde Konzentration auf sehr kurzfristige Ziele unter Ausschluss langfristiger Zielsetzungen.
Sind unsere wirtschaftlichen Entscheidungen auf Wachstum ausgerichtet, kommt es darauf an, wie der Begriff definiert wird. „Bleiben die Auswirkungen der Umweltverschmutzung bei der Bewertung dessen, was wir als ‚Fortschritt' bezeichnen, systematisch unberücksichtigt, beachten wir sie auch nicht weiter und dürfen nicht überrascht sein, wenn unser Fortschritt mit jeder Menge Umweltverschmutzung einhergeht."
Um diese Probleme zu lösen, brauchen wir mehr Zukunftskompetenz und Aufgeschlossenheit gegenüber dem Unerwarteten und Unerwiesenen. Aber welche Begriffe behindern die Arbeit an der eigenen Zukunftskompetenz, weil sie sich an den Scheinsicherheiten vergangener Zeiten orientieren? Wie kann das Credo der Nachhaltigkeit soweit dekonstruiert werden, dass die damit einhergehenden unterschiedlichen Sehnsüchte, Erwartungen und Befindlichkeiten deutlich werden?
Braucht es eine Präzisierung, um die Spreu vom Weizen zu trennen? Wann ist Nachhaltigkeit ein Zukunftskonzept, und wann ist es ein Geschäft, fragwürdige PR, ein Ablenkungsmanöver, das uns von der zentralen Frage der Zukunftskompetenz entfernt? Warum braucht die Vermittlung von Nachhaltigkeit auch Überraschungen?
In allen gesellschaftlichen Bereichen bezeichnet der Begriff Nachhaltigkeit das, was standhält, was tragfähig ist. Inmitten der Komplexität und des ständigen Umzugs von Provisorium zu Provisorium suchen Menschen nach Konstanten, nach Stabilität, weil die Gesellschaft immer instabiler wird. Stabilitätsfaktoren sind heute Familie, Freunde, Heimat, weil sie Möglichkeiten zum Rückzug und identitätsstiftende Momente bieten. Vielleicht sind diese Stabilitätsanker Versuche, wieder Sicherheit und Geborgenheit zu gewinnen, sich an bewährten Mustern festzuhalten, um sich nicht zu verlieren.
Nähe, Emotionen und direkte Begegnungen machen eine Gemeinschaft aus, deren Mitglieder enger zusammenrücken, wenn die Zeiten unsicherer werden. Der Mensch lebt in großen Teilen davon, dass er hier „anerkannt, vielleicht sogar beliebt ist. Das zu leisten, ist nicht nur Kopfsache. Warum ist der Mensch Mensch? Weil er eine Seele hat, sie selber spürt, schützen will und anderen gleiches gönnt", sagt der Liedermacher Rolf Zuckowski, für den heute besonders Einfühlsamkeit gefragt ist, „die Gabe, Worte für das zu finden, was auch andere denken. Unverzichtbar für Erfolg und nachhaltige Wirkung ist ein Kern des Eigenen, wo immer das herkommen mag." Familie, gute Ratgeber und wahre Freunde sind ihm dabei richtige Wegbegleiter.
Lass dich überraschen
Schnell kann es geschehn. Die Werbung hat das Freundschaftsthema längst für sich entdeckt: „Guten Freunden gibt man ein Küsschen." (Ferrero), "Auf die Freundschaft." (Holsten Pilsener), „Für eine gesunde Freundschaft." (Mera Dogs), „Da hört die Freundschaft auf." (Choco Crossies), „Freundschaft erfahren." (Daihatsu), „Freundschaft verbindet!" (Medical Friends).
Holsten zeigte zum Beispiel, dass es Freunde mit "Ecken", "Kanten" und großem Durst braucht, um das Feierabendbier zu genießen - eine Kampagne im Frühjahr 2014 stellte das Holsten Pilsener als "offizielles Feierabendbier" vor. Im Frühjahr 2014 wurde auf das Motto gesetzt:„ Wir gucken Fußball" - „ohne Schnickschnack, sondern in entspannter Atmosphäre, mit guten Freunden und bester Sicht auf das Spiel". Bereits 2012 suchte Bitburger nach Gemeinschaftsmomenten außerhalb des Fußballstadions und bediente sich der bewährten „Wenn"-Mechanik: „Wenn aus Herrn Weber Sebastian wird" oder „Wenn aus Nachbarschaft Freundschaft wird".
Der Spot zeigte Feierabendsituationen mit Kollegen, die Grillparty oder das Nachbarschaftstreffen, die mit Bitburger zu „unvergesslichen Gemeinschaftserlebnissen" werden. Das Thema Gemeinschaft (Geselligkeit, Lebensfreude und Genuss) sollte als ein wesentlicher Eckpunkt der Marke wahrgenommen werden.
Ebenfalls 2012 startete die Markenkampagne von Jägermeister: „Wer, wenn nicht wir". Der Spot erzählte drei kurze Geschichten, die alle in einer großen enden: in der Geschichte von Freundschaft, einer innigen Gemeinschaft mit tiefer Verbundenheit. Ziel der Marketingstrategen war es, der Marke mehr Wertigkeit und Tiefe zu geben - jenseits des lauten Partygedöns, auf das Jägermeister oft reduziert wurde. Markenwurzel ist auch hier das Wissen um die Gemeinschaft.
Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der memo AG schätzt Werbung sehr, die unerwartet ist und sie positiv überrascht: „Gerade in Zeiten, in denen wir mit Werbung überflutet werden, erregt bei mir der Spot oder die Anzeige Aufmerksamkeit, wo sich wirklich Gedanken über die Zielgruppe, die Marke und das Produkt gemacht wurde. Das hat dann auch etwas mit Wertschätzung zu tun, sofern es sich nicht um falsche Produktversprechen handelt." Für memo sind die Kunden deshalb etwas Besonderes, weil sie die wichtigsten Stakeholder des Unternehmens sind: „Sie kaufen die von uns ausgesuchten Produkte und geben uns dazu oft Feedback, das wir ernst nehmen. Dadurch entsteht ein wertvoller Dialog, den wir in Zukunft noch ausbauen möchten. Und daran merken wir natürlich auch, dass unsere Kunden Anteil nehmen und die gekauften Produkte durchaus wertschätzen."
Wertschätzung hat für sie viel mit dem Thema Qualität zu tun: „Wenn eine Sache oder auch eine Beziehung (Freundschaft) Qualität hat, schätze ich diese aufgrund ihrer Stabilität sehr viel mehr als ein ‚Wegwerfprodukt' oder eine lose Bekanntschaft - und pflege diese auch mehr", sagt die Kommunikationsexpertin. Mit Freundschaft wirbt das Unternehmen nicht - vielmehr stehen Kompetenz, Beratung und Kundenservice im Mittelpunkt des Kerngeschäfts. Die Verantwortlichen sind sich dabei durchaus bewusst, dass Nachhaltigkeit und nachhaltiger Konsum auch Spaß machen darf und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger verbunden sein sollte. Das kann durchaus so weit gehen, dass sie sich als "Ökos" auch schon mal auf die Schippe nehmen. Auch das gehört zu Überraschungsmomenten der Freundschaft, die keine Kampagne braucht.
Das übernehmen andere: So verzichtete Coca-Cola im Juni 2013 auf seinen Schriftzug auf den Flaschen. Anlässlich der Freundschaftskampagne wurde der legendäre Coke-Schriftzug durch rund 150 verschiedene Vornamen und Begriffe aus dem Jugendwortschatz ersetzt. In Verbindung mit der Aufforderung „Trink ne Coke mit ..." wollte Coca-Cola zum gemeinsamen Genießen und Teilen animieren - und damit selbst zum Symbol für Freundschaft werden. Ferrero ruft im Internet dazu auf, seine eigene Regel zu schreiben: „Teile deine eigene Freundschaftsregel, indem du auf den Button klickst, deine Regel in das erscheinende Textfeld einträgst und ein Bild dazu hochlädst."
All diese Ansätze sollen eines vermitteln: Teil von etwas Größerem und authentisch zu sein - echt und eben nicht „gefälscht" Doch leider sind das die meisten Geschichten, die in der Werbewelt vermittelt werden, gerade nicht. „Oder glauben Sie wirklich, die Ferrero Küsschen Clique ist im echten Leben befreundet und findet es super, sich mit Süßwaren zu füttern?" Fragt Britta Poetzsch, Head of Lifestyle der Agenturgruppe Serviceplan am 21. August 2014 im Handelsblatt.
Der Freundschaftsbegriff und das Marketingmotiv der Freundschaft „boomen deshalb, weil der Vertrauensverlust in unserer Gesellschaft Höchstmarken erreicht hat", sagt der Kommunikations- und Nachhaltigkeitsexperte Klaus Stallbaum aus Bergisch Gladbach: „In einer Touch-and-Go-Welt, in der ‚jeder' nur sein eigenes Scherflein ins Trockene bringen will oder seinen Narzissmus spazieren führt, ist wahre Freundschaft ein Mangelgut geworden.
Daran ändert auch der Freundschaftsbegriff 2.0 nichts, den Mark Zuckerberg mit Facebook in unser Leben geschleust hat. Ob die eher privat akzentuierten Netzwerke oder die vornehmlich beruflich genutzten wie XING oder LinkedIn - es gilt Bestmarken zu setzen: ‚Viel Freund (Follower/Kontakte), viel Ehr'. Spiegelnde Oberfläche, Tiefgang ungewiss. Werbung spricht vorhandene Bedürfnisse an und befriedigt sie zielgerichtet. Sie zeigt auf, welche Produkte unerfüllte oder schlummernde Bedürfnisse bzw. Emotionen bedienen.
Nicht von ungefähr bedient sich gerade auch die sportaffine Sponsoring-Industrie des Freundschaftsmotivs." 11 Freunde müsst ihr sein" - wir leben im Jahr der frisch aufgerüschten fussballerischen Weltmeisterschaftslorbeeren. Da Marken personifiziert werden sollen, um hybride Kunden über implizite sensorische Signale zu binden, ist der Köder Freundschaft naheliegend - höchst emotional besetzt und ans Sehnsuchtspotential andockend. Vor ein paar Jahren wurde das Thema Liebe auf der Schlachtbank der Werber zerlegt und für jeden Mist missbraucht. Jetzt ist eben die Freundschaft dran: A brand like a friend."
Aus tiefster Quelle
Die tiefste Quelle für Nachhaltigkeit ist Freundschaft. Sagte der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler in seinem Grußwort zur 2. Bonner Konferenz zur Entwicklungspolitik am 27. August 2009. Und das ist es, was auch langfristige Partnerschaften ausmacht, die den Menschen Zeit geben, sich gegenseitig kennenzulernen und einander zuzuhören.
So wie es auch die Musiker Sarah Connor, Sandra Nasic, Roger Cicero, Gregor Meyle, Andreas Gabalier, Sasha und Xavier Naidoo im TV-Experiment „Sing meinen Song - Das Tauschkonzert" vorgemacht haben. Die Sendung wurde von April bis Juni 2014 von VOX ausgestrahlt und basiert auf der niederländischen Sendung The Netherlands Best Singers, die seit 2009 von TROS gezeigt wird. Die deutsche Ausgabe wurde von Schwartzkopff TV-Productions in Zusammenarbeit mit naidoo records produziert. Während vor einer traumhaften Kulisse in Südafrika eine Woche lang gedreht, gelacht und gesungen wurde, fungierte Xavier Naidoo als Gastgeber. Die sieben Popstars saßen zusammen, unterhielten sich über verschiedene Themen, und die Zuschauer spielten Mäuschen mittendrin.
Es wurden Freundschaften geschlossen, Grenzen ausgetestet und Überraschungsmomente gezeigt, die jegliches Schubladendenken außer Kraft setzten: So sangen Sarah Connor und Sandra Nasic erstmals in deutscher Sprache, Xavier Naidoos Interpretation des Songs „Amoi Seg Ma Uns Wieder" von Andreas Gabalier in steirisch war ein besonders emotionaler Moment, Roger Cicero und Gregor Meyle wechselten ebenfalls die Sprachen und sangen in Englisch.
Michael Herberger, der 1995 unter anderem mit Xavier Naidoo die Band Söhne Mannheims gründete und bis zum Ausstieg des Führungsduos im Februar 2012 leitete (zusammen führen sie die Naidoo Herberger GbR), produzierte die CD mit den Coverversionen. Seine Charakterisierung eines neuen Arrangements zeigt zugleich, was das Eigene und das Fremde in einer Freundschaft ausmacht, die auch von Überraschungen lebt, wenn man sich auf den anderen einlässt ohne sich zu verlieren: So soll eine gute Coverversion originell sein. „Aber das Original muss man noch erkennen können. Der neue Interpret sollte das so überzeugend darbieten, als wäre es von ihm selbst. In Südafrika dachten wir tatsächlich öfter mal: ‚Das müsste eigentlich sie/er als nächste Solosingle auskoppeln.'"
Die Erfahrung der Gegenseitigkeit möchte im Nachgang niemand der Musiker missen. Und wenn ein Lied ihre Lippen verlässt. „Ich liebe Überraschungen. Inspiration ist für mich Überraschung dann, wenn man etwas Besonderes entdeckt. Das ist wie ein Geschenk." Bestätigt auch Andreas Bourani, der Sänger der WM-Hymne „Auf uns" in einem Interview mit dem Magazin MADAME (August 2014). Menschen wie diese Musiker schaffen es, andere heute nicht nur für sich selbst und ihre Songs, sondern auch für die Zukunft zu begeistern - die Öffnung auf das, was kommt. Sie sollte uns dazu bringen, bereits die Gegenwart mit anderen Augen zu sehen, Entwicklungen zu reflektieren und eine lockere Distanz zu uns selbst zu entwickeln - sonst ist es schwer, in einer komplexen Welt mit Überraschungen klarzukommen.
„Ich werde nicht gerne überrascht", sagt Thomas Richard Fischer, der von 2004 bis Juli 2007 Vorstandsvorsitzender der WestLB war, in einem Interview mit Barbara Nolte und Jan Heidtmann („Die da oben. Innenansichten aus deutschen Chefetagen", 2009). Er spricht sogar von einem Hass, der sich gegen das Unerwartete richtet: „Ich war der Ansicht, dass ich, wenn ich angenehm leben will, eine Fertigkeit entwickeln muss, Risiken möglichst früh zu erkennen."
Geholfen hat ihm das nicht. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelte gegen ihn, weil er im Verdacht stand, bei verlustreichen Spekulationsgeschäften im Jahre 2007 seine Auskunftspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat verletzt zu haben. „Ja, mach nur einen Plan - sei nur ein großes Licht - und mach dann noch 'nen zweiten Plan - geh`n tun sie beide nicht." So die unbequeme Wahrheit in Bertold Brechts „Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens".
Mit dem Unvorhergesehenen haben vor allem jene kein Problem, die auch den Dingen ihre Zeit lassen, die eine gesunde Vorstellung von Wachstum haben, aber ebenso wissen, das Glück nur zu haben ist, wenn das Unvorhergesehene zugelassen wird. Für Claudia Silber bedeutet es, flexibel zu bleiben - vor allem auch geistig: „Wenn immer alles in geplanten und geregelten Bahnen läuft, wird man träge und verliert vor allem die notwendige Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Deshalb ist Unvorhergesehenes bei mir eher willkommen und wirkt auf keinen Fall abschreckend."
Die Vermessung der Nachhaltigkeit
Je unsicherer die Zukunft und je instabiler die Gesellschaft, desto stärker ist die Sehnsucht nach Verlässlichkeit und Vorhersagbarkeit ausgeprägt. Ein Beleg dafür sind unter anderem Prognosesucht und Quantifizierungswut sowie ein gewachsenes Sicherheitsbedürfnis, zu dem auch das Thema der zwanghaften Messbarkeit gehört, das der britische Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead als „Trugschluss der unangebrachten Konkretisierung" bezeichnete. Auswüchse davon sind auch in der Marktforschung zu beobachten.
Steve Jobs hielt davon nichts. Auf die Frage, inwieweit sein neues Produkt durch Marktforschung abgesichert sei, soll er einmal geantwortet haben, dass Graham Bell auch keine Marktforschung gebraucht habe, um das erste Telefon auf den Markt zu bringen. Diese Radikalität braucht es sicher nicht, denn viele Ansätze mögen auch ihre Berechtigung haben. „Allerdings sollte man deren Arbeitsergebnisse nicht zur maßgeblichen Basis der eigenen Entscheidungen machen, weil auch ihre Methoden natürliche Grenzen haben." Bemerken Christoph Giesa und Lena Schiller Clausen in ihrem wegweisenden Buch „New Business Order. Wie Start-ups Wirtschaft und Gesellschaft verändern" (2014).
Lässt sich Zukunft messen? Ist sie nicht das, was wir uns vorstellen und heute tun? Hier bietet die junge Literatur ebenfalls neue und tiefe Einblicke: Diese „Gesellschaft versicherte sich immer neurotischer gegen jedes Risiko, gegen jedes unvorhersehbare Gefühl. Und diese diffuse Ablehnung der Irrationalität war überall, wir lebten nicht mehr, wir planten alles und eigentlich war es nur die Evolution der IKEA-Werbung", schreibt Joshua Groß in seinem Debütroman „Der Trost von Telefonzellen", der 2013 bei starfruit publications Fürth erschien.
Der erste Roman des 1989 geborenen Autors widmet sich Themen wie Freundschaft und Liebe, der Suche nach Identität und Stabilität, aber auch Zweifeln an der Erwachsenenwelt und den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Ein im besten Wortsinn überraschendes Buch, das zugleich zeigt, wie sehr auch die junge Generation der Zwanzig- und Dreißigjährigen Überraschungen braucht, um sich selbst zu spüren: „Das ist wenigstens mal ein Tag, der nicht die elende Kopie eines anderen ist. Das ist wenigstens mal eine Konfrontation mit dem, was man manchmal Leben nennt. Das ist wenigstens mal eine warme Nacht, in der ein Dichter einen Tapeziertisch klaut, ein intellektueller Vagabund, ein bescheuerter Doktor, Seite an Seite mit einem bekloppten Maler, ein kaputtes Herz, ein zerstörter Verstand, und tagsüber sieht alles so normal aus..."
Wenn nie etwas Unerwartetes geschieht, geraten wir in eine Art Lähmungszustand. Sagt Claudia Silber. Unerwartete Situationen sind für sie auch mit Wachsamkeit, Spannung (ihre Abwesenheit führt nur selten zu Bestleistungen) und einem anhaltenden Interesse an der Welt verbunden. Doch was tut ein Unternehmen wie memo, um nicht in der Routine zu erstarren? Den Mitarbeitern werden viele Freiheiten gegeben, zu der auch eine größtmögliche Flexibilität gehört - „auch um Beruf und Familie individuell zu vereinbaren und sein ganz persönliches Lebensmodell zu entwickeln und zu verfolgen."
Kleine Auszeiten wie eine Runde Tischtennis oder Tischkicker werden hier nicht argwöhnisch beäugt. „Auch Witz und Humor dürfen im täglichen Leben und vor allem im Berufsalltag dabei auf keinen Fall fehlen." Das bestätigt einmal mehr den Anfangssatz von Robin Williams: Hier wird etwas gewagt. Und dadurch Zukunft gestaltet.
Messbarkeit von Nachhaltigkeitsmaßnahmen macht für das Unternehmen allerdings dann Sinn, wenn sich dadurch konkrete Maßnahmen belegen lassen, wenn ihre Glaubwürdigkeit untermauert werden soll. Diese Daten sollten auch bis zu einem bestimmten Punkt kommuniziert werden. „Solange es nachvollziehbare und glaubwürdige Daten gibt, sollten diese auch kommuniziert werden, sich aber jedoch bei bestimmten Themen, z.B. Verhaltensänderungen im Bereich nachhaltiger Konsum, mit einer emotionaleren Ansprache die Waage halten", sagt Claudia Silber.
Eine ausschließlich emotionale Vermittlung hält sie ebenso für falsch wie eine rein fachliche Vermittlung (von Daten). Hier muss ihrer Meinung nach die richtige Balance gefunden werden, um Nachhaltigkeit verständlich zu machen. Zahlen und Zielvorgaben hält sie generell für sinnvoll - in manchen Arbeitsbereichen z.B. im Vertrieb mehr als in anderen wie Marketing. "Gefährlich" wird es dann, „wenn Entscheidungen nur noch ausschließlich danach getroffen werden. Womit wir wieder beim Unvorhergesehenen sind: Wer nur nach Zahlen und Zielvorgaben arbeitet, ist nicht offen für Neues und Unerwartetes und wagt keinen Blick über den Tellerrand."
Der Markt hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass er für Überraschungen gut ist, und dass es Sinn macht, klein anzufangen und einen Blick auf nachhaltig ausgerichtete Unternehmen zu werfen, wenn man große Räder drehen möchte. Dabei immer auch offen für das Unerwartete zu sein, macht das Leben umso spannender - ist es doch das, „was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen." (John Lennon)