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„Ein Exempel" Im Gespräch mit dem Theaterregisseur Jan Gehler vor seiner Dresdner Premiere

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Anfang Mai saß ich im Publikum einer öffentlichen Podiumsdiskussion in der Dresdner Synagoge, in der es um das Gerichtsverfahren gegen den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König ging. Zur Diskussion eingeladen waren u. a. Johannes Lichdi, Mitglied des sächsischen Landtags, sowie Lothar König selbst und dessen Verteidigerin Lea Voigt aus Berlin. Der Gemeindesaal war gefüllt mit interessierten Zuhörern verschiedenster Altersstufen. Dieser Stadtjugendpfarrer von Jena soll, laut Polizei, angeblich am 19. Februar 2011 während einer Gegendemonstration eines Nazi-Aufmarschs in der Dresdner Innenstadt zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben. Die Staatsanwaltschaft Dresden wirft ihm „schweren aufwieglerischen Landfriedensbruch" vor.

Das mediale Interesse wurde damals von Verhandlungstag zu Verhandlungstag größer. Fernsehanstalten, regionale und überregionale Zeitungen, sowie Nachrichtenmagazine kritisierten zunehmend die einseitige Ermittlung der Staatsanwaltschaft. Zahlreiche entlastende Befragungsprotokolle waren verschwunden, zudem stützte man sich in der Beweisführung auf Falschaussagen beteiligter Polizeibeamte.

„Faire Verteidigung verhindert"

„Das ist eine Frechheit", sagte Lea Voigt damals der Zeitung taz, „Hier wurde den Verteidigern entlastendes Material zielgerichtet vorenthalten und eine faire Verteidigung verhindert". Als hundertsechzig Stunden Originalmaterial der Videoaufnahmen auftauchten, die Lothar König entlasteten, wurde daraufhin der Prozess gegen ihn im Juli 2013 ausgesetzt. Der damalige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, sowie die Landeskirchen in Sachsen forderten die sofortige Einstellung des Verfahrens. Im Januar diesen Jahres hieß es seitens einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft, dass ein erneutes Verfahren - geprüft werde.

„Im Gespräch mit Jan Gehler"

In der Dresdner Synagoge traf ich auch auf den Theaterregisseur Jan Gehler der zur Vorbereitung seiner neuen Inszenierung „Ein Exempel" von Lutz Hübner anwesend war. Er wurde 1983 in Gera geboren, studierte an der Universität Hildesheim „Szenische Künste" und war Regieassistent am Staatsschauspiel Dresden, u. a. bei Inszenierungen von Tilmann Köhler. 2011 gab er in Dresden sein Regie-Debüt mit der Uraufführung von „Tschick" nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf, die zum Festival „Radikal jung" nach München und zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen wurde. Regie-Arbeiten führten ihn bislang an das Volkstheater München, das Maxim-Gorki-Theater Berlin und das Theater Freiburg. Seit der Spielzeit 2013/14 ist er zudem Hausregisseur am Staatsschauspiel Dresden. Im Vorfeld seiner Premiere bat ich Ihn um ein Gespräch.

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Jan, findest Du, dass die Situation um den Jenaer Stadtjugendpfarrer ein sächsisches Phänomen ist, das in anderen Bundesländern so nie stattfinden würde?

Nein, ich glaube diese Situation hätte überall stattfinden können, was die Sache nicht besser macht. Aber die Häufung ähnlicher Fälle in Sachsen ist schon auffällig. Vielleicht kommt es mir nur so vor, weil ich hier lebe, aber es scheint mir auch ein Phänomen unserer Zeit zu sein, linkspolitisches Engagement zu kriminalisieren und als Angriff auf die Demokratie zu verstehen.

Der sächsische Landesbischof Jochen Bohl war zutiefst entsetzt, als am Rande einer rechtsradikalen Demonstration Anfang Mai die evangelische Pauluskirche in Plauen von der Polizei gestürmt wurde, da sich dort linke Protestierende in Sicherheit gebracht hatten. Mittlerweile entsteht bundesweit der Eindruck, dass die sächsische Polizei eher linken Aktivisten die Flügel stutzen will, als rechten Gruppierungen. Teilst du diesen Eindruck?

Ich glaube der sächsischen Polizei ein einseitiges Handeln zu unterstellen ist zu einfach gedacht. Ich glaube nicht an eine Verschwörungstheorie oder besser gesagt ich möchte nicht daran glauben. Vielmehr bin ich mir aber sicher, dass die Umstände und das gesellschaftliche Klima, geschaffen durch Politik und Presse, dazu beitragen. Warum werden Prozesse gegen friedliche Blockierer geführt und dieses Engagement kriminalisiert und gleichzeitig rechte Gewalttaten verharmlost oder auf eine Stufe gestellt? Rechte und linke Gewalttaten gleichzusetzen ist eine dramatische Verkennung der Lage und die eigentliche Gefahr für die Demokratie.

Wenn Du dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich eine Frage in Bezug auf rechte Gewalt stellen könntest, was würdest Du ihn fragen?

Warum hat die Politik Angst davor, rechte Gewalt auch als solche klar zu kennzeichnen? Ich habe nämlich den Eindruck, dass das vermieden wird. Wenn fremdenfeindliche Gewalt beispielsweise als Auseinandersetzung von Fußballfans abgestempelt und somit verharmlost wird. Will man nicht darüber sprechen?

In deiner neuen Regiearbeit geht es um einen Familienvater, der den Kassendienst in einem linksalternativen Veranstaltungszentrum übernimmt. Er wehrt sich gegen Neonazis, welche die abendliche Veranstaltung stören wollen und sieht sich später einem Prozess wegen „vorsätzlicher Gewaltausübung" ausgesetzt. Denken wir uns den Altersunterschied und die Handgreiflichkeiten mit den Nazis in der Fassung von Lutz Hübner einmal weg. Ist „A", wie die Figur in „Ein Exempel" heißt, Lothar König?

A ist eine Mutmaßung, ein Konglomerat aus vielen real existierenden Fällen. Der Fall Lothar König ist sicher auch ein Teil von ihm, in erster Linie kommt A aus der bürgerlichen Mitte. Er ist kein aktiver Straßenkämpfer, sondern Demokrat, der Zivilcourage zeigt und aus seinem Empfinden heraus legitim handelt, dem aber eine Illegalität vorgeworfen wird. So würde sich Lothar König vielleicht auch beschreiben.

Du hast 2007 in Heiligendamm gegen den G-8-Gipfel protestiert und bist auch davor schon relativ jung politisch aktiv gewesen. Hattest Du schon mal Ärger mit der Staatsgewalt?

Ich hatte noch keinen prozessualen Ärger, aber natürlich kenne ich die Dynamiken von Demonstrationen und Sitzblockaden, Konfrontationen mit der Polizei, die Auswirkungen von Pfefferspray, aber vor allem auch die unterschiedliche Wahrnehmung der polizeilichen Pflichten in solchen Situationen. Dass sich die Stimmung am Rand einer gewaltlosen Demonstration aufheizen kann und die Nerven blank liegen, kann ich verstehen, aber der Mensch unter dem Panzer hat immer die Wahl, ob er wegträgt, schubst oder zuschlägt. Letzteres ist für mich weder legitim noch legal.

Als Regisseur bist du schon quer durch die Republik gereist, um an Theatern zu arbeiten. Wie fasst du die politische Vielfalt unserer Demokratie auf?

Ich glaube das die Demokratie immer den Diskurs braucht, sei es in Plenarsälen, auf der Straße oder im Theater. Aber ich habe schon auch das Gefühl, dass immer weniger Menschen sich daran beteiligen oder es immer die gleichen sind.

Du hast ein eher ruhigeres Gemüt, wie ich finde. Wie stark können Dir Belehrungen und Frechheiten im Alltag die Laune verderben? Hast du ein Beispiel?

Wie heißt es so schön, wenn mein Handeln eine Gefahr für andere darstellt, lass' ich mich gerne belehren. Von den sogenannten Wutbürgern, die es in jeder Stadt gibt, welche zum Beispiel Radfahrer anpöbeln, weil sie auf der falschen Seite fahren, lass' ich mich tatsächlich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Da geht es nie um die Sache, sondern immer um Frustrationsabbau und den will ich gar nicht leisten.

Angenommen, es gäbe zwei Arten in einer deutschen Stadt zu leben:
Die erste Stadt ist bildhübsch. Die Menschen, welche darin leben haben aber, pauschalisiert ausgedrückt, ein größeres und im Alltag sichtbareres Aggressions- und Frustrationspotenzial. Die zweite Stadt ist vergleichsweise hässlich. Deren Bewohner sind aber, pauschal gesprochen, deutlich entspannter, unvoreingenommener und nicht durch Frustration, Missgunst und Fremdenhass geprägt. Wo möchtest Du als junger politischer Ostdeutscher langfristig eher leben?


Die Frage ist, kann eine Stadt bildhübsch sein, in der ein Frustrationspotenzial so hoch ist? Nein im Ernst, für mich machen in erster Linie die Menschen einer Stadt das Lebensgefühl und die Qualität aus und nicht die Gebäude, also die letztere Variante. Aber zum Beispiel in einer Stadt wie Dresden zu wohnen, in der der größte Neonaziaufmarsch Europas in den letzten Jahren erfolgreich blockiert und verhindert wurde, macht mich ein bisschen stolz. Ich will unbedingt in einer freien toleranten transkulturellen Gesellschaft leben, aber ich will auch dafür kämpfen, jeden Tag und in jeder Stadt.

Ich danke Dir für das Gespräch.

„Ein Exempel - Mutmaßungen über die sächsische Demokratie" von Lutz Hübner, Uraufführung am 14. Juni 2014 am Staatsschauspiel Dresden, Kleines Haus

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