Bühnenanschlag auf Hölderlins „Hyperion"
AVIGNON. Die Adaption von „Hyperion" für das Theater endete beim Festival d'Avignon mit einem Desaster. Marie-José Malis, die mit Judith Balso für die Bühnenfassung verantwortlich zeichnete und Regie führte, ließ neun Schauspielerinnen und Schauspieler in einem Einheitsbühnenbild auftreten: links ein schäbiges kleines Café mit Coca-Cola-Markise, Stühlchen und Tischen auf dem Vorplatz, daneben ein Reisebüro mit Werbung für den Irak, schließlich eine Garage und Werkstatt von Peugeot mit arabischer Schrift. Der Platz ist nicht genau festgelegt, irgendwo in einem Kaff, sei es in Griechenland, sei es in einem Land Nordafrikas, mit prekären Verhältnissen. Die Schauspieler sprechen „Hyperion"-Text, sind aber in ihren besten Jahren oder drüber, keineswegs der idealistische Jüngling Hölderlins. Und sie sprechen auch nicht mit verklärten und verklärenden Wendungen wie Hyperion seine Briefe schrieb, sondern ersterbend, erstorben.
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ...
Die Dissoziation zwischen Text und Bild ist allzu groß - was soll das bedeuten? Die Wirkung ist zunächst erst einmal rätselhaft. Während der ganzen Aufführung bleibt das Licht im Saal hell. Viele Zuschauer greifen zum Programmheft, um sich zu informieren - aber es nützt nichts.
Eine zweite Wirkung ist fatal, die Aufführung ist nicht nur zäh, sie ist stinkend langweilig. Erst erheben sich zweidrei und gehen, dann folgen einige, schließlich immer mehr. Nach der Pause ist mehr als die Hälfte des Publikums verschwunden - die Aufführung dauert auch viel zu lang, sage und schreibe fünf Stunden. Dabei ist eigentlich alles schon nach sechzig, längstens 62 Minuten gesagt.
Man kann sich zusammenreimen, was Marie-José Malis vielleicht gedacht haben könnte: All diese erloschenen Figuren auf der Bühne waren einmal Hyperions mit hochfliegenden Hoffnungen, idealistische Jünglinge und tief empfindende Mädchen, nun sind sie tief enttäuscht - wie eben heute in den genannten Ländern.
... dass ich so traurig bin?
Aber was soll daraus folgen? Die Aufführung ist vor allem mit Frustration grundiert, teilweise larmoyant. Soll das die Gegenwehr des Zuschauers provozieren: Nutze die Zeit!? Die dem Spiel unterlegte Musik deutet mehr auf heroische Resignation, auf Entsagung. Ist das nicht ein Riesenmissverständnis, verwandelt Marie-José Malis Hölderlin in sauren Kitsch?
Die Schauspieler pflegen das hohle Pathos des Staatstheaters, Tragödienton, manchmal zittert die Stimme vor Ergriffenheit. Die Hände werden klagend zum Himmel gehoben, die Rechte auf die Brust, aufs Herz gelegt - die Gestik von übervorgestern. Das alles zeigt auf Nichtgemeistertes, Fehler einer Anfängerin. Aber das ist Marie-José Malis mitnichten, im Gegenteil, sie leitet seit Anfang der Spielzeit ihr eigenes Theater (Théâtre de la Commune d'Aubervillers). Warum hat sie niemand, der sie stoppen konnte? - Es gibt eine Avignon-Krankheit. Wer eingeladen wird, hofft, ganz groß rauszukommen. Vielleicht auch unsere Regisseurin. Und sie ließ sich nicht beirren, fest im Irrtum ans eigene Genie befangen. Dabei ist es eine der wichtigsten Eigenschaften einer reifen Regisseurin, auch von außen auf die eigene Arbeit gucken zu können. Das fehlte. Aber wie soll eine Künstlerin uns Zuschauer über unsere närrische Eitelkeit belehren, wenn sie selbst unter Selbstverliebtheit im Endstadium leidet?
Das führte mittenmang ins Desaster. Fünf Stunden lang. Ein Debakel. Debakel oder Desaster? Nicht Entwederoder, sondern Sowohlalsauch, Beides: Un désastre debâculeux. Ein debakulöses Desaster.
Ulrich Fischer
P.S. Der unsterbliche Hölderlin teilt in einer SMS vom Parnass mit, er habe nichts mit der Aufführung zu tun und weist ausdrücklich auf seine bei Reclam erschienene, sorgfältig edierte und wohlfeile Romanfassung hin.
Internet: www.festival-avignon.com
AVIGNON. Die Adaption von „Hyperion" für das Theater endete beim Festival d'Avignon mit einem Desaster. Marie-José Malis, die mit Judith Balso für die Bühnenfassung verantwortlich zeichnete und Regie führte, ließ neun Schauspielerinnen und Schauspieler in einem Einheitsbühnenbild auftreten: links ein schäbiges kleines Café mit Coca-Cola-Markise, Stühlchen und Tischen auf dem Vorplatz, daneben ein Reisebüro mit Werbung für den Irak, schließlich eine Garage und Werkstatt von Peugeot mit arabischer Schrift. Der Platz ist nicht genau festgelegt, irgendwo in einem Kaff, sei es in Griechenland, sei es in einem Land Nordafrikas, mit prekären Verhältnissen. Die Schauspieler sprechen „Hyperion"-Text, sind aber in ihren besten Jahren oder drüber, keineswegs der idealistische Jüngling Hölderlins. Und sie sprechen auch nicht mit verklärten und verklärenden Wendungen wie Hyperion seine Briefe schrieb, sondern ersterbend, erstorben.
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ...
Die Dissoziation zwischen Text und Bild ist allzu groß - was soll das bedeuten? Die Wirkung ist zunächst erst einmal rätselhaft. Während der ganzen Aufführung bleibt das Licht im Saal hell. Viele Zuschauer greifen zum Programmheft, um sich zu informieren - aber es nützt nichts.
Eine zweite Wirkung ist fatal, die Aufführung ist nicht nur zäh, sie ist stinkend langweilig. Erst erheben sich zweidrei und gehen, dann folgen einige, schließlich immer mehr. Nach der Pause ist mehr als die Hälfte des Publikums verschwunden - die Aufführung dauert auch viel zu lang, sage und schreibe fünf Stunden. Dabei ist eigentlich alles schon nach sechzig, längstens 62 Minuten gesagt.
Man kann sich zusammenreimen, was Marie-José Malis vielleicht gedacht haben könnte: All diese erloschenen Figuren auf der Bühne waren einmal Hyperions mit hochfliegenden Hoffnungen, idealistische Jünglinge und tief empfindende Mädchen, nun sind sie tief enttäuscht - wie eben heute in den genannten Ländern.
... dass ich so traurig bin?
Aber was soll daraus folgen? Die Aufführung ist vor allem mit Frustration grundiert, teilweise larmoyant. Soll das die Gegenwehr des Zuschauers provozieren: Nutze die Zeit!? Die dem Spiel unterlegte Musik deutet mehr auf heroische Resignation, auf Entsagung. Ist das nicht ein Riesenmissverständnis, verwandelt Marie-José Malis Hölderlin in sauren Kitsch?
Die Schauspieler pflegen das hohle Pathos des Staatstheaters, Tragödienton, manchmal zittert die Stimme vor Ergriffenheit. Die Hände werden klagend zum Himmel gehoben, die Rechte auf die Brust, aufs Herz gelegt - die Gestik von übervorgestern. Das alles zeigt auf Nichtgemeistertes, Fehler einer Anfängerin. Aber das ist Marie-José Malis mitnichten, im Gegenteil, sie leitet seit Anfang der Spielzeit ihr eigenes Theater (Théâtre de la Commune d'Aubervillers). Warum hat sie niemand, der sie stoppen konnte? - Es gibt eine Avignon-Krankheit. Wer eingeladen wird, hofft, ganz groß rauszukommen. Vielleicht auch unsere Regisseurin. Und sie ließ sich nicht beirren, fest im Irrtum ans eigene Genie befangen. Dabei ist es eine der wichtigsten Eigenschaften einer reifen Regisseurin, auch von außen auf die eigene Arbeit gucken zu können. Das fehlte. Aber wie soll eine Künstlerin uns Zuschauer über unsere närrische Eitelkeit belehren, wenn sie selbst unter Selbstverliebtheit im Endstadium leidet?
Das führte mittenmang ins Desaster. Fünf Stunden lang. Ein Debakel. Debakel oder Desaster? Nicht Entwederoder, sondern Sowohlalsauch, Beides: Un désastre debâculeux. Ein debakulöses Desaster.
Ulrich Fischer
P.S. Der unsterbliche Hölderlin teilt in einer SMS vom Parnass mit, er habe nichts mit der Aufführung zu tun und weist ausdrücklich auf seine bei Reclam erschienene, sorgfältig edierte und wohlfeile Romanfassung hin.
Internet: www.festival-avignon.com