Mehr als einen Monat ist die Europawahl her. Offenbar brauchten die Christsozialen etwas Zeit, um das Ergebnis sacken zu lassen. Denn was sich am Abend des 25. Mai abspielte, war für die CSU nicht weniger als eine Erdrutschniederlage: Mit 40,5 Prozent der Stimmen in Bayern erzielte die Partei ihr schlechtestes Resultat bei einer landesweiten Wahl seit den 50er Jahren. Im Vergleich zur Europawahl 2009 verlor die CSU 7,6 Prozentpunkte.
Am Samstag trifft sich der Parteivorstand, um über das Ergebnis zu beraten. Dabei dürfte es auch darum gehen, wer die Verantwortung für das desaströse Wahlergebnis trägt. Parteichef Horst Seehofer? Sein Vize Peter Gauweiler, der im Wahlkampf immer wieder durch grelle europapolitische Einwürfe aufgefallen war?
Dabei kann die CSU noch von Glück reden, dass die nächste große Wahl nun erst wieder in drei Jahren ansteht. Mit dem Ergebnis der Europawahl müsste die Partei fürchten, bei der nächsten Bundestagswahl unter die Fünf-Prozent-Marke zu rutschen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach würde die CSU zwar trotzdem in den Bundestag kommen, weil sie keine Probleme haben dürfte, drei Direktmandate zu erobern – der bundespolitische Bedeutungsverlust wäre aber immens. Allein deshalb kommt der Ursachenforschung eine große Bedeutung zu.
Niederlage zur Unzeit
Die Niederlage kam zur Unzeit. Gerade erst hatte sich die CSU von dem ebenfalls äußerst schwachen Landtagswahlergebnis von 2008 erholt. Damals war die Partei gezwungen, eine Koalition mit der FDP einzugehen. Das hatte es in Bayern seit den frühen 60er Jahren nicht mehr gegeben. Der zuvor beileibe nicht unumstrittene Seehofer festigte nach gewonnener Landtags- und erfolgreicher Bundestagswahl seine Position als Parteichef. Für einige Monate war er nur schwer anfechtbar.
Dann begann Ende 2013 die Kampagne gegen angebliche Armutszuwanderung. Das Thema war an sich nicht neu. Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) etwa forderte schon im Frühjahr 2013, Einwanderer zurück in ihr Heimatland zu schicken, die nur nach Deutschland kämen, um hier Sozialleistungen zu beantragen. Wie er den Willen zum Sozialbetrug feststellen wollte, ließ er freilich offen.
Angefacht wurde die Diskussion dann unter anderem durch Äußerungen von Gerd Landsberg, dem Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Er sagte Ende Dezember, dass die Kommunen sich vor den Mehrkosten durch „sogenannte Armutseinwanderung“ fürchteten. Die CSU berief sich in der Folge immer wieder auf „Hilferufe“ der Städte und Gemeinden.
Politischer Schaden durch Diskussion um angebliche Armutszuwanderung
Was folgte, war eine mehrwöchige Diskussion darüber, ob Deutschland durch gezielte Einwanderung in die Sozialsysteme durch rumänische und bulgarische Staatsbürger gefährdet sei oder nicht. Wer die Diskussion verfolgt hat, wusste sehr schnell, dass die „Rumänen und Bulgaren“ ein Chiffre für „Sinti und Roma“ waren. Auch wenn das die CSU nie offen zugab. Es wurde der Vorwurf laut, die CSU schüre gezielt Ressentiments, um sich selbst einen konservativeren Anstrich zu geben. Horst Seehofer entglitt die Debatte zusehends.
Gleichzeitig, ebenfalls Ende 2013, wurde bekannt, dass die CSU mit einer teilweise EU-kritischen Agenda in den Europawahlkampf gehen wollte. Sie geißelte den „Apparat“ in Brüssel, der allzu oft seine Kompetenzen überschreite und forderte eine Reduzierung der Posten in der EU-Kommission. Auf dem Politischen Aschermittwoch der CSU verspottete Gauweiler die EU-Kommission als „Flaschenmannschaft“.
Spätestens mit dem teilweise europakritischen Wahlprogramm wurde klar, dass die CSU ins Gehege der AfD einbrechen wollte. Die Christsozialen wollten verhindern, dass eine Partei rechts von ihnen so stark wird, dass sie Mandate erringt. Die Mittel dazu sind seit Jahrzehnten erprobt: Staatstreuer Konservatismus und der genaue Blick auf die Stimmungslage an den Stammtischen. So integriert die CSU seit der Adenauer-Ära am rechten Rand.
Strategische Denkfehler
Der Denkfehler bei dieser Strategie war nur, dass die AfD nach allen politikwissenschaftlichen Indikatoren keine rein konservative Kraft, sondern eine klassische Protestpartei ist. Sie wird vor allem von Unzufriedenen gewählt, gewinnt Anhänger aus allen politischen Lagern und bleibt in ihren programmatischen Aussagen eher vage. Kritik an den Eliten in München, Berlin und Brüssel ist das Kerngeschäft der AfD, auch in Bayern.
Dumm für die CSU, dass sie seit fast 60 Jahren im Landtag die Regierungskoalition führt. Es gibt keine elitärere Partei in Bayern als die CSU. Folglich musste die Strategie nach hinten losgehen.
Nicht nur, dass die Christsozialen ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren haben. Auch die AfD feierte einen bemerkenswerten Erfolg in Bayern. Sie holte acht Prozent der Stimmen und blieb damit sogar ein Prozent über dem ohnehin schon sehr guten Bundesschnitt.
Wer trägt die Kosequenzen?
Kritik gab es nach der Wahl auch an Horst Seehofer. Im Nachrichtenmagazin „Spiegel“ forderte der ehemalige CSU-Vorsitzende Erwin Huber ein „Ende der einsamen Entscheidungen“, was ganz offensichtlich auf seinen Amtsnachfolger gemünzt war. Doch danach blieb es merkwürdig still.
Gut möglich, dass Gauweiler die Konsequenzen tragen muss. Der Münchner CSU-Politiker war erst im November vergangenen Jahres zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt worden. Beobachter sprachen damals von einem bemerkenswerten Comeback.
Nun zeichnet sich ab, dass Gauweilers Neigung zu Alleingängen und exzentrischen Auftritten für ihn zum Problem werden könnte – auch im Rückblick auf den Europawahlkampf. Seine Chancen auf eine zweite Amtszeit dürften erheblich gesunken sein.
Am Samstag trifft sich der Parteivorstand, um über das Ergebnis zu beraten. Dabei dürfte es auch darum gehen, wer die Verantwortung für das desaströse Wahlergebnis trägt. Parteichef Horst Seehofer? Sein Vize Peter Gauweiler, der im Wahlkampf immer wieder durch grelle europapolitische Einwürfe aufgefallen war?
Dabei kann die CSU noch von Glück reden, dass die nächste große Wahl nun erst wieder in drei Jahren ansteht. Mit dem Ergebnis der Europawahl müsste die Partei fürchten, bei der nächsten Bundestagswahl unter die Fünf-Prozent-Marke zu rutschen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach würde die CSU zwar trotzdem in den Bundestag kommen, weil sie keine Probleme haben dürfte, drei Direktmandate zu erobern – der bundespolitische Bedeutungsverlust wäre aber immens. Allein deshalb kommt der Ursachenforschung eine große Bedeutung zu.
Niederlage zur Unzeit
Die Niederlage kam zur Unzeit. Gerade erst hatte sich die CSU von dem ebenfalls äußerst schwachen Landtagswahlergebnis von 2008 erholt. Damals war die Partei gezwungen, eine Koalition mit der FDP einzugehen. Das hatte es in Bayern seit den frühen 60er Jahren nicht mehr gegeben. Der zuvor beileibe nicht unumstrittene Seehofer festigte nach gewonnener Landtags- und erfolgreicher Bundestagswahl seine Position als Parteichef. Für einige Monate war er nur schwer anfechtbar.
Dann begann Ende 2013 die Kampagne gegen angebliche Armutszuwanderung. Das Thema war an sich nicht neu. Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) etwa forderte schon im Frühjahr 2013, Einwanderer zurück in ihr Heimatland zu schicken, die nur nach Deutschland kämen, um hier Sozialleistungen zu beantragen. Wie er den Willen zum Sozialbetrug feststellen wollte, ließ er freilich offen.
Angefacht wurde die Diskussion dann unter anderem durch Äußerungen von Gerd Landsberg, dem Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Er sagte Ende Dezember, dass die Kommunen sich vor den Mehrkosten durch „sogenannte Armutseinwanderung“ fürchteten. Die CSU berief sich in der Folge immer wieder auf „Hilferufe“ der Städte und Gemeinden.
Politischer Schaden durch Diskussion um angebliche Armutszuwanderung
Was folgte, war eine mehrwöchige Diskussion darüber, ob Deutschland durch gezielte Einwanderung in die Sozialsysteme durch rumänische und bulgarische Staatsbürger gefährdet sei oder nicht. Wer die Diskussion verfolgt hat, wusste sehr schnell, dass die „Rumänen und Bulgaren“ ein Chiffre für „Sinti und Roma“ waren. Auch wenn das die CSU nie offen zugab. Es wurde der Vorwurf laut, die CSU schüre gezielt Ressentiments, um sich selbst einen konservativeren Anstrich zu geben. Horst Seehofer entglitt die Debatte zusehends.
Gleichzeitig, ebenfalls Ende 2013, wurde bekannt, dass die CSU mit einer teilweise EU-kritischen Agenda in den Europawahlkampf gehen wollte. Sie geißelte den „Apparat“ in Brüssel, der allzu oft seine Kompetenzen überschreite und forderte eine Reduzierung der Posten in der EU-Kommission. Auf dem Politischen Aschermittwoch der CSU verspottete Gauweiler die EU-Kommission als „Flaschenmannschaft“.
Spätestens mit dem teilweise europakritischen Wahlprogramm wurde klar, dass die CSU ins Gehege der AfD einbrechen wollte. Die Christsozialen wollten verhindern, dass eine Partei rechts von ihnen so stark wird, dass sie Mandate erringt. Die Mittel dazu sind seit Jahrzehnten erprobt: Staatstreuer Konservatismus und der genaue Blick auf die Stimmungslage an den Stammtischen. So integriert die CSU seit der Adenauer-Ära am rechten Rand.
Strategische Denkfehler
Der Denkfehler bei dieser Strategie war nur, dass die AfD nach allen politikwissenschaftlichen Indikatoren keine rein konservative Kraft, sondern eine klassische Protestpartei ist. Sie wird vor allem von Unzufriedenen gewählt, gewinnt Anhänger aus allen politischen Lagern und bleibt in ihren programmatischen Aussagen eher vage. Kritik an den Eliten in München, Berlin und Brüssel ist das Kerngeschäft der AfD, auch in Bayern.
Dumm für die CSU, dass sie seit fast 60 Jahren im Landtag die Regierungskoalition führt. Es gibt keine elitärere Partei in Bayern als die CSU. Folglich musste die Strategie nach hinten losgehen.
Nicht nur, dass die Christsozialen ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren haben. Auch die AfD feierte einen bemerkenswerten Erfolg in Bayern. Sie holte acht Prozent der Stimmen und blieb damit sogar ein Prozent über dem ohnehin schon sehr guten Bundesschnitt.
Wer trägt die Kosequenzen?
Kritik gab es nach der Wahl auch an Horst Seehofer. Im Nachrichtenmagazin „Spiegel“ forderte der ehemalige CSU-Vorsitzende Erwin Huber ein „Ende der einsamen Entscheidungen“, was ganz offensichtlich auf seinen Amtsnachfolger gemünzt war. Doch danach blieb es merkwürdig still.
Gut möglich, dass Gauweiler die Konsequenzen tragen muss. Der Münchner CSU-Politiker war erst im November vergangenen Jahres zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt worden. Beobachter sprachen damals von einem bemerkenswerten Comeback.
Nun zeichnet sich ab, dass Gauweilers Neigung zu Alleingängen und exzentrischen Auftritten für ihn zum Problem werden könnte – auch im Rückblick auf den Europawahlkampf. Seine Chancen auf eine zweite Amtszeit dürften erheblich gesunken sein.
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