Die unvergesslichen Glücksmomente, die Freude und Euphorie über den Weltmeistertitel haben uns ein neues Sommermärchen geschenkt, das noch lange nachwirken wird. Ein solches Fußballereignis ist aber nicht nur mit besonderen emotionalen Erlebnissen verbunden, sondern bietet auch die Möglichkeit, mehr aus den schönen Momenten zu machen, die dazu beitragen können, aufmerksamer zu werden, denn „Wir sehen immer nur / Die Spitze des Eisbergs, immer nur den Zipfel der ganzen Wirklichkeit", wie es in einem Song von Rolf Zuckowski heißt: „Doch wer erkennt das ganze Spiel / Und wer bezahlt den Preis?"
Wer sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt, möchte kein Spielverderber sein, sondern teilhaben am Gesamtprozess des Spiels - dazu gehört auch, unter die Spitze des Eisbergs zu sehen und Handlungen zu hinterfragen. Ja, wer eine Weltmeisterschaft gewinnt, ist durchaus nachhaltig. Der DFB betont zu Recht, dass der Titelgewinn das Ergebnis einer jahrelangen Aufbauarbeit im Bereich der Talentförderung ist. Was vor zehn Jahren gesät wurde, ist heute mit Erfolg aufgegangen. Aber wie sieht es mit der Nachhaltigkeit „darunter" aus? Wie ist das Thema in der Gesamtorganisation verortet? Wo kommt es zu Konflikten zwischen Hauptamt und Ehrenamt? Wo ist eine Organisation nur wirtschaftlich ausgerichtet, passt sich der neuen Zeit an, und wo hinkt sie mit ihren konservativen Strukturen Entwicklungen hinterher?
Am 24. Juni 2014 erschien das Interview von Susanne Blech mit mir unter dem Titel „Warum Nachhaltigkeit im Fußball keine ‚Zentralverwaltung' braucht" im Onlinemagazin „Nachhaltigkeit im Fußball", das sich für mehr ökologisches und soziales Engagement im Profifußball und in der Bundesliga einsetzt. Der Gründer Pierre Schramm gehört zu den Digital Natives der ersten Stunde: Mit Commodore 64 und BASIC aufgewachsen, lebt er seit Mitte der 90er Jahre digital. Relevante Entwicklungen in den Neuen Medien und der digitalen Kommunikation treibt er seit diesem Zeitpunkt kontinuierlich voran. Internetpioniere wie Jobpilot.de und Medienhäuser wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung profitierten von und mit seiner Expertise. Er versteht sich als Intermediär zwischen den digitalen Medien und der klassischen Kommunikation. Die Grundaussagen und Fragestellungen im Interview seines Onlinemagazins sind auch nach dem Titelgewinn von Relevanz - vielleicht umso mehr, denn erst im Erfolg zeigt sich das wahre Gesicht eines Menschen und einer Organisation.
Warum Nachhaltigkeit keine „Zentralverwaltung" braucht
_ SKA-Network: Frau Dr. Hildebrandt, Sie waren als Nachhaltigkeitsexpertin und Wirtschaftspsychologin von 2010 bis 2013 Mitglied der DFB-Nachhaltigkeitskommission, die zum DFB-Bundestag 2013 aufgelöst wurde. Das Thema Nachhaltigkeit scheint bisher im Sportmanagement nicht allzu populär zu sein. Warum sollte sich ein Sportverband wie der DFB mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen?
Weil Nachhaltigkeit eine Organisation im Innersten zusammenhält - es ist ihre Verantwortung und Aufgabe, alle Einheiten, die sie prägen, zu stärken und zukunftsfähig zu machen, da sich das System sonst überlebt. Es bleibt nur dann stabil, wenn sich verfestigte Strukturen öffnen, um neue Gedanken und frisches Leben einzulassen, wenn die dringenden Fragen und Aufgaben der Gegenwart gespürt und angenommen werden - verbunden mit dem Mut, auch einmal neue Wege zu gehen. Wer das nicht erkennt und Nachhaltigkeit als sozialen oder ökologischen Nebenstrang einer Organisation verortet, der „neben", aber nicht „im" Kerngeschäft existiert, der wirtschaftliche und kulturelle Faktoren vernachlässigt, verrät dadurch nur seine eigene Unsicherheit und sein Unvermögen, eine lebendige und moderne Organisation zu führen. Zukunft braucht Weite und Aufgeschlossenheit - Nachhaltigkeit ist der Weg dorthin. „Fußball ist Zukunft" lautet der Titel des ersten DFB-Nachhaltigkeitsberichts - aber es kommt eben auch darauf an, sie so zu gestalten, dass sie nicht erstarrt, weil ihre Macher schon in der Gegenwart ihre Anfänge zudecken, so dass am Ende alles beim Alten bleibt.
_ SKA-Network: Hat dies auch mit einem einseitigen Verständnis von Nachhaltigkeit zu tun?
Ja, um das zu erklären, genügt ein Blick in die aktuellen DFB-Publikationen. So heißt es in einer Ausgabe von „DFB-aktuell" vom Juni 2014 unter der Rubrik „Nachhaltigkeit": „Soziale Verantwortung gehört zum DFB". In jeder Zeile geht es um Projekte, um Gelder, die in die Stiftungsarbeit des Verbandes fließen und wofür sie ausgegeben werden. Dazu Zitate von Prominenten zur „integrativen Funktion des Fußballs in den unterschiedlichsten Projekten". Wird das wirklich gern und mit Interesse gelesen? Sind Fotos von Relevanz, auf denen die X-ste Scheckübergabe zu sehen ist? Lösen sie etwas aus? Wohl kaum. Sie zeigen: Wir tun etwas, was auch gut und richtig ist, aber die Art der Kommunikation wirkt kraftlos. Wird das Thema Nachhaltigkeit einseitig auf soziales Engagement reduziert, nimmt es Schaden, weil ihm Bedeutung genommen wird.
_ SKA-Network: Was fehlt?
Die Darstellung von Prozessen des Kerngeschäfts und die Erkenntnis, dass es eine Führungs- und Managementaufgabe ist und das Wirtschaftsunternehmen DFB gleichermaßen betrifft wie den gemeinnützigen Verband. Zuweilen fehlt auch der Mangel an Selbstkritik, die beispielsweise als Tiefen neben den Höhen in einem Nachhaltigkeitsbericht zu finden sein sollten. Im DFB-Bericht wird beispielsweise nur die oberflächliche Projektebene gezeigt, die nicht fallen kann, weil es ja keine Tiefen gibt. Zudem kann sich eine moderne nachhaltige Organisation nur entwickeln, wenn das Handeln hier nicht durch Protokolle, Regularien und Anordnungen determiniert ist. Gewiss geht es nicht ohne, aber ein gestaltbares Maß organisatorischen Spielraums sollte zumindest gewährleistet sein.
_ SKA-Network: Mit der Einberufung und der Auflösung der DFB-Nachhaltigkeitskommission hat der DFB zwei Zeichen gesetzt. Sind es Zeichen mit unterschiedlichem Vorzeichen? Wie kam es zu dieser scheinbar gegenläufigen Entwicklung, und welche Entscheidungen waren hier maßgebend?
Diese Frage sollten die Verantwortlichen des DFB beantworten.
_ SKA-Network: Sie sehen die Auflösung der Kommission nach nur zwei Jahren kritisch und geben nun u. a das Buch "CSR und Sportmanagement" mit Schwerpunktthema Fußball heraus. Mit welchen Zielen wurde die Kommissionsarbeit 2011 aufgenommen, was konnte davon erreicht werden und in welchen Bereichen sehen Sie weiteren Handlungsbedarf?
Der DFB-Bundestag fasste im Oktober 2010 den Beschluss zur Einrichtung der Kommission Nachhaltigkeit. Die Mitglieder des Gremiums kamen aus verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens wie der Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Kultur und dem DFB-Hauptamt. Der Kommission gehörten u.a. Claudia Roth, Tanja Walther-Ahrens oder Teresa Enke an. Diese heterogene Zusammensetzung gewährleistete, dass neue Denkansätze entwickelt und Herausforderungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wurden. Bei der Zusammenarbeit ging es darum, DFB-Aufgabenfelder zu überprüfen sowie Nachhaltigkeitspotenziale zu identifizieren und Kernbereiche herauszufiltern, die auf Dauer Substanz haben, denn der Fußball und insbesondere der Profifußball bilden ein öffentliches und mediales Massenphänomen. Vor allem aber stand ein übergreifender Austausch im Mittelpunkt, der die Komplexität des Nachhaltigkeitsthemas erstmals unter einem gemeinsamen Dach bündelte. Da sich die öffentliche Diskussion zumeist auf das Thema „Gesellschaftliches Engagement" richtete, war es ein besonderes Anliegen zu zeigen, dass diese Fokussierung das Verständnis von Nachhaltigkeit im Fußball verkürzt. Dem ehemaligen DFB-Präsidenten Dr. Theo Zwanziger war es ein zentrales Anliegen, dass durch die Kommissionsmitglieder auch externe Sichten in den Prozess eingebracht werden. Die DFB-Kommission Nachhaltigkeit hatte zu Beginn das Potenzial einer großen Hebelwirkung, die allerdings nach dem Präsidiumswechsel nachließ. Um dem Thema die entsprechende Relevanz zu geben, hätte es zur obersten Führungsaufgabe erklärt werden müssen. Der fachliche Dialog mit den Kommissionsmitgliedern und Abteilungsvertretern wäre dann ein wichtiger Schritt zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des Themas im Verband gewesen, in dem Dimensionen der Nachhaltigkeit definiert, aber keine Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet wurde.
_ Wie wird die Arbeit der Kommission fortgesetzt?
Beim DFB-Bundestag im Oktober 2013 wurde die Kommission Nachhaltigkeit durch eine neue ersetzt mit der offiziellen Begründung, dass die „Interessen" besser gebündelt werden müssen. Der Begriff „Nachhaltigkeit" ist hier nicht zu finden. Das gilt auch für die Themen Anti-Korruption, Umwelt, Gesundheit oder Bildung. Ein Verbandsargument kann sein, dass diese Schwerpunkte nun in einzelnen Arbeitsgruppen „abgehandelt" werden - aber genau das machte das Besondere und die anfängliche Stärke der Kommission aus: dass hier Themen zusammengeführt wurden und sich Menschen übergreifend austauschen konnten. Ein solcher Ansatz führt dazu, dass Möglichkeitsbewusstsein entwickelt werden kann, um das bislang Regelhafte auch einmal zu überschreiten. Übergreifende Transparenz erzeugt allerdings auch Unsicherheit in einer „Zentralverwaltung" - im Gegensatz zu Nachhaltigkeit findet sich dieser Begriff übrigens auf der DFB-Website. Wo immer zentral „verwaltet" wird, ist es schwer zu gestalten. Schade, denn wenn sich eine Organisation weiterentwickeln will, müssten ihre Akteure in Beziehungen denken und in Beziehungsfähigkeit investieren, einander ermutigen und inspirieren.
In einem Interview auf mdr.de vom 6. Juni 2014 wird der Vorsitzende der neuen Kommission, Stephan Osnabrügge, zitiert: "Was man Wolfgang Niersbach nachsagt, dass er das Thema Gesellschaftliche Verantwortung nicht ernst nehme und sich nur aufs Kerngeschäft konzentriere, ist nicht wahr. Er hat einfach ein anderes Führungsverständnis als Theo Zwanziger und bearbeitet die Dinge im Hintergrund. Und wenn man so auch die Öffentlichkeit weniger sucht, dann wird man auch weniger wahrgenommen." Das ist sehr unkonkret. Wer ist „man"? Und was ist das Führungsverständnis von Wolfgang Niersbach? Auch geht es nicht darum, Dinge zu „bearbeiten", sondern zu gestalten und zu erneuern. Auch in diesem Zitat zeigt sich einmal mehr, dass Nachhaltigkeit nicht verstanden wurde: Sie IST das Kerngeschäft. Und wer in einer solchen Position Verantwortung hat, ist auch verpflichtet, aus dem Hintergrund herauszutreten und klar Stellung zu beziehen.
Im gleichen Interview sagt Stephan Osnabrügge, dass der Verband viel tut. So hat es im Mai ein Arbeitstreffen gegeben. Die Vorsitzenden der Landes- und Regionalverbände hätten dort diskutiert, wie sie sich gegen Homophobie positionieren... Seine Antwort ist ein Beispiel dafür, wie der Verband mit vielen Themen umgeht: Es wird betont, dass mit Thomas Hitzlsperger Gespräche geführt wurden und er bereit ist, den DFB in seinen Bemühungen zu unterstützen. Hier das Zitat: „Das kann zum Beispiel heißen, dass, wenn wir Projekte vorstellen und dafür eine Podiumsdiskussionen haben, dass er dann anwesend ist. Oder dass Thomas Hitzlsperger uns Videobotschaften zur Verfügung stellt, auch das hat er zugesagt." Um diese Kleinteiligkeit auf Projektebene geht es aber nicht, sondern um Prozesse. Schildchen hochhalten und Videobotschaften zu versenden reicht nicht. Tanja Walther-Ahrens, die im gleichen Beitrag zitiert ist, bringt es auf den Punkt und zeigt, wie das Thema in die Prozessebene kommen könnte: "Es muss auf vielen Ebenen auf den Tisch kommen, immer wieder. Ich muss mir beim F-Jugendtraining genauso im Klaren darüber sein, wie ich mit den Spielern umgehe, wie ich das im Profifußball in den Fankurven mache. Man kann das aber auch einfach mal vorantreiben, in dem man beispielsweise im VIP-Bereich die Hostessen durch Drag-Queens ersetze." Die Verantwortung allein auf die Fans zu schieben, so wie es Wolfgang Niersbach bekundete, sei nach ihrer Ansicht falsch.
_ SKA-Network: Welche Rolle spielte der damalige DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger?
Er hat diese Kommission nicht nur angeregt, sondern die offenen Strukturen und neuen Inhalte auch maßgeblich gefördert. Unter seinem Engagement gab es keine Herzensträgheit und kein Dribbeln um Probleme - sie wurden offen angesprochen und im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten gelöst. Nach seinem Ausscheiden verlor die Kommission an Unterstützung und Kraft, was vor allem dazu führte, dass die Externen in der Kommission nun allein gelassen bzw. nicht mehr ernst genommen wurden. Das zeigt sich etwa am Beispiel der ehemaligen Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens, Delegierte der European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF) und seit 2013 Präsidialmitglied des Berliner Fußball-Verband. Die diplomierte Sportwissenschaftlerin und Sonderpädagogin wollte den Verband sensibilisieren: Schon der Fußball-Nachwuchs sollte lernen, mit Homosexualität im Fußball umzugehen. Aber sie bemerkte, dass ihre Arbeit an Grenzen stieß. „Das gehört doch nicht zum Kerngeschäft" war ein geläufiger Satz der Funktionäre. Für sie ist die Kommission peu à peu ausgelaufen. Sie hätte vielleicht anders sein können, wenn die Systemvertreter dem Neuen und Anderen nicht gleich mit überlegender Selbstsicherheit entgegentreten wären, mit einem Konservativismus, der sich selbst und alte Gewohnheiten verteidigt. Mit einer solchen Einstellung kann das Erreichte nur verspielt werden. Meine Erfahrungen waren ähnlich - und so entwickelte sich die gemeinsame Erkenntnis, dass es besser ist, sich innerlich zu lösen und wegzugehen auf einem Spielfeld, wo die anderen Mitspieler auf Sie verzichten können und wollen.
Nachtrag: Siehe dazu auch das Interview von Susanne Blech mit Tanja Walther-Ahrens: „Vielfalt ist wichtig für den Erfolg" (in: http://nachhaltigkeit-im-fussball.de/interviews/vielfalt-ist-wichtig-fuer-den-erfolg-2/, 10.7.2014)
_ SKA-Network: Der Vereinsfußball ist die größte sportliche Bewegung der Welt. Die Proficlubs sind heutzutage Wirtschaftsunternehmen, die, oft über Stiftungen, zunehmend soziales Engagement zeigen. Zukunft orientierte Unternehmen integrieren das Nachhaltigkeitsmanagement allerdings in die Unternehmensführung und verfolgen damit einen strategischen Ansatz. Ist Ihrer Einschätzung nach eine moderne, nachhaltig orientierte Clubführung in den noch immer weit verbreiteten Vereinsstrukturen überhaupt möglich?
Das ist eine enorme Herausforderung, die mit der komplexen Verbandsstruktur des DFB zusammenhängt. So stehen Gemeinnützigkeit und Ehrenamt neben dem Wirtschaftsunternehmen DFB. Es sind zudem zwei Kulturen: die eine traditionell geprägt, zuweilen träge und leidenschaftslos mit gewachsenen Strukturen, die sich kaum bewegen und öffnen lassen; die andere ist schnelllebig und stilisiert das Produkt Fußball auf Gedeih und Verderb zu einem Großereignis, das sich gut vermarkten lässt. An der Sprache in den DFB-Drucksachen lässt sich all das gut ablesen. Im gleichen DFB-Magazin „aktuell", in dem sich die Rubrik „Nachhaltigkeit" mit den Sozialprojekten findet, gibt es eine andere Rubrik: „Unsere Partner", in der über das gemeinsame große Ziel gesprochen wird. Gezeigt wird ein Foto, auf dem Lukas Podolski zu sehen ist, dem ein Adler die Schuhe für die WM bringt. Allein das Motiv des Adlers sagt schon viel aus: Weitblick und Stärke zeigen, „Herr" seiner Situation sein und die Vorteile der Adlerperspektive nutzen - so wird für das eigene „Revier" geworben. Anpacken - zupacken - greifen, heißt die Devise. Und Beute machen. Unter dem Foto dann das Zitat von Thomas Müller: „Das Muster der Schuhe sieht verrückt aus und macht auf dem Platz einen aggressiven Eindruck. Richtig cool!" Wenn Sie das Beispiel mit der Kommunikation der Sozialthemen vergleichen, erscheint die Kluft der Inhalte noch größer.
_ SKA-Network: Wo erscheint das Nachhaltigkeitsthema beim DFB in einem positiven Zusammenhang?
Dort, wo die wenigsten mit dem Thema rechnen - eher in Nischen, die Einzelpersonen ausfüllen, die allerdings wiederum in einem nachhaltigen Netzwerk Gleichgesinnter verwoben sind. Etwa wenn der Koch der Nationalmannschaft in einem Interview sagt, dass er niemals derjenige sein wollte, der nur die Nudeln warm macht. Da musste für ihn mehr „drin" sein, denn er weiß, was Ernährung bewirken kann. Er hat im Team Lebensmittel ausgetauscht und erklärt warum. Dazu gab er Ernährungsseminare und eine Schulungsverkostung, in der Spieler zum Beispiel gute und schlechte Chips, guten und schlechten Lachs oder Öl probiert haben. Auch spricht er Lieferanten- und Bezugsquellen an: Woher kommen die Produkte? Ich nenne das Beispiel deshalb, weil es einen wichtigen Zugang zu Nachhaltigkeit zeigt, ohne dass der Begriff bemüht werden muss. Hier wird im besten Wortsinn bei persönlichen „Zugängen", der Ernährung, angesetzt. Da es alle gleichermaßen betrifft, kann auch jeder etwas damit anfangen. Die Aufmerksamkeit hat das Thema erst dann, wenn es im Persönlichen verankert ist. Phrasen und Fotos, auf denen Prominente Schilder in die Kamera halten, verdecken all das, was von innen heraus wirken könnte, wenn auch das Warum und Wie vor dem Was (tun wir) entsprechend berücksichtigt wird.
_ SKA-Network: Das ökologische Engagement von DFB und Fußballvereinen bezieht sich insbesondere auf die Stadien. Im Zuge der Green Goal Umweltkampagne wurden anlässlich der FIFA-Frauen WM 2011 viele Spielstätten zu Ökoprofitstadien umgerüstet oder neu gebaut. Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit darüber hinaus in der Lieferkette und bei den Ausrüstern?
Diese Frage sollte der DFB beantworten.
_ SKA-Network: Immer wieder sorgen Ausrüster oder Sponsoren für Negativschlagzeilen. Welche Wertebasis ist ausschlaggebend für eine Kooperation, und welche Einflussmöglichkeiten bestehen seitens der Sportverbände? Kann und soll der DFB eine Vorbildfunktion übernehmen und eine konsequent nachhaltige Produktion der Ausrüstung durchsetzen?
Eine konsequent nachhaltige Produktion und Kontrolle ist kaum möglich, da beispielsweise auch zahlreiche Sublieferanten in den Prozess integriert sind. Die Verantwortung für die eigene Wertschöpfungskette kommt an solchen Punkten auch an ihre Grenzen. Wichtig ist, das Bewusstsein für Prozesse auch hier zu schärfen, zu schauen, was im Rahmen der Möglichkeiten mit den Sponsoren möglich ist, Verträge so auszuhandeln, dass z. B. folgende Fragen hinreichend berücksichtigt werden: Wo kommen die Produkte her? Unter welchen Bedingungen wurden sie gefertigt? Sind Giftstoffe darin enthalten? Wie wird Lohndumping bei ihren Zulieferern ausgeschlossen? Was unternehmen die Sponsoren gegen Kinderarbeit? Wie werden ökologische Kriterien bei der Beschaffung berücksichtigt? Haben die Unternehmen einen Code of Conduct? Was beinhaltet er hinsichtlich Korruption und Bestechung? Wie wird dessen Verbreitung und Anwendung im Unternehmen sichergestellt? Welche Standards existieren zum Thema Nachhaltigkeit? Ich habe immer wieder angeregt, dass die Nachhaltigkeits- und Kommunikationsverantwortlichen der DFB-Sponsoren aktiv in die internen Prozesse eingebunden werden und ein regelmäßiger Austausch stattfinden kann. Das hätte dem Verband manch theoretische PowerPoint-Präsentation von externen Beratern erspart und zu einer lebendige Diskussion führen können, die zudem konkrete Lösungsansätze aus der Praxis zeigt. Aber auch hier liegt die Problematik in der internen Struktur begründet: Wer hätte das initiieren sollen? Hätte die Marketingabteilung Interesse daran gehabt, wenn doch aus deren Sicht alles gut läuft mit den Sponsoren? Das Ehrenamt wiederum kann nicht ohne weiteres auf die Sponsoren zugehen, dazu braucht es interne Genehmigungen der Marketing- und Kommunikationsabteilung. Und so bleibt ein solcher Austausch lieber unangetastet. Nur die obere Führung hätte die Kraft und Möglichkeit, dem Nachhaltigkeitsthema eine neue Qualität zu geben.
_ SKA-Network: Insbesondere für die junge Generation spielt langfristiges nachhaltiges Commitment eine große Rolle und wird seitens Unternehmen eingefordert. Verpasst der DFB einen wichtigen Trend?
Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit, zu der es auch gehört, dass Führungskräfte eine Haltung haben und sich zu ihrem Auftrag bekennen. Alte Systeme wie der DFB haben das Problem, dass eingefahrene Routinen mit festgefügten Verwaltungsstrukturen auch zu Selbstgefälligkeit führen, zur Einstellung, immer alles im Griff zu haben und sich von Krisen nicht erschüttern zu lassen. Natürlich funktioniert eine solche Organisation, aber sie lebt nicht. Die Fackel der Begeisterung sollte nicht nur mit der Nationalmannschaft brennen, sondern auch intern. Das würde dazu führen, dass es eine moderne und vernetzte Organisation wird, in der flache Hierarchien und Teamarbeit den Alltag bestimmen.
_ SKA-Network: Wie müsste aus Ihrer Sicht ein moderner Clubmanager des 21. Jahrhunderts aussehen?
Das müssten für den Fußball die entsprechenden Experten beantworten. Aus Sicht der Wirtschaft sollten moderne Führungskräfte ihrem Team mehr Selbstverantwortung, Eigeninitiative und Gestaltungskraft einräumen. Das bedeutet vor allem auch, die Alles-im-Griff-Mentalität aufzugeben und auf Kontrollinszenierungen und Überregulierungen zu verzichten. Ein greifbarer, unverstellter Charakter ist die Grundvoraussetzung für nachhaltige Führung, in der es keine Trennung der Person in „beruflich und privat" gibt. Bei einer echten Persönlichkeit ist beides wie zwei Muschelschalen aneinander gelötet. Hier ein aktuelles Beispiel für das Gegenteil: Im Beitrag „Mit durchgedrücktem Kreuz" (DIE ZEIT, 12.6.2014) wird der Teammanager der deutschen Nationalmannschaft Oliver Bierhoff porträtiert. Es heißt darin, dass er nicht zu durchschauen ist, zum Greifen nah wirkt und doch so fern ist. Und er sich oft fragt, warum anderen die Sympathien einfach zufliegen und er sich immer wieder neu „beweisen" muss. In diesem Wort liegt schon die erste Schwierigkeit: der eigene Druck, gefallen zu müssen, einem Muster zu entsprechen. Bierhoff betont, dass er lange braucht, um vom „Managertypus" zum „Menschen" umzuschalten. Menschen spüren, wenn jemand nicht 1:1 ist und zeigen das auch. Mediengeschulte glatte „Managertypen", die sich möglichst nicht in rhetorische Gefahrenzonen begeben, werden in einer Gesellschaft, die sich selbst immer wieder erneuern muss, um zukunftsfähig zu sein, nicht gebraucht. Nur „echte" Menschen sind in der Lage, sich selbst und andere zu bewegen.
Quelle
Die Fragen stellte die Nachhaltigkeitsexpertin und Redakteurin Susanne Blech. Sie verfügt über eine langjährige wissenschaftliche und journalistische Expertise im Umweltbereich und beschäftigt sich mit Kernthemen, die auch im Fußballgeschäft hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit und gesellschaftlichen Verantwortung des Sports zunehmend an Bedeutung gewinnen. "Für den Profi-Fußball wird es immer wichtiger auch abseits des Spielfeldes zu punkten und nachhaltiges Engagement strategisch zu verankern."
Wer sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt, möchte kein Spielverderber sein, sondern teilhaben am Gesamtprozess des Spiels - dazu gehört auch, unter die Spitze des Eisbergs zu sehen und Handlungen zu hinterfragen. Ja, wer eine Weltmeisterschaft gewinnt, ist durchaus nachhaltig. Der DFB betont zu Recht, dass der Titelgewinn das Ergebnis einer jahrelangen Aufbauarbeit im Bereich der Talentförderung ist. Was vor zehn Jahren gesät wurde, ist heute mit Erfolg aufgegangen. Aber wie sieht es mit der Nachhaltigkeit „darunter" aus? Wie ist das Thema in der Gesamtorganisation verortet? Wo kommt es zu Konflikten zwischen Hauptamt und Ehrenamt? Wo ist eine Organisation nur wirtschaftlich ausgerichtet, passt sich der neuen Zeit an, und wo hinkt sie mit ihren konservativen Strukturen Entwicklungen hinterher?
Am 24. Juni 2014 erschien das Interview von Susanne Blech mit mir unter dem Titel „Warum Nachhaltigkeit im Fußball keine ‚Zentralverwaltung' braucht" im Onlinemagazin „Nachhaltigkeit im Fußball", das sich für mehr ökologisches und soziales Engagement im Profifußball und in der Bundesliga einsetzt. Der Gründer Pierre Schramm gehört zu den Digital Natives der ersten Stunde: Mit Commodore 64 und BASIC aufgewachsen, lebt er seit Mitte der 90er Jahre digital. Relevante Entwicklungen in den Neuen Medien und der digitalen Kommunikation treibt er seit diesem Zeitpunkt kontinuierlich voran. Internetpioniere wie Jobpilot.de und Medienhäuser wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung profitierten von und mit seiner Expertise. Er versteht sich als Intermediär zwischen den digitalen Medien und der klassischen Kommunikation. Die Grundaussagen und Fragestellungen im Interview seines Onlinemagazins sind auch nach dem Titelgewinn von Relevanz - vielleicht umso mehr, denn erst im Erfolg zeigt sich das wahre Gesicht eines Menschen und einer Organisation.
Warum Nachhaltigkeit keine „Zentralverwaltung" braucht
_ SKA-Network: Frau Dr. Hildebrandt, Sie waren als Nachhaltigkeitsexpertin und Wirtschaftspsychologin von 2010 bis 2013 Mitglied der DFB-Nachhaltigkeitskommission, die zum DFB-Bundestag 2013 aufgelöst wurde. Das Thema Nachhaltigkeit scheint bisher im Sportmanagement nicht allzu populär zu sein. Warum sollte sich ein Sportverband wie der DFB mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen?
Weil Nachhaltigkeit eine Organisation im Innersten zusammenhält - es ist ihre Verantwortung und Aufgabe, alle Einheiten, die sie prägen, zu stärken und zukunftsfähig zu machen, da sich das System sonst überlebt. Es bleibt nur dann stabil, wenn sich verfestigte Strukturen öffnen, um neue Gedanken und frisches Leben einzulassen, wenn die dringenden Fragen und Aufgaben der Gegenwart gespürt und angenommen werden - verbunden mit dem Mut, auch einmal neue Wege zu gehen. Wer das nicht erkennt und Nachhaltigkeit als sozialen oder ökologischen Nebenstrang einer Organisation verortet, der „neben", aber nicht „im" Kerngeschäft existiert, der wirtschaftliche und kulturelle Faktoren vernachlässigt, verrät dadurch nur seine eigene Unsicherheit und sein Unvermögen, eine lebendige und moderne Organisation zu führen. Zukunft braucht Weite und Aufgeschlossenheit - Nachhaltigkeit ist der Weg dorthin. „Fußball ist Zukunft" lautet der Titel des ersten DFB-Nachhaltigkeitsberichts - aber es kommt eben auch darauf an, sie so zu gestalten, dass sie nicht erstarrt, weil ihre Macher schon in der Gegenwart ihre Anfänge zudecken, so dass am Ende alles beim Alten bleibt.
_ SKA-Network: Hat dies auch mit einem einseitigen Verständnis von Nachhaltigkeit zu tun?
Ja, um das zu erklären, genügt ein Blick in die aktuellen DFB-Publikationen. So heißt es in einer Ausgabe von „DFB-aktuell" vom Juni 2014 unter der Rubrik „Nachhaltigkeit": „Soziale Verantwortung gehört zum DFB". In jeder Zeile geht es um Projekte, um Gelder, die in die Stiftungsarbeit des Verbandes fließen und wofür sie ausgegeben werden. Dazu Zitate von Prominenten zur „integrativen Funktion des Fußballs in den unterschiedlichsten Projekten". Wird das wirklich gern und mit Interesse gelesen? Sind Fotos von Relevanz, auf denen die X-ste Scheckübergabe zu sehen ist? Lösen sie etwas aus? Wohl kaum. Sie zeigen: Wir tun etwas, was auch gut und richtig ist, aber die Art der Kommunikation wirkt kraftlos. Wird das Thema Nachhaltigkeit einseitig auf soziales Engagement reduziert, nimmt es Schaden, weil ihm Bedeutung genommen wird.
_ SKA-Network: Was fehlt?
Die Darstellung von Prozessen des Kerngeschäfts und die Erkenntnis, dass es eine Führungs- und Managementaufgabe ist und das Wirtschaftsunternehmen DFB gleichermaßen betrifft wie den gemeinnützigen Verband. Zuweilen fehlt auch der Mangel an Selbstkritik, die beispielsweise als Tiefen neben den Höhen in einem Nachhaltigkeitsbericht zu finden sein sollten. Im DFB-Bericht wird beispielsweise nur die oberflächliche Projektebene gezeigt, die nicht fallen kann, weil es ja keine Tiefen gibt. Zudem kann sich eine moderne nachhaltige Organisation nur entwickeln, wenn das Handeln hier nicht durch Protokolle, Regularien und Anordnungen determiniert ist. Gewiss geht es nicht ohne, aber ein gestaltbares Maß organisatorischen Spielraums sollte zumindest gewährleistet sein.
_ SKA-Network: Mit der Einberufung und der Auflösung der DFB-Nachhaltigkeitskommission hat der DFB zwei Zeichen gesetzt. Sind es Zeichen mit unterschiedlichem Vorzeichen? Wie kam es zu dieser scheinbar gegenläufigen Entwicklung, und welche Entscheidungen waren hier maßgebend?
Diese Frage sollten die Verantwortlichen des DFB beantworten.
_ SKA-Network: Sie sehen die Auflösung der Kommission nach nur zwei Jahren kritisch und geben nun u. a das Buch "CSR und Sportmanagement" mit Schwerpunktthema Fußball heraus. Mit welchen Zielen wurde die Kommissionsarbeit 2011 aufgenommen, was konnte davon erreicht werden und in welchen Bereichen sehen Sie weiteren Handlungsbedarf?
Der DFB-Bundestag fasste im Oktober 2010 den Beschluss zur Einrichtung der Kommission Nachhaltigkeit. Die Mitglieder des Gremiums kamen aus verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens wie der Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Kultur und dem DFB-Hauptamt. Der Kommission gehörten u.a. Claudia Roth, Tanja Walther-Ahrens oder Teresa Enke an. Diese heterogene Zusammensetzung gewährleistete, dass neue Denkansätze entwickelt und Herausforderungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wurden. Bei der Zusammenarbeit ging es darum, DFB-Aufgabenfelder zu überprüfen sowie Nachhaltigkeitspotenziale zu identifizieren und Kernbereiche herauszufiltern, die auf Dauer Substanz haben, denn der Fußball und insbesondere der Profifußball bilden ein öffentliches und mediales Massenphänomen. Vor allem aber stand ein übergreifender Austausch im Mittelpunkt, der die Komplexität des Nachhaltigkeitsthemas erstmals unter einem gemeinsamen Dach bündelte. Da sich die öffentliche Diskussion zumeist auf das Thema „Gesellschaftliches Engagement" richtete, war es ein besonderes Anliegen zu zeigen, dass diese Fokussierung das Verständnis von Nachhaltigkeit im Fußball verkürzt. Dem ehemaligen DFB-Präsidenten Dr. Theo Zwanziger war es ein zentrales Anliegen, dass durch die Kommissionsmitglieder auch externe Sichten in den Prozess eingebracht werden. Die DFB-Kommission Nachhaltigkeit hatte zu Beginn das Potenzial einer großen Hebelwirkung, die allerdings nach dem Präsidiumswechsel nachließ. Um dem Thema die entsprechende Relevanz zu geben, hätte es zur obersten Führungsaufgabe erklärt werden müssen. Der fachliche Dialog mit den Kommissionsmitgliedern und Abteilungsvertretern wäre dann ein wichtiger Schritt zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des Themas im Verband gewesen, in dem Dimensionen der Nachhaltigkeit definiert, aber keine Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet wurde.
_ Wie wird die Arbeit der Kommission fortgesetzt?
Beim DFB-Bundestag im Oktober 2013 wurde die Kommission Nachhaltigkeit durch eine neue ersetzt mit der offiziellen Begründung, dass die „Interessen" besser gebündelt werden müssen. Der Begriff „Nachhaltigkeit" ist hier nicht zu finden. Das gilt auch für die Themen Anti-Korruption, Umwelt, Gesundheit oder Bildung. Ein Verbandsargument kann sein, dass diese Schwerpunkte nun in einzelnen Arbeitsgruppen „abgehandelt" werden - aber genau das machte das Besondere und die anfängliche Stärke der Kommission aus: dass hier Themen zusammengeführt wurden und sich Menschen übergreifend austauschen konnten. Ein solcher Ansatz führt dazu, dass Möglichkeitsbewusstsein entwickelt werden kann, um das bislang Regelhafte auch einmal zu überschreiten. Übergreifende Transparenz erzeugt allerdings auch Unsicherheit in einer „Zentralverwaltung" - im Gegensatz zu Nachhaltigkeit findet sich dieser Begriff übrigens auf der DFB-Website. Wo immer zentral „verwaltet" wird, ist es schwer zu gestalten. Schade, denn wenn sich eine Organisation weiterentwickeln will, müssten ihre Akteure in Beziehungen denken und in Beziehungsfähigkeit investieren, einander ermutigen und inspirieren.
In einem Interview auf mdr.de vom 6. Juni 2014 wird der Vorsitzende der neuen Kommission, Stephan Osnabrügge, zitiert: "Was man Wolfgang Niersbach nachsagt, dass er das Thema Gesellschaftliche Verantwortung nicht ernst nehme und sich nur aufs Kerngeschäft konzentriere, ist nicht wahr. Er hat einfach ein anderes Führungsverständnis als Theo Zwanziger und bearbeitet die Dinge im Hintergrund. Und wenn man so auch die Öffentlichkeit weniger sucht, dann wird man auch weniger wahrgenommen." Das ist sehr unkonkret. Wer ist „man"? Und was ist das Führungsverständnis von Wolfgang Niersbach? Auch geht es nicht darum, Dinge zu „bearbeiten", sondern zu gestalten und zu erneuern. Auch in diesem Zitat zeigt sich einmal mehr, dass Nachhaltigkeit nicht verstanden wurde: Sie IST das Kerngeschäft. Und wer in einer solchen Position Verantwortung hat, ist auch verpflichtet, aus dem Hintergrund herauszutreten und klar Stellung zu beziehen.
Im gleichen Interview sagt Stephan Osnabrügge, dass der Verband viel tut. So hat es im Mai ein Arbeitstreffen gegeben. Die Vorsitzenden der Landes- und Regionalverbände hätten dort diskutiert, wie sie sich gegen Homophobie positionieren... Seine Antwort ist ein Beispiel dafür, wie der Verband mit vielen Themen umgeht: Es wird betont, dass mit Thomas Hitzlsperger Gespräche geführt wurden und er bereit ist, den DFB in seinen Bemühungen zu unterstützen. Hier das Zitat: „Das kann zum Beispiel heißen, dass, wenn wir Projekte vorstellen und dafür eine Podiumsdiskussionen haben, dass er dann anwesend ist. Oder dass Thomas Hitzlsperger uns Videobotschaften zur Verfügung stellt, auch das hat er zugesagt." Um diese Kleinteiligkeit auf Projektebene geht es aber nicht, sondern um Prozesse. Schildchen hochhalten und Videobotschaften zu versenden reicht nicht. Tanja Walther-Ahrens, die im gleichen Beitrag zitiert ist, bringt es auf den Punkt und zeigt, wie das Thema in die Prozessebene kommen könnte: "Es muss auf vielen Ebenen auf den Tisch kommen, immer wieder. Ich muss mir beim F-Jugendtraining genauso im Klaren darüber sein, wie ich mit den Spielern umgehe, wie ich das im Profifußball in den Fankurven mache. Man kann das aber auch einfach mal vorantreiben, in dem man beispielsweise im VIP-Bereich die Hostessen durch Drag-Queens ersetze." Die Verantwortung allein auf die Fans zu schieben, so wie es Wolfgang Niersbach bekundete, sei nach ihrer Ansicht falsch.
_ SKA-Network: Welche Rolle spielte der damalige DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger?
Er hat diese Kommission nicht nur angeregt, sondern die offenen Strukturen und neuen Inhalte auch maßgeblich gefördert. Unter seinem Engagement gab es keine Herzensträgheit und kein Dribbeln um Probleme - sie wurden offen angesprochen und im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten gelöst. Nach seinem Ausscheiden verlor die Kommission an Unterstützung und Kraft, was vor allem dazu führte, dass die Externen in der Kommission nun allein gelassen bzw. nicht mehr ernst genommen wurden. Das zeigt sich etwa am Beispiel der ehemaligen Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens, Delegierte der European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF) und seit 2013 Präsidialmitglied des Berliner Fußball-Verband. Die diplomierte Sportwissenschaftlerin und Sonderpädagogin wollte den Verband sensibilisieren: Schon der Fußball-Nachwuchs sollte lernen, mit Homosexualität im Fußball umzugehen. Aber sie bemerkte, dass ihre Arbeit an Grenzen stieß. „Das gehört doch nicht zum Kerngeschäft" war ein geläufiger Satz der Funktionäre. Für sie ist die Kommission peu à peu ausgelaufen. Sie hätte vielleicht anders sein können, wenn die Systemvertreter dem Neuen und Anderen nicht gleich mit überlegender Selbstsicherheit entgegentreten wären, mit einem Konservativismus, der sich selbst und alte Gewohnheiten verteidigt. Mit einer solchen Einstellung kann das Erreichte nur verspielt werden. Meine Erfahrungen waren ähnlich - und so entwickelte sich die gemeinsame Erkenntnis, dass es besser ist, sich innerlich zu lösen und wegzugehen auf einem Spielfeld, wo die anderen Mitspieler auf Sie verzichten können und wollen.
Nachtrag: Siehe dazu auch das Interview von Susanne Blech mit Tanja Walther-Ahrens: „Vielfalt ist wichtig für den Erfolg" (in: http://nachhaltigkeit-im-fussball.de/interviews/vielfalt-ist-wichtig-fuer-den-erfolg-2/, 10.7.2014)
_ SKA-Network: Der Vereinsfußball ist die größte sportliche Bewegung der Welt. Die Proficlubs sind heutzutage Wirtschaftsunternehmen, die, oft über Stiftungen, zunehmend soziales Engagement zeigen. Zukunft orientierte Unternehmen integrieren das Nachhaltigkeitsmanagement allerdings in die Unternehmensführung und verfolgen damit einen strategischen Ansatz. Ist Ihrer Einschätzung nach eine moderne, nachhaltig orientierte Clubführung in den noch immer weit verbreiteten Vereinsstrukturen überhaupt möglich?
Das ist eine enorme Herausforderung, die mit der komplexen Verbandsstruktur des DFB zusammenhängt. So stehen Gemeinnützigkeit und Ehrenamt neben dem Wirtschaftsunternehmen DFB. Es sind zudem zwei Kulturen: die eine traditionell geprägt, zuweilen träge und leidenschaftslos mit gewachsenen Strukturen, die sich kaum bewegen und öffnen lassen; die andere ist schnelllebig und stilisiert das Produkt Fußball auf Gedeih und Verderb zu einem Großereignis, das sich gut vermarkten lässt. An der Sprache in den DFB-Drucksachen lässt sich all das gut ablesen. Im gleichen DFB-Magazin „aktuell", in dem sich die Rubrik „Nachhaltigkeit" mit den Sozialprojekten findet, gibt es eine andere Rubrik: „Unsere Partner", in der über das gemeinsame große Ziel gesprochen wird. Gezeigt wird ein Foto, auf dem Lukas Podolski zu sehen ist, dem ein Adler die Schuhe für die WM bringt. Allein das Motiv des Adlers sagt schon viel aus: Weitblick und Stärke zeigen, „Herr" seiner Situation sein und die Vorteile der Adlerperspektive nutzen - so wird für das eigene „Revier" geworben. Anpacken - zupacken - greifen, heißt die Devise. Und Beute machen. Unter dem Foto dann das Zitat von Thomas Müller: „Das Muster der Schuhe sieht verrückt aus und macht auf dem Platz einen aggressiven Eindruck. Richtig cool!" Wenn Sie das Beispiel mit der Kommunikation der Sozialthemen vergleichen, erscheint die Kluft der Inhalte noch größer.
_ SKA-Network: Wo erscheint das Nachhaltigkeitsthema beim DFB in einem positiven Zusammenhang?
Dort, wo die wenigsten mit dem Thema rechnen - eher in Nischen, die Einzelpersonen ausfüllen, die allerdings wiederum in einem nachhaltigen Netzwerk Gleichgesinnter verwoben sind. Etwa wenn der Koch der Nationalmannschaft in einem Interview sagt, dass er niemals derjenige sein wollte, der nur die Nudeln warm macht. Da musste für ihn mehr „drin" sein, denn er weiß, was Ernährung bewirken kann. Er hat im Team Lebensmittel ausgetauscht und erklärt warum. Dazu gab er Ernährungsseminare und eine Schulungsverkostung, in der Spieler zum Beispiel gute und schlechte Chips, guten und schlechten Lachs oder Öl probiert haben. Auch spricht er Lieferanten- und Bezugsquellen an: Woher kommen die Produkte? Ich nenne das Beispiel deshalb, weil es einen wichtigen Zugang zu Nachhaltigkeit zeigt, ohne dass der Begriff bemüht werden muss. Hier wird im besten Wortsinn bei persönlichen „Zugängen", der Ernährung, angesetzt. Da es alle gleichermaßen betrifft, kann auch jeder etwas damit anfangen. Die Aufmerksamkeit hat das Thema erst dann, wenn es im Persönlichen verankert ist. Phrasen und Fotos, auf denen Prominente Schilder in die Kamera halten, verdecken all das, was von innen heraus wirken könnte, wenn auch das Warum und Wie vor dem Was (tun wir) entsprechend berücksichtigt wird.
_ SKA-Network: Das ökologische Engagement von DFB und Fußballvereinen bezieht sich insbesondere auf die Stadien. Im Zuge der Green Goal Umweltkampagne wurden anlässlich der FIFA-Frauen WM 2011 viele Spielstätten zu Ökoprofitstadien umgerüstet oder neu gebaut. Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit darüber hinaus in der Lieferkette und bei den Ausrüstern?
Diese Frage sollte der DFB beantworten.
_ SKA-Network: Immer wieder sorgen Ausrüster oder Sponsoren für Negativschlagzeilen. Welche Wertebasis ist ausschlaggebend für eine Kooperation, und welche Einflussmöglichkeiten bestehen seitens der Sportverbände? Kann und soll der DFB eine Vorbildfunktion übernehmen und eine konsequent nachhaltige Produktion der Ausrüstung durchsetzen?
Eine konsequent nachhaltige Produktion und Kontrolle ist kaum möglich, da beispielsweise auch zahlreiche Sublieferanten in den Prozess integriert sind. Die Verantwortung für die eigene Wertschöpfungskette kommt an solchen Punkten auch an ihre Grenzen. Wichtig ist, das Bewusstsein für Prozesse auch hier zu schärfen, zu schauen, was im Rahmen der Möglichkeiten mit den Sponsoren möglich ist, Verträge so auszuhandeln, dass z. B. folgende Fragen hinreichend berücksichtigt werden: Wo kommen die Produkte her? Unter welchen Bedingungen wurden sie gefertigt? Sind Giftstoffe darin enthalten? Wie wird Lohndumping bei ihren Zulieferern ausgeschlossen? Was unternehmen die Sponsoren gegen Kinderarbeit? Wie werden ökologische Kriterien bei der Beschaffung berücksichtigt? Haben die Unternehmen einen Code of Conduct? Was beinhaltet er hinsichtlich Korruption und Bestechung? Wie wird dessen Verbreitung und Anwendung im Unternehmen sichergestellt? Welche Standards existieren zum Thema Nachhaltigkeit? Ich habe immer wieder angeregt, dass die Nachhaltigkeits- und Kommunikationsverantwortlichen der DFB-Sponsoren aktiv in die internen Prozesse eingebunden werden und ein regelmäßiger Austausch stattfinden kann. Das hätte dem Verband manch theoretische PowerPoint-Präsentation von externen Beratern erspart und zu einer lebendige Diskussion führen können, die zudem konkrete Lösungsansätze aus der Praxis zeigt. Aber auch hier liegt die Problematik in der internen Struktur begründet: Wer hätte das initiieren sollen? Hätte die Marketingabteilung Interesse daran gehabt, wenn doch aus deren Sicht alles gut läuft mit den Sponsoren? Das Ehrenamt wiederum kann nicht ohne weiteres auf die Sponsoren zugehen, dazu braucht es interne Genehmigungen der Marketing- und Kommunikationsabteilung. Und so bleibt ein solcher Austausch lieber unangetastet. Nur die obere Führung hätte die Kraft und Möglichkeit, dem Nachhaltigkeitsthema eine neue Qualität zu geben.
_ SKA-Network: Insbesondere für die junge Generation spielt langfristiges nachhaltiges Commitment eine große Rolle und wird seitens Unternehmen eingefordert. Verpasst der DFB einen wichtigen Trend?
Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit, zu der es auch gehört, dass Führungskräfte eine Haltung haben und sich zu ihrem Auftrag bekennen. Alte Systeme wie der DFB haben das Problem, dass eingefahrene Routinen mit festgefügten Verwaltungsstrukturen auch zu Selbstgefälligkeit führen, zur Einstellung, immer alles im Griff zu haben und sich von Krisen nicht erschüttern zu lassen. Natürlich funktioniert eine solche Organisation, aber sie lebt nicht. Die Fackel der Begeisterung sollte nicht nur mit der Nationalmannschaft brennen, sondern auch intern. Das würde dazu führen, dass es eine moderne und vernetzte Organisation wird, in der flache Hierarchien und Teamarbeit den Alltag bestimmen.
_ SKA-Network: Wie müsste aus Ihrer Sicht ein moderner Clubmanager des 21. Jahrhunderts aussehen?
Das müssten für den Fußball die entsprechenden Experten beantworten. Aus Sicht der Wirtschaft sollten moderne Führungskräfte ihrem Team mehr Selbstverantwortung, Eigeninitiative und Gestaltungskraft einräumen. Das bedeutet vor allem auch, die Alles-im-Griff-Mentalität aufzugeben und auf Kontrollinszenierungen und Überregulierungen zu verzichten. Ein greifbarer, unverstellter Charakter ist die Grundvoraussetzung für nachhaltige Führung, in der es keine Trennung der Person in „beruflich und privat" gibt. Bei einer echten Persönlichkeit ist beides wie zwei Muschelschalen aneinander gelötet. Hier ein aktuelles Beispiel für das Gegenteil: Im Beitrag „Mit durchgedrücktem Kreuz" (DIE ZEIT, 12.6.2014) wird der Teammanager der deutschen Nationalmannschaft Oliver Bierhoff porträtiert. Es heißt darin, dass er nicht zu durchschauen ist, zum Greifen nah wirkt und doch so fern ist. Und er sich oft fragt, warum anderen die Sympathien einfach zufliegen und er sich immer wieder neu „beweisen" muss. In diesem Wort liegt schon die erste Schwierigkeit: der eigene Druck, gefallen zu müssen, einem Muster zu entsprechen. Bierhoff betont, dass er lange braucht, um vom „Managertypus" zum „Menschen" umzuschalten. Menschen spüren, wenn jemand nicht 1:1 ist und zeigen das auch. Mediengeschulte glatte „Managertypen", die sich möglichst nicht in rhetorische Gefahrenzonen begeben, werden in einer Gesellschaft, die sich selbst immer wieder erneuern muss, um zukunftsfähig zu sein, nicht gebraucht. Nur „echte" Menschen sind in der Lage, sich selbst und andere zu bewegen.
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Die Fragen stellte die Nachhaltigkeitsexpertin und Redakteurin Susanne Blech. Sie verfügt über eine langjährige wissenschaftliche und journalistische Expertise im Umweltbereich und beschäftigt sich mit Kernthemen, die auch im Fußballgeschäft hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit und gesellschaftlichen Verantwortung des Sports zunehmend an Bedeutung gewinnen. "Für den Profi-Fußball wird es immer wichtiger auch abseits des Spielfeldes zu punkten und nachhaltiges Engagement strategisch zu verankern."