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Literatur: Warum man "Klassiker" lesen sollte

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Um etwaigen Missverständnissen gleich vorzubeugen: ‚Klassiker' meint hier nicht Werke einer bestimmten Epoche, ‚Klassiker' meint hier dicke Wälzer, von denen wir glauben - weil wir es oft genug gehört haben - dass man sie einfach gelesen haben muss, wenn man als Frau oder Mann von Kultur gelten will.

Lesen sollte man solche ‚Klassiker', jedenfalls einige - nein, ich weiss auch nicht welche, denn Bücherlesen ist ja so subjektiv, man muss es selber rausfinden - , weil wir darin häufig Gefühle und Gedanken ausgedrückt finden, die uns klarmachen, dass unsere Gedanken- und Gefühlswelt keineswegs so einzigartig und neu ist, wie wir das möglicherweise gerne annehmen würden, dass all das, was heutzutage gefühlt und gedacht, schon lange vor unserer Zeit gefühlt und gedacht worden ist, und dass sich dessen bewusst zu werden hilfreich ist, weil es einem erlaubt, eine realistischere Einschätzung der Welt, und von sich selber, zu bekommen. So man denn will. Hier ein paar Beispiele:

„Oh, dieses Gerede über die Ehrlichkeit," schrie er, „als wenn's die einzige Tugend wäre! Und dabei diese Hochachtung, dieser kriegerische Respekt gerade vor einem Menschen, von dem alle Welt weiss, dass er sein Vermögen verdoppelt und verdreifacht hat, seitdem er das Armengut verwaltet! Ich möchte wetten, dass er sich auch noch an den Geldern bereichert, die für die armen Findelkinder da sind, diese Ärmsten der Armen."
Stendhal: Rot und Schwarz

Die Verschärfung des Krieges in Vietnam hat in den letzten beiden Jahren in den U.S.A. mehr als eine Million Arbeitsplätze geschaffen, in fast allen Industriezweigen (ausgenommen Schiffswerften und Neubauten), fast ein Viertel des natürlichen Zuwachses an Arbeitsmöglichkeiten.
Uwe Johnson: Jahrestage

Die Angst vor Demütigung und die Sehnsucht, gedemütigt zu werden, sind eng miteinander verknüpft: Psychologen wissen das, russische Romanciers wissen das. Und es ist nicht nur ‚wahr', sondern wirklich wahr. Wahr auf der molekularen Ebene.
Jonathan Franzen: Die Korrekturen

... die Mieter zogen sich, einer nach dem anderen, zur Tür zurück, mit dem eigentümlichen Gefühl der Befriedigung, das sich stets, sogar bei den Allernächsten, bemerkbar macht, wenn einen ihrer Mitmenschen ein Unglück trifft. Von diesem Gefühl ist kein Mensch frei, kein einziger, ohne jede Ausnahme, mag er auch noch so aufrichtiges Mitleid und aufrichtige Teilnahme empfinden.
Fjodor M. Dostojewski: Rodion Raskolnikoff. Schuld und Sühne

Es fing damit an, dass in den Meldungen über Empfänge und Bankette die Formel ‚Der Empfang fand in einer ausserordentlich warmen und freundschaftlichen Atmosphäre statt' abgeändert wurde. Zuerst nahm man das Adverb ‚ausserordentlich' heraus, dann musste das Epitheton ‚warm' weichen, und schliesslich wurde der ganze Schluss der Nachricht ausgetauscht. Er hiess nun: ‚Während des Empfangs lächelten die Anwesenden einander zu.
Ismail Kadaré: Konzert am Ende des Winters

In der grossen Halle liefen Minister und Diplomaten umher, diskutierten mit ernsthafter Miene, blickten kompetent drein, waren von der Bedeutung ihrer schnell vergänglichen Ameisengeschäftigkeit und auch von der eigenen Bedeutung überzeugt, tauschten tiefsinnig nutzlose Ansichten aus, stolzierten komisch feierlich und imposant einher, lächelten dann plötzlich wieder und spielten die Liebenswürdigen. Von Machtverhältnissen diktierte Höflichkeit, Perückenlächeln, Freundlichkeiten und grausame Falten um die Mundwinkel, durch edle Gesten getarnter Ehrgeiz, Berechnungen und Manöver, Schmeicheleien und Misstrauen, Komplizitäten und Komplotte all dieser Sterbenden von morgen oder übermorgen.
Albert Cohen: Die Schöne des Herrn

Und? Lust auf ‚Klassiker' bekommen ?

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